Man nehme Mehl und Wasser, etwas Hefe, Zucker, Salz und Öl. Man verknete diese Zutaten. Man lasse sie gehen, bis der Teig doppelt so groß ist. Man knete ein weiteres Mal durch, forme das Brot, lasse es ein letztes Mal gehen. Dann backe man das Brot im Ofen.
Das Rezept für Brot ist einfach. (Das Rezept ist einfach – zuverlässig gutes Brot auch tatsächlich zu backen, das bedarf Erfahrung und gewisse Meisterschaft.) In der vollkommen Einfachheit des Brotes liegt etwas Magisches, um nicht zu sagen: Heiliges. Christen »brechen das Brot« (im Original ohne Hefe, wegen Pessach). Wer ein neues Haus bezog, dem schenkte man einst Brot und Salz, und sagte: Gott erhalt’s! Wenn eine Mahlzeit auch Brot enthält, sagt man nach jüdischem Brauch das lange Gebet »Birkat Hamazon«.
Es ist eine beliebte Unsitte, unnötig kompliziert zu reden, um Verwirrung oder blanke Lüge als »Tiefe« zu verkleiden. (Siehe auch mein Text: Populismus angeblicher Komplexität) – Wahrheit, wie das Brot, ist viel häufiger einfach, als professionelle Verkomplizierer uns weismachen wollen.
Fortschritt und Überleben
Die erste Vorlesung im Buch Authority and the Individual des Philosophen Bertrand Russell beginnt so: »Das fundamentale Problem, dessen Behandlung ich in diesen Vorlesungen vorschlage, ist: Wie können wir das Maß individueller Initiative, das erforderlich ist für Fortschritt, mit dem Maß an sozialem Zusammenhalt kombinieren, das notwendig ist fürs Überleben?« (meine Übersetzung)
Später schreibt Russell: »Ich glaube nicht, dass gewöhnliche Menschen ohne Wettbewerb glücklich sein können, denn Wettbewerb war, seit dem Beginn der Menschheit, der Ansporn seiner ernsthaftesten Anstrengung.« (Seite 18, meine Übersetzung)
Das ist eine einfache Wahrheit. Einfach und wahr wie Brot – zugleich nicht minder wichtig und nahrhaft. Wir Menschen werden überleben, wenn wir zusammenhalten – wir werden Fortschritt erzielen, wenn wir im Wettbewerb stehen. Es gilt, eine produktive Kombination von Zusammenhalt und Wettbewerb zu finden.
Wettbewerb und Motivation
Eine weitere einfache Wahrheit ist diese: Wenn die Evolution auf ein menschliches Verhalten angewiesen ist und ohne dieses Verhalten die Weitergabe der DNA abgebrochen würde, dann hat sie diese Neigung dem Menschen fest einprogrammiert. Der gesunde Mensch ist sowohl auf Zusammenhalt als auch auf Wettbewerb hin verkabelt, doch nicht jeder auf die gleiche Weise. Die Gewichtung mag verschieden sein, teils zufällig und teils nach Geschlecht, doch Menschheit und Evolution brauchen beides, um fortzubestehen und sich weiterzuentwickeln: Zusammenhalt und Wettbewerb. Manche von uns haben mehr »Zusammenhalt« in ihren Neigungen, andere haben mehr »Wettbewerb«. Es ist ratsam, dass die Wettbewerber von den Zusammenhaltern lernen, doch heute scheint an entsprechender Anleitung wenig Mangel zu bestehen. (siehe auch mein Text »Wer Gefahr nicht sieht, bringt sich in Gefahr – und seine Mitmenschen auch«) – Andersherum ist der Bedarf heute größer: Die Zusammenhalter, so wohlig sie sich in ihrem Traum vom gesellschaftgewordenen Bällebad fühlen mögen, könnten fürs gemeinsame Wohl von den Wettbewerbern lernen.
