17.02.2021

Experimente ohne These

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Jonathan Meyer
An Deutschland wird ein Experiment vollzogen – und wohl nicht nur eines. Die brennende Frage ist aber: Welche These soll es sein, die da experimentell geprüft wird?!
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Wir kennen es gut, jenes Zitat vom einzigartigen Experiment, das an Deutschland vollzogen wird. Es schien 2018 die wahren Absichten »derer da oben« offen zu legen, als es im Staatsfunk ausgestrahlt wurde. Wurde es unbeabsichtigt ausgestrahlt – oder vielleicht schlicht zur Verhöhnung des Pöbels?

Der, der es sagte, wird von der Presse immer wieder mit Harvard in Verbindung gebracht – oder war es mit Berkeley? – betreibt er ein Institut? ich weiß es gerade nicht – und wer es war, der etwas im Staatsfunk sagte, das erscheint mir schon lange nicht mehr so wichtig wie die Aussage, dass der Milliarden-Euro-Apparat es zur jeweiligen Sendezeit in die Propagandakanäle einspeiste.

Jene Aussage klang ja nicht falsch! Es klang brennend richtig, es klang und klingt wahr! Jedoch, was bedeutet es in 2021?

Der zuverlässig für Nervosität verantwortliche und geschichtlich durchaus nicht unbelastete Begriff »Experiment« war, zumindest überblickend betrachtet, kein Ausrutscher in dem Sinne, dass er nicht wiederholt worden wäre.

Experiment auf dem Sonderweg

Wir schreiben das Jahr 2021. Die Corona-Krise ist längst zur Anti-Corona-Maßnahmen-Krise geworden. Keine Krise darf ungenutzt bleiben, so ein bekanntes Globalisten-Motto, und in Deutschland werden offenbar Krisen besonders gern für »Experimente« genutzt.

Schon letztes Jahr sprach man im Staatsfunk etwa vom »November-Experiment« (tagesschau.de, 28.10.2020), doch zugegebenerweise nicht nur da (siehe etwa heise.de, 2.12.2020). Es ist insgesamt wenig überraschend, dass Deutschland wieder einmal recht hilflos der stammelnden Zerstörerin auf einem weiteren »Sonderweg« hinterher trottelt, doch was sind das für Experimente, von denen immer gesprochen wird?

Das Experiment klingt als Idee zunächst einmal wissenschaftlich. – Ein Wissenschaftler stellt eine These auf, und anhand eines praktischen Versuchs prüft er, ob sich die Realität passend zur These verhält.

Weit weniger neutral und sachlich klingt  das Wörtlein »Experiment«, wenn man es zum »Menschenexperiment« konkretisiert.

Experimente sind ja sonst okay. Durch Experimente lernen die Wissenschaftler dazu und so können die Konzerne bald noch schönere Smartphones bauen. Menschenexperimente jedoch, also Experimente am Menschen? Nein, das klingt gar nicht mehr charmant! (Moralische Erklärung: Der Mensch sollte nicht zum Mittel des Handelns werden, oder nach Immanuel Kant auch auf die gesamte Menschheit hin formuliert: »Handle so, daß du die Menschheit sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.«)

Der Vollständigkeit halber: Die Geschichte jener Vorgänge, die wir paradigmatisch mit »Menschenexperiment« verknüpfen, ist mit Themen wie Kolonialzeit, Afrika, Impfstoffen, Tuberkulin und Konzentrationslager verknüpft, und mit Namen wie Robert Koch. (deutschlandfunk.de, 26.12.2020: »Robert Koch zwang kranke Menschen in Konzentrationslager und testete an ihnen neue Gegenmittel.«)

Bevor (oder: damit?) man sich empört, sei notiert: Der Begriff des »Menschenexperiments« (oder »Menschenversuchs«) weist selbst auf den ersten Blick gewisse Lücken auf: Alles Handeln in Verantwortungsposition ist in gewisser Hinsicht ein Experiment an Menschen.

