Dushan-Wegner

10.05.2018

So entstehen Filterblasen – Beispiel New York Times

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Jez Timms
Die New York Times sei »angesehen«, sagt man. Mag sein. Zumindest in reinen Zahlen ist sie derzeit nicht »failing«, wie Trump sagt. Sie ist aber vor allem ein Anschauungsbeispiel dafür, wie Filterblasen und Confirmation Bias entstehen.
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Immer kurz vorm Einschlafen, wenn unsere Seele sich aufmacht, vom Wachen zum Schlafenden zu werden, wenn wir so daliegen in unserem selbst geschraubten Bett schwedischen Stils, dann flanieren wir gelegentlich ein letztes Mal zwischen all den Gedanken, darüber, was am Tag geschah, was wir taten, was wir erlebten und was wir hörten.

Waren es Nachrichten, die wir zuletzt hörten, dann kann es sein, dass diese Nachrichten noch in unseren Ohren klingen. Wie ein Echo, das einfach nicht leiser werden will, klingelt in diesen Jahren immer wieder der kurze doch große Name »Trump« in unserem Kopf. – Trump dies. Trump das. Trump, Trump, Trump.

Als weiteres Echo, vor allem in den – ach, seien wir gutmütig – »trumpkritischen« Medien klingt ein Ton, etwas leiser, doch nicht weniger penetrant. Dieser Ton lautet »New York Times«.

Just in diesem Moment liefert die Google-News-Suche nach „laut new york times“ (inklusive der »“«, damit es als ganzen Ausdruck sucht) 5.310 Suchergebnisse in aktuellen Nachrichten. (Ihr Ergebnis kann abweichen, je nach Ort, Browser, Gerät, Cookies und Windrichtung.) Ohne das »laut« oder in der Hauptsuche sind es noch viel mehr. Sie können ähnliche Suchen auch direkt bei den großen Nachrichten-Websites ausprobieren.

Das Amerikabild deutscher Meinungsmacher – und damit ihres Publikums – ist geprägt von der Berichterstattung der New York Times.

Zwei Klassen von Aktien

Die New York Times, gegründet 1851, hat heute die größte Leserschaft (digital und print kombiniert) aller amerikanischen Zeitungen. Trump nennt sie manchmal die »failing New York Times«, eine »scheiternde« Zeitung, doch er muss es moralisch meinen, denn in Zahlen und Einfluss ist sie zuletzt durchaus erfolgreich – auch und wesentlich als laute Stimme der Trump-Gegner weltweit.

Die New York Times ist eine Aktiengesellschaft mit zwei Klassen von Aktien. Das Stimmrecht der öffentlich gehandelten Class-A-Aktien hat deutlich weniger Einfluss auf den Kurs des Unternehmens als die Class-B-Aktien. Der größte Anteilseigner von Class-A-Aktien ist mit über 17% der mexikanische Milliardär Carlos Slim. Den größten Teil der Class-B-Aktien halten die Erben von Adolph Ochs. Am 1. Januar 2018 wurde Arthur Gregg Sulzberger neuer Herausgeber der New York Times, als Nachfolger von Arthur Ochs Sulzberger Junior.

2004 stellte der damalige »Public Editor« der New York Times, Daniel Okrent, sich selbst via Überschrift die Frage: »Is The New York Times a Liberal Newspaper?« (»Ist die New York Times eine linke/progressive Zeitung?« – Das amerikanische »liberal« steht heute am ehesten für das, was in Deutschland/Europa als »links« bezeichnet wird – oder von mir aus »linksliberal«, klassische Werte des europäischen Liberalismus wie Meinungsfreiheit und Kritik am Etatismus finden sich eher bei heutigen »conservatives« – so zumindest nicht nur mein (Vor-) Urteil). – Okrent beantwortet seine eigene Frage: »Of course it is« (»Selbstverständlich ist sie das«).

