08.08.2020

Berlin und der fragile Rechtsstaat

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Trym Nilsen
In Berlin akzeptiert die Politik nur zähneknirschend, wenn die Polizei den Rechtsstaat durchsetzt. – Man sagt heute nicht mehr »Failed State« sondern »Fragile State«, und »fragil« klingt tatsächlich wie ein präzises Wort für den Zustand unseres Landes.
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Wer als Tourist durch Berlin spazieren geht und zum ersten Mal auf Häuser der sogenannten »linksautonomen« Szene stößt, der könnte angesichts des Zustands der Häuser sowie mancher dauerhaft »fröhlich vergifteten« Bewohner den Eindruck gewinnen, sich in einem »Failed State« zu befinden.

Alle paar Wochen oder Monate scheint die Berliner Polizei neue Versuche zu starten, Recht und Ordnung auch in Häusern und Gebieten durchzusetzen, die von Linksextremen besetzt wurden. Neben den Linksextremen (oder, in anderem Kontext, kriminellen Clans) selbst scheint die Berliner Polizei gegen einen weiteren Gegner zu kämpfen, konkret: gegen den Rot-Rot-Grünen Senat.

Aktuelles Beispiel: Die Polizei versuchte vor einigen Tagen, eine sogenannte »linksalternative Szenekneipe« zu räumen. Man will in diesem Fall dem Gerichtsvollzieher einen Zugang verschaffen, damit der rechtmäßige Hausbesitzer das Schloss wechseln kann, woraufhin dass Haus dann noch eine Weile bewacht wird, um eine erneute Besetzung durch Kriminelle zu verhindern (siehe auch welt.de, 7.8.2020).

Linksextreme griffen wieder einmal die Polizei an, errichteten Barrikaden, zerschlugen Scheiben, verwüsteten das Viertel und entzündeten Feuer – ein Zeichen, wer ihrer Meinung nach wirklich die Macht in Berlin in seinen Händen hält.

Wir fragen: Stellten sich die Politiker der Berliner Regierungsparteien eindeutig hinter die Polizei, die doch eigentlich das auch von diesen Parteien selbst beschlossene Recht durchsetzen wollte?

Die Berlin Abgeordnete Gennburg von der umbenannten SED etwa schimpfte, die Räumung sei »nicht die Linie von #R2G« (@die_gennburg, 6.8.2020) und schloss sich wohl den linksextremen Protesten gegen die Polizei an. Auch aus Kreisen der Grünen und der SPD hörte man Stimmen, die nicht sofort auf den ersten Blick als rechtsstaatlich erkennbar waren. Auf den öffentlichen Kanälen scheinen die Grünen zu versuchen, rechtsstaatlich zu klingen, doch zugleich auch Linksextremen zu gefallen (vergleiche @gruene_berlin, 6.8.2020). Wir hoffen, dass die lieben Linksgrünen sich beim Spagat zwischen Rechtsstaat und Extremistenschmeichlerei nicht irgendwelche Sehnen im Schritt reißen.

Im Juni berichteten wir vom sogenannten Berliner Anti-Diskriminierungsgesetz (Essay vom 28.6.2020), das mit »Anti-Polizei-Gesetz« ehrlicher betitelt wäre. Die Politik will bei Polizisten das rechtsstaatliche Unschuldsprinzip umkehren; wenn ein Polizist der Diskriminierung beschuldigt wird, muss er seine Unschuld beweisen – wie nennt man eine Regierung, welche ausgerechnet gegen seine eigene Polizei den Rechtsstaat aufhebt?

Aktuell steht eine Strafanzeige gegen den Berliner Innensenator und die Polizeipräsidentin im Raum, es geht um angebliche »Strafvereitelung im Amt« (rbb24.de, 6.8.2020); Polizisten in Berlin, die eine Person bei einer vermuteten Straftat beobachten, dürfen der Person nicht in ein linksextremes »Szeneobjekt« folgen, ohne sich dafür extra eine Genehmigung von oben zu holen – und bis dahin sind alle Straftäter und vermutlich auch Beweise verschwunden.

Man stelle sich vor, in einer anderen deutschen Stadt würde die Anweisung gelten, vermutete Straftäter erst einmal nicht zu verfolgen, wenn diese in ein Haus flüchten, das von lokalen Extremisten illegal besetzt wird – der Aufschrei wäre groß, und er wäre berechtigt. Was sagt es über den Zustand Berlins und damit Deutschlands aus, dass uns buchstäblich keine Meldung mehr aus der SPD-SED-Grüne-Stadt überrascht?

