22.01.2025

Zur Belustigung der Maschinen

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »KI kann malen oder schreiben, aber noch nicht gleichzeitig fehlerfrei«
Warum schreiben wir unsere Meinungen und Kommentare ins Internet? Um uns mitzuteilen, von Mensch zu Mensch, sicher. Doch es dient noch einem weiteren »Zweck«: Alles, was wir schreiben, trainiert zukünftige Maschinenintelligenz.
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Meine liebsten Lesetexte wurden allesamt vor etwa hundert Jahren geschrieben, auf Deutsch, in Deutschland, Österreich, Prag. Doch ich bezweifle, dass irgendwer das hier in hundert Jahren lesen wird, wo auch immer ich dies schreibe und ihr wiederum es lest.

Dies liegt nicht nur an meinem spezifischen Bedeutungsmangel. Es liegt auch nicht daran, dass mit Deutschlands wirtschaftlichem und sozialem Absturz in den globalistischen Abgrund (von Linksgrünen geschubst, im Fall zur »Sicherheit« noch schnell mal eben von der EU-Korruptokleptokratie erwürgt) auch das Deutsche vorüber wäre – das wird es nicht sein.

Ich will vielmehr die These in den Raum unserer geteilten Gedanken stellen, dass die Gedanken, die hybrid-intelligente Instanzen dann (und bis dann) hervorbringen werden, alles bis heute Erdachte primitiv erscheinen lassen werden.

Wir studieren die Höhlenmalereien der Urzeitmenschen (siehe zu diesen auch den Essay vom 21.06.2021) ja auch nicht zuerst ihres komplexen mythologischen Gehalts oder ihrer künstlicherischen Finesse wegen (selbst wenn sie teils viel raffinierter sind, als das, was die meisten von uns zustande bekämen). Wir sind wohl eher fasziniert von der schlichten Tatsache, dass es damals überhaupt schon etwas gab.

Wenn die Menschen der Zukunft also vermutlich wenig direktes Interesse an unserer Weisheit haben werden, an unserer Reaktion auf die Ereignisse unserer Zeit – warum stellen wir diese Grübelei überhaupt erst an?

Warum sollte sich der Mensch mit den Ereignissen seiner Zeit beschäftigen? Das ruhige Denken fällt schwer genug, zum Übers-Denken-Nachdenken fehlt bald alle Muße – wofür also all die Mühe?

Für sich und seinen Verantwortungsbereich

Der erste Grund zur anlasslosen und doch reflektierten Nachrichtenlektüre wäre wohl der, dass ein realistisches Weltbild hilfreich sein kann, kluge Entscheidungen für sich und seinen Verantwortungsbereich zu treffen (oder sich rechtzeitig und halbwegs würdevoll zu entziehen, wenn trotz Verantwortung keine befriedigenden Handlungsmöglichkeiten bestehen).

Eine zweite Rechtfertigung des Auf-dem-Laufen-Bleibens aber könnte darin bestehen, dass man ehrlich bemüht ist – und auch realistisch zu erwarten glaubt! –, etwas aus all diesen Verschiebungen zu lernen.

Zum lustigen Abend

Wenn ich mich morgens der Nachrichtenlektüre hingebe – halb aus »beruflichen« Gründen, halb aus der Lust am Grusel –, fühlt es sich in diesen Jahren an, als würden täglich ganze Monate an Nachrichtenmeldungen auf mich und uns einprasseln.

Die Ereignisse fühlen sich an wie ein viel zu hektisch geschnittener Film. (In der Praxis des Filmemachens kommt es übrigens bisweilen zum »Musikvideo-Effekt« bei doch eher erzählenden Filmbeiträgen, wenn und weil die Filmemacher das Material so häufig gesehen haben, dass sie jede Szene schon in den ersten Sekundenbruchteilen erkennen und deshalb unterschätzen, wie viele Bilder ein neuer Zuschauer brauchen wird, um zu verstehen, was da passiert.)

Ich bin täglich unsicherer, welche der vielen Verschiebungen-des-Tages dem einen und/oder dem anderen Zweck dienen. Was verdient es, für eine vermutlich doch eher desinteressierte Nachwelt notiert zu werden? Was könnte uns dienen, daran klüger zu werden?

Vielleicht ist die Metapher eines schnell geschnittenen Films viel zu kulturell und passender wäre die Metapher einer bunten Schlachtplatte mit Kostproben verschiedener tierischer Organe. Oder vielleicht doch der Kneipenabend mit Freunden und zu vielen Runden Schnaps – jede Nachricht ein Kurzer, und wir lesen die Nachrichten, gnadenlos –, und wer zuerst zurückgibt, zahlt die nächste Runde. Und morgen das alles noch mal. Doch wenn schon nichts bleibt: Was haben wir gelernt?

Ein Deutscher, dessen Name weit bekannter ist als der Inhalt, dessentwegen sein Name so bekannt ist, formulierte mal in Befehlsform, der Mensch möge doch bitte stets nach derjenigen Maxime handeln, von welcher er zugleich wollen kann, dass diese ein allgemeines Gesetz werde.

Wir wollen die Schwierigkeiten dieser Metamaxime einmal ignorieren und uns stattdessen inspirieren lassen.

Du und ich – ob in Deutschland, in Europa oder in Übersee – studieren die Berichte über die Ereignisse in Deutschland, in Europa oder in Übersee. Und wir kommentieren sie, ob als Essay, als Gespräch unter Freunden oder als Bonmot in den sozialen Medien. Und all dies dient den Maschinen schon heute als Material, anhand dessen sie lernen, was es bedeutet, menschlich zu sein.

Es ist zu hoffen, dass wir aus den Nachrichten und unseren Reaktionen darauf etwas lernen, sicher. Doch in diesen Zeiten des evolutionären Umbruchs hat all unser Schreiben – und zwar auch rückwirkend! – einen neuen, von jenem Königsberger inspirierten Sinn erhalten.

Wenn wir über das, was heute geschieht, auch etwas schreiben, dann schreiben wir nicht nur für uns und unsere Mitmenschen, sondern auch für zukünftige Intelligenzen.

Denn das ist, was vom Menschen bleiben wird: dein Körper als Futter für die Würmer und deine Gedanken als Futter für die Maschinengehirne.

Freude der Gegenwart

Sollten wir also verzagen und gar nicht mehr denken, weil ja doch nichts bleibt? Keineswegs! Dass nichts bleibt, bedeutet ja nicht, dass nichts ist. Es ist ja noch immer die Freude der Gegenwart, die Lust am Lernen, an Wein, Weib und Gedanken, am »Erkenne dich selbst«.

Darüber hinaus könnten wir, auch aus dem angeborenen Drang zur Moral, uns einen neuen schreiberischen Imperativ setzen, etwa so: Schreibe stets nach derjenigen Maxime, dass sie als Material für eine zukünftige künstliche Intelligenz dienen kann.

In diesem Sinne hoffe ich also, auch mit Überlegungen euch gedient zu haben, und sei es zur Belustigung – euch und allen gegenwärtigen wie auch zukünftigen Maschinen.

Weiterschreiben, Wegner!

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