Es funktioniert nicht. Mit Wohlwollen ließe sich vielleicht sagen: Es funktioniert »gerade mal so«. Es funktioniert »noch«, es läuft »gerade mal so«. Und mancherorts, da »funktioniert« und »läuft« es überhaupt nicht mehr
Letztens erst schrieb ich einen Text mit dem Titel »Kurzfristiger Personalausfall und neue Ehrlichkeit«. Mein Argument war denkbar knapp: Wenn ein Konzernboss oder ein Politiker sich und seine Familie gut, aber die Kunden, Angestellten, Patienten und Bürger schlecht versorgt, dann bedeutet dies logisch zwingend, dass er seinen eigenen Wert hoch einschätzt – und den Wert der übrigen Menschen extra gering.
Diese Figuren bestehen darauf, dass man sie »Demokraten« nennt, »Christen« sogar, und wer auf das Undemokratische an den Demokraten hinweist, der gilt in moderner Logik als der »Demokratiefeind«. Wenn ich darauf hinweise, dass die CDU denkbar unchristlich wirkt – wie der Rest dieser Gestalten, mancher Bischof und Gutmensch voran – bin ich dann der »Antichrist«?
Letztens schrieb ich also diesen Text über das Phänomen »kurzfristiger Personalausfall«. Und gestern las ich diesen Tweet eines Notfallpflegers:
Die nächste Kollegin schmeißt das Handtuch und wandert aus. Wieder eine tolle Pflegekraft, die am Bett fehlt. Läuft! (@RicardoLange4, 25.7.2022)
Nein, es »läuft« nicht wirklich – außer man meint einen »Lauf« zum Great Reset. Einen Wettlauf zur Zweiteilung der Weltbevölkerung. Eine Zweiteilung zwischen dem einen Tausendstel, wie Soros und Co., und dem armen Rest, der nichts besitzt, Insekten frisst und sich nicht zu beschweren wagt, denn Würde und Grundrechte einzufordern gilt als Hass und Hetze.
Nein, es läuft nicht, und es funktioniert auch nicht mehr so, wie wir es uns wünschen würden. Politik und Presse versichern uns, dass alle Missstände die Schuld der Opposition und aller Zweifler seien – der »Rechten« – jedoch, die Schuldzuweisungen wirken bald wie ein Ritual. Man muss es tun, doch man glaubt nicht mehr wirklich dran.
Woran »glaubt« man aber dann?
Der Doppelpunkt
Eine liebe Leserin wies mich dieser Tage auf eine Studie hin, welche die deutsche Regierung im Jahr 2021 erstellen ließ. Der Titel lautet »Zukunft von Wertvorstellungen der Menschen in unserem Land« (PDF via vorausschau.de).
Der Titel klingt ungelenk, und man meint fast, Angela Merkel hätte ihn geschrieben. Das Projekt hinter jener Studie heißt, wenn man ihn liest, »Vorausschau«, was sich aber augenscheinlich »VORAUS:schau!« schreibt. (Der Doppelpunkt als Simulation von Denktiefe, siehe auch »re:publica« oder von mir »Krankenschwester:in«.)
Ich vermute, dass der Titel von Philosophen stammt, und zwar von deutschen. Speziell aus der deutschen Philosophie wissen wir, dass die deutsche Bildungs-Mittelschicht geradezu erotischen Reiz dabei empfindet, wenn banale Gedanken unlesbar formuliert werden.
Bedenkenswerte Inhalte
Die Regierung hat nun also zwei Berater-Firmen beauftragt, wenn ich das richtig verstehe, Szenarien für eine mögliche Zukunft durchzudenken. Ich rate mal ins Blaue hinein, dass sich die Kosten im mittleren sechsstelligen Bereich bewegten.
Bei solchen Projekten dienen Bullshit-Bingo und ausgedachte Kunstwörter oft zur Rechtfertigung, warum für eine aufgemotzte Hauptseminar-Arbeit ein Preis berechnet wird, für den sich ein Einfamilienhaus samt Grundstück in guter Lage erwerben ließe.
Bereits der erste Satz der Einleitung erfreut den Leser mit einem Feuerwerk des Berliner Bullshit-Bingo: »Aufgabe von Strategischer Vorausschau«, »Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren« und natürlich »Bruchlinien zu identifizieren« – und so geht es dann weiter.
Wenn man jedoch als Leser die Mühe auf sich nimmt, die teigige Berater-Sprache zur Seite zu kratzen, enthält die »Studie« aus dem »Zukunftsbüro des Foresight-Prozesses (Foresight III)« bedenkenswerte Inhalte.
