Früher, in weniger verkrampften Zeiten, da hörte ich diese Scherzfrage: »Warum bekommt das polnische Baby, wenn es geboren wird, gleich zwei Klapser auf den Hintern?«
Die (zumindest damals) witzige Antwort: »Einmal, damit seine Lungen schreienderweise anspringen. Und dann nochmal, damit es dem Chefarzt die Uhr wiedergibt.«
Darf man jenen alten Witz heute noch erzählen? Nun ich bin ein wenig ein Pole und dann noch zur Hälfte Tscheche, also definitiv Osteuropäer. Also habe ich etwas »Lizenz zum Witzemachen«. Vor allem aber: Da die Polen sich stur weigern, die soziale Rechnung für die deutsche Welteinladung zu bezahlen, fühlen sich die deutschen Bessermenschen ja ohnehin als moralisch überlegen, was die polnischen Bösmenschen damit logischerweise moralisch unterlegen machen würde – und also darf man über die Polen schon mal Witze machen.
Es könnte aber auch sein, dass der Witz aus anderem Grund nicht aktuell ist, weil man womöglich den Frischgeborenen gar nicht mehr einen Klaps auf den Po gibt. (Ich habe dafür ohnehin eine bessere Lösung parat, doch dazu später mehr.)
Ach, ich finde ja, dass kleine Menschlein – nachdem sie erst einmal ordentlich atmen – zur Begrüßung in dieser Welt vor allem eine Clownsnase geschenkt bekommen sollten, eine große, weiche, knallrote Clownsnase!
»Willkommen im Zirkus«, so sollte man die neuen Erdenbürger willkommen heißen, »hier ist deine Clownsnase, und hier natürlich deine Steuernummer! Viel Spaß mit beidem!«
Wehe dem Clown
Die Kunst des Essay-Schreibens (unter /liste/ finden Sie mein bisheriges diesbezügliches »Lebenswerk«) besteht ganz wesentlich darin, Metaphern zu finden, Sprachbilder also, welche den aktuellen Zustand der Welt emotional präzise erfassen.
Es wäre allerdings nicht ganz richtig beschrieben, dass ich mir diese Metaphern »ausdenke«. Die sprachlichen Bilder drängen sich mir eher auf! Ich höre in die Meldung und ihre Resonanz hinein, und ich versuche zu erahnen, welcher anderen Angelegenheit sie in der Struktur ähnelt.
Eine bestimmte Metapher aber erscheint in den letzten Jahren wieder und wieder auf der Oberfläche der Zeit. Wie ein Zirkus, der Jahr für Jahr in der Stadt vorbeikommt, bildet sich auch diese Metapher mit erschreckender Zuverlässigkeit vor meinem »zeitenlesenden inneren Auge« – und ja, es ist der Zirkus.
»Überall Clowns, niemand lacht«, so stellte ich 2019 fest, und 2020 sprach ich im Essay »Weißsein und die Clowns mit Handgranaten« von der »großen Clownshow«.
In der Einleitung zum Essay »Jetzt mal ernsthaft!« gab ich 2019 zu bedenken: »In einem Zirkus voller Clowns sind es die Ungeschminkten, die als ›verrückt‹ gelten.« – Die Botschaft war, dass wir uns nicht so sehr darüber ärgern sollten, als Aussätzige behandelt zu werden, nur weil wir eben nicht verrückt sind.
Nun, ich höre heute wieder in die Zeit hinein, und wieder ist nicht zu leugnen, dass »der Zirkus in der Stadt ist«. Heute allerdings habe ich das Gefühl, dass wir alle zu Clowns gemacht werden sollen – und wehe dem Clown, der nicht mitspielt!
Wie so oft in letzter Zeit geht die »Clownerie« von oben aus (heute wird ja selbst der mythische »Druck der Straße« von gut vernetzten Kreisen organisiert).
Was für eine
Einige aktuelle Clownerien seien hier genannt, aus dokumentarischen und anderen Gründen…
Die FDP hat ihren Parteitag abgehalten. Man hat einen neuen Generalsekretär gewählt, mit 89%. Der »Journalist« von welt.de überschlägt sich fast im Lobpreis, der Neue trage »den Markenkern der FDP, die Freiheit, in der persönlichen DNA«. Kritischeren Politikbeobachtern als Konzernjournalisten es sind, ist der Name »Djir-Sarei« eher mit Plagiaten und einem aberkannten Doktortitel in Erinnerung (spiegel.de, 5.3.2012). In der Plagiatsaffäre eines Herrn zu Guttenberg sah Herr Lindner übrigens noch einen »gravierenden Vorgang« für den sich der Adlige »werde verantworten müssen« (handelsblatt.com, 1.3.2011). – Was für eine Clownerie…
Ja, es ist alles viel leichter erträglich, wenn man sich in die Lage versetzt, über die Meldungen dieser Tage lachen zu können.
Man könnte etwa bedenken: Wir alle haben aus der Corona-Panik gelernt, dass gerade dann, wenn Konzerne eine bestimmte Meinung erzwingen wollen, es ratsam ist, auch das Gegenteil als reale Möglichkeit zu betrachten. Und dann könnte man über den Widerspruch zu lachen versuchen.
