Ich hatte gerade den zwölften Geburtstag gefeiert, und ich freute mich auf ein anstehendes Pfadfinderlager. Mein Fahrtenmesser lag bereit, meine Uniform und mein Schlafsack. Wir hatten, wie es sich gehört, den Aufbau der Kohten geübt und den Bau der Feuerstellen, die Bestimmung der Pflanzen und die Bestimmung der Marschrichtung mit Kompass und Karte sowieso. (Heute steige ich ins Auto, folge dem Navi, steige wieder aus, und habe null Ahnung, wo ich entlang gefahren bin. Nun ja.)
Wir Pfadfinder freuten uns aufs Zeltlager, doch unsere Freude sollte bald abgebrochen werden. Eltern telefonierten, berichteten einander die Nachricht, die das Jahr prägen sollte: In Tschernobyl war ein Atomreaktor explodiert und die Eltern hatten Bedenken, uns in der mitteleuropäischen Natur zelten zu lassen, im Gras und im Wald umher zu laufen, Pilze zu sammeln und zu bestimmen – all das war erstmal tabu, denn die Natur war, so hieß es, giftig geworden.
Ein Jahr für Technophobe
Wer schon immer Zweifel an der Allgütigkeit technischen Fortschritts hegte, dem bestätigte 1986 seine Angst. Gleich zu Beginn des Jahres explodierte die US-Raumfähre Challenger – wer damals lebte, erinnert sich an die Bilder vom weißen Rauch vor blauem Himmel. In Bangladesch ging später eine Fähre unter (etwa tausend Tote). In Mexiko flog eine Boeing gegen einen Berg (166 Tote) und man hörte von einer Douglas DC-9, die über Kalifornien mit einem Kleinflugzeug zusammenstieß (67 Tote in der Luft, davon 10 Kinder, 15 Tote am Boden). Im schwarzen Meer ging ein Kreuzfahrtschiff unter (432 Tote). Das Löschwasser eines Brandes bei Sandoz in der Schweiz verseuchte den Rhein. In der DDR, Flughafen Berlin-Schönefeld, stürzt eine Aeroflot mit vielen Schülern ab, während die wartenden Eltern zuschauen. Und dann war da natürlich Tschernobyl.
Ursachen
Eine Reihe der 1986er-Katastrophen gehen wohl auf menschliches Versagen zurück. Man liest etwa vom falschen Gebrauch von Schrumpfpistolen die zum Glutherd führten und von Piloten, die ohne Freigabe in Kontrollzonen einflogen. – Wir wollen hier zwei Katastrophen erwähnen, die Teil des globalen kollektiven Gedächtnisses wurden.
Die Ursache der Tschernobyl-Katastrophe war wohl, neben dem strukturell unsicheren Reaktorkonzept, die Missachtung von Sicherheitsvorschriften bei der versuchsweisen Simulation eines Ausfalls externer Stromversorgung (siehe »Verbrannte Seelen: Die Katastrophe von Tschernobyl« des AKW-Ingenieurs Grigori Medwedew).
Ursache der Challenger-Katastrophe war technisch wohl das Versagen von Dichtungs-O-Ringen an der Feststoffrakete, doch die Ursache hatte selbst Ursachen, und die waren wahrscheinlich in gewisser Weise von »innen-politischer« Natur. Ingenieure hatten im Vorfeld davor gewarnt, dass einzelne Teile nicht in den beim Start absehbaren niedrigen Temperatur getestet worden waren; sie wollten den Start aufschieben, doch politische Kräfte scheinen ihre Bedenken überstimmt zu haben. An der Aufarbeitung des Unglücks war der berühmte Physiker Richard Feynman beteiligt (Video seiner Bewertung der O-Ringe bei YouTube). Im Rogers Commission Report, der offiziellen Auswertung des Unglücks formulierte Feynman einen seiner vielen berühmten Bonmots:
»For a successful technology, reality must take precedence over public relations, for nature cannot be fooled.« (Richard Feynman in Appendix F: Personal Observations on Reliability of Shuttle)
(Übersetzung, in etwa: Für eine erfolgreiche Technologie muss Realität vor Public Relations kommen, denn die Natur lässt sich nicht austricksen.« – Feynman berichtet Hintergründe zu den menschlichen Aspekten in seinem Buch »Kümmert Sie, was andere Leute denken?«.)