Schauen Sie sich das PDF der Zusammenfassung bei vorausschau.de gern selbst an. Wenig von dem, was Sie dort lesen, wird Sie überraschen. Mutmaßlich haben Sie viele Gedanken zuvor bei den Freien Denkern gelesen – wenn es Ihnen nicht selbst offensichtlich ist.
Wird ein Gedanke wichtiger und intelligenter, wenn man Berater-Bullshit-Vokabeln darüber kleistert? Nun, er wird auf jeden Fall teurer (wenn man das Gebräu zu verkaufen versteht, auf diese oder jene Weise) – nicht zwingend falscher.
Besonderes Interesse erregte das Szenario 3.5, mit dem Titel »Das Bonus-System« (PDF, S. 33). Es beschreibt die Umsetzung eines »Bonus-Systems« nach Vorbild Chinas, das ab 2030 umgesetzt werden könnte.
Wir lesen den erhellenden Gedanken, dass ein deutsches Bonus-System mit dem Thema »Klimawandel« motiviert werden könnte. Der Text listet eine Auswahl ethischer Probleme. So wäre eine Freiwilligkeit nicht wirklich freiwillig, wenn sich zu enthalten echte Nachteile zur Folge hat (wehe, jemand zieht Parallelen zu aktuellen Entwicklungen!), oder dass die »Abgehängten« dieses Systems zumeist auf Dauer abgehängt bleiben.
Ich lese dieses und die übrigen Szenarien nicht (nur) als Beschreibung einer Absicht. Ich lese diese Überlegungen als konkrete Warnung – und ich vermute, dass die Autoren diesen Text auch als Warnung meinten (oder zumindest dies nicht ausschlossen).
Wenn jedoch ausgerechnet die umbenannte SED zu dieser Studie anfragt, ob die Regierung beabsichtige, siehe bundestag.de, 10.9.2021, ein soziales Punktesystem nach chinesischem Vorbild einzuführen, das hat dann doch zynische Ironie. Die Regierung versicherte: »Ein Bonus-System nach chinesischem Vorbild, wie es im fünften Szenario beschrieben wird, sei von der Bundesregierung nicht geplant.« (Natürlich hören wir alle, und gerade die umbenannte SED, die Worte »niemand hat die Absicht« heraus. Ich frage mich, welche der beteiligten Parteien das so beabsichtigte.)
Wer und Wie
Nein, mein Problem ist nicht, dass ich befürchten würde, dass die Regierung wirklich aktiv ein solches System plant – oder realistisch umsetzen könnte.
Ich schließe es schon deshalb aus, weil ich die deutsche Regierung nicht für psychologisch kompetent genug halte, ein solches System in der Gesellschaft durchzusetzen. (Auf lokaler Ebene sowohl in Deutschland als auch in Österreich testen Städte und Landkreise allerdings schon, ob und inwieweit sich Bürger via »Nudging« nach chinesischem Vorbild zum korrekten Verhalten »schubsen« lassen; siehe standard.at, 11.7.2022. Man hört mehr Kritik als Erfolgsmeldungen.)
(Notiz: Sicher, als Autor der Relevanten Strukturen hätte ich mir gewünscht, dass die Studie nicht bloß die Werte der Bevölkerung abfragt, sondern auch eine Theorie dazu angibt, was ein Wert überhaupt ist – aber gut. Es ist nicht Mut in Theorie oder Methodik, was dem Regierungs-Berater die Rechnungen bezahlt.)
Dieser Hase
Mir fällt an jener »Wertestudie« der Regierung etwas auf, eine Erkenntnis an der Meta-Ebene: Politiker und ihre Berater verstehen, dass die Frage nach ihren Werten die Gesellschaft der Zukunft prägen wird.
Politiker lassen Studien entwerfen und plausible Szenarien skizzieren, inklusive überraschend präzise durchdachter Warnungen.
Wie schon Merkel werden Politiker auch zukünftig »Nudging« und andere Techniken der Manipulation einsetzen. Das Familienministerium scheint inzwischen recht offen die Rolle des »Propaganda-Ministeriums« einzunehmen. (Und das schon sein einiger Zeit. Siehe Broders Text vom 26.4.2017 bei achgut.com oder meinen Essay vom 27.11.2020.)
Man verfügt über ein großes Millionenbudget, das an willige Vereine und Multiplikatoren verteilt wird. Man verfolgt offen das Ziel, die Werte der Bürger nach Wunsch der Regierung zu justieren. (Spätestens jedoch, wenn man bei dieser Manipulation mit ausländischen Finanzakteuren zusammenarbeiten sollte, würde unübersehbar werden, wohin dieser Hase wirklich läuft.)
