Dushan-Wegner

03.08.2020

Musk, Altmaier und Markenhemden

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Juskteez Vu
Musk will die Zivilisation durch Weltraumflug retten. Altmaier will die Innenstädte durch billigere Markenhemden retten. Ich wäre ja schon froh, wenn wir einfach nur etwas weniger unklug wären.
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Die Quarantäne war vorbei. Es war warm und es war Wochenende – und so wollten wir unseren ersten großen Fahrrad-Familienausflug seit vielen Wochen unternehmen.

Ein großartiger Ausflug sollte es werden! Wir versprachen den Kindern ein Eis – und uns, den Eltern, einen Snack in der Sonne, mit dem Horizont im Blick und einem perlenden Kaltgetränk in der Hand.

Wir entstaubten die Rucksäcke und wir planten die Reiseroute – wir waren voller Vorfreude wie Hunde, die nach der Nacht und mit voller Blase vor der Haustür umherhüpfen, weil sie bald endlich nach draußen dürfen.

Und dann holten wir die Fahrräder aus dem Stauraum – doch was mussten unsere eben-noch-vorfreudigen Augen da sehen!

Es zogen sich, so buchstäblich wie symbolschwanger! – graue Spinnweben über Lenker, Rahmen, Sattel und sogar die Räder! Den Reifen fehlte die Luft und meine Schaltung schien etwas schwergängig (auch die am Fahrrad). Nein, mit diesen Fahrrädern ließ sich nicht fahrradfahren, nicht genussvoll, nicht in diesem Zustand.

Die Freude auf den Ausflug war erst einmal fortgepustet und die Pläne hinweggefegt, denn zuerst stand es an, Staub und Spinnweben von den Rädern wegzupusten (und dann vom Boden aufzufegen), alle Reifen neu aufzupumpen, Schaltungen wie Bremsen frisch einzustellen und alles Schaltende und Ziehende mit ein paar Tröpfchen Öl neu zum Leben zu erwecken.

Ach, all unsere großen Ziele sind nur Träume – um nicht »Geschwätz« zu sagen – wenn unsere Reifen platt sind und unsere Werkzeuge stumpf.

Markenhemden in der Innenstadt

Wo wir gerade von Träumen reden – zwei große Visionäre lassen uns heute von ihren Visionen reden (wenn nicht sogar: träumen): Ein Herr Elon Musk und ein Herr Peter Altmaier.

Herr Elon Musk erklärte dieser Tage:

When space travel becomes as common as air travel, the future of civilization will be assured (@elonmusk, 2.8.2020)

Ins Deutsche übertragen:

Wenn die Raumfahrt so normal wird wie die Luftfahrt, wird die Zukunft der Zivilisation gesichert sein (@elonmusk, 2.8.2020)

Zigtausende verbreiteten die Botschaft weiter.

Relativ wenige fragten: »Äh, Herr Musk mit dem großen Talent für nicht minder große staatliche Hilfen (vergleiche etwa zeit.de, 12.2.2020) – warum soll das eigentlich so sein?« (Wir werden das gleich prüfen, doch zunächst zu einem deutschen Visionär, einer Art »Elon Musk des Regierungskabinetts«.)

Herr Altmaier will, so wird berichtet (etwa in spiegel.de, 3.8.2020), »die öden Fußgängerzonen deutscher Städte wieder attraktiver machen«, und zwar mit »neuen Konzepten«.

»Wir müssen den Geschäftsinhabern in den Innenstädten dabei helfen, ihre Kundenbeziehungen so zu digitalisieren«, sagt Herr Altmaier – und wir ahnen, was das bedeutet: Die Regierung könnte absurde Millionen an eine befreundete Agentur verschieben, und am Ende erhalten wir eine humpelnde Online-Plattform, die zwei Schüler am Wochenende besser hinbekommen hätten, irgendwas zwischen Corona-App und Bundeswehr-Gerätepark. Das Produkt wird dann vor freundlicher Presse präsentiert, man lobt einander, drei Meldungen erscheinen – und dann wird das online verödende Projekt schnell beerdigt.

Aber nein, wir sollten nicht feige und maßlos mutmaßen – wie stellt sich Herr Altmaier in seinen eigenen Worten das eigene Anliegen vor?

»Wenn zum Beispiel ein Kunde ein Markenhemd online bestellen möchte, sollte er das nicht unbedingt beim Hersteller tun müssen, sondern die Möglichkeit haben, zum gleichen Preis auch über den Einzelhändler seiner Wahl online zu kaufen«, so zitiert spiegel.de, 3.8.2020 den klugen Herrn Altmaier.

Man weiß gar nicht, wo man ansetzen soll. Der deutsche Herr Wirtschaftsminister meint offenbar, dass Deutsche in größeren Zahlen edle Markenhemden direkt beim Hersteller kaufen, und dass sie dann lieber dieselben Hemden umständlich in der Innenstadt abholen würden, und dass zu initiieren irgendwie die mangelnden Attraktivität mancher Innenstädte beheben könnte.