Mit anderen Worten: Einige der Technik-Katastrophen von 1986 wären nicht unausweichbar gewesen, wenn alle Erwachsenen, die sie verursachten, sich allezeit wie verantwortliche Erwachsene verhalten hätten.
Kinder an die Macht
Zum Glück passierten 1986 nicht nur technische Katastrophen; es passierte auch Musik.
Wenige Tage nach der Verstrahlung Europas durch Tschernobyl veröffentlichte Herbert Grönemeyer das Album »Sprünge«. (Aufgenommen im Kölner EMI Tonstudio II, heute Maarweg Studio 2 – hach, damals.) Einige Wochen zuvor war bereits die erste Singleauskopplung »Kinder an die Macht« erschienen.
Ich fand den eingängigen Schlager »Kinder an die Macht« schon immer extra schillernd. – Denken Sie doch ein klein wenig über den Text nach!
Aus dem Refrain:
»Gebt den Kindern das Kommando, sie berechnen nicht, was sie tun.«
Unter den Gründen, einem Menschen die Macht anzuvertrauen, ist seine mangelnde Voraussicht nicht der allerbeste.
»Sie sind die wahren Anarchisten, lieben das Chaos, räumen ab.«
Stellen wir uns nur vor, jemand würde das tatsächlich zur Leitlinie seiner Politik machen! Wie würde das aussehen? Wie Berlin vielleicht?
»Kennen keine Rechte, keine Pflichten …«
Hmm, so würde doch keiner Politik machen wollen, so dass für ihn selbst keine Rechte und keine Pflichten gelten (sondern nur für den, der das alles finanzieren soll). Unrealistisch!
»Es gibt kein gut, es gibt kein böse, Es gibt kein schwarz, es gibt kein weiß«
Eine Politik, die keine festen ethischen Konzepte und Werte mehr kennt, sondern positive und negative Bewertung nach momentaner Lust und Laune zuschreibt, wie tragfähig wäre die wirklich?
»Statt zu unterdrücken gibt’s Erdbeereis auf Lebenszeit«
Erdbeereis auf Lebenszeit – sagt sich gut, plakatiert sich bestimmt auch gut, aber es wäre kaum eine nachhaltige Ernährung! Das Spannende an dieser Formulierung: sie impliziert, dass die Abwesenheit von Erdbeereis im Umkehrschluss eine Form der Unterdrückung darstellt; es wäre eine Politik des kindischen Anspruchdenkens, ungefiltertes Id.
»Ungebeugte Kraft, massenhaft, ungestümer Stolz …«
Kindliches Gemüt und mangelnde Voraussicht, aber primitive Energie und riesiges Selbstbewusstsein – kein ungefährliches Rezept, wenn man es mit Macht kombiniert!
»Die Welt gehört in Kinderhände, dem Trübsinn ein Ende«
Ist gute Laune allein schon Qualifikation zur Macht? Dann könnten wir ja gleich Drogenfreunde und Studienabbrecher in Parlamente und Regierungen wählen, Hauptsache die »positive Energie« stimmt!
»Wir werden in Grund und Boden gelacht …«
Das wäre ja das Problem mit kindlicher Macht, spätestens wenn sie sich mit einer in Unwissen und Verbohrtheit begründeten Arroganz paart: was Kinder nicht verstehen, das fürchten sie heimlich, und lachen es umso lauter aus (wie der Schimpanse, der im Angesicht von Gefahr ebenfalls das Gesicht zur Lachgrimasse verzieht). Gegenargumente wären mächtiggewordenen Kindern nicht Anlass zur Reflektion, sondern zu Hohn und Verachtung. Was zählt schon der Hinweis auf Konsequenzen, wenn man wie pubertierende Gören auf dem Schulhof alle Probleme meint »in Grund und Boden« lachen zu können?
Ach, was soll die sprachliche Maskerade, das kokettierende Tun-als-ob-nicht! – Fragen wir direkt: Ist Grönemeyers »Kinder an die Macht« eine politische Blaupause fürs heutige Linksgrüne? (Don’t get me wrong: Ich finde das Lied großartig – als Kunst und perfekte Bebilderung eines emotionalen Zustands. Ich singe sogar mit, ohne mich zu schämen – und ich erlaube mir zugleich, auf die Worte zu hören und die Zeilen zu Ende zu denken …)
Ey, mach kein Fass auf!
