23.04.2021

YOLO, Phönix!

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Agustín Ljósmyndun
Wir warnten schon lange, dass die Unordnung des Denkens tödlich sein wird. Wir wussten, dass das Auto nach links zieht. Wir wussten bloß nicht, wie die Klippe heißt, über welche Angela das Auto zuletzt steuern wird. – Nun denn, sie heißt »Pandemie«.
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Liebe Leser, wir frischen heute unsere Kenntnis eines bekannten Begriffs auf. Wir lernen dann einen neuen. Und dann kombinieren wir sie, zu etwas wiederum Neuen und Anderen. Dieses heutiges Vorhaben trägt den spannungsreichen Projektnamen »YOLO Phönix«.

Zuerst also: Der Phönix! (Sie erinnern sich gewiss: Wir haben ihn ja schon 2016 zum Zeugen gerufen, im Essay »Die Medien sind tot, lang leben die Medien!«.) – Der Phönix lebt ja auch ohne Wiedergeburt recht lange, nach dem Bericht des Hesiod immerhin 972 mal so lang wie selbst ein langlebiger Mensch. Und dann, wenn er eben doch stirbt, dieser »Wundervogel«, wenn diese magische Kreatur hell aufflammt und ganz verbrennt, dann »erzeugt aus ihrer Asche sich der Erbe« (Shakespeare, Henry VIII, via zeno.org) – wieder und wieder und wieder.

Warum berührt und bewegt es die Menschen so, dieses Bild vom Vogel, der aus seiner eigenen Asche neu zum Leben erwacht? Ist es nicht denkbar allgegenwärtig, dass Dinge wie Lebewesen vergehen und dafür neue auf die Erdenbühne treten? »Ein Geschlecht vergeht, das andere kommt« (Prediger 1:4a), und an irgendwas festhalten zu wollen ist doch ohnehin »eitel und Haschen nach Wind« (Prediger 1:14b).

Der Phönix ist eine andere Wiedergeburt. Der Birnbaum, der im Havelland auf dem Grab des Herrn von Ribbeck stand, er mochte zwar auf Betreiben und Plan des Herrn von Ribbeck gewachsen sein, doch es war eben ein eigenes Ding, ein neuer Baum. Die übrigen und handelsüblichen Neugeburten sind von der Mechanik der Welt getrieben – die Wiedergeburt des Phönix ist eine metaphysisch ganz andere!

Der Phönix, von dem ich hier berichte, dieser Phönix erwacht selbst und aus seiner eigenen Asche neu. (Ganz alte Phönix-Erzählungen berichten von einem Vogel, der aus der Asche seines Vaters entsteht, also ein Neues ist, das aus dem Alten stammt, doch gälte das nicht für eine jede Generation?)

Das bedeutet: Es muss auch durch die Zeit der Asche hindurch ein Wille existiert haben, eine Identität, eine über die Materie hinausreichende Kraft, welche denselben Feuervogel sich selbst neu erschaffen lässt. (Es verwundert natürlich wenig, dass und wenn Christen einen Bezug zwischen Christus und Phönix herstellen.)

(Nicht mehr) zurück (ins Büro)

Und dann, der zweite Begriff, und dieser ist neu – tatsächlich wenige Tage alt: »YOLO Economy«.

»YOLO«, das ist Englisch für »You Only Live Once«: Du lebst nur einmal.

Wir kannten den Jugendspruch »YOLO« bislang aus recht idiotisch anmutenden Kontexten, doch er scheint endlich gereift zu sein (wie so mancher Jugendtrend, etwa in der Musik, der über die Jahre vom marktgerechten Gegen-die-Alten-Gehaben zum neuen, anerkannten Klassiker wurde).

»YOLO«, das riefen Jugendliche, wenn sie zur Mutprobe aus dem fahrenden Auto sprangen, oder sich eine Silvesterrakete in den Hintern steckten und diese anzünden ließen. »Du lebst nur einmal«, das ist der Wunsch, dem Leben alle Glückshormone abzuringen, die das Leben einem zu geben vermag. (Absurderweise folgten auf die YOLO-Rufe dann schon mal Aktionen, welche dieses »einmalige« Leben radikal verkürzen konnten.)

Während in Deutschland nun FDJ-Angela im Namen von Corona die DDR nachbauen will, beginnt in anderen Ländern die Krise wieder abzuklingen, und aus den wieder zum Leben erwachenden Wirtschaftszweigen hören wir einen neuen, tatsächlich interessanten Begriff, und zwar die »YOLO Economy«.

Der emotionale Preis der Lockdowns war und ist hoch. Menschen leiden. Menschen stellen sich ernsthafte Sinnfragen. Und manche Menschen tun sich schwer, nach dem Lockdown wieder zurück ins Büro zu gehen.