Herr Musk klingt gelegentlich so, als lebte er geistig bereits auf dem Mars, doch das ist nichts gegen Herrn Altmaier, der in seinem ganz eigenen Universum verweilt.

Natürlich willkommenes Futter

Vertun wir uns keine Sekunde lang: Sowohl Musk als auch Altmaier tun und sagen, was ihnen (ihrer wohl nicht ganz falschen) Einschätzung nach zum Vorteil gereicht.

Herr Altmaier wendet sich an Menschen, die hochwertige Hemden zu schätzen wissen (aber nicht genug, um sich eins nach Maß nähen zu lassen), die vielleicht sogar selbst ein Markenhemd online kauften, und er will diesen einreden, dass es allein der Preis war, warum sie zuletzt lieber bestellten als in der Innenstadt zu parken, sich von missmutigen Verkäufern anraunzen zu lassen, das von drei anderen Leuten anprobierte Hemd nochmal anzuprobieren, und schließlich schnell wieder aus der Innenstadt zu verschwinden, bevor die »Partyszene« mit den Randalen beginnt.

An wen wendet sich Elon Musk mit seiner »Vision«? Musk scheint sich vermutlich an junge Männer zu wenden, die gern mal eine Kräuterzigarette genießen (vergleiche MSNBC via YouTube) – dazu natürlich an alle älteren Herren, die ihrer Kräuterzigaretten-Zeit hinterhertrauern – und in dieser ohnehin dem Eskapismus zugeneigten Zielgruppe ist eine eher unscharfe, aber grandiose Behauptung wie die von der Zukunft des Menschen im Weltall natürlich willkommenes Futter.

Beide, Altmaier wie Musk, wollen gehört werden. Beide jedoch, wollen – so vermute ich – gar nicht erst ernst genommen werden, zumindest nicht in ihren Satzfragmenten. Tun wir den Herren doch den ersten Gefallen, den zweiten aber nicht, und fragen wir: Ergibt das Sinn, was die sagen?

Alte eingeschlagene Schädel

Musks cooler Spruch zeichnet eine radikale andere Zukunft, eine radikal neue. Altmaiers hausbackene Ansagen wollen mit Hilfe digitaler Technologie zurück in eine Vergangenheit.

Wir alle ahnen, dass beide eher impressionistische Gefühlskunst aus Worten pinseln. Und ich denke, dass sie beide aus demselben Grund nicht realistisch sind.

Musks Weltraumvisionen und Altmaiers Vorwärts-in-die-Vergangenheit-Version sind aus demselben Grund falsch, warum das Geld in Venezuela wie Konfetti auf den Straßen liegt und der Sozialismus jedes einzelne Mal scheitert: Die vorgeblich großen Vision ignoriert die Psyche des Menschen, sowohl des Einzelnen, wie auch des Menschen, der in der Gruppe zur »Herde« wird.

Der Mensch ist nicht klug genug für manche Technologie, die er sich selbst erschafft, nicht weise genug und gewiss nicht gütig genug. Wir fanden dreißigtausend Jahre alte eingeschlagene Schädel, eingeschlagen mit einer Keule, der modernen Technologie ihrer Zeit (doi.org, 3.7.2019). Manche Technologien legt der Mensch ab, weil sie sich überlebt haben (etwa Telegraphen oder gedruckte Zeitungen), andere Technologien legt der Mensch ab, weil sie gefährlich sind (etwa Asbest-Isolationsstoff), andere behalten wir bei und bauen sie sogar aus, weil sie den Mächtigen nutzen, obgleich sie hoch gefährlich sind (etwa das Fernsehen und Nuklearwaffen).

Nicht allzu sommersonnenschein

Auch Innenstädte sind eine Art »Technologie«, und zwar eine Technologie, welche Begegnung möglich macht, den Austausch von Waren, von Dienstleistungen und Information. Menschen lehnen heute zunehmend die Technologie »Innenstadt« ab, zumindest außerhalb der Großstädte, und sie haben gute Gründe dafür.

Die in der Innenstadt zu kaufenden Waren sind daheim mit weniger Risiko und Aufwand zu erwerben. Die spannenden, lokalen Händler werden verdrängt durch die Filialen von Konzernen mit ganz anderen Kosten- und Steuerstrukturen, die bei Umsatzeinbrüchen dann auch schnell wieder gehen können. Durch die Corona-Maßnahmen stirbt eine Reihe von Händlern, denen es schon davor nicht allzu sommersonnenschein ging.

Traditionelle Cafés und Restaurants werden von Auflagen und Kosten gewürgt – und wenn sich günstige Leerstände auftun, werden sie nicht selten schnell von Handygeschäften, Wettbüros und der auf diese Kundschaft spezialisierten Gastronomie wieder geschlossen – eher selten Kundschaft, die teure Markenhemden erst im Internet bestellt und dann vor Ort abholt.

Die Gesellschaft hat sich verändert, auch auf Betreiben des Merkelfortsatzes Altmaier hin. Es lässt auf wenig Nähe zu dieser Realität schließen, wenn Altmaier ernsthaft meint, das Problem der Innenstädte sei der Preis der Markenhemden.

