Dushan-Wegner

20.03.2022

Was die da so mischen

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Foto von Milad Fakurian
Ukraine und Corona bestimmen die Nachrichten. Im Schatten von Krieg und Virus aber bereitet die deutsche Regierung weitere Maßnahmen gegen Abweichler vor – man spricht von »Verschwörungsideologien« und mischt es mit »Rechtsextremismus«. Ein Schelm…
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Eine der Eigenschaften, die Sie und mich vereint, liebe Leser, ist der Schmerz, den uns offensichtliche Widersprüche und öffentlich zelebrierte Heuchelei bereiten.

Wenn dem nicht so wäre, bräuchten Sie ja nicht die Katharsis, die ich Ihnen anbiete, indem ich dieses Auseinanderklaffen von altem Anspruch und neuer Realität beschreibe und in adäquaten Kontext setze.

Das ist, was ich Ihnen auch heute anbieten will. Etwas Beschreibung, etwas Kontext und Schilderung des Widerspruchs, und dann hoffentlich etwas Katharsis, die »seelische Reinigung«, welche nach Aristoteles die schlüssig vorgetragene Tragödie uns bescheren kann (siehe Wikipedia).

»politische Ideologien und Aktivitäten«

Der Posten des deutschen Innenministers wird aktuell von der SPD besetzt, und es ist für Demokraten und Freunde der Freiheit genauso gruselig, wie man es erwartet hätte.

Innenministerin Nancy Faeser (SPD) stellte in diesen Tagen an der Seite von Verfassungsschutz-Chef Thomas Haldenwang (CDU) ihren 10-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus vor.

Auf der Website des Innenministeriums (Stand 20.3.2022) wird in einer Grafik gelistet, was man augenscheinlich unter »Rechtsextremismus« versteht: »Faschistische, neonazistische oder chauvinistisch-nationalistische politische Ideologien und Aktivitäten«. Uff.

Wer legt fest, wer die Kriterien dieses Wortgemüses erfüllt und also »bekämpft« werden muss? Das werden wohl die aus dem Staatsfunk bekannten »Rechtsextremismusforscher« sein, die »linksextrem« zu nennen nach manchem Gefühl eine Verharmlosung dieser »Experten« wäre.

»Wir werden rechtsextreme Netzwerke zerschlagen«, verspricht Frau Faeser. Man will »Hetze im Internet entschieden bekämpfen, um den Nährboden von Hass und Gewalt auszutrocknen«. (bmi.bund.de, 15.3.2022)

Kann oder will

Es ist inzwischen Allgemeinwissen, dass »Hass« und »Hetze« in Deutschland ein politisches Codewort für »abweichende Meinung« ist. (Siehe dazu etwa den Essay »Deine Meinung ist Hass, und Hass ist keine Meinung« vom 21.3.2018 – und manch anderen meiner Essays.)

Der rhetorisch-politische Trick, dessen sich Gestalten wie Nancy Faeser bedienen, ist die Vermischung von tatsächlich illegalen Äußerungen mit legitimen Meinungen, die bloß dem linken Zeitgeist oder den Interessen gewisser NGOs entgegenstehen (etwa darauf zu bestehen, dass Deutschland seine Grenzen schützt, oder dass Gesetze für alle Einwohner gleich gelten und durchgesetzt werden).

Wer sein politisches Handeln nicht verbessern kann oder will, der sieht sich bald gezwungen, gegen störende Meinung vorzugehen – und das kann er tun, indem er begründete, aber für den Politiker unangenehme Meinungen und Vorhersagen kriminalisiert.

Eine andere Frage

Die Erfahrung lehrt, dass man manche Politiker nur lange genug reden lassen muss, bis sie einem sagen werden, was sie wirklich beabsichtigen.

Auf der zitierten Seite bmi.bund.de, 15.3.2022 finden wir auch diese interessante Formulierung: »Wir werden Verschwörungsideologien entkräften«.

Oha!

Bei der Wortwahl »Verschwörungsideologien« schrillen im Kopf des bewussten Nachrichtenlesers die Alarmglocken. »Verschwörungsideologie« ist wohl der neueste Versuch, das bewährte Wort »Verschwörungsstheorie« böse klingen zu lassen, während man den Kern erkennbar hält. Andere Freunde des geistigen Gleichschritts verwendeten zuletzt auch »Verschwörungsmythos« oder »Verschwörungserzählung«, um das Wort »Theorie« zu vermeiden.

Bekanntlich ist eine Theorie, die von der Realität bestätigt wird und zuverlässig richtige Vorhersage trifft, mit guter Wahrscheinlichkeit die Wahrheit.