Die Regierung zahlt große Summen, um die Werte der Bevölkerung auf Linie zu bringen. Politiker reden unablässig von Werten. Der Staat zwingt die Bürger, einen milliardenschweren Staatsfunk zu finanzieren, auf dass dieser dem Bürger die Werte-des-Tages einhämmert.
Nur das Wichtigste, das Entscheidende, das Sine-qua-non, das fehlt leider. Es klingt so banal, wie es verheerend ist für die Idee der Demokratie – und eigentlich jeder anderen denkbaren Staatsform: Es funktioniert nicht, wenn Politiker wenige Werte außer ihrer Macht und dem eigenen Vorteil aufweisen – und dafür so manche Abhängigkeit von fragwürdigen Kräften in Kauf nehmen.
Warum, warum?
Warum treten Politiker heute denn kaum noch zurück? Warum kann ein Scholz trotz »Erinnerungslücken« weiterregieren? Ein Rücktritt aus Scham setzt zumindest den Anschein von Werten außerhalb von Macht und eigenem Vorteil voraus. Man hat nicht nur wenige nach außen gerichtete Werte, man setzt zusätzlich voraus (und hilft mit dem Geld der Bürger nach), dass die Presse als Sprachrohr des Volkes nicht allzu nachdrücklich Werte einfordert.
Früher räumten Politiker ihr Amt (oder wurden sogar entlassen!), wenn sie beim Mogeln in der Doktorarbeit erwischt wurden. Heute genügen drei vulgäre Sätze gegen die Opposition und man darf sich wieder zu den »Guten« zählen.
Lokales Funktionieren
Wo Deutschland noch funktioniert, funktioniert es nur dort und deshalb, wo und weil Menschen von Werten geleitet sind, welche ihre Heimat und ihre Mitmenschen einschließen.
Auf lokaler Ebene, im Stadtrat, in örtlichen Vereinen und Initiativen, da kann Deutschland noch funktionieren – soweit es gelingt, sich dem destruktiven Wahnsinn der Bundespolitik zu entziehen.
Doch da, wo Politiker und Journalisten ohne erkennbare eigene Werte die Entscheidung und die Denkweisen der Menschen bestimmen, da funktioniert es eben nicht.
Ab und zu
»Läuft«, meinte jener Krankenpfleger. Doch er meinte es zynisch. Aus seinen Worten klingt mir trauriger Sarkasmus. Es läuft eben nicht.
Es läuft nicht, wenn und wo Entscheider von keinen Werten mehr geleitet werden – außer Macht und der eigenen Bereicherung.
Es läuft nicht, wenn und wo Bürger gar nicht erst Werte von ihrer sogenannten »Elite« einfordern, weil es ihnen inzwischen geradezu lächerlich erschiene.
Deshalb bin ich ja so wütend auf die deutsche Journaille: Einst war es die Aufgabe der Schreiber und Gedankenarbeiter, dem Volk zu helfen, seine Werte zu finden und zu befestigen, sie im Herzen und in der Tat zu verteidigen. Schreiber, die echte Werte verteidigten, waren gewissen Kräften ein Dorn im Fuß – das war ja deren Aufgabe! – also wurden sie ausgetauscht. (Man findet die Beharrlichen vereinzelt in Refugien wie den Freien Denkern.) – Wie aber soll ein Volk die Worte für seine Werte finden, wenn die Journalisten dem Volk alle Werte abtrainieren. Man erklärt den Kampf gegen Andersdenkende als neuen Superwert. Jeder andere traditionelle Wert soll dem Volk abtrainiert werden, wie man dem Hund eine störende Eigenschaft abtrainiert. Welche Werte sollen diese Deutschen von ihren Herrschern einfordern?
Wie anders?
Es läuft nicht, wo und weil wir vergessen haben, wer wir sind, und was unsere Werte sind, sprich unsere relevanten Strukturen.
Es läuft nicht, weil wir uns dessen nicht bewusst sind, dass »wer wir sind« und »unsere relevanten Strukturen« sich auf dieselbe Wahrheit beziehen.
Sehen wir denn noch eine greifbare Chance, eine Hoffnung darauf, dass es wieder läuft und funktioniert?
Ich sage: Es kann und wird funktionieren, wenn und wo wir uns dessen bewusst sind, was unsere Werte sind, was uns wichtig sein soll, und wofür wir jenseits von Nutzen und Laune zu streiten bereit sind.
Nur das wird funktionieren, wofür wir kämpfen, wenn und weil unsere Werte uns dazu treiben.
Wie sollte es auch anders sein?