28.04.2025

Von sieben Hügeln

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Fast da«
Vorm Petersdom ist ein Obelisk aufgestellt. Früher stand er im Circus, wo Christen hingerichtet wurden. Ihn zum Zentrum des Platzes zu machen, der Vatikan-Besucher begrüßt, ist Zeichen von Trotzigkeit. Ich frage mich, wofür ich heute so »trotzig« wäre.
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Wir waren in Italien. Rom, dann Florenz. Wir besuchten das Kolosseum, Museen, Ruinen und so weiter. Was man eben so tut, wenn man nach Wurzeln gräbt. Man gräbt (metaphorisch) in der Stadt, in der Bauarbeiten vorhersehbar unvorhersehbar lange Zeit dauern, weil man beim (tatsächlichen) Graben schon mal auf Neros Privattheater stößt (cnn.com, 28.07.2023).

Am Ostersonntag besuchten wir die Ostermesse. Wir sahen den Papst auf dem Balkon und dann an uns vorbeifahren. Am Ostermontag waren wir am frühen Morgen noch in der Krypta unterm Petersdom. Die letzten Ruhestätte mancher Päpste. Die schlichte Grabplatte über Benedikt dem Sechzehnten, hinter Absperrungen und Glas das Grab Petri.

Der Petersdom. Erstaunlich, dass es selbst mit Tausenden durchmarschierender Touristen gelingt, Alkoven der Ruhe in der Basilika zu schaffen – und zu finden.

Dann piepte mein Smartphone. Verschiedene Leute sandten eine Nachricht mit demselben »witzigen« Gedanken. Etwa so: »Mensch, Dushan, kaum bist du in Rom, stirbt der Papst.«

So erfuhr ich es. Die Leute meinten es, wie gesagt, witzig. Ich erwog kurz, in ähnlich witzigem Geist zurückzufragen, wohin ich als nächstes reisen sollte.

Ich tat es nicht, es käme mir geschmacklos vor. In Italien ist Geschmacklosigkeit eine besonders schwere Sünde, und im Vatikan zu sündigen, wäre extra geschmacklos.

Mindestens geschmacklos fand ich auch jene Versuche, die Todesnachricht mit politischer Kritik am Papst zu verbinden. Alles hat seine Zeit!

Ich selbst hatte ja diesen letzten Papst mehr als einmal kritisiert. Etwa so: »Papst Franziskus ist bekanntlich ein Papst seit einiger Zeit, bei welchem die Frage, ob der Papst katholisch sei, keine lediglich rhetorische ist.«

Ja, so hatte ich geschrieben, aber das war am 24.9.2023, und der Essay hieß »Im Vatikan steht kein Asylheim«. Ich kann bestätigen: Es steht kein Asylheim dort. Aber drumherum sind Botschaften, teure Immobilien und teure Restaurants. Und es fahren dort überhaupt sehr viele, sehr sichere und wohl auch sehr teure Limousinen herum. Aber alles hat seine Zeit.

Wenn unsere Wurzeln im alten Rom zu finden sind, was kann man als Tourist in einer Woche finden? Realistisch?!

Vielleicht ist es ein Gefühl, eine Perspektive, ein oder zwei neue Fragen.

Auf dem Petersplatz steht ein Obelisk, eine große, steinerne Stele.

Wusstet ihr, dass dieser Obelisk dreihundertdreißig Tonnen schwer ist? Zu den Geheimnissen dieses Steines gehört, warum über die Jahrhunderte viele andere Obelisken in Rom umfielen, dieser jedoch nicht. Und warum dieser Obelisk etwas nach rechts verschoben ist. (Letzteres fiel übrigens Leo und mir unabhängig voneinander auf.)

Ich habe auch gelernt, dass dieser Monolith aus Ägypten stammt und einst mitten im Circus des Caligula und des Nero stand. (Ein Leser und Fachmann merkt an: Der Obelisk ist auch ein ansehnliches Beispiel für eine Damnatio memoriae im antiken Rom: anhand der Dübellöcher für die metallene Inschrift, die ihn ehemals geziert hatte, konnte man feststellen, dass diese C. Cornelius Gallus gewidmet war, der wie viele Römer ein großer Ägyptenfan war, später aber in Ungnade fiel. Da nahm man dann die Inschrift ab – und hat sie dennoch für die Nachwelt konserviert.)

Am Fuß des Obelisken wurden früher Christen hingerichtet. Nach katholischer Tradition wurde Petrus in Rom gekreuzigt, auf eigenen Wunsch mit dem Kopf nach unten, vielleicht in der Nähe des Circus und des Obelisken. Sein einfaches, praktischerweise nahe gelegenes Grab ist Sinn und Mittelpunkt des Petersdoms.

Diesen Stein in die Mitte des Platzes vor dem Petersdom zu stellen, wo die Besucher des Vatikans begrüßt werden: Es steht für den Sieg Christi, für die Kraft des Glaubens und so weiter. Eine weitere, simplere Deutung wäre schlicht: Es steht für Trotzigkeit.

Die Christen, die zu Füßen dieses Obelisks starben, gaben ihr Leben für eine Sache, die ihnen größer und wichtiger erschien als ihr eigenes Leben. Eine große relevante Struktur, die ihnen relevanter erschien als sie selbst.

Anders als die einen Fanatiker heute, die sich »Märtyrer« nennen, waren diese Märtyrer keinesfalls Täter. Anders als gehirngewaschene Schafe »toleranter« Kulturen, die heute ihr Land, ihr Leben und das Leben ihrer Kinder für eine Ideologie opfern, gaben diese Christen ihr Leben bewusst für eine Idee, eine Wahrheit. Eine Wahrheit und Idee, die sie mehr als gründlich geprüft hatten.

Ich frage mich: Haben wir heute Dinge, die größer sind als wir selbst – und die wir freiwillig zu solchen größeren Dingen erklären?

Welchen Obelisk, welchen tonnenschweren Granitstein könntest du aufstellen, um selbstbewusst deine eigene Trotzigkeit zu feiern?

Weiterschreiben, Wegner!

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