Diese Woche trafen sich die Innenminister von Italien und Polen, Matteo Salvini und Joachim Brudziński. In der aktuellen Debattenlage werden beide jeweils, je nach Perspektive, als Patrioten oder als Populisten bezeichnet (z.B. vom deutschen Staatsfunk, siehe etwa dw.com, 9.1.2019).
Bei der anschließenden Pressekonferenz entwarf Salvini die Idee für ein »neues Europa«. Man sprach über »Sicherheit, Familie, christliche Traditionen« (man könnte sagen: »relevante Strukturen«). Salvini hat »eine Allianz derer vorgeschlagen, die Europa retten wollen« (faz.net, 10.1.2019). Er stellte plakative Begriffe in den Raum, wie »europäischer Frühling« und »Renaissance europäischer Werte« und ein Europa, das nicht mehr »von Bürokraten regiert wird« (siehe zeit.de, 9.1.2019).
Eine Rückfrage könnte lauten, von wem Europa denn sonst regiert werden soll als von Bürokraten, vielleicht von Künstlern oder Fußballspielern? Und dann könnte man ihn einfach als einen »Populisten« abtun, wie unter anderem Dummköpfe es ja tun.
Man sollte allerdings genauer hinhören, und auf das Verb des Satzes achten, und dann würde man sich selbst die Frage stellen: Wer sagt denn, dass Europa »regiert« werden muss – und von wem? Warum kann es nicht ein Bündnis von befreundeten Staaten sein?
Gegenthesen
In der Mathematik und Logik ist es guter Usus, eine These zu prüfen, indem man ihre Gegenthese betrachtet. Wir wollen uns hier inspirieren lassen, und eine Gegenthese zu Salvini entwerfen, etwa so: »Es ist gut, wenn Europa zentral regiert wird!«
Da bei Salvini immer auch seine Kritik an der Free-for-all-Migrationspolitik merkelscher Prägung mitschwingt, dürfen wir die Gegenthese formulieren: »Es ist gut, wenn Europa zentral regiert wird und sich dabei als All-inclusive-Migrationsziel anbietet.«
Wir kümmern uns
Wenn Sie die Darstellung meiner Gegenthese überzogen finden, dann darf ich zwei Details anführen:
Erstens: Angela Merkel (ja, derzeit noch die deutsche Kanzlerin) hat immer wieder und weitgehend unwidersprochen angekündigt, dass Nationalstaaten (noch) »mehr Souveränität abgeben« sollen, nach Brüssel natürlich, und die Ex-FDJ-Sekretärin ist sich etwa mit dem französischen Ex-Banker Emmanuel Macron einig darin (siehe z.B. welt.de, 21.11.2018). Wenn die Mächtigen es explizit und laut sagen, dann sollte es nicht mehr als »Verschwörungstheorie« gelten: Man wünscht sich eine europäische Regierung durch Brüsseler Eliten wie Juncker und Co., und das einzige, das dabei stört, sind wir, die dummen Bürger, die noch selbst über unser Schicksal bestimmen wollen. – Immerhin: In einigen Tagen wollen Merkel und Macron in Aachen eine weitere Vertiefung der deutsch-französischen Beziehung besiegeln (siehe z.B. welt.de, 8.1.2019).
Zweitens: Die Forderung gilt als unfein, dass Deutschland nicht das »Weltsozialamt« sein sollte, doch dazu zwei Unterpunkte! –Zwo-eins: Was ist denn die Gegenthese? Dass es das doch sein soll? – Und, zwo-zwo: Ein Zyniker würde sagen, die Deutschen wären froh, »nur« das Weltsozialamt zu sein – und nicht noch zusätzlich das Weltgefängnis.
Die Frankfurter Rundschau – ein stramm linkes Blatt, eigentlich – berichtet:
Afghanistan hat einen 23-jährigen Mehrfach-Straftäter nach Deutschland zurückgeschickt, der in der Nacht zu Dienstag nach Kabul abgeschoben worden war. (fr.de, 9.1.2019)
Es ist 2019 und Afghanistan handelt rationaler und selbstbewahrender als Deutschland – doch eben das ist die Konsequenz, wenn linke Spontanemotionen zu Staatshandeln werden.
Konzept oder Konfusion
Die These jener Politiker, die in den USA und in Europa als »Populisten« und Schlimmeres beschimpft werden, ist heute in etwa: Jede Nation ist zuerst für sich selbst verantwortlich, und in Freundschaft können wir miteinander handeln und voneinander lernen.
