22.03.2025

Wettbewerb der Diktaturen

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Willkommen im Leben, kleiner Alter«
Unser größtes Problem ist nicht, dass Deutschland wieder zu einer Variante von Diktatur mutiert, diesmal als »unsere Demokratie«. Unser größtes Problem ist, dass diese »unsere Demokratie« eine spektakulär dumme, geradezu suizidale Staatsform darstellt.
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Es ist nicht das größte unserer Probleme, dass Deutschlands Staatsform mutiert – wieder. Und ich weiß täglich weniger, wie die neue Staatsform zu kategorisieren wäre.

Der von der Propaganda bestimmte Name der neuen, postdemokratischen Staatsform ist »unsere Demokratie«. Das »Unsere« in »unsere Demokratie« hat ähnliche Funktion wie die Vorsilben »Anti« oder »Un« – es wandelt den folgenden Begriff in sein Gegenteil.

Demokratie ist ein Prinzip. Der demokratisch organisierte Staat – die Demokratie – zeichnet sich auch dadurch aus, dass nicht eine einzelne Gruppe sagen kann, der Staat sei der ihre.

Was aber können wir über die neueste deutsche Staatsform sagen, außer dass unsere Demokratie eine Undemokratie ist?

Unsere Demokratie weist ja ausgewählte Eigenschaften anderer Staatsformen auf. Vom Faschismus übernimmt unsere Demokratie etwa die Dämonisierung und Verfolgung Andersdenkender und das Ignorieren demokratischer Werte.

Im Gegensatz zum Faschismus allerdings verzichtet unsere Demokratie auf einen Führerkult. Ja, man praktiziert eher das Gegenteil! Einige der neuen Führungspersönlichkeiten wirken offen geistig minderbemittelt und sollen das womöglich auch. In unserer Demokratie hat man zugleich ein Gesetz erlassen, das es verbietet, bildlich gesprochen, den nackten Kaiser auch nackt zu nennen.

Ist Deutschland also eine Idiokratie? (Siehe dazu auch den Essay »Vorabend der Idiokratie«).

Ja, auch für die Idiokratie-These sprechen einige Eigenschaften unserer Demokratie (wie ich etwa im Essay »Sind CDU-Wähler zu doof, bis 3 zu zählen?« schrieb). Gegen die Idiokratie-These spricht wiederum: Daraus, dass die Marionette einen Holzkopf hat, sollte man keineswegs schließen, dass es sich beim Marionettenspieler über ihr genauso verhält.

Welche Staatsform stellt unsere Demokratie nun dar? Unsere Demokratie weist ja auch neue, bemerkenswerte Eigenschaften auf, wie das Einleiten einer offenen und totalen Abhängigkeit von Geldverwaltern. »Ab jetzt herrschen BlackRock & Co. – seid ihr bereit?«, schrieb ich letztens.

Ich meine heute: Es ist egal, welches Etikett wir auf die Staatsform kleben. Ein Monster bleibt ein Monster, ob es Quasimodo oder Samsa heißt – oder unsere Demokratie.

Nur die Staatsform, in der ausreichend gebildete Bürger ihre politischen Vertreter aus ihrer Mitte in freier Wahl zu ihren Vertretern wählen können, um von diesen dann nach rechtstaatlichen Prinzipien einigermaßen uneigennützig regiert zu werden, nenne ich eine Demokratie. In jeder anderen Staatsform wird dem Bürger unabhängig von seinem Willen die Politik diktiert, also nenne ich jede andere Staatsform vereinfachend Diktatur.

Ich meine also: Es ist nicht das größte unserer Probleme, dass Deutschland wieder zu einer Staatsform mutiert, die man mit einiger Berechtigung als eine Variante der Diktatur beschreiben kann.

Die Demokratie wurde in den letzten Jahrzehnten weltweit an ihrer Achillessehne attackiert – und zwar erfolgreich: Das Überleben der Demokratie setzte voraus, dass die Mehrheit der Wähler ausreichend gebildet, klaren Sinnes und überlebenswillig ist.

Ich weiß nicht, welche Staatsform genau Deutschland sehr bald darstellen wird – das weiß wohl nicht einmal Deutschland selbst.

Doch die wahre Organisationsform der Welt im 21. Jahrhundert ist meines Erachtens ausreichend klar erkennbar – ausreichend klar, um es auzusprechen.

Nämlich: Die Menschheit des 21. Jahrhunderts wird einen Wettbewerb der Diktaturen bestreiten.

Nicht welche Staatsform die moralisch beste ist, wird man fragen – so man es je außerhalb von Studentenbuden und Akademikerkneipen gefragt haben sollte –, sondern welche Variante der Diktatur die erfolgreichste ist.

Die Frage nach der erfolgreichsten Diktatur gebiert aber sogleich eine weitere, inhaltlslogisch vorangehende Frage: Was bedeutet Erfolg im Wettbewerb der Diktaturen? (Eine verwandte Frage stellt sich natürlich auch dem Menschen: Was darf ein erfolgreiches Leben genannt werden?)

Wir sind uns nicht einig, was Erfolg für den Menschen bedeutet, und wir werden uns nicht einig sein, was Erfolg für Diktaturen bedeutet.

Doch ich bin sehr sicher, dass man zwingend existieren muss, um die Natur von Erfolg diskutieren zu können.

Dass Deutschland wieder einmal zu einer Variante der Diktatur mutiert, ist nur unser zweitgrößtes Problem.

Unser größtes Problem ist, dass Deutschland eine suizidale Diktatur ist, der diesmal schon zu Beginn und diesmal absichtsvoll der Untergang diktiert wird.

Ich würde ehrlich gern wissen, was die, die »unsere Demokratie« sagen und damit die nächste Variante einer deutschen Diktatur beschreiben, unter »Erfolg« verstehen. Oder was denen »unser Erfolg« bedeutet.

Dich und mich betreffend bin ich aber recht sicher, dass unser Begriff von Erfolg auch dringend Überleben beinhalten sollte.

Weiterschreiben, Wegner!

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