Ein Beispiel, als »Lach-Übung«: Während die Reichen und Superreichen sich um Grundstücke direkt am Strand balgen und die Preise immer höher treiben (afr.com, 28.12.2021), gehen Google und Twitter zum Kampf gegen Zweifel an aktueller Klima-Dogmatik über (cnn.com, 23.4.2022). Was für eine Clownshow.
Einige Clowns in diesem Zirkus sind mehr Randfiguren oder lokale Kuriositäten. Andere Clowns aber sind geradezu Stars, und sie erfreuen uns nun schon seit Jahren oder sogar Jahrzehnten mit ihrer Clownshow!
Ja, wir könnten hier aktuell den verwirrten Joe Biden erwähnen, der zu Ostern von einem Osterhasen – vermutlich ein Agent im Hasenkostüm – öffentlich dabei gestoppt werden musste, gefährlichen Unsinn über Afghanistan zu sagen (siehe etwa independent.co.uk, 21.4.2022).
»Lustig« in diesem Kontext: 2020 blubberte Obama öffentlich davon, wie spannend es wäre, einen Stellvertreter im Weißen Haus zu haben, den er via Ohrstöpsel steuern könnte (siehe Essay vom 14.12.2020). Nun, vielleicht hätte Obama bedenken sollen, dass um ein »Fahrzeug« aus der Ferne zu steuern, bei diesem Fahrzeug gewisse zentrale Funktionen noch immer intakt sein müssen.
Apropos Obama & Co.: Dieser Tage haben sich sowohl Barack Obama als auch Hillary Clinton in Sachen »Misinformation« zu Wort gemeldet.
Das Lager, welches den Kandidaten Trump aushorchen ließ und dann mit einem Bullshit-Dossier die Hetzjagd auf den letzten unbestritten demokratisch gewählten US-Präsidenten anheizte, will nun gegen »Misinformation« und »Desinformation« kämpfen, wegen derer angeblich »Menschen sterben« (@RealMacReport, 21.4.2022; @hillaryclinton, 21.4.2022). Was für ein unlustiger Zirkus!
Was qualifiziert offensichtlich unqualifizierte Menschen zur Macht? Handylöscherin und EU-Chefin Ursula von der Leyen könnte uns ein Hinweis sein. Sie war dereinst als »Zensursula« bekannt, aus gutem Grund, und das war vermutlich Qualifikation genug – dass sie auch noch bei der Promotion fuggelte, rundet das Bild bloß ab, wie man auf dem Golfplatz nicht nur Golf spielen muss, sondern auch akzeptable Golf-Kleidung tragen sollte. In jenem Zirkus aber, in der großen deutsch-europäischen Clownmanege bist du offenbar fehl am Platz, wenn du nicht beim Schummeln erwischt wurdest.
Oder, sehr ernsthaft formuliert: Die etablierten deutschen Parteien verstoßen gegen etwas, das ich den »demokratischen Imperativ für Politiker« nennen möchte. Dieser Imperativ lautet: Handle jederzeit so, dass dein Verhalten nicht ein Argument gegen die Demokratie ist.
Wenn die Politik mehr wie ein postmoderner Zirkus wirkt, wie eine grotesk-dekadente Clownshow – mit einigen sehr gut bezahlten Clowns – spätestens dann fragt man sich, ob wir uns als Gesellschaft nicht vielleicht gründlich verlaufen haben.
Treten Sie ein
Immerhin darin ist dieser Zirkus nützlich: Wir müssen Neugeborenen nicht mehr auf den Hintern hauen, damit sie zu schreien beginnen – wir können ihnen einfach die aktuellen Nachrichten vorlesen, dann heulen sie schon ganz von selbst. Klar, einige Neugeborene werden dann eher laut lachen – es ist ja ein Zirkus – doch auch Lachen ist Atmung, und insofern ginge das in Ordnung.
Nein, wir sollten uns nicht zum Lachen zwingen, denn das würde auch wieder manisch wirken. Doch wenn Ihnen zum Lachen ist, lachen Sie ruhig.
Die Ernsthaftigkeit betreffend habe ich gelernt, dass beides ein Fehler sei: Die Welt zu ernst zu nehmen, und die Welt nicht ernst genug zu nehmen.
In diese Welt geboren zu werden bedeutet, die Eintrittskarte zu einem wilden Zirkus zu erhalten – und diese Eintrittskarte einlösen zu müssen. Alles in diesem Zirkus hat Konsequenzen, und alles bedeutet etwas, aber nicht selten sind es ganz andere Konsequenzen, als man behauptete, und die Bedeutung der Zeichen ist ohnehin immer verschieden von dem, was du bis eben noch angenommen hast.
»Schön, dass du geboren bist«, so sang einst Karel Gott, auf Deutsch, und ich darf als Co-Tscheche auf Deutsch ergänzen: »Hier ist deine Clownsnase, willkommen im Zirkus!«
Die Dinge sind, wie sie sind. Lassen Sie uns also die Welt so ernst nehmen, wie sie ernst genommen werden sollte – aber nicht viel mehr als das.
Der Zirkus ist wieder in der Stadt. Ich vermute, dass er die ganze Zeit über da war, nur heute erklingt das Tschingdarassabumm extra laut, extra schrill.
Dieser Zirkus ist nur halb lustig. Und doch ist es noch immer besser hier zu sein als nicht zu sein.
Willkommen im Zirkus! Hier taumeln wir alle in der Manege herum.
Treten Sie ein, seien Sie guter Dinge – und jeder bitte nur eine Clownsnase!