Dushan-Wegner

07.02.2021

Liebes Land in labiler Lage

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von USGS
Die angeblich Guten halten sich für absolut gut – und damit jeden, der ihnen widerspricht, für die Ausgeburt des Teufels selbst. Wie aber sieht deren »Paradies« aus? Wie Berlin?
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Nein, der Teufel ist nicht hässlich, er humpelt nicht auf einem Bocksfuß umher, schief mit verzerrter Fratze übers Unglück der Glücklosen feixend.

Luzifer steht für den Lichtbringer. Bevor der Name für den Herrn der Fliegen stand (also vom hebräischen Beelzebub abgeleitet, einer Person des Ba’al, nicht vom Buch, das sich aber natürlich genau hierauf bezieht), vor all dem war Luzifer der Lateinische Name des Morgensterns – den Griechen hieß derselbe Eosphóros, der Bringer der Morgenröte. Das Licht des Morgens aber, wie auch der Morgenstern (wenn auch nicht die Ritterwaffe gleichen Namens) sind doch eher mit durchweg Positivem belegt!

Nach allem also, was der grübelnde Geist sich aus der Geschichte der Ideen und Ängste (sowie der Geschichten, die sich aus eben diesen speisen) erschließen kann – ja: erschließen muss! – nach all diesem dürfen – ja: müssen! – wir davon ausgehen, dass der Teufel wohl ein höchst ansehnlicher Kerl ist.

Ein gefallener Engelsfunktionär, der weiterhin mit Gott auf Augenhöhe spricht – siehe das noch immer unsere Kehlen zusammenschnürende Buch Hiob – ein solcher Engel bleibt eben  noch immer eben das: ein Engel!

Nach allgemein traditioneller (und im Einzelfall unreflektierter) Lesart ist das Gute besser als das Schlechte, und, ceteris paribus, das Angenehme dem Unangenehmen vorzuziehen. Mit solchen Selbstverständlichkeiten zu den Prämissen rechnend wird es dabei zum Rätsel in sphinxscher Dimension, wie die Berliner etwa meinen könnten, Berlin sei grundsätzlich und auch für Menschen mit Wahlmöglichkeit jeder einzelnen der vielen Millionenstädte Chinas vorzuziehen.

Falls Ihnen das eine oder das andere nicht präsent sein sollte – hier, via YouTube, ein Video zu Berlin: »BERLIN KREUZBERG – Ghetto, 36 Gang, Gewalt ⎮ Zwischen Drogen und Verbrechen ⎮ Max Cameo #HOOD«; und hier ein rohes Live-Video aus Shanghai, vom September 2020: »LIVE from Nightlife Street in SHANGHAI«

Sage ich, dass Shanghai besser sei? Ha, nein – ich kenne sehr wohl den ersten Satz der Juristerei, es käme stets »drauf an«, und wenn einer in meinem Fall nachfragt, worauf es denn ankommt, antworte ich damit – Sie wissen es gewiss – es käme auf die Relevanten Strukturen an (etwa: wie relevant ist Ihnen die Struktur »Sauberkeit«, et cetera).

Es wäre uns heute gut geraten, liebe Leser, liebes Land in labiler Lage, es erschiene mir heute sogar als eine dringend empfohlene Idee, eine gewiss sehr folgenreiche, da meist übersehene Doppelbedeutung ins ungeteilte Licht unserer Aufmerksamkeit zu stellen.

Manche Wörter sind bekanntlich Homonyme. Der Berliner etwa ist ja fürs Homonym-Sein bekannt. Und als wir als junge Burschen zum Zelten gingen, bereitete uns ebenfalls ein Homonym immer wieder große Freude. Das Wort »Berliner« nämlich kann sowohl Krapfengebäck bedeuten, als auch »die einzige Hauptstadt der Welt, ohne die es dem Staat wirtschaftlich besser ginge« bedeuten. Den Hering wiederum kennen wir sowohl als Speisefisch als auch als den Hering vom Zeltabenteuer, mit welchem man das Zelt im harten Boden befestigte, bevor man sich mit anderen Pfadfindern darin für die Nacht zurückzog – hach, damals, mit Lagerfeuern, Mundorgel und Fahrtenmessern. (Ich selbst kann mich nicht so recht mit Homonymen anfreunden, die mal männlich und mal weiblich daherkommen – sind das überhaupt richtige Homonyme? Konkret sei hier etwa »Tau« genannt, ein Wort, das je nach Geschlecht mal für die Wassertropfen steht, die sich sanft mit den Grashalmen wiegen, wenn sie im ersten Morgenlicht, das Luzifer über die Lichtung schickt, ganz prächtig glitzern, aber auch für das kräftige, raue und doch biegsame Seil, das der starke Seemann mit Schweiß auf Brust und Bizeps hoch in die Takelage trägt.)

Eine dieser Doppelbedeutungen aber ist uns meist gar nicht bewusst, und sie ist eigentlich eine Vielfach-Bedeutung, und dass sie uns nicht bewusst ist, das ist die Ursache mancher Großkonflikte vom Sündenfall über die Kubakrise oder 9/11 bis hin zur Verschwörung der Mächtigen, die den grabschenden Lügengreis an die Macht brachte. (Es ist doch keine »Verschwörungstheorie«, wenn sie es selbst sagen, siehe time.com, 4.2.2021: »The Secret History of the Shadow Campaign That Saved the 2020 Election«)

Jene durch ihre Unsichtbarkeit so gefährliche Mehrfachbedeutung ist die des Wortpaares »gut« und »das Gute«.