Unter denen aber, die nicht nur die Sinnfrage stellen, sondern die sich auch etwas »Unvernunft« leisten können (oder es sich nicht leisten können, und es dennoch tun), gibt es einige, die sich sagen: »Ich lebe nur einmal, also will ich auch wirtschaftlich etwas tun, das mir wirklich zumindest in diesem Moment etwas Glück beschert!«

Das Schlagwort ist wohl eine Erfindung der New York Times (was allein es noch nicht falsch macht). In nytimes.com 21.4.2021 wird ein 33-jähriger Anwalt zitiert (ich übertrage hier ins Deutsche): »Mir wurde bewusst, dass ich zehn Stunden täglich an meinem Küchentresen saß und mich elend fühlte.« – »Ich dachte mir: ›Was habe ich zu verlieren? Wir könnten alle morgen sterben.‹« – Er kündigte, so der Bericht, seine Partner-Stelle in der großen Kanzlei.

»Du lebst nur einmal«, so weiß es doch eigentlich jeder, »und morgen kann es vorbei sein.« – Die seelische Belastung durch die Anti-Corona-Maßnahmen führte manchem Menschen neu vor Augen, dass mit jeder Minute, die du arbeitest, eben eine Minute deines Lebens unwiederbringlich vorbei ist. Also willst du vielleicht neu prüfen, ob diese Minute gut angelegt war – und ob die nächste Minute gut angelegt sein wird. Die Vertreter der »YOLO-Economy« aber prüfen nicht nur, sie ziehen auch die Konsequenz.

An der Unordnung

Ein Automechaniker kann Ihnen vielleicht diagnostizieren, dass Ihr Wagen schwer nach links zieht (falls Sie es tatsächlich nicht selbst merken, weil Sie sich so daran gewöhnt haben), und er kann Ihnen vorhersagen, dass Ihr Auto wahrscheinlich irgendwann links vom Weg abkommen wird, doch in welchen Graben auf welchem Kilometer welcher Landstraße Sie nun genau schlittern werden, das bestimmen dann Sie selbst, vor allem aber wohl das unergründliche Schicksal. – Ich fühle mich heute ein wenig wie der Automechaniker dieses Beispiels!

2017 schrieb ich den Essay »Wenn sie wenigstens glücklich wären!«, und darin die simple Forderung: »Glück braucht Ordnung.« – 2018 verhandelte ich »Das Glück in Zeiten der Unordnung«. – »Die Deutschen und das Glück – warum tun wir uns so schwer?«, so schrieb ich 2019, und mahnte: »Zerbrich die Ordnung und du zerbrichst die Heimat«.

Es ist nun 2021, und die Unordnung lässt uns spüren, was es wirklich bedeutet, dass Glück immer auf Ordnung aufsetzt. Das Merkelregime hat, angeblich/womöglich „aus Versehen“ ein Nachtfahrverbot erlassen, als Teil ihres »Einsperr-Gesetzes« (bild.de, 23.4.2021). Die Begründungen des Merkel-Machtrausches wechseln, mal sind es die Inzidenzen (doch es spricht sich herum, wie wenig aussagekräftig die allein sind), dann ist es wieder die Auslastung der Krankenhäuser (doch es spricht sich herum, dass die keinesfalls alle ausgelastet sind; vergleiche welt.de, 22.4.2021).

Wenn Künstler es wagen, aus dem Gleichschritt der Hurra-Brüller auszuscheren und die Regierung in ihrer Anti-Grundrechte-Politik zu kritisieren (meedia.de, 23.4.2021), gerät das Untertanenblut manches Deutschen in Wallung – und erste Politiker fordern de facto Berufsverbote für die Andersdenkenden (@robinalexaner, 23.4.2021).

Deutschlands Polizei muss demnächst Bürger verhaften, muss sie drangsalieren und festnehmen, um Gesetze durchzusetzen, die offenkundig verfassungswidrig zu sein scheinen. Ich hörte ein paar Male, in zynischem Sarkasmus ausgesprochen, das Wort „Befehlsnotstand« – ja, das ist der Begriff, mit dem sich die Ausführenden in Unrechtsstaaten rechtfertigen. Staatsrechtler Prof. Udo Di Fabio warnte schon 2020, selbstverständlich nur »in satirischer Stimmung«: »Wenn ich in Deutschland einen Staatsstreich machen wollte, dann würde ich eine Corona-Pandemie erfinden.« (via @gaborsteingart, 20.6.2020)

Es war seit Jahren abzusehen, dass Deutschland an der Unordnung seines Denkens scheitern könnte. Das eigentliche Problem an Corona ist nicht Corona – das eigentliche Problem ist die Unordnung im deutschen Denken, der blinde Kadavergehorsam der sogenannten »Intellektuellen«, der verfluchte Staatsfunk, der zynische Propaganda-Apparat – und die Dummheit.

»Es gibt kein Recht auf Dummheit«, so schrieb ich schon 2016, und ich sprach von den Grünen. Jetzt schickt sich die Grüne Annalena »das Netz fungiert als Speicher« Baerbock an, Merkel zu beerben (Kanzlerin der Journalistenherzen ist sie ja schon), und »Es gibt kein Recht auf Dummheit« gibt es jetzt auch als T-Shirt, und die machtbewusste Dummheit ist zum erfolgreichsten politischen Ansatz in Deutschland geworden.