Wenige Jahrzehnte später wurde Grönemeyers grüne Hymne zur neuen deutschen Staatsraison. Wir erleben eine gesamtgesellschaftliche Infantilisierung, von Merkels stammelnder Kindersprache, über die moralisierende Schräglogik heutiger Kirchenvertreter, die früher selbst im Kindergottesdienst als zu unterkomplex abgelehnt worden wäre, bis hin zu Talkshows und sogar dem Parlament, wo zuletzt immer seltener das argumentative Niveau eines Brennpunkt-Schulhofs überschritten wird.
Geolino ist die Kinderausgabe von GEO (verhält sich also etwa wie Bento zum Spiegel, oder Trudeau – allerdings nur nach Verschwörungstheoretikern! – zu Castro…), und Geolino erklärt Kindern, was die Formulierung »ein Fass aufmachen« bedeutet.
Der Artikel beginnt in der sogenannten »kindgerechten Sprache« (wenn man mit »kindgerecht« aus irgendwelchen Gründen »etwas dümmlich« meint): »Paula ist mies drauf. Irgendwie läuft heute überhaupt nichts so, wie sie will.…« (geo.de/geolino) – und so weiter; im Text zum Bild (wo ein Mann ins Fass fällt, statt es aufzumachen – Hauptsache Fass), steht die Erklärung:
»Ein Fass aufmachen bedeutet, dass man Wirbel um etwas Unwichtiges macht.« (geo.de/geolino)
Zur Etymologie des Sprachbilds werden zwei Möglichkeiten angeboten: es könnte eine falsche Entlehnung aus dem Englischen sein, wo man »to make a fuss about« mit ähnlicher Bedeutung sagt, oder es könnte schlicht angelehnt sein an die Tatsache, dass mit dem Aufmachen eines Fasses manche Feierlichkeit zu beginnen pflegt – also eine turbulente, aber letztlich unbedeutende Angelegenheit.
Ich habe in einem Artikel bei derwesten.de diese flapsige Redensart wiederentdeckt. Alexander Gauland von der AfD fand es befremdlich, wie Merkel zusammen mit Macron das Ende des Ersten Weltkriegs feiert.
Ich zitiere eine Zwischenüberschrift und zunächst einen Absatzanfang:
»AfD-Chef macht unnötig ein Fass auf – AfD-Chef Alexander Gauland macht damit völlig unnötig ein Fass auf – mutmaßlich, um zu provozieren.« (derwesten.de, 11.11.2018)
Man beachte, wie dieser Absatz dann weitergeht!
»In der Tat ist es in der Forschung umstritten, wer für den Ersten Weltkrieg verantwortlich ist. Anders als bei der Frage nach den Ursachen des Zweiten Weltkriegs ist es nach Ansicht vieler Historiker keineswegs eindeutig, dass das damalige Deutsche Reich alleinverantwortlich für den Kriegsausbruch ist.« (derwesten.de, 11.11.2018)
Betrachten wir diese beiden aufeinanderfolgenden Stellen einmal getrennt voneinander, ja gegen-einander – betrachten wir den zweiten Teil zuerst! – Es wird explizit zugegeben, dass das, was Gauland sagt, in der Sache – also aus erwachsener Perspektive – gar nicht falsch ist.
Es wird aktiv ignoriert, dass Gaulands Aussage sachlich nicht substanzlos ist, ihm wird in flapsiger Halbstarkensprache vorgeworfen, er mache »unnötig ein Fass auf«. Wer bewertet denn, was nötig in der Debatte ist und was nicht? Wie ein Kind, das sich die Ohren zuhält und »la la la!« brüllt, wenn es nicht hören will, was ihm nicht in den Kram passt, argumentiert der Journalist nicht – er gibt sogar zu, dass Gauland in der Sache wahrscheinlich womöglich nicht falsch liegt! – er maßt sich vielmehr an, dem Erwachsenen vorzugeben, wass »nötig« ist und was »nicht«.
