04.02.2025

Klamroth und der böse, mythische Australier

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild: »Was habe ich denn getan?«
ARD-Moderator Klamroth fabuliert, man wisse nichts über Herkunft der Täter von Gruppenvergewaltigungen, denn das könne auch mal ein »australischer Austauschstudent« sein. Wenn Realität und Narrativ nicht zusammenpassen, muss man eben Realität erfinden.
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Louis Klamroth fabuliert vom australischen Austauschstudenten als Vergewaltiger, und mir wird dank Wittgenstein klar, wie gefährlich und Hoffnung raubend das ist – lasst mich erklären!

In 2.014 des Tractatus logico-philosophicus schreibt Wittgenstein: »Die Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sachlagen.«

Es ist brutal ernüchternd, gibt unserer Hoffnung einen Rahmen – und ist verdammt relevant!

Man muss zum Verständnis dieser Sätze natürlich die berühmten Anfangssätze des Tractatus voraussetzen: »Die Welt ist alles, was der Fall ist. Die Welt ist die Gesamtheit der Tatsachen, nicht der Dinge. Die Welt ist durch die Tatsachen bestimmt und dadurch, dass es alle Tatsachen sind. Denn, die Gesamtheit der Tatsachen bestimmt, was der Fall ist, und auch, was alles nicht der Fall ist.«

Es ist einer jener genialen Gedanken, die im ersten Moment unserer Intuition zu widersprechen scheinen. Dann aber, wenn es einmal geklickt hat, sind sie plötzlich ganz selbstverständlich – und das Gegenteil, das man doch gerade eben noch annahm, wirkt plötzlich sehr dumm.

Die meisten von uns würden ja zunächst zustimmen oder sogar explizit formulieren, dass sich der Ausdruck »die Welt« schlicht auf alle Dinge bezieht.

Wittgenstein widerspricht: Nicht die Gegenstände, sondern ihre Kombination zu Tatsachen bilden die Welt.

Ein eigenes Beispiel: »Die Vase steht auf dem Tisch« ist eine Tatsache, die aus der Kombination von Vase und Tisch entsteht. Vase und Tisch sind physikalisch selbst weiter zerlegbar, doch hören sie dann auf, Vase oder Tisch zu sein – also sind sie in diesem Sinne unzerlegbare Gegenstände.

(Die durch Relationen gebildeten Tatsachen als das eigentliche Wesen der Welt zu deuten, dieser so simple wie brillante Gedanke inspirierte mich ja dereinst zu meiner eigenen Meta-Ethik namens »Relevante Strukturen«. Statt etwa eine absolute »Moralessenz« anzunehmen, beschreibe ich unsere ethischen Werte als die Beurteilung der Schwächung oder Stärkung einer relevanten Struktur durch eine Veränderung. Ethische Werte als durch Relationen und Perspektive gebildete Tatsachen der Wahrnehmung. Ja, ich widerspreche dem Tractatus in 6.42 und 6.421.)

Mit diesen Grundlagen ausgestattet betrachten wir den eingangs erwähnten Satz: »Die Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sachlagen.«

Was sind denn die Gegenstände unserer Zeit – im Wittgensteinschen Sinne?

Unter den aktuellen Ereignissen und Meldungen fiel mir ein bestimmter »Gegenstand« auf, der zunächst zwar typisch, aber auch banal wirkt. Nach Anwendung der Wittgenstein-Sätze zur Möglichkeit jedoch wird uns angst und bange werden – und lehrreich ist es doch.

Der »Gegenstand« hier aber soll sein: Louis Klamroth.

»Das ist doch unerträglich!«

Es gibt eine Dame aus sehr reichem Hause mit sehr deutscher Geschichte, die fliegt durch die Welt, um den Menschen zu sagen, dass sie wegen des Klimas weniger fliegen sollen. Und diese Dame hat einen Boyfriend, der Louis Klamroth heißt und er als Moderator bei der ARD arbeitet.

Seine Sendung ist orwellsch-gegenteilig »Hart aber fair« betitelt. Und in dieser Sendung kam es zu einem bemerkenswerten Austausch.

Beatrix von Storch (AfD) sagte: »Wir haben zwei Gruppenvergewaltigungen am Tag, zehn normale Vergewaltigungen am Tag und 131 Gewaltdelikte pro Tag in den letzten Jahren gehabt durch Zuwanderer, in erster Linie von Syrern, Afghanen und Irakis. Das ist doch unerträglich!« (zitiert nach bild.de, 4.2.2025)

Klamroth musste natürlich das tun, was man bei der Propaganda »für die Zuschauer einordnen« nennt – und was Orwell im Roman »1984« so beschrieb: »Die Partei sagte ihnen, dass sie die Wahrnehmung ihrer Augen und Ohren ignorieren sollten.«

Zunächst gab Klamroth zu, dass die Zahlen ja stimmten. Und auch, dass 50 Prozent der Täter nicht Deutsche sind.

Doch dann phantasierte der Moderator: »Nur: Woher die kommen, das weiß man nicht. Das können Flüchtlinge sein. Das kann aber auch ein australischer Austauschstudent sein!« (wieder zitiert nach bild.de, 4.2.2025)

Kann es das?

