Dushan-Wegner

14.02.2018

Katharsis ist nicht genug

von Dushan Wegner, Lesezeit 10 Minuten, Bild: Jan Porcellis, »Schiffe im Sturm an Felsenküste« (1614-18)
Leser schreiben mir: Sie haben so viel Arbeit und Hoffnung in Deutschland investiert, und nun wendet sich das Land gegen die eigenen Bürger. Das ist ungerecht. Das schmerzt. Hier zitiere ich aus einer solchen Mail. Bitte lesen Sie das, es ist wichtig.
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Als ich Philosophie studierte, in den letzten Semestern, so um 2008, passierten zwei Dinge, die meinem Leben seine heutige Struktur gaben.

Ich lernte meine Gattin und heutige Mutter unserer Kinder, Elli, kennen. Elli besitzt, neben vielen weiteren Vorzügen, die Eigenschaft, deutlich klüger zu sein als ich und mir dennoch geduldig zur Seite zu stehen.

In diesen letzten Semestern passierte, begleitet von Gesprächen mit Elli, noch etwas: Ich stellte fest, dass ich recht zuverlässig vorhersagen konnte, wie sich ethische Debatten entwickeln würden. Ich dachte darüber nach, ich las die handelsüblichen Philosophen, und ich entwickelte den Ansatz, den Sie, meine Leser, als »Relevante Strukturen« kennen.

Damals bei den Kaffee-Gesprächen mit Elli im Philosophie-Trakt der Kölner Universität, hatte ich vielleicht geahnt, aber bestimmt nicht bewusst vor Augen gehabt, dass sich in jenen Semestern die beiden Fluchtpunkte meines heutigen Lebens formten: Eine Familie zu betreiben, und mit Menschen darüber zu reden, was ihre Relevanten Strukturen sind.

Ich bekomme gelegentlich Mails von Lesern. Ich versuche, jede zu beantworten. Einige Leser fühlen sich von mir unterhalten, andere sagen, ich spräche ihnen aus der Seele.

Und dann gibt es die E-Mails, die ich erst einmal ein paar Tage liegen lasse, weil ich sie verdauen muss. Es ist so viel Schmerz und zugleich so viel Wahrheit ohne doppelten Boden darin.

Ich habe den Glauben verloren. Den Glauben an die Zukunft, den Glauben an den Rechtsstaat, den Glauben an die »normale Vernunft«.

Der Absender hat mir gestattet, Ihnen anonym aus seiner Mail zu zitieren. Zugleich kommentiere ich. Aus der Summe der Zuschriften ergeben sich ja Muster, und einige dieser Muster will ich nachzeichnen.

Das bedrohte Fundament

Wir haben viel Geld, viel Zeit und noch mehr Arbeit in unser Haus gesteckt. Wir haben an die Zukunft geglaubt (wobei ich beim Thema »Rente« bzw. »Pension« schon immer skeptisch war und deshalb diese Immobilie als Altersvorsorge betrachtete und als Fundament für unsere Kinder).

Deutschland galt einst vor allem als langweilig. Man sagte den Deutschen nach, dass sie zum Lachen in den Keller gehen. Ich kenne kein anderes Land, wo Besitzer von Einfamilienhäusern sich freiwillig vier große Mülltonnen vors Haus stellen (Papier, Plastik, Biomüll, Hausmüll).

Mit all dieser Spießigkeit war immer auch ein Versprechen verbunden: Diese Ordnung kommt auch dir zugute, Bürger, wenn du fleißig bist und dich an die Regeln hältst.

Bürger sparten und arbeiteten wie Ackergäule, sie nahmen Hypotheken auf und kratzten Geld von der Familie zusammen, um sich ihr Häusle zu bauen. Die Bürger wollten etwas schaffen, was für die nächste Generation bleiben durfte. Der gute Bürger will ein Fundament legen, die schlechte Regierung reißt es ihm wieder weg.

Nehmen wir etwa das Thema Alter – und Altersarmut. Eine angebliche »Wohlstandsgesellschaft«, die ihre Alten im Müll nach Pfandgläsern suchen, im Kalten sitzen und Kohlrabiblätter auskochen lässt, die ist moralisch am Boden, da kann man gen Afrika ein noch so »freundliches Gesicht« zeigen.

