Dushan-Wegner

15.12.2017

Eine Brücke über den großen Graben

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto: Dave Lastovskiy
Selbstgewählte Empathielosigkeit ist ein Kennzeichen des Faschismus. Ein Graben zieht sich durch die Gesellschaft. »Analytische Empathie« könnte helfen, neue Brücken zu bauen.
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Wären Geschichtsbewusstsein und brennender Wahrheitswille heute nicht schwerpunktmäßig in Blogs und freie Medien verbannt, wäre viel weiter bekannt, dass »Linksfaschismus« ein linker Begriff ist. Die SPD etwa bezeichnete die KPD als »rotlackierte Faschisten«, italienische Demokraten verglichen den Stalinismus mit dem italienischen Faschismus.

Knapp hundert Jahre später schimpft die SPD nicht mehr auf die Kommunisten – heute koaliert sie mit ihnen.

Begriffsgeschichte

»Faschismus« ist ein Sammelbegriff. Unter dem Label »Faschismus« werden Bewegungen und Regime zusammengefasst, die mehrere typische Eigenschaften aufweisen.

Einige Verhaltensweisen und Eigenschaften, die etwa vom bekannten Faschismus-Forscher Emilio Gentile als typisch für den Faschismus genannt werden:

  • Vollstrecker einer Ideologie und Mission
  • totalitäre Auffassung des Staats
  • mythisches Denken und weltliche Ersatzreligion
  • totalitäres Gesamtmodell der Gesellschaft
  • Gleichschaltung aller gesellschaftlichen Kräfte, insbesondere Medien und Bildung
  • Ausgrenzung von Abweichlern, bis hin zur Ermordung aller, die sich dieser Gleichschaltung widersetzen

Wir könnten jetzt diskutieren, ob sich einige dieser Eigenschaften in der heutigen Linken wiederfinden. Sehen Sie sich auf einer Mission? Neigen Sie zum Totalitären und/oder zum Ideologischen? Haben Sie sich in einer Ersatzreligion eingerichtet? Wollen Sie die gesellschaftlichen Realitäten nach Ihrer idealisierten Vorstellung umformen? Haben Sie (z.B. via »Marsch durch die Institutionen«) in Richtung einer ideologischen Gleichschaltung von Medien und Bildung hingewirkt? Werden Abweichler ausgegrenzt oder bedroht?

Empathielosigkeit

Ich möchte einen Aspekt beleuchten, der für Faschisten typisch ist und in der Debatte zu oft unter den Tisch zu fallen scheint.

Faschismus-artige Denkweisen zeigen regelmäßig einen erschreckenden, selbstgewählten Mangel an Empathie. Kalte, selbstgewählte Empathielosigkeit ist kein »Fehler im System« sondern Teil des faschistischen Konzepts. Durch ideologische Dauerberieselung und Entmenschlichung des Gegners kämpft man sogar aktiv gegen die eigene Menschlichkeit an. Der letzte Rest empathischen Menschseins wird im Extremfall schließlich mit Hilfe von Drogen entfernt. Das letzte Ergebnis solcher praktischen Ent-Empathisierung sind selbsterschaffene Zombies, die auf alles, was ihnen »abweichend« erscheint, einprügeln.

Kinder

Selbstgewählte Empathielosigkeit ist heute ein so selbstverständlicher Teil linker Mainstream-Meinung, dass sie kaum noch als »besonders« auffällt.

Wenn die Empathielosigkeit auch gegenüber Kindern und Ungeborenen gilt, wird es für Unbeteiligte extra schwer ertragbar.

Der allzu überbordender Emotionalität unverdächtige Welt-Chef Ulf Poschardt teilte jüngst auf Twitter diesen Gedanken:

»darf man eigentlich noch ein mulmiges gefühl haben, wenn man die eiseskälte beim thema abtreibung gespenstisch findet? oder ist das politisch inkorrekt und reaktionär? und: interessiert jede schmetterlingslarve mehr?«
@ulfposh, 5. Dez. 2017

»Eiseskälte« scheint mir die richtige Wortwahl. Kälte ist überhaupt ein Wort, das Leuten derzeit einfällt, um moderne linke Phänomene zu beschreiben, etwa Felix Perrefort bei der Achse des Guten.