Auch um extra viel Neutralität bemühte Medienbeobachter sehen die New York Times links der Mitte, und das schließt ihre Leserschaft eindrücklich ein. Das Pew Research Center schrieb etwa in 2014, dass der durchschnittliche Leser der NYT-Leser sich links selbst von Buzzfeed-Lesern, gleichauf mit dem Daily-Show-Publikum (in 2014 noch mit dem gemäßigteren Jon Stewart) und nur wenig entfernt von den collegelinken Slate-Lesern befindet.

An der New York Times und ihren Lesern lässt sich studieren, wie Filterblasen entstehen – und dass Filterblasen keineswegs nur eine Sache von Lesergruppen mit niedrigem Bildungslevel sind. Wie Jacques Ellul in seinem Buch Propaganda feststellt, sind gerade jene, die sich selbst für »gebildet« halten, der brave Mittelstand, für Information mit Schlagseite anfällig. Der gebildete Mittelstand hat gelernt, aus wenigen Informationen weitreichende Schlüsse zu ziehen (man nennt es »Induktion«) – die Betreiber der Filterblasen bedienen diese Neigung, ob dies an Ideologie oder an wirtschaftlichen Interessen liegt.

Die hohe Kunst der Anti-Trump-Presse

Lassen Sie uns an einem aktuellen Beispiel konkret betrachten, wie Filterblasen entstehen – und nebenbei erforschen, was »Confirmation Bias« ist.

Am 8. Mai 2018 titelte die New York Times online: »At a Key Moment, Trump’s Top Diplomat Is Again Thousands of Miles Away« – »In einem Schlüsselmoment ist Trumps Spitzendiplomat wieder tausende Meilen weit weg.« (nyti.ms/2HZQbB2) Am 9. Mai 2018 erschien derselbe Text auch in der Print-Ausgabe der Zeitung.

Mike Pompeo ist der aktuelle Außenminister der USA. Auf inhaltlicher Ebene enthält der New-York-Times-Text recht wenig. Er stellt einen Bezug zu Pompeos Vorgänger, Rex Tillerson, her. Als Trump im März angekündigt hatte, Gespräche mit Nord-Korea aufzunehmen, war Tillerson nicht dabei. Das »wurde interpretiert« (sagt die New York Times) als Zeichen seiner Irrelevanz. (Es wird nicht gesagt, von wem das »interpretiert« wurde.) Nun hat Donald Trump angekündigt, Obamas Iran-Abkommen aufzukündigen, während Pompeo, sagt die Zeitung, »tausende Meilen« weit weg war.

Was dem Text an Inhalt fehlt, macht er an Geraune wieder wett. Man füllt Zeilen mit Klagen über die schlechte Erreichbarkeit des Außenministers, man spekuliert über die Entlassung von Geiseln, betont aber, dass es alles andere als sicher sei, und man referiert auch Überlegungen zu Nord-Korea-Verhandlungen allgemein (vielleicht ist Alles-oder-Nichts eine gute Strategie, vielleicht auch nicht).

Der Artikel mag Stückwerk sein, doch die in fetten Lettern gesetzte Überschrift hämmert ein: Der Außenminister ist wieder weit weg!

Die in Trump-Gegnerschaft geschulte New-York-Times-Leserschaft wird die in fetten Lettern gesetzte Überschrift zu deuten wissen: Bei Trump ist wieder Chaos! Der Außenminister wird gefeuert werden! Es ist alles unprofessionell!

Es ist die hohe Kunst der Anti-Trump-Presse, jedes Blatt, das in Washington vom Baum fällt, so zu deuten, dass es die linke Aversion gegen Trump befeuert; die New York Times hat es hierin zu bemerkenswerter Meisterschaft gebracht, zusammen mit der Washington Times. Deren Schlagzeile zu Pompeo vom 8.5.2018 lautet: »Pompeo: Will Trump cut him off at the knees?« – »Pompeo: Wird Trump ihn demütigen?«

Maryland, USA

Warum also war Pompeo tatsächlich weit weg, während Trump den Ausstieg aus dem Iran-Abkommen verkündete?

Die Antwort ist recht einfach: Trump jongliert und er hat mehr als einen Ball gleichzeitig in der Luft.

