Dushan-Wegner

02.07.2016

George Orwell 2016 »Ministerium für Liebe«

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Dave Webb
Aufgabe der Politik ist es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Gebt uns Rechtsstaat, nicht Liebe. Bekämpft Verbrechen, nicht »Hass«. Lasst Herzchen in Kindergärten und Meditationskreisen. Gebt uns kluge Gesetze – und Richter, die sich auch dran halten.
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Lassen Sie uns eine Sekte erfinden! Eine simple Sekte. Aber eine moderne Sekte. Eine Sekte, deren Lehre so eingängig ist, dass selbst die digital perforierten Gemüter der Generation Smartphone ihren ganzen Katechismus im ersten Anlauf lernen können.

Zunächst brauchen wir ein Mantra. Wir müssen gegen etwas kämpfen! Der beste Gegner ist einer, gegen den einfach alle mitkämpfen müssen! Wir wollen gegen den Hass kämpfen! Unser Mantra sei also: »Kein Hass!« Und weil unsere Sekte expandieren soll, machen wir’s von Anfang an auf Englisch: »No Hate!«
Wer unserem Mantra widerspricht, wer unsere Finanzierung oder die gesellschaftliche Legitimation unserer Sekte hinterfragen will, dem können wir antworten: »In dir fließt der Hass! Lass den Hass los und schließe dich uns an!«

Unsere Sekte braucht ein Logo. Ein Logo, das Liebe verströmt. Ein Logo, das wir auf unserer Kleidung als Anstecker tragen. Ein Zeichen unserer Liebe. Wie sind simple Menschen, wir wählen ein rotes Herz zum Logo. In das Herz schreiben wir unser Credo: »No Hate«. Perfekt, die »Theorie« und das »Corporate Image« stehen!
Drei Dinge brauchen wir noch: Geld, Multiplikatoren und Jünger. Lassen Sie uns träumen! Ideal wäre als Sponsor eine große Organisation, von der die meisten Menschen vergessen haben, dass es sie gibt. Als Multiplikatoren brauchen wir Leute, die von Amts wegen in alle Medien kommen und PR-Mitarbeiter samt Budget haben! Zum Beispiel einige Minister in großen Wirtschaftsnationen. Und dann noch die Anhänger. Für den Anfang sagen wir erst einmal: »Fake it till you make it!« Wir nennen uns eine »Bewegung«, der Rest wird sich schon ergeben. – Unsere Sekte nimmt Form an. Aufregend!

Okay, Pause. Stopp. Reality Check! Das alles kommt Ihnen absurd vor? So etwas Lächerliches würde keiner machen? Könnte man denken.

Lassen Sie mich Ihnen die Initiative #NoHateSpeech vorstellen. Die Website ist nohatespeechmovement.org. Prima facie scheint #NoHateSpeech wie eines der üblichen Online-Projekte mit linear umgekehrtem Verhältnis zwischen Besuchern und Euros, die an eine politnahe Agentur überwiesen wurden. Das Projekt #NoHateSpeech wird vom Europarat angetrieben. (Kurzer Test: Können Sie ohne Google schnell sagen, was dessen Aufgabe ist?) So weit, so üblich. Doch dann wird es extra harzig.

»NoHateSpeech« ist natürlich keine »Bewegung«. Es ist eine »Kampagne«. Die Kampagne lief eigentlich vor Jahren an. Mit Online-Foren und Aufrufen zu Hashtag-Tweets. Der Blog läuft noch, die Foren sind ziemlich verwaist. Die Hashtags wie »#nohatechain« versucht man derzeit (wieder?) zu beleben. So recht gelingen will es nicht.

Auf den ersten Blick sieht die Kampagne wie ein weiteres Fördermittelgrab aus. Auf den zweiten Blick sieht die Kampagne wie ein Fördermittelgrab mit Ablegern in 42 Ländern aus. Wer sich durchklickt, den könnten Zweifel an der Gesamt-Lebendigkeit des Projekts beschleichen.

Und nun, während das Projekt #NoHateSpeech gefühlt seinem Sonnenuntergang entgegenfährt, springt das deutsche Familienministerium auf den Zug auf. Für den 22. Juli 2016 wurde der nationale Website-Launch angekündigt. Wird Deutschland neues Leben in die Astroturf-Bude bringen?