Ich kann sogar verstehen, wenn Politiker das Wort »Theorie« hier aus dem Sprachgebrauch herausnehmen wollen, und es deshalb mit »Mythos«, »Erzählung« oder »Ideologie« ersetzen wollen. – Wir wollen es so kommentieren: Wenn du statt »Schwerkraft-Theorie« liebe »Schwerkraft-Mythos« oder »Schwerkraft-Ideologie« sagst, fällt der Apfel dir dadurch nicht weniger hart auf den Kopf. Ob du aber dann (oder generell…) begreifst, woher deine Kopfschmerzen stammen, das ist eine andere Frage.

Vergessen wir nicht: Sowohl die Gefahr durch Corona selbst (siehe Essay vom 13.3.2020), als auch bevorstehende »Einschränkungen des öffentlichen Lebens« (@bmg_bund, 14.3.2020) als auch die Möglichkeit einer Impfpflicht (zdf.de, 6.5.2020) galten als »Verschwörungstheorien« von »Rechten« (siehe etwa zdf.de, 6.5.2020; @mpkretschmer, 5.5.2020).

Sarkastisch gesinnte Zeitgenossen sagen heute: »Verschwörungstheoretiker brauchen neue Verschwörungstheorien, denn die alten sind alle wahr geworden.« – Die Regierung antwortet, sinngemäß: »Versucht es nicht einmal, wir haben genug von euren allzu wahren Vorhersagen.«

Nicht abgesegnet

Der deutsche Propagandastaat von 2022 stellt sich begrifflich in die wenig rühmliche Tradition von NS-Zeit und DDR (Essay vom 23.7.2018), wenn und indem er den Begriff »Hetze« bzw. »Hetzer« als rhetorisches Kampfmittel gegen abweichende Meinung einsetzt. (Zum Begriff »Propagandastaat« siehe den Essay vom 27.11.2020)

Und nun, im publizistischen Schatten des Ukraine-Krieges (wo der Westen tatsächliche Neonazis fördert, wenn sie nur gegen Putin kämpfen, siehe etwa dw.com, 17.3.2020), unternimmt Deutschland einen weiteren Schritt in Richtung totale Gedankenkontrolle.

In der Ukraine werden Nationalisten gefeiert, auch von uns, wenn und weil sie ihre Nation verteidigen – in Deutschland wirst du als »Rechtsextremist« bekämpft, wenn du eine absehbare Wahrheit ausspricht, bevor die Regierung so weit ist, sie endlich zuzugeben. (Der ukrainische Botschafter besteht übrigens tapfer darauf, das Asow-Regiment zu preisen, weil die Russen sich vor denen »in die Hose machen«; @MelnykAndrij, 20.3.2022. Es grenzt nur leider an Absurdität, in einem Land, in welchem bereits leise Kritik an linker Einheitsmeinung als »faschistisch« gilt, es verteidigen zu wollen, wenn tatsächliche Nationalisten ihre Nation verteidigen.)

Die vom Innenministerium behauptete Supergefahr des tatsächlichen Rechtsextremismus ist vermutlich keine (ganz so große). Wie Rechtsanwalt Steinhöfel (@Steinhoefel, 15.3.2022) notiert, entspricht etwa die Anzahl der neu eingeleiteten Ermittlungsverfahren einem Mini-Bruchteil im Vergleich etwa zur Gefahr des militanten Islamismus.

Worum geht es also dann? Es geht um Macht, um Macht durch Deutungshoheit und enge Meinungskorridore.

In Deutschland gerätst du ja als potenziell »rechtsextrem« und »faschistisch« in das Visier von Innenministerium, Verfassungsschutz und Kampf-Journalisten, wenn du aussprichst, was die Spatzen von den Dächern pfeifen (»Verschwörungstheorie/-erzählung/-mythos/-ideologie«), aber von der Regierung nicht abgesegnet ist.

(Nicht) das Problem

So weit also, liebe Leserinnen und Leser, die Beschreibung eines Fragments der Gegenwart – sowie ihrer Widersprüchlichkeit.

Ich habe keinen kurzfristigen Ausweg anzubieten (ich empfehle aber weiterhin langfristige Besinnung auf das, was einem wirklich wichtig ist). Ich habe meinen Schmerz ob dieses Widerspruchs und Widersinns so präzise beschrieben, wie es mir hier geboten erschien.

Für jetzt will ich Ihnen nur versichern, dass nicht nur Sie über diese Angelegenheit den Kopf schütteln. Sie mögen sich einsam fühlen ob eines solchen Übermaßes und übergroßen Unsinns, doch Sie sind nicht allein. Ich selbst tröste mich damit, dass so lange mein Verstand wie auch mein staatsbürgerliches Gewissen hierüber erzürnen, ich zumindest noch in der Seele lebendig bin.

Wer sich über Unsinn und Unrecht noch zu empören weiß, der spürt darin auch, dass seine Seele noch lebt, dass er noch nicht im Innern hohl und leblos geworden ist – und das hat er leider einigen seiner Mitbürger voraus.

Oder, in Kürze: Das Problem ist nicht, dass du wütend bist – das Problem ist, wie viele deiner Mitbürger nicht wütend sind.

Weiterschreiben, Wegner!

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