Wofür haben wir gearbeitet? Wofür sollen wir in Zukunft arbeiten? Wofür an diesem Staat mitbauen? Menschen fragen ratlos: Warum sollen wir weiter unsere Zeit, unsere Arbeit und unsere Lebensjahre in dieses Land investieren, wenn diese Regierung sich gegen die eigenen Bürger wendet? Dieses Land ist unsere Heimat, sagen die Bürger, doch eine alternativmoralische Pseudoelite opfert diese Heimat einer inkohärenten Weltrettungsfantasie.

Menschen fühlen sich ihrer Hoffnung beraubt. Der Strom der Auswanderer wird leise breiter – und es gehen oft jene fort, deren Abgang wirtschaftlich besonders weh tut. Was aber, wenn man verdammt nochmal seine Heimat liebgewonnen hat und bleiben möchte? Was, wenn man einen Beruf ausübt, der konkret auf Deutschland hin spezialisiert ist?

Der Bürger, der einfach nur seine Heimat liebt, der seine Heimat mit aufgebaut hat und sie weiter aufbauen will, er spürt aus Berlin die kalte Faust der Ideologie. Ein Recht auf Heimat hat für Berliner Bessermenschen immer nur der Fremde.

Sommer 2015

Ich weiß noch wie wir im Sommer 2015 in unseren langen Urlaub […] gefahren sind. […] Als wir losfuhren, war gerade Griechenland wieder heißes Thema. Dann kamen wir zurück: davon nichts mehr. Statt dessen war auf einmal das Thema »Flüchtlinge« überall. Es wurde September und mein Leben ist seit dem ein anderes.

Merkels Politik brachte neuen Terror, neue Gewalt und eine neue Dimension von Angst nach Deutschland – es war ja schon in 2015 abzusehen. Im schönen neuen Deutschland müssen Juden heute wieder um ihr Wohl fürchten. Frauen gehen vielerorts am Abend lieber nicht mehr joggen. Die Weihnachtsmärkte sind mit Betonblöcken abgeriegelt und Polizisten mit Maschinenpistolen patrouillieren zwischen den Glühweinständen. Doch, das alles ist »nur« die Folge einer anderen, vorlaufenden Tat: Merkel setzte nach außen die deutsche Rechtsordnung teilweise außer Kraft. Das hatte auch nach innen mindestens Symbolkraft. In Merkels Deutschland gilt Rechtsstaat zunehmend nur noch da, wo es gerade zur Stimmung der linken Meinungsmacher passt.

Da werden von Gerichten keine Verurteilungen vorgenommen, weil de facto die rechtsstaatliche Ordnung außer Kraft gesetzt sei (wie das Landgericht Koblenz jüngst schrieb), da werden ausländische Vergewaltiger und brutalste Schläger laufengelassen und mit Kulturboni bedacht, aber … [hier erwähnt der Verfasser des Schreibens, wie ein Bürger seiner Stadt wegen einer Lappalie »mit der vollen Härte des Rechtsstaates« drangenommen wurde]. Und ich weiß auch gar nicht, was mich fassungsloser macht. Diese völlig verlogenen, nur auf den eigenen Vorteil bedachten Politiker? Diese regierende Dummheit? Die bereitwillige Unterstützung der Medien? Diese Verdummung der Menschen im Land? Diese Blindheit und bereitwillige Gefolgschaft der Bürger?
Wo ist der Zorn? Wo ist die Wut? Wo ist der Schrei nach Recht und Ordnung?

Ich bin immer wieder erstaunt über die Duldsamkeit und die Wegschaufähigkeit der Deutschen. Nicht alle, nein. Aber viele, wenn nicht sogar die Mehrheit. Wenn es im Fernsehen hieße, Brotmesser seien Zuckerlutscher, würden noch am selben Abend tausende Deutsche aus dem Mund bluten.

Doch, ganz und völlig stimmt das nicht! Da muss ich dem Autor jener Mail widersprechen.