Auf dem Twitter-Account @NoHateSpeechDE nahmen die Tweet-Aktivitäten zu. Flankiert wurden sie vom Twitter-Account des Familienministeriums. Und wenn man diesen verfolgt, entdeckt man eine Besonderheit, eine Nuance, einen schrulligen Zungenschlag. Und diese Auffälligkeit hat eine Ursache.

Der deutsche Auftritt von #NoHateSpeech wird von den »Neuen Deutschen Medienmachern« begleitet. Einige Kenner der Szene sagen, dass im Regenbogen öffentlicher Meinung die »Neuen Deutschen Medienmacher« (NDM) beim Ultraviolett liegen. Oder beim Infrarot, je nach Perspektive. Sie wurden einem breiteren Publikum bekannt mit ihren »Formulierungshilfen« zur politisch korrekten Bezeichnung von Ausländern. Die NDM kooperieren mit der EU und diversen Sendeanstalten. Sie haben Kontakte in höchste Kreise. Sie sind der Traum jedes Freundes von Politischer Korrektheit. Sie sind der Albtraum manches Freundes freier Rede. Und sie realisieren die deutsche Umsetzung von #NoHateSpeech.
Zum Leit-Claim der deutschen Umsetzung von #NoHateSpeech haben die NDM wohl gewählt: »Hass ist keine Meinung«.

Hass ist keine Meinung! Weder auf der Straße, noch im Netz! #nohatespeech (@BMFSFJ, 29.6.2016)

Dieser Talking Point wird von allen Beteiligten der Kampagne wieder und wieder wiederholt. Man trifft sich zu Gottesdiensten, pardon, Kickoff-Meetings und versichert sich, dass man »viele« ist.

Startschuss für #nohatespeech

Wir sind alle online. Wir sind viele und müssen das auch jeden Tag deutlich machen. (@ManuelaSchwesig, 29.6.2016)

Das deutsche Gesicht von #NoHateSpeech ist die Familienministerin Manuela Schwesig. Stolz hält sie das No-Hate-Herz, das offizielle Logo von #NoHateSpeech, in die Kamera.

Heute Startschuss für das #NoHateSpeech Netzwerk. 22. Juli schonmal im Kalender markieren: Launch unserer Website!<3 (@NoHateSpeechDE, 29.6.2016)

Als Leute wagten, diese semantische Neudefinition des Wortes »Hass« auf die Probe zu stellen, entgegnete das Familienministerium erfrischend direkt:

»Hass ist keine Meinung. Ende der Diskussion. #nohatespeech« (@BMFSFJ, 30.6.2016)

Es war offensichtlich der Geist der »Neuen Deutschen Medienmacher«, der hier aus dem Bundesministerium sprach. Wer Deutungshoheit beanspruchen will, darf sich nicht auf Diskussion herablassen.

Die kindisch trotzige Redefinition von »Hass« ist auf ihre Art bemerkenswert. – Betrachten wir sie genauer!

Das Wort »Hass« wird hier nicht definiert im engeren Sinn. Eine Definition sagt ja, was etwas ist. Hier wird nur gesagt, zu welcher Kategorie von Begriffen »Hass« angeblich nicht gehört. Es erinnert an Sätze wie »Delfine sind keine Fische«. Man sagt das, weil Delphine mit Fischen verwechselt werden könnten. Was aber will das Familienministerium uns sagen?

Betrachten wir den Begriff »Hass« genauer. Zuerst einmal ist Hass ein Gefühl. Doch das macht die NDM-Kampagne nicht sinnvoller. Werden hier Steuergelder investiert, um den Menschen ein Gefühl abzutrainieren? Es scheint fast so. Man könnte meinen, dass im ersten Schritt nicht das Gefühl entfernt werden soll, sondern nur seine Äußerung tabuisiert wird. Und da hat man ein Problem: Die Meinungsfreiheit ist in fortschrittlichen Gesellschaften ein hohes Rechtsgut. Für Organisationen wie die »Neuen Deutschen Medienmacher« ist allzu weit reichende Meinungsfreiheit ein Problem.

