09.09.2018

Ich will nicht »besonnen« sterben

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild von Aaron Burden
Schon wieder ein Toter. Er wurde verprügelt, dann blieb sein Herz stehen. »Seid besonnen!«, sagen sie, doch es klingt wie: »Schweig und stirb.« – Die können mich mal!!! – Ich will nicht sterben, und ich werde ganz bestimmt nicht schweigen.
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Die Modemacher in Paris, Milano und New York sagen uns, was nächste Saison modisch in ist. Die Meinungsmacher in Werbeagenturen, Polit-PR-Büros und Redaktionen sagen uns, was ethisch in ist.

Aus der Welt von ISIS und Taliban ist eine besorgniserregende Mode in den Westen geschwappt. PR-Strippenzieher, teilweise mit Politik-Kontakten, scheinen den Bürger des Westens überzeugen zu wollen, sich selbst zu opfern.

1. Nike

Nike präsentiert den Footballspieler (der für seine Proteste bekannt wurde), mit einer neuen Kampagne, die als Slogan trägt, übersetzt: »Glaube an etwas. Selbst wenn es bedeutet, alles dafür zu opfern.« (siehe z.B. forbes.com, 4.9.2018) – Im Internet verbreiteten sich schnell Parodien der Anzeigen, die darauf hinwiesen, dass derselbe Slogan sich auch auf Mörder und Terroristen anwenden ließe. Selbst die Terroristen von 9/11 waren bereit, alles zu opfern – ihr eigenes Leben und das Leben der anderen mit. Werbung, die als Aufruf zum Fanatismus deutbar ist, das ist neu.

2. Bedford-Strohm

Der Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland, Heinrich Bedford-Strohm, ist vor allem bekannt dafür, beim Besuch des Tempelbergs sein Kreuz abgenommen zu haben. War es Sicherheitsdenken, war es Unterwerfung? (siehe z.B. spiegel.de, 7.11.2016) – Ein weiteres Highlight seiner öffentlichen Karriere ist eine bemerkenswerte Formulierung beim Trauergottesdienst für die junge Frau, die als Tramperin bei einem marokkanischen LKW-Fahrer eingestiegen und dann von diesem ermordet worden war. Bei der Trauerfeier fragte der in eigener Sache nicht gerade mutige Bedford-Strom:

»Vielleicht wäre sie noch am Leben, wenn sie aus dem Mißtrauen heraus gelebt hätte. Aber wäre das das bessere Leben gewesen?«

In meinem Text »Gutmenschen riskieren das Leben anderer Leute« beschrieb ich meine Fassunglosigkeit über diese Zeilen: Das klingt ja wie eine Aufforderung, sich für eine Ideologie zu opfern! Ist das nicht eher etwas, was gefährliche Sekten ihren gehirngewaschenen Jüngern abverlangen?

3. Köthen

Am 9.9.2018 ging die Meldung durch die Online-Dienste, dass in Köthen ein Deutscher nach einem Streit mit zwei Afghanen gestorben ist. Nach aktuellem Stand der Informationen hat er versucht, einen Streit zwischen zwei jungen Herren zu schlichten, woraufhin er verprügelt wurde und dann am Herzinfarkt starb.

Die BILD-Zeitung schreibt:

Nach Zeugeninformationen sollen die Tatverdächtigen zuvor mit einem weiteren Landsmann und einer deutschen Frau auf einem Spielplatz in Streit geraten sein. Man habe darüber gestritten, wer die Frau geschwängert habe. – Demnach seien zwei Deutsche dazugekommen und dazwischengegangen – die Situation eskalierte. Es kam zu einer Schlägerei. Einer der beiden Deutschen starb später im Krankenhaus.

(bild.de, 9.9.2018)

Es wird berichtet, dass der Tote schon zuvor herzkrank gewesen war. (Man fühlt sich erinnert an den Fall Dominik Brunner, der ebenfalls echte Zivilcourage gezeigt hatte und dann an Herzversagen starb, siehe z.B. n-tv.de, 17.7.2010.)

Die Reaktion des Oberbürgermeisters von Köthen war in Teilen ohne Zweifel die einzige richtige – er forderte, wie viele, »Besonnenheit« – und zugleich war sie ein Zeichen der Zeit, das einem das Blut in den Adern gefrieren lässt. Zunächst eilte der OB an den Ort des Streits. Danach nahm er an einem Gedenkgottesdienst für das Opfer teil. Und er riet davon ab, an Trauermärschen teilzunehmen (stern.de, 9.9.2018), an der auch Rechte teilnehmen würden. Vertreter der Antifa, hört man, sind angereist, um öffentliches Trauern zu verhindern.

Linke instrumentalisierten den Tod, erst halbherzig mit Stempel-Floskeln den Hinterbliebenen kondolierten, und dann gleich vor angeblicher »rassistischer Instrumentalisierung« warnten.

Mein Mitgefühl gilt all denen, die ein Familienmitglied, einen Freund, einen Bekannten verloren haben. Möge die Besonnenheit stärker und wirksamer sein als die rassistische Instrumentalisierung. #Köthen (@katjakipping, 9.9.2018 / archive.is)

Wenn Linke von »Instrumentalisierung« reden, meinen sie schlicht, dass ein Ereignis sie als Trottel und Lügner entlarvt und dem Gegner recht gibt. Wer ein Ereignis erwähnt, das linken Wahn widerlegt, der »instrumentalisiert«.