Wenn wir unseren Kindern ein neues Essen zu probieren geben, dann experimentieren wir an Menschen. Wenn ein Bundesland eine neue Lernmethode einführt, dann ist es ebenso ein Experiment an Menschen (was dazu führen kann, dass eine ganze Generation keine Rechtschreibung lernt, Stichwort »Schreiben nach Gehör«). Wenn eine Stadt das Rauchen verbietet oder den Drogenhandel zu verfolgen aufgibt (oder beides zugleich, wenn sie sehr verwirrt ist), dann sind das ebenso gewissermaßen Experimente an Menschen (und ja, man wertet oft aus, wie viele dabei gestorben sind).

Die Experimente am Menschen, die dem Begriff seinen schrecklichen Klang gaben, sind die Menschenversuche des Dritten Reichs, wo Menschen zu »Menschenmaterial« reduziert wurden (Begriff aus einem Brief von SS-Arzt Rascher an Himmler). Diese Versuche dienten ja teils durchaus Zwecken, die allein und für sich nicht zwingend schlecht waren – man suchte etwa nach Impfstoffen gegen Krankheiten wie Fleckfieber oder Malaria.

Das Unmenschliche, Verachtenswerte und unvorstellbar Grausame war an jenen »Experimenten« zuerst, dass die Menschen unfreiwillig zum Experimentiermaterial wurden – und dann natürlich, welche barbarischen Handlungen an ihnen vollzogen wurden.

Jedoch, bei all dem kaum in Worte zu fassenden Leid bleibt nicht das Experimentelle am Menschenexperiment von damals das eigentliche Problem, sondern zuerst die Unfreiwilligkeit der Teilnahme, also die Reduktion des Menschen zum tatsächlichen Material, und zweitens natürlich das Leid bis hin zum letalen »Verbrauch«.

Es war ohne Zweifel etwas anderes, eine andere Kategorie und eine andere Dimension als die »Experimente« der Neuzeit.

Was also ist das Problem an den heutigen »Experimenten« im besten Deutschland aller Zeiten?

Wirklich freies Land

Ist das eigentliche Problem etwa am »Experiment« der offenen Grenzen, dass Menschen starben, dass Familien bis heute um ihre Lieben trauern? (Sie wissen schon, jene Opfer, von denen der Staatsfunk und die von der Regierung co-finanzieren Zeitungen oft nicht so gern zu berichten scheinen – die »falschen« Opfer eben.)

Frage (nicht nur) am Rande: Ab wie vielen Toten ist eine politische Maßnahme ein Fehler, ab wie vielen ein Verbrechen?

Wäre Deutschland ein wirklich freies Land, würde und müsste es auch öffentlich diskutiert werden, kein Zweifel.

Jedoch, bei all dem bleibt noch etwas, das mich an Merkels Experimenten stört, da ist eine weitere Lücke.

Fische und Thesen

Die Fischerei hat den Zweck, Fische aus dem Meer zu holen. Die Landwirtschaft hat den Zweck, Getreide wachsen zu lassen.

Der raison d’être der Wissenschaft aber ist das Finden von Thesen über die Welt, die so wenig falsch wie möglich sind.

Wissenschaft beginnt mit Thesen (oft als Frage formuliert) und zielt auf Thesen (oft neue Fragen inspirierend) – ja, es ist ein sehr produktiver Kreislauf – genauer: eine Spiraltreppe zur (hoffentlich) immer besseren Erkenntnis.

Ein Experiment dient der Prüfung einer These – entweder es bestätigt sie, oder es widerlegt sie, womit es dann Inspiration für eine neue, (hoffentlich) bessere These liefert (die wiederum überprüft werden muss).

Nein, das größte Problem an Merkels »Experimenten« wäre nicht die Tatsache, dass sie Experimente zu treiben scheint. Und ob die potentiellen Erkenntnisse die Opfer rechtfertigen, auch das könnte und müsste debattiert werden.

