Deutschland steht an einer Weggabelung. Eine Entscheidung steht an. Wer aber an einer Weggabelung steht, dessen Entscheidung wird den Rest seines Weges, den Rest seines Lebens, bestimmen.
Um genau zu sein: Wir stehen nicht an diesem Scheideweg – wir rotieren an dieser Weggabelung, drehen uns um uns selbst. Wir zanken und prügeln uns zur Frage, wohin es weitergeht.
Die neueste Szene dieses Gerangels soll aktuell im Bundestag ausgefochten werden.
Eine Gruppe von Altparteien-Hinterbänklern, vor allem aus der SPD, will wieder einmal die ungeliebte Opposition verbieten lassen (tagesschau.de, 29.9.2024).
Und mit »die Opposition« beziehe ich mich hier auf die AfD. Die übrigen Parteien sind ja stolz darauf, vollständig austauschbar zu sein. Insofern ist es inzwischen kaum noch Polemik, als vielmehr Beschreibung des politischen Zustandes, dass in Deutschland de facto zwei Parteien eine Rolle spielen: Die GED, die »Große Einheitspartei Deutschlands«, und die AfD, die »Alternative für Deutschland«.
»Für einen fraktionsübergreifenden Antrag sind fünf Prozent des Bundestags notwendig«, so schreibt tagesschau.de, »also 37 Abgeordnete.
Der angeblich seit Monaten vorbereitete Antrag fordert wohl, der »Bundestag beantrage beim Bundesverfassungsgericht, gemäß Artikel 21 des Grundgesetzes und Paragraf 43 des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes, festzustellen, dass die AfD verfassungswidrig sei«, und »Hilfsweise solle vom Verfassungsgericht festgestellt werden, dass die AfD von staatlicher Finanzierung ausgeschlossen werde.«
»Seit Monaten« klingt danach, dass die jüngsten Wahl-Niederlagen im Osten zwar absehbar waren, man aber abgewartet hat – warum eigentlich? –, und jetzt zieht man es panisch durch.
Es ist ironisch bis zynisch: »Die Abgeordneten werfen der AfD demnach vor, die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen zu wollen und gegenüber dieser Grundordnung eine ›aktiv kämpferisch-aggressive Haltung‹ einzunehmen.«
Abgeordnete des Bundestags wollen nun diese Partei verbieten, und damit zwischen 17 Prozent bundesweit und über 30 Prozent in einigen Ländern der Wähler die Wahlstimme nehmen.
Establishment-Politiker, die immerzu »unsere Demokratie« sagen, und damit durchaus ein Eigentumsverhältnis zu meinen scheinen, sind sauer, wenn einige der Wähler ihnen »ihre« Demokratie nehmen wollen – und wollen also die Opposition verbieten.
Die Grundordnung »unserer Demokratie« soll angeblich durch eine Partei gefährdet werden, die schlicht verlangt, dass Grenzen geschützt und geltende Einwanderungsgesetz eingehalten werden.
Angriff auf 20 Prozent der Wähler
Es ist ein Antrag von Hinterbänklern, nicht der ganzen Fraktionen. Die werden schon wissen, warum sie bei diesem Anschlag auf die Demokratie erstmal vorsichtig sind – andere gescheiterte Parteiverbote sind noch im Hinterkopf. (Vergessen wir aber nicht: Das Verfahren selbst wird Ressourcen beim politischen Gegner binden, und auch eine Beeinträchtigung unterhalb des Verbots ist nützlich.)
Olaf Scholz sieht das Thema »skeptisch«, so hört man. Doch natürlich würden diese Hinterbänkler es nicht tun, wenn die Fraktions- oder Parteiführung wirklich grundsätzlich dagegen wäre.
Wer als Politiker oder Kulturschaffender nichts Eigenes zu sagen hat, der kann sich im Propagandastaat seinen Boost holen, indem er über die Opposition herzieht. Das ist bei alternden Rockstars ähnlich wie bei frustrierenden Hinterbänklern.
