Dushan-Wegner

10.01.2021

Der Überfluss und sein Mangel

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Robin Canfield
Es fehlen Impfstoffe, die Regierung versagt (wieder einmal). Merkels Haltung, sinngemäß (wieder einmal): »Ist mir egal, ob ich schuld am Mangel der Impfstoffe bin, jetzt sind halt zu wenige da.«
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Deutschland wundert sich dieser Tage über sich selbst, warum es sich so schwer damit tut, Impfstoff klug und ausreichend einzukaufen, und dann auch zu verteilen, Kindern den notwendigen Digitalunterricht zu sichern – oder auch nur dafür zu sorgen, dass die Bürger die Regierung nicht nur hinnehmen, sondern gerade in Krisenzeiten ernst nehmen. Ich meine, darlegen zu können, dass es alles mit einer alten lateinischen Weisheit zu tun hat, und dass es keineswegs rätselhaft ist! (Kein Rätsel ist rätselhaft, wenn es gelöst ist.)

Er ist aus einem anderen Grund und bei einem anderen Lichteinfallswinkel falsch, dumm und unmoralisch, jener Sinnspruch, der im Lateinischen »suum cuique« heißt, und zu Deutsch »jedem das seine«, als aus dem, warum er heute quasi-offiziell als böse gilt. Er ist als Gedanke schon bei Platon zu finden. Er wurde seitdem durch alle Zeiten hindurch gebraucht und bedacht. In der NDI (»Neue Deutsche Idiokratie«) nun gilt er dank der von Social-Media gespeisten Medien-Unkultur als geächtet, denn auch die Nazis haben ihn gebraucht (also die echten Nazis, welche Buchenwald bauten – nicht »Nazi« im neuen Sinne von »wer sich seines Gewissens und des Verstandes bedient«).

Jedoch, nicht nur den nationalen Sozialisten schien jener Sinnspruch zu gefallen, die internationalen Sozialisten erklärten ihn gleich zum Wesensmerkmal ihres ideologiegewordenen Extrempopulismus. Die Menschenfeinde mit dem roten Stern auf den Kappen und dem Gulag im Herzen nennen eine Abwandlung jenes Sinnspruchs das »sozialistische Leistungsprinzip«. Im 12. Artikel der Stalin-Verfassung von 1936, aber auch etwa im 2. Artikel der DDR-Verfassung heißt es: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung.« 

Eigentlich – und in diesem »eigentlich« klingt natürlich ein Seufzer mit – eigentlich ist mit dem »suum cuique« eine Regel gemeint, die Teil jener Gedanken ist, denen wir heute nostalgisch als »rechtsstaatlich« und »utopisch« hinterherwinken. Es ist eigentlich verwandt mit jenem Prinzip, das die Bibel als »Auge um Auge, Zahn um Zahn« (2. Mose 21:23-25) festhält: Eine Strafe soll ihrer Tat angemessen sein, nicht mutwillig über diese hinausgehen. Beide aber, das »Auge um Auge«-Prinzip wie auch das »suum cuique«, werden heute ein klein wenig anders verstanden als sie einst gemeint waren – ihr Erfolg wie auch ihre Uminterpretation sind in beiden Fällen in ihren verführerischen Leerstellen begründet.  

Wie es sonst doch eher für Kunstwerke typisch ist, eröffnete die Idee des »suum cuique« gleich mehrere Leerstellen, die der Sprecher wie auch der Hörer sich jeweils passend zurechtlegen können.

Überm Tor des Mordlagers Buchenwald war bekanntlich ein geschmiedetes »Jedem das Seine« angebracht, und anders als sonst war es vom Inneren des Lagers aus lesbar. Die Häftlinge sollten lesen können, dass es irgendwie ihre »Schuld« sei, was ihnen angetan wurde, dass ihr Schicksal eben jenes sei, das ihnen zustünde, man blieb also bei der Deutung einer Schuld, erfand diese aber frei und auf abscheuliche Weise.

Während es auch bei den Sozialisten stalinscher Prägung die Zuschreibung einer Schuld gibt, die von den Sozialisten frei erfunden wurde (in der DDR etwa die »staatsfeindliche Hetze«, siehe Essay vom 23.8.2018), so werden doch in der Übernahme jenes Leitspruchs andere Leerstellen gefüllt: Jeder soll an guten Dingen erhalten, was ihm eben an guten Dingen zusteht – und fast jedes Wort ist eine Leerstelle: Wirklich jedes? Was sind gute Dinge? Wem steht denn nach welchen Kriterien was und wieviel zu ? – Das sozialistische Leistungsprinzip enthält derart viele Leerstellen, dass es heute anders als bloß zitierend ausgesprochen bereits einen Akt der Lüge darstellt.

»Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seiner Leistung«, das könnte den Armen und Geknechteten wie eine süße Hoffnung klingen – und es ist verständlich. Wer sich ausgebeutet und ungerecht behandelt fühlt, wie lieblich muss ihm die Hoffnung schmecken, dass wenn er nur die Macht über sich und sein Land den »Revolutionären« in die Hand gibt, dem Armen endlich Gerechtigkeit widerfahren würde. (Sozialisten wissen, dass ihre Macht aufs lodernde Ungerechtigkeitsgefühl baut, davon, dass das »Proletariat« darüber wütet, sie bekämen »das ihre«, und wenn es keine Ungerechtigkeit mehr gibt, dann erfinden sie eben welche, wie etwa die mehrfach und unzweideutig widerlegte 79%-Lüge, welche die SPD so faul wie dreist sogar auf Plakate drucken lässt; siehe welt.de, 19.9.2017.)

Wenn ein Sozialistenbonze aber, der es durch geschicktes Strippenziehen (oder schlicht dummes Glück) an die Macht geschafft hat, und wenn er sich dann auf Kosten des Proletariats eine feine Datscha gönnt oder einen mehrere Hunderttausend Euro teuren Dienst-Mercedes, dann ist er der festen Überzeugung, dies stünde ihm »nach seinen Fähigkeiten« und »nach seiner Leistung« zweifellos zu – wobei seine angeblichen »Fähigkeiten« und »Leistungen« selten von mehr als eben dem Aufstieg im sozialistischen Apparat belegt sind. (Faustregel: Je gescheiterter der Failed State, umso stattlicher die Limousinen der Sozenbonzen.)

Jedoch, wir sind noch nicht fertig mit den möglichen Leerstellen und ihrer Einsetzung jener Weisheit, oh nein!

Da wäre noch eine Deutungsmöglichkeit, und es ist der Grund, warum wir Probleme bei der Impfstoffverteilung erleben.

Im Geist des »suum cuique«, wie es von Kommunisten (und solchen, die sich heute nicht mehr solche nennen) gedacht wird, ist stets enthalten: Jeder soll maximal so viel enthalten, wie er braucht – und mit »braucht« meinen wir, »hinnimmt, ohne dass es einen unkontrollierten Aufstand gibt«, sprich: so wenig wie möglich.

Was ist denn, neben dem blanken Machterhalt natürlich, das Leitprinzip und die Leitfrage des Merkel-Staatsfunk-Regimes?

Es ist: Wie maximal viel kann man dem Bürger nehmen? Wie minimal wenig kann man dem Bürger lassen und (zurück-) geben, bevor er rebelliert?

Bei der Geldpolitik etwa – Frage: Wie viel Zinsen kann man dem deutschen Sparer nehmen, bevor er rebelliert? Antwort: Alle.

Bei der Migrationspolitik – Frage: Wie viel erarbeitetes Vermögen und geerbte Heimat lässt sich der deutsche Steuerzahler nehmen, um damit die Bürger fremder Länder und Kunden der Schlepper lebenslang gratis zu versorgen? Antwort: Sehr viel, wenn man ihm droht, bei Widerspruch als »Nazi« gebrandmarkt zu werden.

Bei der Schulpolitik – Frage: Mit wie wenig (auch geistigem!) Aufwand lassen sich Schulen betreiben? Antwort: Mit erstaunlich wenig, wenn 1. die Eltern nicht andere, bessere Schulen kennen, und wenn 2. es etabliert wurde, dass die Aufgabe der Schulen nicht die Vorbereitung der Kinder auf die digitale »Welt der Ingenieure« ist, sondern die Ausbildung der korrekten »Haltung« als williger Untertan im Propagandastaat Deutschland.

In der für Sozialistenbonzen typischen kognitiven Dissonanz erscheint der politisch-medialen Klasse ganz selbstverständlich, dass sie selbst sorgenfrei und reichhaltig bedient werden – doch dem Bürger auch nur einen Groschen mehr zu lassen als dieser nach Funktionärsmeinung braucht, das bereitet denen geradezu Bauchweh.

Dem Bürger nicht alles fortzunehmen, was dieser nicht unbedingt braucht, das gilt in Deutschland heute als unmoralisch.

Der Überfluss gilt in Deutschland als unanständig – und das ist, wo das Problem der Impfverteilung beginnt.

Deutschland scheitert an der Bereitstellung und Verteilung von Impfstoff. Bei welt.de, 9.1.2021, etwa fragt man teils spöttisch, teils verwundert: »Wie klein muss eine Corona-Aufgabe sein, damit Deutschland sie meistert?

