Dushan-Wegner

24.10.2020

Monster, Köpfe und die zweite Debatte

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Foto von Johnny Bray
Was sind das für Mächte, die gegen alle Vernunft (und gegen den Weltfrieden) unbedingt den greisen Biden an die Macht heben wollen?
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Wenn ich meinen Kindern von einem Monster erzählte, das tausend Köpfe an tausend Hälsen trägt, und jeder Kopf hat seinen eigenen Kopf und seine eigene Meinung, hat seine eigene Absicht, und ist doch Teil und Teil des Wesens desselben einen Monsters, wenn ich meinen Kindern von einem solchen Vielköpfigen erzählte, würden sie ihren eigenen kindlichen Kopf schütteln, und mit dem Augenrollen des jugendlichen Allwissens würden sie mir die Stellen in den alten Büchern nennen, aus denen ich mich »inspirieren« ließ (um nicht uninspiriert »klauen« zu sagen).

Ich darf heute Sie, liebe Leser, nach einem anderen Monster fragen, und meine Frage lautet: Als Sie letztens so richtig wütend waren – Sie wissen schon… – waren Sie, als Sie geschrien und gepoltert haben, derselbe Mensch wie jetzt, in diesem Augenblick, wenn Sie mit ruhigem Atem die wilden Schlenker Ihres liebsten Essayisten lesen?

»Legion heiße ich; denn wir sind unser viele« – warum sollte solch solides Multiselbstbewusstsein dem Daimon des Evangeliums vorbehalten sein? Darf ich denn keine Medusa sein, kein Biest aus den Weltmeeren, kein eigener Leviathan? (Ein neuer Dämon, ein böser, ruft: »Wir sind mehr!« – Reden wir nicht weiter über diesen, denn seine vielen Köpfe scheinen mir keineswegs jeweils jeder einen eigenen zu besitzen – nicht alles, was dämonisch wirkt, ist auch unsere Zeit wert.)

Ich darf, ich muss, sonst müssten alle die viele Psychiater sich einen neuen Job suchen, Programmierer vielleicht – der Kopf des Schreibers des Folgenden dankt aber an dieser Stelle dem des Vorherigen fürs Stichwort »Leviathan«, der sich hier bald ein weiteres Mal erheben wird, doch zuerst: die Nachrichten des Tages.

In gewöhnlichen Zeiten

Am Donnerstag-Abend vergangener Woche (früher Freitag-Morgen europäischer Zeit) trafen sich der US-Präsident Donald J. Trump und sein greiser Herausforderer Biden zum zweiten und letzten von drei Fernsehduellen. (Die eigentlich zweite Debatte war ausgefallen, nachdem die umstrittene Debatten-Kommission sie als Videokonferenz stattfinden lassen wollte, Trump ablehnte – und es half nicht, dass der für die zweite Debatte angesetzte Moderator bei der Absprache mit einem Trump-Hasser erwischt wurde.)

Wie zur ersten Debatte war ich wieder in den frühesten Morgenstunden wach geworden und habe es live geschaut (ganze Debatte als Video via CSPAN bei YouTube).

Die erste Debatte ein recht offener Schlagabtausch zwischen dem US-Präsidenten, dem demokratisch gewählten »Mann des Volkes«, und dem Moderator, der sich schützend vor den greisen Herausforderer Joe Biden warf (siehe mein Essay dazu: »Debatte, Chaos und kluge Berufswahl« vom 30.9.2020).

Die zweite und finale Debatte war etwas fairer gehalten – und prompt sah Joe Biden gar nicht gut aus. Seine vorm Spiegel einstudierten Talking Points wirkten wie eben solche. Trump konnte Biden explizit vorführen, wie dieser das Thema wechseln wollte um dann auf abgestandene Stanzen zurückzugreifen (für Beispiel siehe rev.com, 12:59: »That’s a typical political statement…«).

Wie ein asiatischer Kampfkünstler drehte Trump einige von Bidens Attacken-Versuchen gegen diesen um, etwa als von den berühmten Käfigen (»cages«) für illegale Einreisende die Rede war, die Biden dem aktuellen Präsidenten anhängen wollte – die aber von Obama gebaut worden waren – und fragte wiederholt: »Who built the cages?« (rev.com, 34:26 und Folgende)

Biden schaute an einer Stelle lange auf seine Uhr (siehe YouTube via »GOP War Room«); einige spekulierten, dass er via Smartwatch einen Talking Point für das anstehende Thema souffliert bekam, andere höhnten, dass er grübelte, wie lange wohl die Wirkung des Espressos anhalten würde – und im letzten Teil der Debatte baute der greise Biden tatsächlich hör- und spürbar ab, verhaspelte sich und wurde fahriger.