Ich vermute, dass die wahren Ziele dieser Aktion auf einer Skala liegen. Im simpelsten Fall hat man sich etwas profiliert, mit einem vollständig risikolosen Thema. Im besten Fall allerdings könnte es gelingen, dass das Bundesverfassungsgericht das Streichen der Parteienfinanzierung für die Opposition zulässt.
Es ist abzusehen, dass die Desasterregierung »Ampel« demnächst auseinanderbricht. Sollten Neuwahlen anstehen, könnte es tatsächlich nützlich sein, die Opposition zumindest finanziell zu schwächen. (Ich gehe aber natürlich davon aus, dass die nächsten Wahlen wieder eine Groko ergeben, obwohl sich die Grünen auch gerade wieder hübsch machen wollen. Ein Özdemir etwa klingt derzeit wie ein »Rääächter«.)
Was bedeutet es, wenn man eine Partei verbietet, die für Millionen von Menschen spricht? Es bedeutet, dass man Millionen Deutsche aus der Demokratie ausschließt. »Die Eliten sind gar nicht das Problem, die Bevölkerungen sind im Moment das Problem«, so sagte Präsident Gauck mal (bundespräsident.de).
Wer deutsche Politik beobachtet, stellt bald fest, dass wo »Verfassungs-« draufsteht, oft Parteifunktionäre mit besten Verbindungen drinstecken – und immer wieder ausgerechnet die CDU. Ob der Präsident des Thüringer Gerichtshofs (CDU, siehe faz.net, 27.9.2024), der Präsident des Bundesgerichtshof (CDU, siehe cdu-wiesloch.de/archiviert) oder der Präsident des Verfassungsschutzes (CDU – und »nicht allein« »dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken«; siehe bild.de, 23.6.2023).
20 Prozent unserer Bevölkerung sollen also plötzlich »verfassungsfeindlich« sein? Wenn man »Verfassung« mit »Parteibuch-Establishment« übersetzt, dann kann es stimmen. 20 Prozent, vereinzelt mehr, wollen das Establishment abwählen – das macht sie »establishmentfeindlich«.
Deutsche Demokratie ist heute, wenn Millionen Wähler als Feinde der Verfassung abgestempelt werden, nur weil sie nicht gegen ihre eigenen Interessen die Deutschlandkaputtmacher wiederwählen?
Diese Menschen, die von Propaganda und aktuell Hinterbänklern als Feinde hingestellt werden – das könnten eure Nachbarn oder eure Freunde sein, vielleicht eure Familie. Und deren wahres »Verbrechen« besteht darin, von der Regierung zu fordern, Recht und Gesetz durchzusetzen.
Wenn Politiker meinen, diese Bürger verstünden nicht, was »Demokratie« bedeutet, dann sage ich: Es ist nicht das Volk, das die Demokratie nicht versteht – es ist das Altparteien-Kartell, das Demokratie gefährdet.
Wer demokratischen Argumenten und dem Wähler vertraut, der kann und wird seine Argumente vorlegen. Wer aber keine Argumente hat und dem Wähler so sehr misstraut, dass er die Opposition verbieten zu müssen meint, der soll sich ehrlich machen, und sich als Kommunist oder Faschist oder sonstwas bekennen. Lasst uns dann aber mit eurem Geschwafel von »Demokratie« in Ruhe, ihr Parteienverbieter.
Wer etwas versucht, wovon die meisten Beobachter ausgehen, dass das Verfassungsgericht es nicht durchlassen wird, begeht der nicht versuchten Verfassungsbruch? Wenn der Versuch einer Straftat, auch bereits strafbar sein kann, ist der Versuch eines Verfassungsbruchs nicht ebenso ein solcher?
Ein Mann in Frauenkleidern ist keine Frau, und wenn ihr hundert Gesetze erlassen solltet, die solchen Unfug zu sagen erzwingen wollen (und mit denen ihr den Rechtsstaat selbst verhöhnt).
Ein Politiker, der die störende Opposition verbieten oder finanziell ausbluten lassen will, und so schulterzuckend Millionen von Wählern die Vertretung nimmt, der ist alles, nur kein Demokrat – höchstens ein »Unsere-Demokratie-Demokrat«.