Der erste Staat der Liste

Ein Staat, der nicht (mehr) seine grundlegenden Funktionen erfüllt, gilt gemeinhin als »Failed State« – als gescheiterter Staat. Der Ausdruck »grundlegende Funktionen« hat es in sich – was dem einen als »grundlegende Funktion« erscheint, das bewertet der andere als unnötige Verschwendung und Verhätschelung – oder wahlweise als bösen Eingriff in die persönliche Freiheit.

Einige Bürger könnten vom Staat erwarten, dass dieser (s)eine Religion durchsetzt (in Failed States häufig der Fall), andere Bürger könnten vom Staat das Gegenteil erwarten, nämlich die Durchsetzung der Religionsfreiheit (wozu inhärent die Freiheit gehört, Religion abzulehnen und zu kritisieren; insofern bewegt sich Deutschland, besonders da wo linkes und globalistisches Denken herrscht, auf typische Eigenschaften klassischer »Failed States« zu).

Eine bestimmte Erwartung scheint global gültig zu sein, wenn es um die Erwartung der Bürger an einen funktionierenden Staat geht: Der Bürger erwartet vom Staat, dass das Recht vom Staat auf jeden Bürger gleich angewandt wird. Das ist, wofür Justitias Augenbinde steht! Das Recht soll gesprochen werden unabhängig vom Ansehen der Person. Ein Staat, in welchem das Recht für die Parteifreunde und Machthelfer der Regierung anders und vorteilhafter wird als für die politischen Gegner, ist nur schwer vollumfänglich ein Rechtsstaat zu nennen.

Nach dem »Fragile States Index« (fragilestatesindex.org/data/) sind aktuell die »fragilsten« fünf Länder der Erde: Jemen, Somalia, Südsudan, Syrien und die Demokratische Republik Kongo. Erst auf Platz 13 liegt mit Haiti ein Staat außerhalb von Afrika und dem Nahen Osten, der nächste dann auf Platz 22 mit Myanmar.

Betrachten wir den ersten Staat der Liste! Den Europäern wurde Jemen durch Carsten Niebuhr bekannt (siehe Wikipedia), der das Land im Jahr 1763 bereiste, und seine Beschreibungen prägten, bis heute, das Bild des exotischen Orients – das reale Jemen ist heute weniger romantisch.

Ali Abdullah Salih, Jemens Präsident von 1990 bis 2012, wird zitiert, Jemen zu regieren, das sei wie auf Schlangenköpfen zu tanzen. 2011, im sogenannten »Arabischen Frühling«, trat Salih ab.

Auf dem »Fragile States Index« mag Jemen den ersten Platz belegen, ebenso bei der Mundraumkrebs-Rangliste (zeit.de, 22.7.2013), bedingt durch die beliebte Droge »Khat« (Video dazu auf YouTube), auf anderen Indices belegt es dafür den letzten, etwa beim Globalen Innovations-Index (globalinnovationindex.org).

Man kann es kaum knapper formulieren als Wikipedia zu Jemen: »Seit 2013 kämpfen schiitische Huthi-Rebellen, Anhänger von Ex-Präsident Ali Abdullah Salih, Al-Qaida-Ableger der AQAP, mit der Armee der Zentralregierung unterstützt von den Separatisten des Südjemen um die Macht.«

Die Menschen, also auch die Kinder im Jemen leiden infolge des Bürgerkriegs unter Hungersnöten, dazu diversen Seuchen wie Cholera, Malaria und aktuell Covid 19.

Eine wesentliche Eigenschaft aller »gescheiterter Staaten« ist die Auflösung der Rechtsstaatlichkeit. Im gescheiterten Staat setzt sich derjenige durch, dessen Waffen und privaten Truppen stärker sind. Im gescheiterten Staat existieren keine wirksamen Gesetze, denen sich bis auf eine kleine Minderheit an Kriminellen alle Bürger unterwerfen.

Politiker, welche mit Linksextremen und Ideologen sympathisieren, welche die rechtsstaatlich abgesicherte Polizei abwerten und die Partei von Anarchisten und Demokratiefeinden ergreifen, müssen sich nicht nur fragen lassen, ob sie noch Demokraten sind, sondern auch wie sie die anarchische »Macht des Stärkeren« moralisch rechtfertigen.

Wenn Anarchie, vulgäre Ideologie und der Machismo drogenbetäubter Straßenkämpfer den Berliner Antifa-Symapthisanten so gut gefallen, warum ziehen sie nicht in den Jemen? (Wir ahnen die Antwort: Dort würde niemand ihnen die Politbonzen-Gehälter finanzieren, die dicken Dienstlimousinen und schicken, sicheren Büros, während sie auf die Hand spucken, die sie füttert.)

