Wer heute einen geraden, klaren Blick auf die Welt nehmen wollen sollte, der sähe dadurch bereits ein viel zu unvollständiges Bild. Eine angemessenere Sichtweise wäre womöglich das Schielen – und genau das wollen wir in diesen Zeilen hier und heute tun.
Wir schielen mit dem einen Auge hier zunächst auf Deutschland. Wir betrachten eine Meldung zur blanken Dummheit heutiger Fahrschüler. Mit dem anderen Auge aber schauen wir auf den heute tobenden großen Kampf zweier großer Supermächte – oder in poetischeren Worten: zweier Drachen.
Zusammen wird beides ein Bild ergeben, so hoffe ich – oder zumindest eine nützliche Skizze.
Merkmale des Irrsinns
Einmal der Blick nach Deutschland. Es ist immer weniger eine essayistische Zuspitzung und dafür täglich mehr eine nüchterne Beschreibung, wenn wir formulieren, dass Deutschland und ganze Blöcke der deutschen Gesellschaft veritable Merkmale des Irrsinns aufweisen.
Wenn ich aktuelle Nachrichten zur essayistischen Betrachtung auswähle, dann suche ich üblicherweise nach der Schnittmenge zwischen dem Paradigmatischen und dem, was mich bewegt. Eine Nachricht, über die ich schreibe, sollte als Pars pro toto für ihre Schwesternachrichten stehen – und sie sollte mich emotional aufrütteln, sollte Strukturen betreffen, die mir relevant sind, und zwar fühlbar.
Inmitten all des Grünen-Wahnsinns, der neuesten Schweinerei aus linken Ministerien und so weiter, zwischen der neuesten Rückgratlosigkeit des Herrn Merz und den frischesten Brandmauertoten, in all dem Wahnsinn ist es mir tatsächlich heute gelungen, eine Nachricht zu finden, der es auf überraschende Weise gelingt, 1. als paradigmatisch für unsere Zeit zu stehen, 2. unsere Zeit zu erklären und sich 3. dennoch von den übrigen zu unterscheiden.
Bei focus.de, 26.1.2025 lesen wir aktuell: »Jeder Zweite schafft die theoretische Führerschein-Prüfung nicht. Deshalb hat Psychologie-Professor Florian Becker eine harte These: Schuld daran seien nicht äußere Umstände, sondern eine bedenklich abnehmende Leistungsfähigkeit bei Jugendlichen.«
Nach dieser verhältnismäßig milden Einleitung wird es deutlicher: »50 Prozent verstehen die Theorie einfach nicht«, »kognitive Defizite«, »fehlende Selbstdisziplin«, »Konkret: Low-IQ, Verdummung«.
Außer darin, dass wir uns widersprechen
Ich habe mehr als einmal darüber geschrieben: Jugendlichen wird heute aktiv die Denkfähigkeit zerstört. Einer der zentralen Faktoren ist das Smartphone; siehe dazu etwa die Essays »Wenn Mädchen brutal werden« (2023) oder »Was, wenn sie dumm bleiben?« (2023). Ich warnte schon 2017 davor, im Essay »Scrollende Wracks sind keine Leser«.
Man könnte mir zu widersprechen versuchen – und einige von euch taten es, besonders wenn sie ihren Kindern gerade neue iPhones gekauft hatten –, dass Smartphones doch nicht die einzige Ursache für kognitiven Verfall sind, und leider muss ich auch hier eine meiner liebsten Repliken anwenden: Ich stimme zu, außer darin, dass wir uns widersprechen. – Smartphones sind ein Faktor der aktiven Verblödung, und es kommen weitere dazu (etwa die Propaganda in Staatsfunk und Schulen).
Von der Verblödung auf breiter gesellschaftlicher Front berichten ja nicht nur Fahrschulen und Fahrprüfern. Darüber berichten ja auch viele Lehrer aus dem Schulalltag – und zwar seit Jahren schon.
In Schulen lassen sich die Probleme allerdings zu einem gewissen Grand jahrelang zunächst weglügen und schließlich weiterreichen. Das bedeutet: Firmen und Universitäten klagen, dass ihnen Jugendliche ohne grundlegende Bildung oder auch nur Lebenskenntnisse übergeben werden.
Bei den Fahrschulen allerdings wird es spannend, wenn man die Prüfungen dem Gehirnzustand der Jugendlichen anpasst … und diese neuen Fahrer bald auf den deutschen Schilderwald losgelassen werden.
