Dushan-Wegner

14.05.2020

Wer nicht hören will, muss App installieren

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Portuguese Gravity
Man will uns mit Verboten erziehen, mit Apps überwachen und mit Einschüchterung ruhig halten. Doch, die Frage brennt: Mit welcher moralischen Autorität reden diese Leute?!
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Im Monty-Python-Film »Das Leben des Brian« treffen sich Untergrundkämpfer der »Judäischen Volksfront« (nicht die Kämpfer der »Volksfront von Judäa«!) und schimpfen auf die Römer: »Was, frage ich euch, haben die Römer je für uns getan?«

Es ist eine rhetorische Frage, auf die hin man ein »Nichts, aber auch gar nichts« erwarten würde, doch es ist Teil des Scherzes, dass sie eben doch beantwortet wird. Den Aquädukt, so stellt man fest, brachten die Römer, dazu sanitäre Einrichtungen, schöne Straßen, medizinische Versorgung, Schulwesen, Wein, öffentliche Bäder, Sicherheit in den Straßen und natürlich Frieden (die Szene, auf Deutsch, auf YouTube).

Die berühmte Monty-Python-Szene scheint lauter Annehmlichkeiten zu beschreiben, doch viele dieser »Gesellschafts-Features« umschreiben eine »weiche« Dimension römischer Macht, welche die Römer sehr bewusst einsetzten: Umgangsformen, Alltagskultur und römische Sitten.

Die Römer eroberten die Welt nicht nur mit bewaffneten Legionen, sie installierten auch die angenehme(re) römische Lebensweise. Mit Bädern kam auch der sittliche Druck, sich rein zu halten, mit den sanitären Anlagen wurde es verpönt, sich zumindest in den feineren Straßen zu erleicherten (eine unhygienische Angewohnheit, die auch heute noch in gewissen Teilen der Welt nicht vollständig überwunden ist; siehe auch den Essay vom 3.10.2018). Bessergestellte Frauen in den Provinzen frisierten und kleideten sich nach römischer Mode. Wer es sich leisten konnte, ließ seine Söhne nach römischer Art ausbilden. Die Bürger, die auch wirklich in den Genuss römischer Lebenskunst kamen, wollten Römer sein – zumindest da, wo es angenehm und inspirierend war.

Die römische Macht war, zu ihren großen Zeiten, immer auch eine kulturelle Macht.

Ob er da, wo er ist, auch sein darf

Für einen modernen, ernstzunehmenden demokratischen Staat hat Deutschland zuletzt eine, äh, spannende merkwürdige Abfolge von Justizministern aufzuweisen. Nach SPD-Maas und SPD-Barley haben wir jetzt also SDP-Lambrecht. In einem gewohnt orwellsch betitelten Kommentar (faz.net, 11.4.2020: »Unsere Demokratie ist auch in der Krise quicklebendig«) versicherte Lambrecht eben noch, sinngemäß, niemand habe die Absicht, den »demokratischen Rechtsstaat« über die Krise hinaus auf Eis zu legen. Wenn man aber nicht gerade hehre Worte für willige Zeitungen schreiben lässt, lässt man wohl Gesetze vom Parlament abnicken, um sogar Daten von Nicht-Infizierten zu erfassen (heise.de, 13.5.2020).

Während in Deutschland noch über Apps debattiert wird, wird in Argentinien bereits überwacht. Wer sich im öffentlichen Raum bewegen will, etwa zur Arbeit, der kann dazu gezwungen werden, das Malzeichen des Tieres, pardon: die CuidARR-App zu installieren. Angeblich soll die App sogar die Körpertemperatur des Trägers erfassen, vor allem aber erfasst sie den Ort, an dem er sich gerade befindet, und soll prüfbar machen, ob er da, wo er ist, auch sein darf (mehr Infos: telepolis.de, 14.5.2020; App download: argentina.gob.ar/aplicaciones/coronavirus). Wenn einem da der kalte Schweiß kommt, muss es nicht unbedingt am Virus liegen.

Während in Deutschland die ersten Schulen und Cafés wieder öffnen um die »zweite Welle« auszuprobieren, droht eben die in China aktuell anzuschwellen. In Wuhan, der Wiege des Virus, testet man gegen die Wiederkehr des Virus, so schnell und so viel man kann (wsj.com, 13.5.2020). Doch, zur argentinischen Überwachungsapp und zu Datenerfassung im Namen des Kampf-gegen-Corona passen zwei andere, schon länger bekannte politische Kurznachrichten aus China. Erlauben Sie mir bitte, diese anzureißen: 1. Seit einiger Zeit schon steht China in der Kritik für seinen Umgang mit Uiguren, einer islamischen Minderheit, die laut Berichten teils verhaftet und in Umerziehungslager gesperrt wird. – 2. Ebenfalls in der Kritik steht China für das »Social Credit System« (siehe Wikipedia), das chinesischen Bürgern, die sich »schlecht benehmen«, das Leben schwer macht; es wirkt fast wie ein Vorgänger der Anti-Virus-Apps, die jetzt spontan auch in Deutschland entwickelt werden.

Apps, Verbote und Polizisten

In dieser Demokratie- und Coronakrise werden von vielen Leuten viele Dinge gesagt, und nicht alle diese Aussagen bewundere ich ob ihrer Klugheit. Zu den falschesten Aussagen aber zähle ich jene, dass der Staat nicht Menschen erziehen soll (siehe auch Essay vom 29.4.2020).

