Man stellt sich heute ja so manche Frage. Einige Fragen beginnen mit: »Muss ich?«, andere Fragen mit: »Darf ich?« – Etwa: »Darf ich noch?«, oder: »Darf ich wieder nicht?«
Konkret, als fiktives Beispiel: Darf ich über die Möglichkeit von Widerstand reden? Darf ich in Gedanken einer angeblichen Pflicht widerstehen? Darf ich mich einer (impliziten/angedrohten/kommenden) Pflicht entziehen, und so Widerstand durch Verweigerung leisten? (Einige unter uns antworten hier bereits: Du musst!)
»Widerstand«, gehört zu jenen Begriffen und Ideen, die als gut und edel gelten, solange sie in der Vergangenheit stattfanden – oder in fernen Ländern noch immer stattfinden, gegen Regimes, die wir für »böse« erklärt haben.
Widerstand gilt als gut – aber nur im Geschichtsunterricht, weil und solange es nicht aktuell ist. Das Aktuelle aber gilt den aktuellen Strippenziehern immer als gut, zumindest soweit sie selbst es entfachen – und Widerstand gegen das Aktuelle muss demnach logischerweise böse zu nennen sein.
Noch eine Darf-ich-Frage: Darf ich sagen, dass Politiker lügen? Darf ich diese Form des »Widerstands in Worten« leisten?
Ein alter Witz, heute auf Politiker angewandt: Woran erkennt man, dass ein Politiker lügt? Seine Lippen bewegen sich.
Hahahaha?
Nein, es ist nicht witzig. Ein Witz benötigt ein Element der Verfremdung, darf nicht lediglich die Realität-wie-sie-ist beschreiben.
Man kann sich nicht darauf verlassen, daß das, was vor den Wahlen gesagt wird, auch wirklich nach den Wahlen gilt, so sagt man wörtlich in Berlin. Wer von uns aber zu den Bürgern gehört, die nicht angelogen werden mögen, der könnte in diesen Tagen mit dem Ganzen System von Wahlen, Demokratie und den sogenannten »Werten« der Verfassung fremdeln. (Bitte einmal aufzeigen: Wer hier glaubt noch an die Unabhängigkeit aller Behörden, die »Verfassung« im Namen tragen?)
»Darf man über ›Lügen‹ reden?«, so fragte ich einst, und gemeint war der Auswurf aus Deutschlands Redaktionen. Damals verhandelten wir noch die Frage, ob man von »Lügenpresse« reden darf. Man mag es kaum glauben, wenn man sich selbst seufzen hört: Unschuldigere Zeiten.
Handelt es sich bei unseren demokratischen Regierungen um lügende Systeme, welche von vornherein solche Leute anziehen, die zu einer bestimmten Art des »Irrtums« neigen? Sind Politiker und Journalisten von ähnlicher moralischer, äh, »Verfassung«? Es würde die ins Erotische gleitende Nähe von Politik und Presse mit-erklären. (Wir sollten solche Vergleiche sparsam dosieren; ein »Lügner« genannt zu werden ist unschön, ein viel härterer Tobak wäre der Vergleich mit Journalisten.)
Die neue Regierung ist noch nicht einmal im Amt, und schon hört man ohne viel Widerspruch das Wort: »Lügenregierung«.
Vor der Wahl schlossen sie alle eine Impfpflicht aus – heute wird darüber geredet, ohne dass die sogenannte Demokratie implodiert. Man könnte philosophisch werden wollen: Ist es eine Lüge, wenn vorher bekannt ist, dass es eine Lüge ist?
Ein Land, wo einem Demonstranten schon mal von der Polizei ins Gesicht getreten wird, wo die Vernichtung der Existenz von Abweichlern hingenommen wird – wie es wohl die Impfpflicht durchsetzen wird?
Sind also alle Dinge heute böse? Nein, eine Sache ist gut: Menschen entdecken ihr Rückgrat wieder. Menschen spüren wieder, dass etwas da ist, das sie aufrecht hält.
Wir wissen nicht, ob wir Rückgrat haben, bis wir getestet wurden.
Man fragt sich so manches heute – und einiges nicht nur heute: Wie würde ich reagieren, wenn die Regierung mich dazu zwingt, etwas zu tun, was mir zutiefst zuwider ist.
»Wie hätte ich?«
»Hätte ich nicht?«
Sagen wir mal so: Es gibt kein Leben im Konjunktiv.
»Wirst du?«
»Wirst du nicht?«
Das Stechen, das du heute vielleicht im Rücken spürst, es könnte dein Rückgrat sein, vielleicht auch dein Selbstbewusstsein, ein blanker Anstand, dein Respekt vor dir selbst.
Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht, so belehrt uns Brecht. Jedoch, der Brecht war eher so kommunistisch – in den heutigen Gegenteilzeiten würde man ihn des Rechtspopulismus zeihen.
Ich bin ein Freund von Pflicht, kein Zweifel. Die Pflicht, die ich meine, ist eigentlich die Pflicht, die ich selbst umreiße, die ich selbst in mir finde, die Pflicht, die mit mir kongruent ist.
Man fragt sich heute ja so manches. Man fragt sich, was man tun, sagen oder auch nur denken darf – ich frage mich, was ich tun soll – was wirklich meine Pflicht ist.
Frage nicht die ollen Schummler, nicht die charismatischen Laberer, nicht die rustikalen Hastdunichtgesehens.
Frage dein Gewissen. Und wenn du schon fragst, wenn ihr schon im Gespräch seid, dein Gewissen und du, dann bedränge deine Seele, dir dein Rückgrat gerade zu machen, gerade und stark.