Noch »akzeptieren« sie es

Linksextreme, von Ideologie, Machismo und teils auch von verbotenen Substanzen betäubt, legen ja keine Theorie eines besseren Staates vor, lediglich Gedankensplitter und Phrasen. Zeichnet man jedoch die linksextremen Denkfetzen zu Ende, erscheint das Bild einer apokalyptischen Anarchie, eines grausamen Failed State, regiert von bewaffneten Warlords (es wurde ja in Seattle USA, ausprobiert, Stichwort »CHAZ«, siehe Wikipedia), in welcher man politischen Gegnern »auf die Fresse« gibt, weil sie »Abschaum« und »Ratten« seien. Es ist kein Zufall, das von Linksextremen benutzte Häuser nie von denen selbst gebaut wurden, aber regelmäßig in kurzer Zeit den verwüsteten Ruinen in Kriegsgebieten ähneln.

In Berlin versuchen die regierenden sozialistischen Parteien, ihre teils offen anti-demokratische und extremistische Wählerschaft zufriedenzustellen – und dennoch mindestens so weit am Rechtsstaat festzuhalten, dass sie selbst nicht durch ganz andere Mächte von den Trögen weggeholt werden.

Man würde sich wünschen, dass alle politischen Parteien und ihre Politiker sich eindeutig hinter den Rechtsstaat stellen würden – es ist aber nicht so. Noch »akzeptieren« es die Regierenden Berlins, wenn auch laut mit den Zähnen knirschend, dass von Zeit zu Zeit der Rechtsstaat durchgesetzt werden muss, auch gegen jene Extremisten, auf deren Sympathie man bislang für seine Macht baute.

Die Fraktion der umbenannten SED lässt verlauten, die Rechtslage sei »leider eindeutig« (@linksfraktionb, 6.8.2020) – die Rechtslage ist, dass Eigentum eben das Eigentum der Eigentümer ist – und die umbenannte SED lässt keinen Zweifel daran, wie sie die Rechtslage ändern möchte, wenn Sozialisten »dat ein Prozent der Reichen erschossen« haben. »Scheiß Immobilienkapitalismus« retweeted man und ruft neu zu Enteignungen auf (@F_Brychcy, 7.8.2020).

Aktuell ist die umbenannte SED in »nur« drei Bundesländern in der Landesregierung vertreten, den beiden Verlierer-Ländern Berlin und Bremen, dazu nach Merkels Quasi-Intervention auch in Thüringen. Jedoch: Die ideologische Nähe von Politik und politiknahen Journalisten zu anti-demokratischen Linksextremisten geht weit über Länder mit Sozialisten in der Regierung hinaus.

Glasschüssel nicht vom Tisch

Zu den wenigen Dingen, derer ich mir recht sicher bin, gehört die Hoffnung, dass noch nichts endgültig beschlossen ist.

Wir erleben zwar Politiker und Journalisten, die sich offen zu Linksextremisten bekennen, und damit zu den Feinden der Demokratie, doch es erklingt auch Widerspruch von echten Demokraten (von Linksextremen nach alter DDR-Wortwahl heute wieder »Faschisten« genannt), und dieser Tage scheint der Widerspruch eher lauter als leiser zu werden.

Politiker, die sich wenn auch zähneknirschend den Prinzipien des Rechtsstaats beugen, beugen sich eben doch den Prinzipien des Rechtsstaats. Es ist kein Ruhmesblatt für Deutschland, dass man sich darüber freut, wenn Politiker sich dem Recht beugen statt das Recht zu beugen, doch freuen tue ich mich dennoch.

Es ist wohl politische Korrektheit und ein Fall der »Euphemismus-Tretmühle«, dass man heute statt von Failed States (Gescheiterte Staaten) lieber von Fragile States (Fragile Staaten) sprechen möchte, doch der Begriff hat seinen eigenen Reiz. Die politische Lage in Deutschland wirkt umso fragiler, umso gesicherter die Macht gewisser Kreise wirkt, umso dreister die Regierung ihren Einfluss auf Medien und Propaganda-Vereine ausweitet. Es ist kein Zeichen von Fragilität, nicht innerer Stabilität, wenn ein Land mit einem feinmaschigen Netz dauernder Propaganda zusammengehalten werden soll.

Wenn Deutschland eine Glasschüssel wäre, würde man sagen, dass sie gefährlich nah an die Kante des Tisches rückt.

Noch ist die Glasschüssel nicht vom Tisch gefallen. Noch nicht.

Hoffen wir, dass Politiker auch weiterhin zähneknirschend akzeptieren, dass der Rechtsstaat durchgesetzt wird.

Ach, lassen Sie uns noch weiter gehen!

Man darf mich gern einen Träumer und Phantasten dafür nennen, doch ich träume von einem Land, wo alle demokratisch gewählten Politiker den Rechtsstaat nicht nur akzeptieren, sondern sich sogar dafür begeistern!

Weiterschreiben, Wegner!

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