Was aber ist totalitäre Eiseskälte, wenn sie zur Politik wird, anderes als eine Spielart des Faschismus?

Wir könnten auch über ein von Linken bejubeltes »Kunstprojekt« reden, wo in das private Umfeld missliebiger Politiker eingegriffen wird und, ja, geradezu »faschistisch«, die Einschüchterung der Kinder dieses Politikers mindestens in Kauf genommen wird. – Wenn man auch nur ein Jota an Geschichtsbewusstsein trägt, muss es einem kalt den Rücken herunterlaufen, wenn in der »Alpen-Prawda« diskutiert wird, wie mit Kindern umzugehen sei, deren Eltern die falsche Partei wählen.

Verachtung der Opfer

Ein Wolf lässt von seinem Rivalen ab, wenn jener am Boden liegt. Ein Faschist aber verachtet sein Opfer für dessen Schwäche und verhöhnt es weiterhin.

Der Linke sagt nicht: »Vielleicht haben wir in unserem Eifer übertrieben.« – Nein, der »gute« Linke sagt: »Stell’ dich nicht als Opfer dar! Du hast es selbst über dich gebracht! Mimimi!«

Es ist für faschismus-artiges Denken typisch, nicht nur Gewalt gegen Abweichler auszuüben, sondern die Opfer auch noch zu verachten, dafür, dass sie Opfer sind. (Ich fühle mich erinnert an ein Bonmot, dass unter anderen Zvi Rix zugeschrieben wird: »Es scheint, dass die Deutschen uns Auschwitz nie verzeihen werden.«)

Der Faschist sagt nicht »Entschuldigung«, sondern: »Hör auf, dich in deiner Opferrolle einzurichten!« – Der Faschist trauert nicht mit den Familien der Opfer einer Tragödie, sondern ist verärgert, dass ihr Leid die Mahnungen der Opposition bestätigt. – Der Faschist hat sich selbst das empathische Herz herausgerissen und durch einen primitiven Freund-Feind-Filter ersetzt.

Der echte große Graben

Der große Debatten-Graben verläuft heute zwischen Konservativen, die »einfach nur leben wollen«, und Linken, die empathielos ihre Ideologie durchsetzen. Spätestens, wenn sie dafür Menschenleben opfern, ihre politischen Gegner bedrohen und für die ihnen angetane Gewalt auch noch verachten, kann mindestens eine Nähe zum »linken Faschismus« attestiert werden.

Doch: Mir genügt nicht, das Problem zu beschreiben. Ich will zumindest skizzieren, wie sich eine Brücke bauen ließe.

Erste Steine am Ufer

Das große Problem praktischer Empathie ist, dass sie sich auf ungefilterte Emotionen und Bauchgefühle verlässt. Das macht es logisch unmöglich, wirklich andere Standpunkte empathisch nachzuvollziehen.

Mein Ansatz ist, zu verstehen, was dem anderen wichtig ist. In welche Strukturen ist der andere eingebunden? In welche Strukturen fühlt er sich eingebunden – sprich: was ist ihm relevant? Welche Strukturen will er stützen? Welche meiner Handlungen hat eine ihm relevante Struktur geschwächt? (Die Details meines Ansatzes können Sie in meinem Buch »Relevante Strukturen« nachlesen.)

Dies sind analytische Vorgänge, nicht zuerst emotionale. Die Erfahrung hat aber gezeigt, dass mit dem rationalen Verstehen dessen, was dem anderen relevant ist, auch die emotionale Spiegelung folgen kann.

Ich halte nichts davon, den Graben zu leugnen – im Gegenteil. Ich bin dafür (siehe oben), ganz klar aufzuzeigen, wenn Unrecht geschieht und uns gefährliche Entwicklungen drohen. Doch Missstände zu benennen – etwa die an Faschismus erinnernde Kälte einiger Linker – kann nicht genug sein. Ich will trotz allem, wegen allem, versuchen, eine Brücke zu bauen – hier eine Brücke der analytischen Empathie.

Weiterschreiben, Wegner!

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