Was wäre denn die Gegenthese? – Es ist schwer, die linken und globalistischen Gegenthesen zu formulieren, denn ihre Stimmungsmache (im Wortsinn) funktioniert ja nicht in kohärenten Thesen, sondern in Schlagworten, Angriffen auf Personen und täglichen Empörungs-Slogans.
Globalisten und Propagandaopfer legen kein Konzept für das Zusammenleben nachgewiesenermaßen inkompatibler Kulturen vor, keine durchgerechneten Finanzierungen für die Sozialleistungen für Millionen von oft bildungsfernen Migranten. Statt Plänen und Lösungsansätzen posten sie aggressive Gedankenfetzen wie »Nazis raus!«, und »Hass ist keine Meinung«. Das Nicht-Denken wird zum gesamtkulturellen Phänomen, quer über die Parteien. Die FDP plakatierte »Digital first, Bedenken second«, jetzt ist es denen etwas peinlich. – Ist es das »Denken«, das den »Bedenken« so ein Pfui-Image gibt, oder funktioniert das andersherum? Wie argumentiert man mit Leuten, ob grün oder gelb, denen (Be-)Denken als altmodisch gilt?
Das Gegenthesen-Problem
Wir geraten heute in die Schwierigkeit, dass seit Jahren schon der linksgrünen Gegenseite keine kohärente Theorie abzuringen ist, dass störende Fakten und Gegenargumente (kontinuierlich aggressiver!) ausgeblendet werden.
Wie argumentiert man denn mit jemandem, der die Wahrheit fühlt, der »Faktennazi« wörtlich meint, der Zahlen und Statistiken ablehnt, wenn sie sein Weltbild stören, der Kulturen positive Eigenschaften zuschreibt, die es so nur in seinem Multikulti-Weltbild gibt, dessen politische Meinung aufs roboterhafte Wiederholen vorgegebener Phrasen reduziert ist?
Die Mühe
Der lernende Mensch will debattieren, er sucht nach These und Gegenthese, will prüfen und klüger werden. Doch wie prüft man seine Thesen mit einem Gegenüber, dass nur noch moralisierende Emotionen sendet und längst nicht mehr rational empfängt?
Wir müssen versuchen – so wir unsere Thesen gegen linksgrüne Argumente testen wollen – aus den Slogans und Hashtags des Gegenübers an dessen Stelle ein Gebäude für seine (wahrscheinlichen) Thesen, Werte und Forderungen aufzustellen.
Beispiel: Man denkt den Slogan »Kein Mensch ist illegal« zu Ende, und man kommt zum Ergebnis: es ist zu erlauben, dass etwa die vollständige Bevölkerung Afrikas, also über eine Milliarde Menschen, nach Deutschland einreisen darf und dort auf dem in Deutschland üblichen Niveau versorgt werden kann.
»Das habe ich nicht gesagt«, wird der Andere rufen, und dann werden wir fragen: »Was hast du denn gesagt? Sollte es Beschränkungen geben, und wenn ja, welche?«, und das ist der Punkt wo das Gegenüber »Du Nazi« sagt (oder bloß denkt, jedoch in der Mimik unmissverständlich andeutet) um dann– im harmlosesten Fall – augenrollend aus dem Zimmer zu stürmen.
Wir alle
Niemand liegt immer richtig, und niemand liegt falscher als der, der immer richtig zu liegen meint.
Die Frage ist nicht, ob wir Fehler machen, sondern welche Strategien wir einsetzen, um die Zahl unserer Fehler zu verringern und unsere Aussagen passend zur Welt zu machen.
Wenn Politiker wie Salvini sagen, sie wollten freundschaftlich mit fremden Nationen zusammenarbeiten, werfen Linke ihnen Fremdenhass vor – wie will man da argumentieren? Wie redet man mit einem Gegenüber, das gar nicht mehr den Anspruch erhebt, kohärent zu sein – oder auch nur die bisherige Bedeutung von Worten zu akzeptieren, sondern von Rassismus über Gender bis sogar fett und schön das Vokabular nach Tageslaune umdefiniert?
Politiker wie Salvini sind wahrlich nicht vollkommen, doch sie haben mit Argumentgegnern zu tun, deren Thesen (soweit diese überhaupt rekonstruierbar sind) wenig Verbindung mit der Realität und ihren Gesetzmäßigkeiten haben. (Ob italienische Ansätze zur Fiskalpolitik vor der langfristigen Realität bestehen, das ist ein anderes Thema, doch das schon seit längerer Zeit.)