Nach traditionellen Maßstäben hatte Trump die zweite Debatte gewonnen. In gewöhnlichen Zeiten müsste die Wahl mit der zweiten Debatte praktisch gelaufen sein.

Der greise Biden spielte nicht einmal in derselben Liga wie Trump, manche sagen, die beiden spielten nicht einmal dieselbe Sportart.

Meine Reaktion auf die Debatte war nicht, »diese Wahl ist gelaufen«, nein – ganz und gar nicht. Ich kommentierte als spontane Reaktion dies:

Biden kann in regulärer, fairer Wahl nicht gewinnen. Bereitet euch auf eine Propaganda-Entscheidungsschlacht der Medien vor, wie wir sie seit Jahrzehnten nicht gesehen haben. Die Lügen sind bereits offen und dreist, sie werden noch dreister werden, der Trump-Hass noch rasender. (@dushanwegner, 23.10.2020)

Mit »regulärer, fairer Wahl« meine ich eine Wahl, in welcher, als eine der notwendigen Bedingungen, allen Wählern die realistische Möglichkeit offensteht, sich über das Geschehen halbwegs objektiv und adäquat detailliert zu informieren – und in welcher die Positionen und Leistungen der gegeneinander antretenden Kandidaten nicht derart verzerrt dargestellt werden, dass ein unbedarfter Zuschauer zu Schlüssen kommen könnte, die dem Gegenteil dessen entsprechen, was er bei vollständiger Informationslage geschlossen hätte (habe ich »von Propaganda manipuliert« höflich genug umschrieben?).

Nein, die US-Wahl 2020 ist keine »reguläre, faire Wahl«, und nicht (nur) wegen COVID-19.

Man hört

Am 23.10.2020, zwischen der zweiten Debatte und diesem Text, wurde gemeldet: »Auch Sudan normalisiert Beziehungen mit Israel« (welt.de, 23.10.2020). Es ist nicht Trumps erster Erfolg im Nahen Osten:

In der Einleitung zum Text Essay vom 13.9.2020, »Sturmjäger wider Willen« schrieb ich: »Medien machen den Mann fertig, der Frieden in den Nahen Osten bringt – und wollen dafür die verwirrte Marionette Joe Biden an die Macht heben.« – Ich bleibe dabei. (Übrigens: Die Website promiseskept.com listet Trumps gegebene und gehaltene Wahlversprechen, zumindest aus Sicht des Trump-Teams.)

Nein, Trump war noch nie ein »konventioneller« Präsident. Doch er ist ein erfolgreicher Präsident (auch wenn das finale Urteil zu seiner COVID-19-Strategie aussteht).

Der Hass, der Trump von gewissen Akteuren entgegenschlägt, ist durch keine bekannten Ereignisse, Handlungen oder Ergebnisse gerechtfertigt – ein guter Teil der Vorwürfe gegen ihn (etwa »Russia Hoax«) ist frei erfunden – seine überragenden Erfolge aber wie die konkreten Schritte zum Nahost-Frieden werden ignoriert.

Nun, ich glaube niemandem, der sagt, er kenne den einen Grund, warum gewisse »außerdemokratische« Akteure in den Multifronten-Krieg gegen Trump ziehen. Man hört Schlagworte wie »Deep State«, man hört von der Clinton-Stiftung, von den Geschäften der Bidens, doch beides scheint mir zu »klein«.

Es braucht keine Schlagworte, um zu wissen, dass China seine Macht auf die Welt ausdehnen will – und dass sie für westliche Moralhemmnisse wenig mehr als ein höfliches Lächeln und unhöfliche, aber präzise Ausdrücke wie »Baizuo« übrighaben.

Was passiert da?

Wir sind wie die Menschen vor der Erfindung der Naturwissenschaften, welche die verschiedenen Tierarten sahen, und das Leben des Menschen, den Sturm und die Flut, und sich Metaphern suchten um die Welt zu erklären, damit sie irgendeine Sprache hätten, um über das zu sprechen, was sie sonst überhaupt nicht verstanden hätten. (Als sie dann schleichend die Metaphern für »wahr« halten, kamen dann wieder ganz neue Probleme auf…)

Berge aus dem Wasser

Wenn ein König seinen Kurier losschickt, und der eine Nachricht überbringt, wer war der Handelnde? Der eine würde »der König« sagen, der zweite »der Kurier« – was spräche, außer unserer Trägheit, dagegen, dass es die Nachricht selbst ist, welche König wie Kurier zu ihren Ausführenden werden lässt.