Ein grundlegendes Problem an Merkels »Experimenten« ist, dass die zu prüfende These dieser Experimente alles andere als klar ist.

Was wäre denn die These, welche Merkel und die Einpeitscher in den Redaktionen jeweils prüfen?

Was sollte 2015 die These gewesen sein?

Was soll die zu prüfende These sein, wenn Deutschland aus allen sicheren Energiequellen aussteigt, dafür aber abhängig wird von importierter Energie aus »lupenreinen« Demokratien?

Was soll die zu prüfende These sein, wenn Deutschland sich »wegen Corona« selbst abwürgt und eine ganze Generation von Kindern traumatisiert?

Ich höre Ihre Einwände: »Vielleicht wurde auch gar keine These geprüft! Man wurschtelt sich nur durch!« – Ich widerspreche nicht, sondern antworte mit einer Paraphrasierung jenes bekannten Watzlawick-Satzes: Man kann nicht nicht Thesen prüfen. (Jedes Mal wenn Sie ein Brötchen essen, prüfen Sie die These, dass dieses Brötchen essbar ist. Bedenken Sie Ihren Arbeitsalltag: Prüfen und korrigieren Sie nicht unablässig Thesen bezüglich Ihrer Kunden, Ihrer Kollegen, diverser Waren und Abläufe, auch wenn Sie die Tätigkeit nicht so nennen?)

Die buchstäblich einzige These, die tatsächlich geprüft wird, ist doch die Frage, wie viel Schaden man als Mächtiger in Deutschland anrichten kann, ohne abgesetzt zu werden (solange man kuschende Nutznießer, den Staatsfunk, ungezählte NGOs und genug von der Regierung co-finanzierte Zeitungen auf seiner Seite hat).

Was haben wir davon?

Ich erlaube mir, eine Meta-Frage zu unserer Meta-These zu stellen, welche in der Wissenschaft bei Gelegenheit als verpönt gilt: Was haben wir konkret davon, wenn wir eine These aufgestellt haben bezüglich der Frage, was die These ist?

Was haben wir davon, zu sehen, dass Merkels »Experimente« eigentlich nur testen, womit Merkel durchkommt, bevor sie die Macht verliert?

Werden wir die Lage verbessern können, wenn wir verstehen, was die eigentlich getestete These dieses »Experiments« ist? Werden wir die Entwicklung aufhalten können? Werden wir den Kurs des Schiffes umdrehen? – Wahrscheinlich: Nein, nein, und: wohl zu spät.

Und doch hat das Wissen um die tatsächlich getestete These einen konkreten Wert: Wenn wir sehen, welche These in diesem Experiment tatsächlich geprüft wird, können wir realistischer abschätzen, wie sich die Lage entwickeln wird.

Experiment ob unseres Könnens

Die Plausibilität (wie auch die Nützlichkeit!) wissenschaftlicher Thesen wird daran geprüft, wie präzise sie die Zukunft vorhersagen. (Das ist einer der Unterschiede zur Religion, deren Zukunftsvorhersagen zuverlässig unüberprüfbar sind – außer in Séancen hat noch kein Toter davon berichtet, ob und wie es hiernach wirklich weitergeht.)

Welches Können wollen wir, dass uns dieses Wissen einbringt? – Nietzsche lehrt uns, dass alles menschliche Wollen ein Experiment ob unseres Könnens ist: Erst wenn wir es ausprobieren, wissen wir wirklich, ob wir das, was wir wollten, auch wirklich konnten.

Lässt sich die wahrscheinliche Zukunft Deutschlands aus der These ableiten, dass es alles ein Experiment sei zur Frage, womit man als Mächtiger heute in Deutschland alles durchkommt, bevor man abgesetzt wird?

Nun, ich sag’ es mal so: Ich will nicht und ich kann nicht dagegen wetten.

Weiterschreiben, Wegner!

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