Pompeo war tatsächlich in Nord-Korea zu der Zeit. Er verhandelte über die Freilassung dreier amerikanischer Geiseln.

Am 3. Mai 2018 twitterte Trump: »Wie alle wissen, hat die vorherige Regierung lange darum gebeten, dass drei Geiseln aus einem nordkoreanischen Arbeitslager entlassen werden, ohne Ergebnis. Bleibt dran!«

Dieser Tweet war ein typischer »Trumpism«. Trump-Gegner betonten, dass zwei der drei betreffenden Geiseln erst 2017, also zu Trumps Zeiten, verhaftet wurden, und er damit »gelogen« hätte. Trump-Versteher (full disclosure: zu denen ich mich zähle) sagten: »Ja, es ist faktenschräg. Entscheidend ist aber, dass sie freikommen, und dass Trump für ernsthafte Fortschritte beim Frieden in der Region sorgt.«

Heute dann, am 10.5.2018, früh am Morgen, begrüßte Trump die drei befreiten Geiseln am Andrews Air Force Base in Maryland, USA. Während die New York Times ihren Lesern halbautomatisches Filterblasen-Futter gab, hatte Trumps Außenminister Pompeo die Freilassung der drei Amerikaner verhandelt.

Evolutio vult!

Was wir heute »Filterblasen« nennen, basiert auf einem psychologischen Mechanismus, der in der Wissenschaftsforschung (also dem Reden über die Wissenschaft) »Confirmation Bias« genannt wird.

Wir alle sind faule Wesen. Diese Verallgemeinerung ist deshalb zulässig, weil sie sich auch anders formulieren lässt: Wir sind effiziente Wesen! Evolutio vult! Ein Tier, das bei gleichem Aufwand mehr Vermehrung produziert, wird sich im großen DNA-Wettbewerb durchsetzen.

Wenn wir einmal eine These über die Welt besitzen – ob wir sie uns erarbeitet haben oder sie via TV »gratis« in unseren Kopf kam – dann dient jedes Faktum, das diese Idee bestätigt, als Sicherung unserer Investition.

Wer ein Haus hat, der schließt seine Tür ab, und lässt nur Leute hinein, die ihm Gutes wollen, etwa den Handwerker oder einen Freund. Wer uns aber Böses will, indem er etwa das Haus beschädigt, den schließen wir aus.

So funktioniert auch der Confirmation Bias.

Wer eine Überzeugung hat, der lässt nur solche neuen Propositionen in seinen Kopf, die seine Überzeugung ausbauen und stärken. Propositionen aber, die unsere Überzeugung schwächen können, bedrohen unsere Investition.

Die New York Times ist ein Dienstleister zum Schutz linker Überzeugungssysteme. Wenn man einmal in die Idee investiert hat, Trump sei böse und alles, was er tue, sei schlecht, braucht man immer neue Propositionen, diese Idee am Leben zu erhalten.

Man könnte mutmaßen, widersprechende Propositionen seien ein wirtschaftliches Problem für die New York Times, doch das ist falsch – wie wir an den absoluten Zahlen sehen. Ihre Leserschaft hat Zeit und teilweise Geld in das Narrativ investiert, dass Trump fürchterlich niederträchtig und zudem unfähig ist. Mit jedem Ereignis, das diesem Narrativ widerspricht, wird der Bedarf an Anti-Trump-Meldungen höher, nicht geringer! Je erfolgreicher Trump sogar im Erreichen »linker« Ziele ist (Frieden, Stärkung innerstädtischer Gemeinschaften, Arbeitsplätze vor Ort), umso höher ist der Bedarf nach Abdichtung der leckenden Trump-ist-schlimm-Filterblase.

Die Bremsleine gerissen

Mir wird die Ehre zuteil, inzwischen eine Reihe von Gegnern aufweisen zu können. Diese sind leider zu selten argumentativ unterwegs. Nicht selten beschimpfen sie mich nur vulgär – und das hat einen konkreten Grund!