Es gibt die Wut und sie findet auch auf der Straße statt. Nur, vertrauen Sie nicht aufs Fernsehen, ihnen zu berichten, was wirklich passiert. Tausende Bürger, teils Zehntausende, demonstrieren immer wieder gegen Merkels Politik. Nicht wenige von ihnen waren schon 1989 dabei, aber anders als Merkel gehörten sie nicht zu den Wendegewinnern. Sie demonstrieren heute wieder und, so sagen sie oft, sie demonstrieren aus ähnlichem Grund. Das Fernsehen sucht sich dann ein paar Ganz-Rechte für die Bilder aus und dämonisiert alle Demonstranten als Böseböse – während man die Antifa ignoriert, um von den versprenkelten Gegendemonstranten als den Guten zu schwärmen.

Die Angst, »Nein!« zu sagen

Wer gegen Merkel demonstriert, muss heute linken Terror fürchten: Auf das Wohnhaus der Initiatorin einer Hamburger Demonstration gegen Merkel wurde wohl ein Anschlag verübt – Sie werden in der Tagesschau nicht davon hören. Trotz dieser Gefahr, trotz Verfolgung durch Antifa-Gewalttäter und trotz Risiko des Jobverlustes, trotz Diffamierung und Denunziation, trotz alledem protestieren Tausende von Menschen, es ist bald nicht nur in Dresden wöchentlich. Ja, viele Deutsche sind erschreckend folgsam. Doch die »Groko« hat nach einigen aktuellen Umfragen keine Mehrheit mehr. Es muss einiges passieren, die Deutschen gegen die eigene Obrigkeit aufzubringen, und doch geschieht es derzeit, wenn auch manchem zu langsam. Es ist noch immer nur eine Minderheit, die auch öffentlich Nein! sagt.

Wer die Regierung kritisiert und es ernst meint, ist noch viel zu oft darin allein. Man spricht mit Freunden, und man fühlt sich oft einsam: Mitbürger, die ihre Informationen nur aus Spiegel, ARD und ZDF beziehen, sind von gehirngewaschenen Propagandaopfern nicht immer leicht zu unterscheiden.

Besonders deutlich wird es beim an Irrsinn grenzenden Trump-Hass, wie er in deutschen Leitmedien zum Täglichbrot gehört:

Leute, wann ist euch eigentlich euer Kompass abhanden gekommen? Ja, ich mochte die Amerikaner auch nie. Aber wie kann ich einen demokratisch gewählten Präsidenten eines zweifellos demokratischen Landes, der sich bisher an die Gesetze gehalten hat und auch keinen Krieg vom Zaun gebrochen hat, auf das Übelste beschimpfen und als das Böse der Welt hinstellen, und gleichzeitig den Führer einer islamischen Diktatur, die ihre Finger in mindestens zwei Bürgerkriegen hat, die Terror weltweit unterstützt und einsetzt, die ganz offen die Auslöschung Israels und der Juden propagiert, wie kann ich also gleichzeitig diese Leute loben und sie moralisch über Trump setzen? Was läuft da bei euch verkehrt?

Die lautesten Moralapostel haben den kaputtesten Moralkompass – damit wir das erkennen, müssen die nicht einmal mit Crystal Meth erwischt werden. Der Moralapostel ist wie ein Blinder, der auf der Kreuzung steht und lauthals allen den Weg weisen will.

Es wird wohl noch einige Jahre dauern, bis Merkel endlich überwunden sein wird. (Kaum vorstellbar, dass es wirklich vier Jahre werden – mal schauen. Die SPD zerfällt auf offener Bühne und die CDU riecht auch schon etwas streng.) Merkel kann zur Sicherung ihrer Macht noch immer zugleich auf von ihr abhängige Politiker und auf Linksideologen in Medien und Verwaltung bauen. Auch die Antifa ruft ja inzwischen ganz explizit zum Kampf gegen Demonstranten auf, wenn und weil diese »Merkel muss weg!« rufen. – Die Antifa will Angst machen, und es gelingt ihnen – nur eben nicht immer.

Was tun?