Wettbewerb braucht Individualität
Damit Menschen im Wettbewerb stehen können, müssen sie verschieden sein. Sie müssen mindestens in der Eigenschaft, in der sie im Wettbwerb stehen, verschieden sein, aber auch in allen übrigen Eigenschaften, welche die im Wettbewerb stehende Eigenschaft stützen und möglich machen.
Tun wir es staatlichen Zensoren und sonstigen Undemokraten gleich – nur in der Theorie allerdings! – und vergessen für einen Augenblick all die lästigen Konzepte wie Menschenrechte und Freiheit. Nehmen wir allein den Nutzen für Gesellschaft und Wirtschaft: Wettbewerb zwischen Individuen ist ein wirtschaftlicher Antrieb und Motivator, den kein Zwang und keine Indoktrination auch nur entfernt ersetzen werden.
Sie können hinter jeden Menschen einen sozialistischen Aufseher stellen und den ganzen Tag lang sagen lassen: »Sei kreativ, Genosse!« – es wird nicht mithalten können mit einem System freiheitlichen Wettbewerbs.
Fortschritt braucht Wettbewerb. Wettbewerb braucht Individualität. Individualität braucht einen gesellschaftlichen Geist, der es feiert und nicht schmäht, dass Menschen andere Meinungen, Perspektiven und Lösungsansätze ausprobieren.
Wettbewerb unter Nationen
Können Sie mir soweit zustimmen? Würden Sie mir darin folgen, dass es ein Recht auf Verschiedenheit braucht, um als Gesellschaft voranzukommen?
Erlauben Sie mir, einen weiteren Schritt zu gehen. Es scheint mir offensichtlich, dass dieselben Prinzipien, die für den Wettbewerb unter Menschen gelten, auch für den Wettbewerb unter Nationen zur Anwendung kommen.
Nationen, die im Wettbewerb stehen, können voneinander lernen. Derzeit findet die Fußball-Weltmeisterschaft in Russland statt. Es stehen nicht nur Mannschaften im Wettbewerb, die jeweils mehr oder weniger eine Nation abbilden. (Zwei Spieler der deutschen Mannschaft, die ja auf eine Idee der Flaggenwegwerferin Merkel hin nur noch »Die Mannschaft« heißt (siehe bild.de, 9.6.2015), haben sehr öffentlich dem Herrn Erdogan als »ihrem Präsidenten« gehuldigt – aber der zahlt nicht so gut, wie »die, die schon länger hier leben, siehe z.B. bild.de, 19.5.2018.) Bei einer Fußballmeisterschaft stehen nationale Konzepte zur Nachwuchsförderung, dann aber auch Spielsysteme und Spielstrategien im Wettbewerb. Wenn eine Strategie sich nicht bewährt, versucht der Trainer eine neue. Wenn auch die sich nicht bewährt, wird irgendwann der Trainer ausgetauscht.
Stellen wir uns eine Meisterschaft vor, bei der die Spieler zufällig auf die Mannschaften verteilt wurden und alle Mannschaften zwangsweise nach demselben System spielen. Es wäre in etwa so spannend, wie dem Sand in der Sanduhr zuzuschauen, wie er sich zur Normalverteilung anhäuft. Führen wir das absurde Denkmodell ein Stück weiter! Nach aller Lebenserfahrung würden sich, trotz zufälliger Verteilung der Spieler zu Beginn, im Spielverlauf Asymmetrien herausbilden. Spieler würden feststellen, dass sie in bestimmter Kombination stärker sind als in anderer. Sie würden eigene Strategien entwickeln und im Wettbewerb vergleichen. Mannschaften würden andere Mannschaften überreden, Spieler untereinander zu tauschen. Es würden wieder schwächere und stärkere Mannschaften entstehen. Stärkere Mannschaften würden aus ihren eigenen Fehlern lernen und immer stärker werden. Durch Wettbewerb und Ungleichheit würde das allgemeine Niveau des Spiels steigen. Die Zuschauer würden mehr Freude am Spiel entwickeln. Die Spiele würden wieder spannend und selbst die Verlierer hätten gewonnen.