Erstens: Alle Staaten erziehen ihre Bürger, buchstäblich und offen, zum Beispiel in Schulen und Staatsfunk, etwas verdeckter werden Bürger etwa durch Gesetze und Strafsteuern erzogen. – Zweitens: So lange wie wir uns kollektiv zurück erinnern können, sind Erziehung und gute Sitten mit der Notwendigkeit von Hygiene verbunden; und es könnte langfristig einige Leben retten und viel Leid verhindern, wenn wir einander zu mehr höflicher Distanz erziehen. Und Drittens: Die Menschen zu gewissen Sitten und Lebensgewohnheiten zu erziehen ist seit jeher ein Machtfaktor.

Die argentinische Anti-Corona-App, die Aussetzung der Freiheit in Deutschland, die (versuchte) Umerziehung von Uiguren in China oder der »Social Credit«, alle haben sie ein gemeinsames Ziel: Menschen sollen so erzogen werden, dass die Gesellschaft weiter funktionieren kann.

Und doch haben alle diese Maßnahmen ein Problem – sie versuchen mit Verboten und Technologie zu bewirken, wofür eigentlich bewährte Werkzeuge wie Moral, Sitten und kulturell geprägter Benimm da sind.

Mit Apps, Verboten und Polizisten auf breiter Front etwas durchsetzen zu wollen, während die eigentlich zuständige Moral und die guten Sitten genervt danebengehen, das ist wie ein Auto bei angezogener Handbremse zu schieben – es ist äußerst mühsam, geht schmerzhaft auf die Knochen, und wenn man aufhört zu schieben, bleibt das Auto sofort stehen.

Die Römer der Antike dagegen

Das römische Imperium einst und die USA im 20. Jahrhundert waren eben nicht nur militärische und ökonomische Mächte. Ohne Geld, Technologie und Waffen geht es nicht, das bleibt wahr, doch kulturelle Attraktivität (um nicht »Hegemonie« zu sagen) vervielfacht die Wirksamkeit der Waffen und »erobert« Gebiete, in die der stärkste Bunkerbrecher nicht vordringen wird.

China hat ein Machtproblem (und sie wissen es), und zwar ein ähnliches wie Deutschland (heute) – die Römer der Antike dagegen, die USA des 20. Jahrhunderts und auch das Japan der letzten Jahrzehnte stell(t)en sich in dieser einen oft übersehenen Hinsicht deutlich klüger an.

All diese Apps, diese Verbote und Polizisten, sie erscheinen mir wie der Versuch, mit Technologie und Staatsgewalt zu simulieren, was man durch die moralische Leere der Eliten und Strippenzieher über Jahre und Jahrzehnte kaputtgemacht hat.

Mit welcher moralischen Autorität verlangen Politiker (die sich oft selbst nicht dran halten) irgendwelche Kontakte zu unterlassen, Masken zu tragen oder Rücksicht zu nehmen? Warum sollte ich dem Staatsfunk heute glauben, wenn er gestern das Gegenteil behauptete, obwohl die Fakten für alle sichtbar waren? Warum sollte ich einer Regierung vertrauen, die wieder und wieder und wieder den Eindruck erweckte, dass sie bereit ist, das Leben der Bürger für Merkels Ziele zu riskieren?

Überwachungsapps und maskenkontrollierende Polizisten, sie sind vor allem ein Zeichen mangelnder moralischer Autorität. Der wirklich Mächtige muss nicht zwingen.

Hundert, tausend, zehntausend

Welche moralische Kraft hat das Land von Merkel, Maas, Böhmermann, Kleber oder Hayali? Wer schaut auf Deutschland, und sagt: »Ja, wir möchten mehr wie diese Deutschen sein!«?

Im Text »Drei störende Wahrheiten« schrieb ich als zweiten Punkt: »Erfolg und Scheitern eines Landes hängen von Denken und Werten der Bürger ab.« – Es war selten so brennend wahr wie heute, in der Pandemie.

Jetzt wollen sie Apps installieren, um zu kontrollieren, wen wir treffen. Bald werden sie Apps installieren wollen, um zu überwachen, worüber wir miteinander sprechen – »Kampf gegen Rechts« – im NetzDG haben sie ja quasi den Rechtsstaat teilweise ausgesetzt, indem sie im Kampf gegen falsche Meinung rechtliche Entscheidungen, die einst Richtern vorbehalten waren, in die Hand von gestressten, anonymen und privat angestellten Hilfskräften legten.

Und doch, ich sage Ihnen: Hundert Apps, tausend Zensoren und zehntausend Maskenpolizisten werden nicht durchsetzen, wofür Herz, Moral, Höflichkeit und ein Minimum an Harmoniebededürfnis zuständig wären.

Wer nicht hören will, muss App installieren – doch was, wenn das Land niemanden hat, auf den man bei klarem Geiste hören will? Keinen, dem man mit gutem Gewissen trauen kann?

Das Römische Reich ist Geschichte, und auch Amerika strahlte schon mal heller. Sicher: China baut an seiner »New Silk Road« und kauft sich in Afrika ein (während Deutschland denselben Kontinent zu sich einlädt). Sicher: Künstliche Intelligenz, Schulden, die (erfolgreiche Abwehr von) Migration und ganz neue Waffentechnologien von Iron-Man-Anzügen bis zu noch tödlicheren Flugzeugen werden sicher die eine Seite der Macht neu bestimmen, doch ich würde auf niemanden wetten, dem es nicht auch gelingt, der Welt ein Angebot zu machen, eine attraktive Idee davon, was und wie das Leben wirklich sein kann.

Die ganz große Zukunft ist offen. Unsere eigene Unvollkommenheit ist unsere größte Bedrohung – und eine unserer besten Hoffnungen.

Weiterschreiben, Wegner!

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