Wer hätte auch ahnen können, dereinst von den eigenen »Eliten« derart verraten und verkauft zu werden. Und das unter dem Jubel der Medien und der Zustimmung des größten Teils des Volkes (ups, ich habe das böse Wort gesagt). Um es mit Gretchen aus Goethes Faust zu sagen: »Ach, wir Armen!«
Also, schreiben Sie weiter, damit ich […] ab und zu noch mal rufen kann: »Ja, genau so ist es!«

Ich erlaube mir, an dieser Stelle wieder selbst in Erscheinung zu treten, denn ich wurde ja angesprochen. Ich sage Danke, und ich möchte doch korrigieren.

Der Autor jenes Schreibens erhofft sich wohl von meinem Text etwas Katharsis. Das ist Altgriechisch für »Reinigung«. Wir hören vom Leid und unser eigenes Leid wird ertragbarer, unsere Seele wird gewissermaßen »gereinigt«. Diese Aufgabe allein wäre mir aber nicht genug.

Jener Schreiber leidet und mit ihm leiden viele Menschen. Es gibt einen Weg aus dem Leid heraus, es muss ihn geben.

Seid unzufrieden!

Auch ein Witzfilmchen auf YouTube oder eine Witztalkshow im Fernsehen wäre »Reinigung« in diesem Sinne. Warum meinen Sie, dass gelegentlich auch Regierungskritiker ins Fernsehen eingeladen werden? Damit die Bürger das Gefühl haben, dass es »endlich jemand gesagt hat« – das fühlt sich gut an und zu dieser »Katharsis« trinkt man noch ein Bierchen und geht dann ausreichend gelähmt schlafen. Und am nächsten Tag wieder. Und wieder.

Katharsis lähmt. Katharsis ist nicht genug. Das ist nicht, wofür ich jeden Tag arbeite. Gelähmt schlafen zu gehen, unglücklich aber entspannt, das kann es nicht sein. Ist das alles, was wir der nächsten Generation vorleben wollen? Wir waren unglücklich, aber ausreichend entspannt dabei?

Katharsis ist gefährlich nah an der Zufriedenheit; Zufriedenheit mit dem Unrecht ist aber selbst wieder Unrecht.

Ich will Sie und mich immer wieder auf eine bestimmte Weise unzufrieden machen, unzufrieden mit dem Unrecht, unzufrieden mit der Unordnung.

»Ordne deine Kreise!« bedeutet eben auch, mit der Unordnung unzufrieden zu sein. Demokratie will, dass der Bürger selbst mit dem Willen zur Ordnung an die ihn Regierenden herantritt: Ordnet die großen Kreise, die wir allein nicht ordnen können!

Ich möchte diesem Leser und überhaupt allen Lesern zurufen: Sie haben das volle Recht, Ihr Leben zu ordnen! Die Regierung ist im Unrecht, wenn sie die Ordnung der Bürger für die Ideologie einer linken Besserwisserklasse verscherbelt.

Glück braucht Ordnung und es gibt kein Glück an der Ordnung vorbei. Die Merkel-Regierung hat Unordnung über Deutschland und Europa gebracht wie keine Regierung seit Ende des zweiten Weltkriegs.

Ich will nicht Katharsis anbieten, ja, ich will nicht einmal Hoffnung geben. Katharsis ist mir zu nah an der Zufriedenheit, und Hoffnung ist mir zu passiv.

Ich rufe mir selbst und meinen Lesern gleichermaßen zu: Ordnet eure Kreise!

Seine Kreise, seine »relevanten Strukturen« zu ordnen, das ist die Arbeit am Glück. Heute steht man in Deutschland dabei immer öfter gegen eine Regierung und eine Meinungsindustrie, die Unordnung bringen, ich weiß. Und doch: Stellt jene bloß, die Unordnung bringen. Sie werden nicht bestehen damit, sie können nicht bestehen, sie dürfen nicht bestehen. Unsere Aufgabe muss es sein, das Andauern ihres Wahns zu verringern und mit den noch immer starken Mitteln der Demokratie ihre Amtszeit zu verkürzen.

Hofft nicht, und sucht nicht nach Zustimmung. Arbeitet an der Ordnung und die Menschen werden euch zustimmen, denn in Wahrheit seid ihr nicht allein. Ordnet eure Kreise und arbeitet an eurem Glück. Die Arbeit am Glück ist fast wie das Glück selbst.

Weiterschreiben, Wegner!

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