Wenn eine Erschießungskommando einst einen Verurteilten hinrichtete, so berichtet die Legende, wurde nicht allen Schützen auch scharfe Munition gegeben. Der Gedanke war, dem einzelnen Soldaten die Gewissheit der Schuld zu nehmen; mit anderen Worten: das Kollektiv tötete, nicht ein bestimmter Einzelner. (Randnotiz: Ein erfahrener Soldat erkennt am ausbleibenden Rückstoß, ob/wenn die Munition nur eine Platzpatrone war, deshalb wurden bei Erschießungen auch vereinzelt Patronen mit Wachskugeln eingesetzt, damit jeder der Schützen einen Rückstoß spürte – was man nicht alles tut, um die Schuld fürs Handeln vom Einzelnen aufs Kollektiv zu übertragen!)

Und wenn doch

Der einzelne Mensch, wenn er eine Sekunde darüber nachsinnt, spürt ja in sich mehr als eine Persönlichkeit je nach Tageszeit und Alter, Stimmung und Gesundheitszustand, und also handelt er immer als Mehrzahl von Handelnden, mal zu dieser, mal zu jener Meinung neigend. Wir wissen selten, welche unserer eigenen Facetten eine Entscheidung traf, welche gar »die wahre« Facette wäre. Noch weniger können wir es bei großen bekannten Institutionen angeben, welcher Einzelne eine Entscheidung traf. (In funktionierenden Demokratien ist es geradezu ein Qualitätsmerkmal und Anlass zum Stolz aufs System, dass kein Gesetz auf einen Einzelnen allein zurückzuführen ist – und wenn doch, ist es gewiss keine Demokratie.)

Wenn weder im Einzelnen noch in Institutionen die Handlungen auf eine einzige Instanz zurückzuführen sind, um wie viel weniger bei jenen Handlungen, bei denen wir zwar die gestoßene Kugel sehen, und den Schaden, den sie anrichtet, aber nicht die Hand, welche die Kugel stößt?

Im Hobbesschen Leviathan erhebt sich der Staat aus dem Meer des Volkes – aus eben diesem gebildet. Der neue Leviathan scheint zunächst wie ein Anti-Leviathan, doch sein Material wirkt wie das Material seines Vorbildes – sind wir es selbst, die wir uns im Fernsehen die Lügen erzählen, als unsere neuen, traurigen Einschlafgeschichten?

Wir erleben ein Monster mit vielen Köpfen und Gesichtern. Das Monster, so scheint es, will heute einen Greis von sehr zweifelhaftem Charakter ins Weiße Haus heben – fast als ertrüge es nicht, wie Trump der Welt echten Frieden bringt? (Biden würde, selbst wenn er ins Amt gemogelt würde, kein halbes Jahr überleben – vielleicht auch buchstäblich nicht – und danach käme die »umstrittene« Harris und mit ihrer Partei einige offene Israelhasser und Antisemiten; siehe auch den Essay vom 15.4.2019.)

Wir wären nicht konsequent

Ein Monster erhebt sich – ich kenne seine Absichten nicht. Ich sehe die Schläge, ich sehe wo das Monster hinschlägt. (Manche Schläge des Monsters sind denkbar gefährlich – andere sind glatt lächerlich, etwa der Auftritt der zuletzt vor allem durch ihren Oppositionshass bekannte Seniorengruppe »Die Ärzte« in den Tagesthemen; siehe @tagesthemen, 23.10.2020.)

Wir wären nicht konsequent in der Metapher – und konsequent wollen wir immer sein – wenn wir nicht die letzte der Möglichkeiten anrissen: Wir selbst könnten Teil des Monsters sein, das spürbar in sich schlägt, das die Meere aufwirbelt und plötzlich Berge aus dem Wasser steigen lässt.

Wenn mir jemand von einem Monster erzählte, das tausend Köpfe an tausend Hälsen trägt, und jeder Kopf hat seinen eigenen Kopf, und hat seine eigene Meinung, hat seine eigene Absicht, und doch wäre es ein einziges Monster, wenn mir einer von so einem Monster erzählte, wäre es eine gute Gute-Nacht-Geschichte? Nun, es wäre unsere Gute-Nacht-Geschichte.

Und jetzt, liebe Leser, schlaft gut – doch schlaft mit einem Auge offen!

Weiterschreiben, Wegner!

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