Wenn ich etwas schreibe, überlege ich, wie ich gegen jemanden argumentieren würde, der das sagt, was ich sage. Ich bekomme regelmäßig E-Mails von Lesern, die mich auffordern, doch diese oder jene Position einzunehmen; manche dieser Mails sind schlechthin wütend! Warum ich es nicht tue, hat praktisch immer denselben Grund: Mir fallen gute Gründe dagegen ein. Ich bin nicht der einzige, der von Poppers Formulierung der wissenschaftlichen Methode fasziniert war. Ich verwende das Prinzip der »Falsifikation« auch bei meiner täglichen Formulierungsarbeit. Als Imperativ in der zweiten Person Singular: Suche stets danach, was deinen Argumenten widerspricht – und halte nur das fest, wogegen dir selbst nichts (von größerem Gewicht) einfällt. Wenn es darauf ankommt, suche dir Freunde, die dir nach Kräften widersprechen! Du würdest nicht mit einem Auto in die Berge fahren, von dem du weißt, dass die Bremsleine gerissen ist – begib dich also nicht mit Argumenten in die Debatte, die du nicht selbst auf Widerlegbarkeit geprüft hast!

Werte vs. Filterblase

Ich habe schon gehört, dass Leute, denen das Leben in Filterblasen vorgeworfen wurde, sich verteidigten, das sei nicht Filterblase, sondern »Werte«. Nein, Werte und Filterblase sind nicht dasselbe; sie lassen sich recht präzise unterscheiden.

Wer in einer Filterblase lebt, der braucht täglich neue Aussagen, die sein Ideen-Investment absichern. »Werte« dagegen besagt, welche relevante Strukturen ich zu stärken beschlossen habe. Eine Filterblase ist die aktive Reduktion von Informationen auf jene, die meine Welterklärung abstützen.

Wer in einer Anti-Trump-Filterblase lebt, der wird nach Medien und Meldungen suchen, die ihm bestätigen, dass Trump der Allerübelste ist. Wenn Trump die endgültige Medizin für Krebs fände, würde die New York Times über das Schicksal arbeitsloser Onkologinnen klagen. Wer dagegen Werte hat, den stören Informationen, die seine Werte hinterfragen, nicht grundsätzlich. Wer etwa seine Familie, seine Nachbarschaft oder sein Land als Wert betrachtet, der interessiert sich gleichermaßen für Meldungen, die seinen Wert positiv betreffen, als auch für die, die den Wert negativ betreffen. Wer sich ein Fundament aus Werten gebaut hat, der wird aktiv vermeiden wollen, um seinen Wert herum eine Filterblase entstehen zu lassen. Die Filterblase wird geschwächt durch widersprüchliche Informationen, der Wert wird gesichert, indem man beide, positive wie negative Informationen zur Kenntnis nimmt.

Körperliche Gewalt

Wer heute konservativ, ernsthaft liberal und ein Freund des demokratischen Rechtsstaats ist, der kommt gar nicht umhin, seine mögliche Filterblase täglich neu überprüfen zu lassen – er hört ja nonstop »Gegenargumente« von offizieller und quasi-offizieller Stelle. (In Folge wurden viele Konservative so argumentationsstark, dass selbst Vereine, die mit großen Beträgen zum Zwecke des Argumentierens gefördert werden, Angst haben, mit Konservativen öffentlich zu diskutieren.)

Wer dagegen staatsgläubig ist und die Selbstverantwortung von Menschen wie Nationen ohnehin für Teufelszeug hält, der bekommt seine Filterblase nicht »einfach so« hinterfragt, sondern wird heute in seinem so geschlossenen wie gefährlichen Weltbild über alle Mainstream-Kanäle bestätigt.

Vertun wir uns nicht: Die Filterblase eines Menschen zu hinterfragen, kann sich für jenen anfühlen, als wollten wir ihm körperliche Gewalt antun. Wir können und wollen nicht alle Filterblasenbewohner einzeln befreien, aber wir können versuchen, zu verstehen, wie und warum sie so wurden, wie sie sind – beginnend bei den Leuten, welche die New York Times lesen und ernst nehmen.

Weiterschreiben, Wegner!

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