Gruppenvergewaltigungen durch australische Austauschstudenten?

Tatsache ist, dass der einzige dokumentierte Vergewaltigungsfall in Europa mit Beteiligung von Australiern die Vergewaltigung einer Australierin am Mont Martre war (bild.de, 23.7.2024). Das Opfer beschrieb ihre Peiniger als fünf »afrikanisch aussehende Männer« – und den Berichten nach waren sie extra gefühlskalt.

Einige Zuschauer vermuteten nun, dass es diese Meldung war, die sich im Gedächtnis des Herrn Klamroth festgesetzt hatte: Eine Vergewaltigung mit Beteiligung von jemand aus Australien – ob nun als Täter oder als Opfer, egal, Hauptsache das Narrativ sitzt.

Wenn Klamroth nicht glaubt, was er für viel Geld in der ARD aufsagt, dann ist er ein bezahlter Lügner. Wenn er aber glaubt, was er sagt, dann hat er ernsthafte Schwierigkeiten damit, Realität und Propaganda-Narrativ voneinander zu unterscheiden.

Welche Zukunft hat ein Land, in dem Leute wie Klamroth zentral an der öffentlichen Meinungsbildung beteiligt sind?

Welche Möglichkeiten?

»Die Gegenstände enthalten die Möglichkeit aller Sachlagen«, schreibt Wittgenstein. Wir erwähnten als Beispiel die auf dem Tisch stehende Vase als eine Tatsache der Welt. Welche Möglichkeiten aber bestehen in jener Situation? Alle Möglichkeiten in jeder Situation ergeben sich aus den Gegenständen. (Wir erwähnten übrigens einige »Gegenstände« nicht, etwa die Schwerkraft.)

Welche Möglichkeiten aber in der Situation bestehen, ergibt sich aus den Eigenschaften der Vase (rollt, wenn umgekippt, und zerschellt am Boden), des Tisches (flach und die Oberfläche etwa einen Meter überm Boden), der Schwerkraft … und natürlich des wild im Raum herumlaufenden Kindes!

Es ist eine spektakuläre Aufladung jedes einzelnen Gegenstands – und es ist eine schmerzhafte Grenzsetzung für unsere Hoffnung.

Hoffnung zielt stets auf eine Untermenge des Möglichen: auf das Wünschenswerte von dem, was überhaupt möglich ist.

Die Dinge, auf die wir hoffen, sollten möglich sein – sonst ist die Hoffnung eine Illusion, eine Utopie.

Klamroth ist ein TV-Moderator, der die Realität in seinem Kopf neu zusammenstellt – so scheint es –, der die Tatsachen um 180 Grad dreht und wendet und verbiegt, bis sie eben ins Narrativ passen. Und so wird aus einer vergewaltigten Australierin vermutlich mal eben ein vergewaltigender australischer Austauschstudent.

Und der TV-Moderator Klamroth ist zugleich ein »Wittgenstein-Gegenstand«, den begrifflich weiter aufzuteilen fürs Verständnis destruktiv wäre.

Das heißt damit auch: Jede Möglichkeit, über die Deutschland verfügt, und damit jede Hoffnung, ist bereits in »Gegenständen« wie TV-Moderator-Klamroth angelegt.

Wie viel (und welche?!) Hoffnung kann also Deutschland mit »Gegenständen« wie TV-Moderator Klamroth haben?

Es braucht andere Gegenstände

»Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen«, so schließt der Tractatus. (Viele Bücher haben berühmte Anfangssätze, doch nur wenige können wie der Tractatus auch mit einem berühmten Schlusssatz prahlen.)

Ich würde ja wirklich, wirklich gern freudehüpfend über unsere Zukunft reden. Doch wenn diese mit Leute wie Klamroth verknüpft ist, fällt mir das Benennen von Möglichkeiten und einer Hoffnung, die eben keine Illusion ist, recht schwer.

Wenn Deutschland eine Zukunft hat, dann nur ohne »Gegenstände« wie Louis Klamroth als TV-Moderator. Die Möglichkeiten, die in solchen Leuten angelegt sind, diese Tatsachen wirken auf mich allesamt furchteinflößend.

»Die Tatsachen gehören alle nur zur Aufgabe, nicht zur Lösung«, schreibt Wittgenstein gegen Ende jenes Werks (6.4321), wo es reflektierend und sogar mystisch wird – und doch wäre es gegen unsere Natur, nicht weiter nach einer Lösung zu suchen!

Dass man darüber schweigen muss, wovon man nicht sprechen kann, schließt nicht aus, dass solches dennoch existiert.

»Es gibt allerdings Unaussprechliches«, so Wittgenstein (6.522), »dies zeigt sich, es ist das Mystische.«

Nicht verwechseln: Was es nicht gibt, außer in den Erzählungen der Priester, ist das Mythische (wie etwa der gruppenvergewaltigende australische Austauschstudent). Worauf man aber hofft und zählt, was in Worten nicht beschreibbar und doch wirkmächtig ist, das ist das Mystische.

Das wird es wohl sein, wo im Angesicht der Medienmacht von Leuten wie Klamroth unsere Hoffnung liegt: im Mystischen.

Weiterschreiben, Wegner!

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