Hat sie Zeitungen verbieten lassen?
Dass eine Partei die freiheitlich-demokratische Grundordnung abschaffen wolle, ist ein schwerer Vorwurf.
Hat die AfD denn eine missliebige Zeitschrift verbieten lassen?
Hat die AfD die Polizei zur »erzieherischen Hausdurchsuchung« zu Bürgern geschickt, damit die nicht immer so freche Sachen posten?
Hat die AfD befreundete Journalisten bezahlt, als Regierung, mit Steuergeld, für »Moderation«?
Hat die AfD den Inlandsgeheimdienst genutzt, um die Umfragewerte der politischen Gegner zu senken?
Ich fürchte bald, dass man in der großen Einheitspartei die ungeliebte Opposition verbieten will, weil man fürchtet, dass die sich ähnlich verhalten wird, wie sie es selbst tun.
Scholz sieht dieses Vorhaben nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch als politisch riskant an. Ein Verbot, so sagt er, sei »eine schwierige Sache in einer Demokratie«.
Ja, ein Parteiverbot, das ganz offensichtlich als Reaktion auf Wahlerfolg und Angst um die eigenen Pfründe beantragt wird, ist insofern eine »schwierige Sache in der Demokratie«, wie ein Feuer eine schwierige Sache im Holzlager ist.
Die Macht und Pfründe
Deutschland befindet sich an einer Weggabelung, und die Entscheidungsfindung, welcher Weg ab hier eingeschlagen wird, ist eine denkbar schmutzige Rangelei.
Die 37 Hinterbänkler sagen, dass sie nach Vorbild etwa der DDR eine zentral gesteuerte Fake-Demokratie wollen, in welcher eine neue Einheitspartei festlegt, wen die Wähler wählen dürfen. Andere Deutsche haben noch Mut und Kraft, die Demokratie und damit die Herrschaft des Volkes zu verteidigen gegen die, die »unsere Demokratie« sagen.
Wenn »Verfassung« wie ein anderes Wort für »etablierte Parteikader« klingt, dann kann und wird jeder zum »Feind der Verfassung« erklärt werden, der die Macht und Pfründe alter Parteikader infrage stellt.
Man muss kein 1-er Schüler in Geschichte gewesen sein, um zu wissen: Regime, in denen Andersdenkende verfolgt, abweichende Meinung verboten und Oppositionsparteien verboten wurden, endeten bislang immer in Leid, Schmach und zuletzt Niederlage. Und doch wird es immer wieder Hinterbänkler mit dem moralischen Horizont einer Teetasse geben, die es versuchen sollen. Die Totalitarismen bisher waren alle kein »richtiger« Totalitarismus, und jetzt kommt der richtige und gute.
Deutschland zofft sich an der Weggabelung. Einige in den Altparteien zerren gen Totalitarismus und zur betonierten Macht der Etablierten hin – siehe die Schande namens »Thüringen-CDU« –, die anderen beharren trotzig auf der Herrschaft des Volkes in freien, rechtsstaatlichen Wahlen.
Es geht natürlich nicht um eine Partei, in welcher am Ende dann doch wieder Funktionäre an Pfründen landen werden – anders geht es ja anicht.
Es geht darum, ob Deutschland ein Land sein soll, in dem das Volk die Macht über sich selbst besitzt, mit der Politik als des Volkes abwählbarem Diener.
Oder soll Deutschland wieder ein Land sein, in welchen eine machtversessene Elite jeden vernichtet, der ihre Macht zu hinterfragen wagt?
Deutschland prügelt sich an der Weggabelung. Ich hoffe auf das eine und befürchte das andere. Und, welchen Weg wir auch nehmen, so bleibt doch wahr, dass jeder Tag nur einmal kommt.
Nutzt den Tag, und vergesst nicht: Politik ist lebenswichtig, aber Politik ist nicht das Leben selbst – nur das Leben ist das Leben.