Wenn es im Sommer höllisch heiß ist, und wenn mir dann jemand eine perlende Flasche kalter Limonade reicht, dann finde ich das gut.

Und ein Gleiswärter, der einen Zug umleitet (wie er es praktisch tut, das sei hier egal), und wenn er den Zug derart geschickt umleitet, dass weder die auf dem einen Gleis angebundenen Leute umkommen, noch die auf dem anderen, sondern so, dass der Zug ins Gleiswärterhäuschen donnert, wenn also der Gleiswärter sich fürs Leben der Zuggäste und der diversen auf Gleisen angebundenen, gewiss sehr nervösen Menschlein opfert, auch eine solche Handlung nennt sich »gut«.

Oder wenn einer einen Geldschein verliert, dann findet er das nicht gut, aber das Findelkind, das das Geld findet, das findet das Finden sehr gut.

Wir sehen, wir sagen in mancherlei  Momenten dieses oder jenes sei gut, doch die Bedeutung scheint ganz wesentlich zu variieren.

Nun werden Sie als Leser der Relevanten Strukturen ahnen, dass »gut« (laut diesem Essayisten) meist in Wahrheit schlicht bedeutet, dass eine relevante Struktur gestützt wird (was die Relevanz zum Stellrad der Moral macht, kein Zweifel – dieses Stellrad zu bedienen ist die ganze Aufgabe von Propagandisten und anderen Verkäufern).

Jedoch, nicht immer wird die Angabe der jeweils betroffenen Struktur weggelassen, weil sie offensichtlich ist (wie etwa wenn in Berlin wieder mal ein spontanes Autorennen ungut endet).

Bei Gelegenheit wird die Angabe der relevanten Struktur weggelassen, weil man annimmt, das Gute sei eine absolute und handlungsinhärente Eigenschaft, und die jeder Relevanzfeststellung implizite  Begründungsforderung sei (manchmal wörtlich) eine Blasphemie – und das ist der Punkt, aus welchem Islamisten, Journalisten und all anderen Isten ihre innere Rechtfertigung schöpfen, die vermeintlich »Bösen« aus Matthäus 7:12 herauszunehmen.

Wir sagen »gut«, und wir meinen: »Es passt uns in den Kram«. Und dann sagen wir wieder »gut«, und wir meinen: »mit einer metaphysisch erhabenen und nicht sinnvoll anfechtbaren Qualität behaftet, die ausnahmslos und aus innerem Prinzip jeder anderen Qualität überlegen ist (und also zu jeder sie stützenden Handlung rechtfertigt, und sei es zum Massenmord an Millionen)«.

Das klitzekleine Problem solcher Bedeutungsvielfalt des kurzen Wörtleins »gut«, ist eben nun, dass wir die Bedeutungen verwechseln (wollen?) – dass manche Ideologie und auch Weltreligion auf die Sinnhaftigkeit dieser zweiten Bedeutung baut – ohne je zu prüfen (oder prüfen zu dürfen), ob sie überhaupt einen Sinn ergibt.

Die Grenzen offen zu halten ist angeblich gut. Andersdenkende zu bekämpfen ist angeblich gut. Kinder für die Toleranz zu opfern ist wohl auch gut. Und, ganz aktuell, im »neuen Normal«, da ist natürlich wieder dieses oder jenes angeblich »gut«, und jeder Abweichler gleicht gleich im Kern dem unmaskierten Pudel.

Ich höre heute die Großkopferten, die Gerneguten und all die anderen grantigen Gretas, und sie tun mir viel zu gewiss, im Besitz göttlichen Wissens ob des Guten zu sein – und ich habe Zweifel.

Ich wage heute, eine neue Regel aufzustellen: Wenn die Großen vom Guten reden, meinen sie doch stets das Nützliche – und wem das Nützliche nützlich ist, das brauchen wir sie nicht zu fragen.

Dies soll das beste Deutschland aller Zeiten sein, das Deutschland des größtmöglichen Gut – ich habe Zweifel.

Dort, wo die Menschen anders Denken, als die Journal-, Kommun– und Propagandisten es uns empfehlen, da soll es die Hölle sein – ich habe Zweifel.

Die sogenannten Guten halten sich heute für in derart hohem Grade gut, dass ihre Denkart das logischerweise kurz vor Vollendung stehende Paradies sein müsste. (Warum wirken sie dann aber stets so bitter, bei Gelegenheit zwar überdreht, doch eigentlich nie glücklich?)

Wenn jene aber die gutesten der Guten sein sollen, dann bin ich, der ich mit geradezu lasterhaftem Stolz mich zu deren Widersachern zähle, ein Einwohner der Hölle.

Die Hölle glitzert, liebe Freunde, sie ist bunt und funkelnd, und unangenehm ist sie erst, wenn und falls man des  Glitzerns überdrüssig wird (und dann bleibt einem noch immer Berlin, was wohl das wahre Paradies wäre).

Nein, der Teufel doch ist nicht hässlich, dieser freche Kerl, der immerzu widerspricht, der stört und zu allem eine Gegenmeinung hat.

An manchen Tagen meine ich, mit dem Teufel sogar zu Mittag eine kalte Limonade trinken zu können.

Und an anderen Tagen, wenn es viel zu früh am Morgen ist, dann sage ich zu ihm: Wer bist du, und was tust du in meinem Badezimmerspiegel?

Weiterschreiben, Wegner!

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