Deutschland fragte nicht, wie viele Impfungen man braucht und also kaufen will, sondern ganz automatisch wie wenig: Mit wie wenigen Impfungen kommen wir aus, damit auch alle anderen Nationen dieses Planeten und, falls bis dahin welche entdeckt werden sollten, auch die Nationen der Nachbarplaneten versorgt sind?

Alle Stärke, die Deutschland heute noch an den Tag legt, verdankt es den Unternehmern, Ingenieuren und Arbeitern »alter Schule«, die sich an alten Werten ausrichten, die lieber »›ne Schippe extra« drauflegen, die »lieber zweimal messen« und dabei »sicher ist sicher« brüllen.

Was Deutschland stark und bewundernswert machte, war ein »Überfluss« und ein »Zuviel« an guten, einst »typisch deutschen« Eigenschaften wie Vorsicht, Planung und ganz praktischer Bevorratung. Was Deutschland einst zum Land der Dichter und Denker machte, war ein »Überfluss« und auch ein gewisses »Zuviel« an strukturiertem Nachdenken, ein Reichtum nicht nur an Geld, sondern auch der »unnützen« Gedanken, der Denkfreude um ihrer selbst Willen. 

Was Deutschland heute schwach werden lässt, ist das sozialistische Prinzip des »jedem Bürger und jeder staatlichen Aufgabe nur so viel Geld und Aufmerksamkeit, wie er/es gerade dringend braucht, bevor es kracht« – und wenn die Krise kommt und es mehr braucht, dann ist halt zu wenig da.

Merkels Haltung zu den Impfstoffen: »Ist mir egal ob ich am Mangel der Impfstoffe schuld bin, jetzt sind halt zu wenige da.«

Im Essay »Die Katze ist tot, lang lebe die (neue) Katze!« vom 5.8.2020 schrieb ich: 

›Schon Monate und Jahre vor dem Lockdown konnte jeder Nichtblinde sehen, dass das »System Deutschland« auf Kante genäht ist (siehe schlicht meine Essays) – und die überspannten Fäden platzen nun einer nach dem anderen.‹

Die Besorgung und Verteilung des Impfstoffes hapert, weil Merkel-Deutschland »auf Kante genäht« ist – und dass immer weniger Bürger, selbst und oft gerade wenn sie brav »gehorchen«, dieses System täglich weniger ernst nehmen (weder die Skifahrer in den Bergen noch die Feiernden in illegalen Clubs sind allesamt merkelfeindliche Querdenker – es können CDU-, Grünen- oder Nichtwähler sein, was im Effekt ja dasselbe ist – und sie glauben und folgen also »denen da oben« einfach nicht mehr), rührt schlicht auch vom »intellektuellen So-wenig-wie-möglich-Prinzip« des Propagandastaates her.

Die Lehre aus dem Impfdebakel des Merkelsystems ist denkbar schlicht: Der Einzelne muss für sich selbst »Überfluss schaffen« – und wir reden längst nicht nur von Geld.

Der Bürger wäre gut beraten, für sich und seine Familie das gedankenlose »Wir-schaffen-das-Prinzip« durch einen Überfluss an Vorbereitung und Abwägung zu ersetzen.

Der Bürger täte sich selbst einen großen Gefallen, wenn er regelmäßig den ständigen medialen Bullshitstrom ausschaltet und seine Gedanken zur Ruhe kommen lässt. Die großen Gedanken flackern im Wald oder am See auf, im Sessel oder sogar unter der Dusche, nie aber, wirklich nie, vor der Glotze (aber auch nicht etwa im familiären Stress, selbst wenn dessen Bewältigung noch so moralisch edel sein mag).

Wo die-da-oben so wenige Gedanken in unseren Angelegenheiten aufwenden, wie denen nur irgend möglich ist, müssen wir so klug sein, wie es uns nur gegeben ist.

Ja, ich sage: »Schafft euch Überfluss!« – Nein, es ist nicht nur eine Frage des Geldes, es ist eine Frage der Lebensphilosophie.

Legt euch einen Überfluss an guten Gedanken parat!

Schafft euch auch einen Überfluss an Plänen – wenn der erste und zweite Plan scheitern, haltet ihr lächelnd einen dritten Plan parat!

Pflegt einen wohlsortierten Überfluss an Vorsicht – nicht nur die sprichwörtliche Porzellankiste ist froh, diese zur Mutter gehabt zu haben und, wenn es euch irgendwie möglich ist, schafft euch einen Überfluss an Weisheit!

Seid klüger, weiser und vorsichtiger als ihr heute meint, es unbedingt zu benötigen – was auf uns zukommt, wird alle Weisheit und Klugheit beanspruchen, die wir nur ergattern können.

(Und wenn ihr all dies berücksichtigt, stehen die Chancen gut, dass sich auch der andere »Überfluss« einstellt.)

Weiterschreiben, Wegner!

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