Wie sollte die Meisterschafts-Leitung reagieren? Wenn sie ein Interesse am Spiel hat, wird sie die Mannschaften darin fördern, verschiedene Strategien auszuprobieren. Aus Liebe zum Spiel könnte die Leitung den Wettbewerb forcieren.
Was aber, wenn die Spielleitung von Ideologen besetzt ist, denen das Spiel egal ist, und die motiviert sind, eine Ideologie und ein bestimmtes abstraktes Menschenbild durchzusetzen. Eine solche Spielleitung würde die Mannschaften, die eigene Strategien probierten, bestrafen und auf Linie bringen. Sie würde Kampagnen zur richtigen »Haltung« fahren, und sie würde starke Mannschaften zwingen, Spieler aus schwachen Mannschaften aufzunehmen.
Meine Beschreibung eines »sozialistischen Fußballturniers« ist absurd, doch es beschreibt die Vision der europäischen Linken für die Länder und Völker Europas.
Keine einzelne Nation hat »das« perfekte Rezept für Glück und Wohlstand, keine wird es je haben. Die Menschheit hat Erfahrungswerte darin, was es braucht, eine Nation zu betreiben, doch ob und wie diese funktionieren, das lässt sich immer nur rückwärts und in der Geschichte feststellen. Menschen wie Nationen müssen ihr Glück selbst und täglich neu suchen.
Ein neues Mantra der Sozialisten aller Parteien lautet heute: »Keine nationalen Alleingänge!«
Man ist keineswegs konsequent darin, in welchen Disziplinen man »nationale Alleingänge« ablehnt und bei welchen man sie sogar forciert. Es scheint, dass die Bewertung genau umgekehrt zur Sinnhaftigkeit verläuft. Ein »nationaler Alleingang« etwa beim Ausschalten der eigenen, top gewarteten Atomkraftwerke ist sinnfrei, wenn man die Energie anschließend von alten Atommeilern gleich hinter der Grenze einkauft – also wird es getan. Ein »nationaler Alleingang« bei der Sicherung der eigenen Grenze ist in Zeiten von kriminellen Schleppern und ungeordneter Migration für einen Rechtsstaat überlebensnotwendig, da die innere Ordnung des Landes und die Sicherheit der Bürger herzustellen eine Schlüsselaufgabe des Staates ist – also wird es verboten.
Der Kommunismus hat nie funktioniert und er wird nie funktionieren. Gesellschaften, die sich weiterentwickeln wollen, brauchen Wettbewerb. Europa ist kein homogener Block. In Amerika brauchte es einen Bürgerkrieg, um aus unterschiedlichen Staaten eine Nation zu formen – das wird in Europa erstens niemand wollen und zweitens würde das nicht funktionieren. Die Spanier sind gerne Spanier, die Italiener sind gerne Italiener, die Griechen sind gerne Griechen, und da wo sie es noch dürfen, sind Franzosen und Deutsche gerne Franzosen und Deutsche.
Eine Nation zu sein bedeutet mehr, als bei einer Meisterschaft eine Flagge zu wedeln. Eine Nation bedeutet auch, eigene politischen Lösungen zu finden und umsetzen. Eine Nation zu sein bedeutet auch, selbst entscheiden zu dürfen, wer auf dem eigenen Staatsgebiet leben darf. Mein Großvater erzählte immer von den Deutschen, die irgendwann beschlossen, dass sie mehr »Lebensraum« im Osten brauchen, und bald darauf rollten die Panzer bei denen vor der Haustür vor. Zynisch gesprochen: Deutschland missbilligte den polnischen und tschechischen Alleingang in der Frage, wer dort leben darf. Ich spreche regelmäßig mit Tschechen, zuletzt gestern. Ausnahmslos alle haben, um es sehr, sehr freundlich auszudrücken, eine eher kritische Einstellung zu Merkels Übergriffigkeit.