Es ist einfacher, einen Feind zu bekämpfen, wenn man ihn seiner inhärenten Rechte entledigt. Ein krasses Beispiel: Menschen haben Wert und Rechte an und für sich, auch die ekligsten unter ihnen. Deshalb haben Menschenhasser aller Zeiten immer versucht, ihren Feinden den Status »Mensch« zu nehmen. Ebenso hat auch die Meinung einen Wert an und für sich, und die Freiheit selbst der ekligsten Meinung wird in freien Gesellschaften geschützt.

Die »Neuen Deutschen Medienmacher« begegnen diesem »Problem« auf eine besonders direkte Weise: Sie klammern »Hass« einfach aus dem Begriffs-Skeptrum von Meinung aus. Damit wird alles, was man spontan als »Hass« bezeichnet, vogelfrei.

Natürlich ließe sich die These leicht zerschießen. Natürlich sind »Ich hasse Montagmorgen« oder »Ich hasse Nazis« eine »Meinung«.

Der »Hass« der NDM und ihrer »friends in high places« ist ein undefinierter, flexibler Terminus. »Hass« ist, was immer die Menschen an den Schalthebeln der Deutungsmacht als »Hass« bezeichnen. Pauschalurteile über Migranten sind »Hass«, Pauschalurteile über Pegida-Marschierer sind kein »Hass«. Anzünden von Asylbewerberheimen ist »Hass«, Anzünden von Familienautos ist kein »Hass«. Die Definition von »Hass« erinnert an die Definition von »Kunst«. »Kunst« ist, was etablierte Institutionen für »Kunst« erklärt haben. »Hass« ist, was etablierte Institutionen für »Hass« erklärt haben. Und diese Institutionen erklären Hass immer so, dass er erstaunlich präzise zur jeweils aktuellen Regierungslinie passt.

Es ist problematisch, wenn von Steuergeldern finanzierte Institute festlegen wollen, was unsere Worte bedeuten. Es sollte uns nervös machen, wenn diese Redefinitionen offensichtlich dazu dienen sollen, unsere Rechte zu beschneiden.
Doch es gibt ein noch größeres Problem. Die hier bekämpften Meinungen sind die Äußerungen eines Gefühls. Wenn Herzchen verteilt werden, wenn Menschen sich »No Hate« zuraunen und gemeinsame Zeichen anheften, soll mit unseren Steuergeldern unser Gefühl beeinflusst werden.

Wann haben wir als Gesellschaft debattiert und beschlossen, dass wir umerzogen werden wollen?

Sicher, nach dem Krieg gab es die »Reeducation«, da wurden die Deutschen umgepolt, um wieder anständige Bürger Europas zu sein. Doch abgesehen davon, dass wir heute gar nicht geklärt haben, ob wir erneut reeducated werden wollen: Haben wir überhaupt geklärt, was genau dieser »Hass« ist, der uns abtrainiert werden soll?

Es ist ja nicht nur das Familienministerium, das sich dem Krieg gegen den »Hass« verschrieben hat. Das Innenministerium empfiehlt die Pamphlete der Amadeu-Antonio-Stiftung – welche auch den Justizminister berät. Und es ist dieser geschätzte Heiko Maas, der sich schon lange vor den anderen Ministerien dem Kampf gegen »Hassbotschaften« verschrieben hat.

Es wurde an anderer Stelle angemerkt, wie problematisch es ist, dass die Regierung hier Zensur-Mechanismen zur Löschung von Meinungen an Gerichten vorbei installiert. Ein weiteres Problem scheint, dass Ministerien sich zur Durchsetzung von »positiven Gefühlen« beauftragt sehen.

Die Aufgabe der Politik, besonders des Innen- und Justizministers, ist es, für Recht und Ordnung zu sorgen. Gebt uns Rechtsstaat, nicht Liebe. Bekämpft Verbrechen, nicht »Hass«. Lasst Herzchen und Credos in Kindergärten und Meditationskreisen. Gebt uns kluge Gesetze und Richter, die sich auch dran halten. Gebt uns eine Polizei, die sich nicht von euch im Stich gelassen fühlt.

Auf der anderen Seite: In George Orwells »1984« ist es das »Ministerium für Liebe«, dessen Gedankenpolizei für Recht und Ordnung sorgt und Menschen auf Parteilinie »umdreht«. Insofern könnte man eure Liebes-Herzchen wieder auf erschreckende Weise passend finden.

In diesem Sinne: »No Hate!«

Weiterschreiben, Wegner!

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