Was für Hemden trägt eigentlich Elon Musk? Noch wichtiger: Ergibt es Sinn, dass die Zukunft der »Zivilisation« im Weltall liegen soll? Nun, wenn man genug Kräuterzigaretten raucht und Science-Fiction-Filme guckt, mag das wie ein sinnvoller Satz klingen – doch man begeht denselben Fehler wie diverse Linke, die zu Schlächter wurden: Man erfindet eine coole Technologie (etwa: Sozialismus, Raumfahrt, manche sagen: Massenimpfungen) – und man erwartet von den Menschen, dass sie sich der Technologie anpassen.

Von A nach B gelangen

Auch die Zukunft hat eine Vergangenheit – sprich: die Kulturgeschichte ist reich an Vorhersagen ob der Zukunft, und sie sind oft naiv. Fliegende Autos würde es geben, so hieß es (erstes aber wahrlich nicht einziges Problem dabei: ein bodengebundenes Auto mit Panne ist meist nur ein Verkehrshindernis, ein fliegendes Auto mit Panne wäre praktisch jedes Mal eine Katastrophe). Düstere Zukunfts-Szenarien versprachen uns die Hölle auf Erden (und streckenweise setzten wir sie auch um), allzu optimistische Zukunfts-Visionen träumten von einer weltumspannenden Gesellschaft friedlicher, weiser Menschen, mit wirksamer Medizin und guter Nahrung für alle Menschen, mit philosophischen Debatten statt Krieg und Kabbeleien.

Die reale Zukunft ist, von teils brutalen Schlenkern abgesehen, seit jeher meist nur ein Durchwurschteln mit immer besserer Technologie. Es hat seine eigene Ironie, eine echte Samsara-Kreis-Qualität, dass das liebste Spielzeug der Menschheit, das Smartphone, im Prinzip die bislang fortschrittlichste Version des Faustkeils ist (in den neuesten Varianten des iPhones bietet Apple übrigens vermutlich wieder verstärkt kleinere Modelle an, wie das iPhone SE und das iPhone 12 in 5,4 Zoll (siehe macrumors.com, 8.7.2020) – es scheint, dass es tief im Menschen verankert ist, sein Universalwerkzeug in einer Faust halten zu wollen).

Ich denke nicht, dass die Innenstädte dort, wo sie sterben, wiederbelebt werden können. Wer soll dort denn hingehen? Markenhemdenkäufer, sagt Herr Altmaier, okay – aber wer noch?

Ich bezweifle, dass wir in dieser Geistesverfassung in das Weltall fliegen können. Wir Menschen ertragen ja kaum, einige Wochen daheim Online-Videos zu gucken und nur mit Maske in den Supermarkt zu gehen – und wir sollen über Monate oder gar Jahre auf Raumschiffen überleben?

Wer mit dem Fahrrad von A nach B gelangen möchte, der braucht ein fahrtaugliches Fahrrad.

Eine Gesellschaft, die in einer lebenswerten Zukunft ankommen (oder auch nur überleben) möchte, braucht Denkweisen, welche ihr das Überleben und das Ankommen auch sichern.

Einen Tag später haben wir schließlich unseren Fahrradausflug unternommen. Wenn das Fahrrad funktioniert und die Beine einigermaßen halten, kann man auch ans Ziel gelangen (wenn man denn ein Ziel hat)!

Kampfeslustiger und schlauer

Nein, wir werden nicht die alten Innenstädte wieder zum Leben erwecken, nicht in der Zeit von Amazon-Lieferdiensten, Heimkinos und Partyszene. Was noch funktioniert, funktioniert noch, was vorbei ist, ist vorbei. Wir werden auch nicht so bald in der Lage sein, auf fremde Planeten zu fliegen (die materiellen Ressourcen dafür ließen sich vielleicht unterwegs auf Asteroiden einsammeln, die geistigen Ressourcen derzeit nicht einmal auf der Erde).

Wenn unsere Zivilisation überleben will, wird sie weiser und klüger werden müssen – oder sie wird ersetzt werden, von einer anderen Zivilisation, die kampfeslustiger und schlauer ist.

Ich für meinen Teil halte es seit bald eineinhalb Jahrzehnten für die drängendste »Überlebenstechnologie«, sich der Mechanik seiner ethischen Entscheidungen bewusst zu sein, seine »relevanten Strukturen« zu sortieren, Ordnung in seine Kreise zu bringen – wir werden heute und in Zukunft noch mehr aufgerieben von Kräften, die sich ihrer relevanten Strukturen sehr eindeutig bewusst sind (und wir sind keine davon).

Nein, billigere Hemden in der Einkaufsstraße werden uns nicht retten, und das Weltall erstmal auch nicht. Wenn du eine Fahrradtour unternehmen willst, repariere zunächst dein Fahrrad. Wenn du in einer lebenswerten Zukunft ankommen willst, ordne zunächst dein Denken, deine Kreise, deine relevanten Strukturen.

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