Europas Zukunft
Europa wird kein sozialistischer Superstaat werden. Eine EU, die das versucht, wird in ihren Anstrengungen einen parabelförmigen Anstieg des notwendigen Aufwands bewältigen müssen – bis es ganz zerbricht. Europa ist noch immer die Wiege der Modernität, und damit kluger Instinkte wie dem Wunsch nach Wettbewerb. Selbst milliardenschwere Erziehungsprogramme werden nicht langfristig verhindern, dass die Völker und Nationen jeweils selbst über ihr Schicksal bestimmen wollen, gern in Freundschaft, aber auf jeden Fall im Wettbewerb.
Europa wird nur als Nachbarschafts-Club freier Nationen überleben, nicht als gleichgeschaltete Sekte. Man mag sich in einer Nachbarschaft auf den Stil der Laternen einigen oder sich den Gärtner teilen – keine Nachbarschaft wird lange machen, wenn ein reicher Nachbar durchknallt und allen befiehlt, dass ab sofort alle Tag und Nacht die Türe offen zu halten haben und keinem den Eintritt ins Haus verwehren dürfen.
Man wird Italiener nicht langfristig davon überzeugen, ihr nationales Schicksal vollständig einer Merkel, einem Schulz oder einem Juncker in die Hand zu geben. Der Aufwand, der getrieben werden muss, einen Plastikpolitiker wie Macron an die Macht zu heben, wird von Mal zu Mal größer werden. Merkels ehemaliger Regierungssprecher mag derzeit als ARD-Chef den »Staatsfunk« umbauen und dafür mehr Geld verlangen, die Tagesschau mag alles, was Merkels Mission stört, für möglichst »nur regional relevant« erklären, die Talkshows mögen die Grünen, also Merkels treueste Vasallen, pushen und hypen bis sich deren IQ und Talkshow-Quote eingependelt haben – es bleibt ein Rennen gegen den Verstand, gegen den Überlebenswillen der »normalen« Menschen und gegen die bloße Anschauung der realen Realität.
Wie Brot zu backen
Menschen und Nationen brauchen Wettbewerb und Zusammenhalt. Wer Zusammenhalt zerstört, nimmt dem freundschaftlichen Wettbewerb die Grundlage. Wer Wettbewerb zerstört, nimmt dem Zusammenhalt die wirtschaftliche Grundlage.
In einem starken Europa lernen die Nationen voneinander. Damit die Nationen voneinander lernen können, müssen sie ihre eigenen Wege gehen dürfen. Wer Europa zusammenhalten will, der muss den Nationen auch ihre nationalen Grundrechte wie die Sicherung der Grenzen gewähren. Die Länder werden es früher oder später sowieso tun – wer es jetzt zu verhindern sucht, der sorgt lediglich dafür, dass sie es im Streit tun. Indem Merkel den Nationen ein Grundrecht zu nehmen sucht, reißt sie Europa auseinander.
Es gibt Baguette und Brioche, Bauernbrot und Brez’n, Bruschetta, Ciabatta und Focaccia, Landbrot und Fladenbrot, Croissant, Pumpernickel, Sodabread, Schwarzbrot, Graubrot, Weißbrot, Knäckebrot und Stuten, Katmer Ekmek, Pita, Rusticoli, scharfe Bärner, Früchtebrot, Tessiner, Chueflade, Osterpinzen, Kümmelstangen, Schüttelbrot, Kommissbrot, Harzer Brocken, Münsterländer, Krustenbrot, Finnenbrot, Essener Brot, Ruchbrot, Dinkelbrot und noch viele weitere Sorten mehr. Alle diese Brotarten basieren auf den gleichen Prinzipien, zum großen Teil auch auf den gleichen Zutaten, und doch ist jedes Brot verschieden. Diese Brotsorten schmecken so lecker, weil die Bäcker im Wettbewerb standen.
Es ist einfach, so einfach wie Brot zu backen. Was Betrand Russell über Individuen sagte, das gilt auch für Nationen: Ich glaube nicht, dass Nationen ohne Wettbewerb glücklich sein können, und dazu zählt auch der Wettbewerb politischer Lösungen. Wettbewerb war, seit dem Beginn der Menschheit, der Ansporn der erfolgreichsten nationalen Anstrengungen.