Deutschland zerbricht an seiner Unordnung des Denkens. Der totale Lockdown ist eine erschreckend wortnahe Umsetzung des Schlachtrufs »Nie wieder Deutschland«, hinter welchem bekannterweise Grüne wie Claudia Roth marschierten. FDJ-Angela ist kurz vorm Ziel, der Kapitalimus überwunden (also der deutsche Kapitalismus – dem Staats-Kapitalismus der sozialistischen Brüder in China geht es hervorragendst). Der Klassenfeind von einst wurde zu Europas Klassenkasper. Und nun?

Bald Müde

Unsere Sagen und Mythen sind keineswegs »nur« Sagen, »nur« Mythen. Auf gewisse Weise trägt die Legende vom Phönix mehr Wahrheit als manche gewöhnliche Wahrheit (und mehr Wahrheit zu tragen als die Wahrheit-des-Tages des deutschen Propagandastaates ist ja ohnehin nicht schwer).

Die Wahrheit der Erzählung vom Phönix ist doch, dass wir in uns den Wunsch und vielleicht sogar die Kraft spüren, selbst wie der Phönix zu sein.

Unsere Innenstädte sterben, unsere Federn gehen in Flammen auf, unsere Unternehmen schließen und unser Gebein wird zu Asche werden, doch der Wille in uns wird nicht still, aus der eigenen Asche noch aufzuerstehen.

Die erste Lehre der Legende vom Phönix ist natürlich, dass eine Wiederauferstehung denkbar ist; die zweite Lehre muss aber sein, dass die Wiederauferstehung einen Willen zur Existenz voraussetzt, welcher doch vorhanden sein muss, bevor der Feuervogel zur Asche wurde!

»Sei die Veränderung, welche du in der Welt sehen möchtest«, so sagt man, und wir wollen wagen, es für unsere Zeit und Zwecke zu adaptieren: »Sei selbst der Phönix, der aus der Asche deines Landes steigen soll.«

»YOLO Phönix« – es ist kein Widerspruch! Du lebst nur einmal, Mensch, also gib diesem Leben mehr Leben, indem du dich beizeiten neu erfindest.

Der Corona-Wahnsinn dauert also nun über ein Jahr, und es ist Zeit, unsere eigene Wiederauferstehung zu planen – und zwar rechtzeitig!

Vor knapp einem Jahr schrieb ich den Essay »25. April 2020 – Zwischenstand« – es war mein 46. Geburtstag. Ich leitete jenen Text ein: »Wir fahren durch die Geschichte wie Autofahrer mit defektem Navi. Einige Daten stimmen, andere sind falsch, und wir hoffen, uns nicht allzu schlimm zu verfahren.« – Sie dürfen mich gern korrigieren, doch ich habe nicht das Gefühl, dass unsere Navigations-Daten seitdem besser wurden.

Diesen kommenden Sonntag feiern die Portugiesen den 47. Geburtstag ihrer Revolution – und wir alle befinden uns in einer Art Warteraum. Wir warten und wir warten und wir warten – und wir wissen nicht mehr, worauf wir warten.

Mein weiterhin bislang einziger Roman heißt »Warteraum 254«, und dieses Jahr habe ich das Gefühl, dass Sie alle mit mir im »Warteraum 254« sitzen – und warten – worauf eigentlich?! (Ich will stets ehrlich sein: Mancher Büro-Arbeiter ruft dieser Tage »YOLO Phönix, ich will mich als Prophet versuchen!« – dieser »Prophet« aber ist es bald müde, so sehr müde, immer wieder richtig gelegen und doch vergeblich gemahnt zu haben.)

Nach angesengten Federn

Ich weiß nicht genau, was hiernach sein wird (ich ahne aber etwas, und ich nenne es »Automatisiertes Glück«). Ich weiß auch nicht, wie lange wir noch in diesem »Warteraum« sitzen werden (in anderen Ländern werden die Türen ja wieder geöffnet).

Nietzsches Wille zur Macht, er ist schillernd, und es sind starke Worte, doch die Legende vom Phönix ist auf ihre Weise weit größer: Der Phönix ist der Wille zum Sein. Der Phönix ist ein Wille, der so stark ist, dass er seine eigene Existenz bewirken kann, wieder und wieder aus der eigenen Asche.

Der Phönix der Sage wird am Körper wiedergeboren, während er als sein Wille die ganze Zeit über lebte. Du aber, menschlicher Phönix, der du ein Wesen aus Haut und Knochen bist, aus glühender Hoffnung und nervösen Ängsten, du lebst nur einmal.

Die Flammen züngeln und es riecht schon nach angesengten Federn. Auf also, Phönix, prüfe deinen Willen und plane deine Wiedergeburt – rechtzeitig bevor du Asche bist!

Weiterschreiben, Dushan!

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