Man fragt sich schon: Was für eine innere Verfassung musst du haben und wie verbohrt bist du in deiner Ideologie und einem politischem Strategiedenken, wenn deine erste Reaktion auf den nächsten unnötigen Tod die Sorge ist, dass der Tod die Vorhersagen deines politischen Gegners bestätigen könnte?

Demokratie und Zivilisation

Es war eigentlich eine Errungenschaft von Demokratie und Zivilisation, dass der Mensch für seine Werte und Ziele eben nicht »alles opfern« musste, dass er auch ein »besseres Leben« führen kann, ohne zu riskieren, ermordet zu werden. Jener US-Footballspieler opfert nicht »alles«, er war Millionär, und er bleibt Millionär (ca. 20-fach, um genau zu sein), auch wenn er sich gerade schwertun soll, einen neuen Verein zu finden. (Wikipedia) Doch die Aufforderung, die subkutan in die Gesellschaft getragen wird, ist nicht unproblematisch.

Die Aufrufe deutscher Politik, »besonnen« zu bleiben, nachdem schon wieder ein Deutscher in Folge eines Streits mit Flüchtlingen gestorben ist, mögen aus Sicht der Politik verständlich sein – was sonst sollen die Politiker tun? – aus menschlicher und moralischer Sicht möchte man zurückrufen: Nein, Besonnenheit ist nicht die angemessene Reaktion, wenn Menschen unnötig sterben! – Doch, ratlos antwortet man sich selbst: was ist denn die richtige Reaktion? »Antibesonnenheit« kann es doch nicht sein – die Hoffnung auf ein »besseres Leben« im Jenseits, wie Jenseitstheoretiker es einem versprechen, das ist es allerdings auch nicht.

Laut welt.de, 9.9.2018 sind es nicht nur Politiker, sondern auch Kirchenvertreter, die zur Besonnenheit aufrufen. »Wir sind betroffen, was hier geschehen ist«, sagt der lokale Pfarrer. Er tut mir leid. Es sind abgedroschene Wörter, leer und abgestanden, müde und fad. Betroffenheit holt die Toten nicht von den Friedhöfen.

Ich will nicht in einer Gesellschaft leben, in der das Schlichten eines Streits bereits bedeuten kann, sich zu »opfern«. Linke haken den Toten nun als ein weiteres Opfer ab, ja, sie bilden sich ein, der Herztod eines Menschen im Anschluss ans Verprügeltwerden würden nur »Nazis« mit dem Verprügeltwerden kausal zusammenbringen.

Nach allem, was am Abend des 9.9.2018 feststeht, hat sich der Tote de facto geopfert. Es macht mir Sorge, dass das Sich-Opfern wieder »modisch« zu werden droht.

Zivilcourage

Heute ist, nach allem was wir wissen, ein Streitschlichter gestorben. Er glaubte wohl an Zivilcourage im alten, echten Sinn (nicht im heutigen, regierungsfreundlichen Sinn). Er wollte dazwischengehen, als zwei Flüchtlinge und eine Frau sich stritten. Sie traten ihn. Man liest in den Sozialen Medien und lokalen Zeitungen, dass er laut Zeugenaussagen um Gnade flehte. Später gab sein Herz nach. Die größte Sorge der linken Elite und der von ihnen Gehirngewaschenen ist, dass Trauer aufkommen könnte, dass die Bürger den Tod nicht »besonnen« genug hinnehmen. Es hat in der Geschichte schon früher Zeiten gegeben, in denen die Politik die Bürger aufforderte, »besonnen« den Tod hinzunehmen – diese Epochen endeten nie gut.

Die Politik und die Kirchen sagen »Instrumentalisiert nicht!« und »Seid besonnen!«, doch was wir hören, ist: »Schweigt und sterbt.« – Ich will nicht sterben und ich werde ganz bestimmt nicht schweigen! Ich will nicht für irgendeine Sache »alles opfern«, nicht für Turnschuhe, nicht für die Geschäfte der Schlepper, nicht für NGOs und nicht für das Einkommen der Wohlfahrtskonzerne. Ich will nicht für Merkels Macht sterben und ganz bestimmt nicht für die Wahngedanken der Linken und Ach-so-Guten!

Die Politik fordert, dass der Bürger den Tod »besonnen« hinnimmt und nur gegen die Trauer protestiert. Wie verschoben müssen die Wertvorstellungen der Linken sein, wenn die Trauer über den Tod sie wütend macht, der Tod sie aber kalt und »besonnen« lässt?!

Nehmt es nicht hin! »Nur der verdient sich Freiheit wie das Leben, Der täglich sie erobern muß«, sagt Goethe. Freiheit setzt Leben voraus. Freiheit setzt Recht und Ordnung voraus. Freiheit setzt Mut voraus. Wenn ihr euch heute nicht traut, mit den Nachbarn, den Freunden und den Kollegen zu sprechen, über das, was euch wirklich bewegt, wann dann?

Weiterschreiben, Dushan!

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