Die Freunde von Globalismus und offener Migration lesen Märchen im Spiegel und holen sich ihre Schlagworte in Talkshows ab (wo der Chef der grünen Fühlen-statt-Denken-Partei, Robert Habeck, letztes Jahr so häufig auftrat wie sonst keiner, siehe z.B. faz.net, 10.1.2019) – wie diskutiert man mit ihnen?
Die Debattenlage
Man möchte den Debattengegnern hier gleich zwei Denkregeln ans Herz legen. Erstens: Nichts ist nur dadurch wahr, dass du es gesagt hast. Und, zweitens: Wenn dein Weltbild und die Realität auseinandergehen, wird am Ende die Realität gewinnen, immer.
Es kann unendlich frustrierend sein, mit einem Gegner zu diskutieren, der mit moralisch-emotional aufgeladenen Fragmenten den Debattenraum flutet (oder angreift).
Es gilt wieder und weiterhin, kühl der Lage in die Augen zu sehen, und zu erkennen: Wir haben es mit Leuten zu tun, die nicht einmal anstreben, ein kohärentes Weltbild zu pflegen (eine persönliche »Welttheorie«, wenn Sie so wollen); wie Heroin-Junkies, die nur von einer Spritze zur nächsten denken, so reicht auch deren Argumentation nur von einem empörten Slogan (»Hass ist keine Meinung!«) zum nächsten (»Wir sind mehr!«) und wieder nächsten (»Nazis raus«) – et cetera, ad nauseam, bis sie irgendwann zusammenbrechen, und wenn sie erfolgreich waren, das Land mit ihnen.
Wird es ein »neues Europa« geben, eine »Rom-Warschau-Achse«? Nun, solche Achsen funktionieren besser, wenn sie aus der Stärke heraus geboren werden – und doch wären die Gegenargumente spannend.
Auch in dummen Momenten
Die Nationenabschaffer und Sloganbrüller, sie werden scheitern, sie machen sich ja jetzt schon lächerlich; im Moment sind sie aber an der Macht, und so sind sie ernst zu nehmen.
Die Aufgabe für uns, für die anderen, bleibt nur, uns zu schützen – und unser Bestes zu geben, die aus deren Wahn resultierenden Schäden so gering wie irgend möglich zu halten.
Kann es eine »Renaissance europäischer Werte« geben? Es ist ein hehres Ziel und es sind große Worte.
Werte bedeutet, dass man weiß, was einem wichtig ist, dass man auch in dummen Momenten dann klug handelt.
In den Stürmen der Empörung und der moralischen Dauerfeuer, der Achsen der Guten und der Bösen, der Populisten und der Gegenpopulisten, erscheint es mir wichtiger denn je, zu wissen, was meine eigenen Werte sind.
Natürlich ist es zu begrüßen, wenn Politiker dem linken Suizidalismus die Idee bewährter Werte entgegensetzen! Doch, kann man darauf bauen? Ist es Anlass zur Hoffnung?
Ich bin vorsichtig geworden. Ein in der Popkultur umherschwirrendes Zitat lehrt uns: »Sei die Veränderung, welche du in der Welt sehen möchtest!«
Man kann es als Methode diskutieren – was nicht? – doch hier scheint es mir angebracht: Kann es eine Rückkehr zu alten Werten geben, neue Achsen der Vernünftigen, freundschaftliche Bündnisse derer, welche noch an Aufklärung und Freiheit festhalten? Es würde Veränderung erfordern, auch Umkehr und Neuausrichtung.
Ich tue mich gerade schwer mit leichter Hoffnung, doch die Unsicherheit im Großen mindert nicht diese Gewissheit im Kleinen: Du möchtest eine Rückkehr zu alten europäischen Werten, zu einem Europa, das aus gutem Grund weiß, was ihm wichtig ist, und das dann auch lebt und schützt? – Sehr gut, ich auch. Und wir sollten bei uns selbst, im Privaten, im eigenen Leben anfangen, jeden Tag neu.
Willst du Deutschland verändern? Europa verändern? Fein, fang bei dir selbst an. Ordne deine Kreise! –Und dann, wenn jemand sieht, was du tust, und wenn es ihm gefällt, was du tust, dann wird er dich danach fragen, und er wird es dir gleichtun, und dann seid ihr schon zu zweit.