Der Qualitätsjournalist sagt, sinngemäß: »Ey, Alter, hast ja recht, aber mach nicht so’n Fass auf wegen so’ner Kleinigkeit.«
Doch, es ist nicht genug damit, dass ein Politiker in dem für heutigen Journalismus normalen Geist geschichtsloser Anti-Intellektualität angegangen wird, ganz wie von Gören auf dem Schulhof wird auch gleich noch eine Absicht unterstellt: »mutmaßlich, um zu provozieren«.
Journalisten argumentieren in denselben Begriffen und Denkstrukturen wie herumlungernde Schläger in Problemvierteln: Ey, das hat er nur gesagt um zu provozieren – auf ihn!
Wenn man ein pubertierendes Kind, ein Linksgrüner oder ein Journalist ist, dann mag man geschichtliche Zusammenhänge als irrelevant betrachten – Erwachsene, welche erfolgreich alle Stufen kindlicher wie auch jugendlicher Entwicklung absolvierten, sollten geschichtliche Zusammenhänge und blanke Fakten eigentlich nicht mit einem bloßen »ey, mach kein Fass auf« abtun.
Die Ratio-Lücke
Das praktische Problem der gesellschaftlichen Infantilisierung, also des real existierenden Kinder-an-die-Macht, ist bereits im Grönemeyer-Lied selbst enthalten: »… denn sie berechnen nicht, was sie tun«.
Politik, die das, was sie tut, nicht berechnet, führt zu buchstäblich unberechenbaren Folgen.
Merkel ist der Prototyp des kindlich stammelnden Politikers, der nicht berechnet, was er tut; ob Energiewendewende, Nichtschließen der Grenze oder Migrationpakt: es ist nicht nur nicht-berechnet (zumindest nicht zum Wohl des Volkes) – es ignoriert und verteufelt auch noch aktiv jene, die es gern berechnet sehen möchten.
Kinder glauben an den Weihnachtsmann und an die Zahnfee, Linksgrüne glauben, dass für Solarenergie die Sonne auch nachts scheint, dass Elektroautos die Umwelt nicht belasten, dass der Migrationspakt unverbindlich ist und dass man ganz Afrika nach Deutschland aufnehmen kann, wenn wir nur genug »positive Energie« aufbringen.
Durch ihre absolute Debatten-Dominanz öffnen Linksgrüne eine große Lücke im Diskursmarkt: Nicht alle Bürger sind bereit, auf dem Niveau von Kindern zu argumentieren; nicht alle Erwachsenen sind bereit, sich politisch auf von ihren Launen und Gefühlen getriebene Kinder zu reduzieren; nicht alle Wähler sind bereit, ihr Hirn am Eingang zum Wahllokal abzugeben.
In einer Welt, in der kindliche Denke die Politik bestimmt (»sie berechnen nicht was sie tuuuun«), wird der Appell ans Erwachsene immer einen Markt finden – wenn auch nicht immer die Mehrheit.
Erdbeereis für alle!
Tschernobyl, Challenger-Katastrophe und Merkelkrise teilen eine ähnliche menschliche Ursache: fundamentale Regeln der Vorsicht wurden verletzt, weil Verantwortliche sich ungerechtfertigt sagten: »Wir schaffen das!«
Kinder mögen sich wünschen, dass alle Menschen sich lieb haben und dass es genug Erdbeereis für alle gibt, ein Leben lang – Erwachsene sollten allerdings wissen, dass die Realität immer gewinnen wird. Erwachsene sollten wissen, dass junge Männer, die in den Straßen und Krisengebieten Nordafrikas sozialisiert wurden, nicht so leicht kompatibel sein werden mit Wohlstandskindern, denen alle Instinkte zur Selbsterhaltung abtrainiert wurden.
»Kinder an die Macht«, haben die Deutschen gesungen (und wenn man den Umfragen glaubt – Grüne bei 22% – singen sie es noch immer), und die Politik sieht genauso aus. In Berlin überlegen sie, einen Bundestagsneubau abzureißen, weil Wasser von unten hereinläuft (welt.de, 11.11.2018) – und der Flughafen BER ist schon lange ein running gag. Die Regierungspartei SPD kommt aus dem Schulhof-Jargon gar nicht mehr heraus, da heißt es immerzu »Arsch« und »Spaß« und »Arschloch« und »Bätschi«.