Das also soll der erste Blick unseres großen Schielens sein, und mit diesem Auge sehen wir: Die Deutschen werden blöder. Bei einigen gesellschaftlichen Blöcken ist es messbar, wie etwa bei Schülern, bei anderen ist es sichtbar, wie vielleicht bei den »Omas gegen Rechts«.
Doch nun lasst uns in eine ganz andere Richtung schielen, geradezu unsere Augen verrenken, um unsere Zeiten vollständiger zu sehen.
Prophezeiungen werden wahr
Einige von euch haben mitbekommen, dass aus China ein neues KI-LLM samt öffentlichem KI-Chat publiziert wurde. Es heißt DeepSeek R1 (Wikipedia hat einen Artikel dazu). Das chinesische Unternehmen sitzt, genauso wie sein einziger Investor, in Hangzhou, Zhejiang.
DeepSeek behauptete, das neue Modell sei mit lediglich 50.000 semi-legal importierten NVIDIA-GPUs trainiert worden, und das Training habe nur wenige Millionen Dollar gekostet.
Doch bis auf die zu erwartende Zensur bei Tian’anmen-Fragen schien das neue chinesische Modell die besten US-amerikanischen Modelle von OpenAI und Claude zu schlagen.
Die US-Tech-Szene war schockiert. Am gestrigen Montag fielen die Tech-Aktien, insgesamt wurde etwa 600 Milliarden Dollar an Börsenwert vernichtet (reuters.com, 28.1.2025). Man fragte sich, ob die absurden Milliardenbeträge für das Training amerikanischer KI-LLMs versenkt und wertlos sind, wenn die Chinesen für ein relatives Taschengeld ähnliche Intelligenz leisten und in manchen zentralen KI-Bereichen wie Schlussfolgerung und Code sogar bessere Leistung erzielen.
Inzwischen hört man Gerüchte, dass die Chinesen etwas geflunkert haben könnten und das Training doch etwas aufwändiger war. Die Tech-Aktienkurse beruhigen sich wieder ein wenig.
It’s so over (for Europe)
Die eigentliche Erkenntnis des Deepseek-Dramas fasst aber auf X ein aktuell etwa 15.000-mal repostetes Meme zusammen (@dogeofficialceo, 27.1.2025). »It’s so over for Europe«, heißt es dort.
Die Grafik jenes Memes macht sich darüber lustig, dass zwischen den USA und China ein Wettbewerb der KI-»Drachen« ausgekämpft wird – in der debilen EU aber ist man derweil stolz darauf, den fest befestigten Flaschendeckel erfunden zu haben.
Ich erinnere daran, dass ich auf genau diese Entwicklung schon im Jahr 2019 hingewiesen hatte, im Essay »Künstliche Intelligenz und Mäusespeck«:
China plant, bis 2020 die USA bei künstlicher Intelligenz aufgeholt zu haben – mit der für China typischen Unbedarftheit etwa beim Datenschutz – erste eigene Durchbrüche bis 2025 vorlegen zu können und bis 2030 der Weltmarktführer bei künstlicher Intelligenz zu sein – Deutschland plant, sich selbst zu de-industrialisieren. (Essay vom 2.4.2019)
Nun, immerhin läuft es für alle drei, USA, China und Deutschland, nach diesem schon 2019 absehbaren »Plan«: China hat in Sachen KI aufgeholt, Deutschland aber de-industrialisiert sich – und seine Jugend wird blöde.
Praktisch genutzt
Diese beiden Meldungen, von Fahrschulversagern und von der chinesischen KI Deepseek, sind das Schielen, mit dem ich heute versuche, einen realistischen Blick auf unsere Lage in Welt und Geschichte zu nehmen.
Der Einzelne aber, verantwortlich für sich, seine Familie und sein Einkommen, muss seinen Kurs planen zwischen den Faktoren deutsche Dummheit und künstliche Intelligenz.
Ich selbst nutze künstliche Intelligenz schon heute ganz praktisch, jeden Tag. Ein Beispiel dafür gebe ich euch in dem anderen heutigen Essay: »Ich mietete Superkräfte (für 10 Euro)«
Ob schielend oder mit geradem Blick: Noch nie war es so neblig und verschwommen, wie die Zukunft auch nur einem halben Jahr aussehen wird, geschweige denn in fünf oder zehn Jahren.
Für das Handeln des Einzelnen, also: mein und dein Handeln, kann ich heute nur in denkbar simplem Duktus empfehlen: Hüte dich vor der natürlichen Dummheit der Masse – und nimm die Hilfe der künstlichen Intelligenz an, auf dass du selbst klüger werdest!