Ach ja, wofür sind Kinder auf dem Schulhof noch bekannt? Richtig, für Geheimniskrämerei. Das Auswärtige Amt weigert sich derzeit (laut tagesspiegel.de, 12.11.2018), Auskünfte zu den Verhandlungen für den UN-Migrationspakt herauszugeben, und der Bundestag zensiert die Petitionen der Bürger dazu (laut bz-berlin.de, 7.11.2018). – Es ist besser, den Kindern vorher nicht zu erzählen, was in der Wundertüte alles drin ist – nicht, dass sie am Ende die Überraschung gar nicht haben wollen!
Lord of the Flies
Es wurde ja bereits einmal in einem Buch durchdekliniert, wie es wäre, wenn Kinder tatsächlich an die Macht kämen: Herr der Fliegen von William Golding.
Im Roman stürzte ein Flugzeug auf einer Insel ab; nur die Jungen überleben. Es bilden sich verschiedene Gruppen, und statt dass die Kinder in trauter Einigkeit herrschen, kommen erst Konflikte auf, dann Gewalt bis hin zur Folter. Am Ende brennt die ganze Insel.
In einer dramatischen Szene kurz vor Schluss sinkt der Überlebende Ralph in die Knie, und es wird von ihm gesagt:
»Ralph schluchzte über den Verlust der Unschuld, und über die Dunkelheit der menschlichen Seele …« (Herr der Fliegen, 12. Kapitel, meine Übersetzung)
Wald und Wiesen
Es dauerte eine ganze Weile, bis wir nach Tschernobyl wieder als Pfadfinder zum Zeltlager in Wald und Wiesen aufbrachen, doch irgendwann fuhren wir wieder.
Ich arbeitete mich durch Prüfungen übers Knotenbinden und Sternenkunde in der Hierarchie hoch, und ich wurde einige Jahre später selbst zum Pfadfinderleiter.
Als Pfadfinderleiter lernt man schnell eine wichtige Eigenschaft von Kindern kennen: Es kam vor, dass einige Kinder sich einzeln wie vernünftige, hilfsbereite Lebewesen verhielten – und in der Gruppe wie durchgeknallte, destruktive Spinner. Nahm man sie heraus, waren sie brav, tat man sie in die Gruppe hinein, wurden sie zunächst wieder wild. Und so war es an mir, etwas zu leisten, was die Eltern gar nicht leisten konnten, denn sie erlebten die Kinder ja meist nur einzeln, also brav: indem ich Kinder gezielt für eine bestimmte Zeit aus der Gruppe herausnahm und ihnen eine Aufgabe übertrug, oft in Zusammenarbeit mit einem älteren, klügeren Jugendlichen, gelang es mir, diese Kinder in kleinen Dosen an die Zusammenarbeit in der Gruppe zu gewöhnen.
Kinder sollten nicht an die Macht. Kinder berechnen nicht, was sie tun. Politiker und Journalisten, die auf dem intellektuellen Niveau von Kindern operieren, öffnen eine Lücke für die Erwachsenen, das ist wahr, doch Erwachsensein sollte mehr als nur Nischenprogramm in Politik und Publizistik sein.
Es dauerte eine Zeit, bis wir nach Tschernobyl wieder zum Zeitlager aufbrachen, doch wir brachen auf. Ich weiß nicht, wie lange es nach Merkel dauern wird, bis Deutschland wieder Politik von Erwachsenen für Erwachsene macht, und dass Merz in der Partei des verantwortungslosen Infantilismus »mögliche Partner« sieht, siehe zeit.de, 11.11.2018, hilft der Hoffnung nicht.
Man kann es positiv sehen: Solange in Staatsfunk und -apparat das Motto »… denn sie berechnen nicht was sie tun« geradezu in den Marmor ihrer Eingangshallen eingemeißelt zu sein scheint, solange bleibt eine weite Nische für Rationalität und Verantwortungsbewusstsein, kurz: Erwachsensein.
Kinder an der Macht werden umgeworfene Bauklötze und zerbrochenes Geschirr zurücklassen. Früher oder später wird die Politik zum Erwachsensein zurückkehren – mir wäre nur deutlich lieber, wenn das früher früher käme.