03.01.2025

Nicht ablenken lassen

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Jeden Tag ein neuer Spaß«
In Las Vegas tötet sich ein Mann in einem Cybertruck vor einem Trump-Hotel. In New Orleans rast wieder einmal ein ISIS-Fan in eine Menschenmenge, tötet 15. Was macht es mit uns, täglich diesen Horror zu hören?
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Auch während ich dieses Kapitel schreibe, geschehen Dinge in der Welt, von denen es sehr verständlich wäre, wenn sie unsere Aufmerksamkeit ganz auf sich zögen.

Zum Beispiel in den USA: Vor einem Hotel in Las Vegas explodiert ein Sprengsatz in einem Auto. Das Hotel trägt den Namen Trump und das Auto ist ein Tesla Cybertruck.

Der einzige Tote ist der Fahrer im Auto, und es stellt sich später heraus, dass dieser eine Kopfschusswunde hatte (tagesschau.de, 03.01.2025) – merkwürdig!

In New Orleans fährt ein Mann in die feiernde Menge und tötet 15 Menschen (nypost.com, 01.01.2025). Spannend ist aber, dass beide Täter ehemalige US-Soldaten sind und wohl auch auf der Basis Fort Bragg in North Carolina stationiert waren.

Man hört bald wilde Verschwörungstheorien: Waren beide Soldaten, wie die Roman- und Filmfigur Jason Bourne, tatsächlich gehirngewaschene Killer? Ist es ein False Flag, um die USA in Unruhen zu stürzen und Donald Trumps bevorstehenden Amtsantritt zu verhindern?

Ach, bei näherem Hinsehen stellen wir fest, dass vermutlich alles nicht ganz so ungewöhnlich ist.

Dramatisch, nicht neu

Der Täter von Las Vegas hieß Matthew Livelsberger; seine Frau hatte sich kurz zuvor von ihm getrennt, nachdem sie ihm vorgeworfen hatte, fremdgegangen zu sein (nypost.com, 03.01.2025). Die beiden hatten ein Baby, und der nun tote Vater Matthew war weder Trump noch Musk abgeneigt.

Die küchenpsychologische These erscheint mir auch die im Augenblick wahrscheinlichste: Das Herz dieses Mannes war zerbrochen (dass er womöglich Mitschuld an der Trennung trug, widerspricht dem nicht). Nachdem ihm das, was er am meisten liebte, abhandengekommen war, sah er keinen Grund mehr zu leben. Also beschloss er, zu sterben.

Er wollte in der Umgebung der anderen beiden Dinge, die er liebte, sterben. In seinem Cybertruck und ja, in Nähe eines Trump-Symbols.

Er war Soldat und ehemaliger Drohnenpilot, also wohl technisch versiert. Wenn er einen Mini-Sprengsatz in dem bekanntermaßen als »Straßenpanzer« ausgelegten Cybertruck zündete, wird er gewusst haben, dass die Explosion außerhalb des Fahrzeugs nur eine geringe Wirkung entfalten würde. Sein Sprengsatz war so knapp berechnet, dass er sich »zur Sicherheit« vorab selbst in den Kopf schoss. Das alles ist schrecklich und dramatisch, aber in der grundsätzlichen Motivation nicht ganz neu.

(Ich fühlte mich an einen Fake-Werbespot für den Volkswagen Polo aus dem Jahr 2004 erinnert; und ich war nicht allein damit. In jenem nicht von Volkswagen beauftragten makabren Spaß sprengt sich ein palästinensischer Selbstmordattentäter in einem VW-Polo in die Luft – doch die Explosion bleibt im Auto, das nur einen kleinen Hüpfer macht. Im Fall des Selbstmörders von Las Vegas folgt, zwanzig Jahre später, wieder einmal die Realität der Kunst.)

Als hätte er es erwartet

Der Täter von New Orleans aber, der in eine Menschenmenge fuhr, war wohl tatsächlich gehirngewaschen, aber nicht von MKULTRA. Der Täter hieß Shamsud-Din Jabbar. Er bekannte sich zur ISIS und schwenkte ihre Flagge. Bei ihm daheim fand man eine Bombenbau-Werkstatt.

Als hätte er erwartet, dass das FBI sein Zuhause durchsuchen wird, fand man laut aktuellen Meldungen bei ihm daheim einen demonstrativ aufgeschlagenen Koran, und eine Passage ist lesbar, die übersetzt etwa besagt: »Sie kämpfen für Allahs Sache, töten und werden getötet …« (nypost.com, 02.01.2025) (Nur Stunden nach dem Anschlag in New Orleans marschieren gewisse Individuen durch New York und fordern die Intifada; so nypost.com, 02.01.2025.)

Auch im Fall des ISIS-motivierten Mörders von New Orleans lässt sich ähnlich sagen: Das alles ist schrecklich und dramatisch, aber in der konkreten Motivation nicht ganz neu.

Während alle um dich herum durchdrehen

Der wahre Charakter von Kapitän und Matrose offenbart sich bekanntlich nicht bei ruhiger See oder gar im Hafen (wobei sich beim Landgang im Hafen natürlich ein anderer wahrer Charakter zeigen kann). Der wahre Charakter eines Seemanns wird bei Sturm und hohen Wellen offenbar. Wie es in »If–« von Rudyard Kipling heißt: »Wenn du einen kühlen Kopf bewahren kannst, während alle um dich herum durchdrehen …«

Bei aufwühlenden Meldungen, bei explosiven und mörderischen Ereignissen, gerade bei diesen Erschütterungen will ich mich darin üben, nicht mein Gehirn abzuschalten – weder um jeden Mist zu glauben, noch um nichts wahrzunehmen.

Die intelligente Deutung dieser beiden Ereignisse in den USA ist auf den ersten Blick »langweilig« … doch wenn man eine Sekunde nachdenkt, wenn man etwa an Kriegs- und Krisengebiete denkt, wird der wahre Schrecken deutlich: Weit schrecklicher als schockierende, überraschende Anschläge sind Anschläge, die nicht mehr schockierend und überraschend sind.

Was und worüber

Ja, diese Ereignisse ziehen meine Aufmerksamkeit auf und an sich. Auch das gehört also zur modernen Überlebenskunst: Nachdem ich die dramatischen Ereignisse des Tages gesehen habe, will ich meine Aufmerksamkeit wieder zurückhaben, will selbst bestimmen, worauf ich meine Gedanken lenke. – Was war das noch mal?

Worüber wollte ich nachdenken?

Worum mich bemühen?

Es ging um Intelligenz, glaube ich, doch ich bin nicht sicher.

Ich fürchte, diese ganze Aufregung macht den Menschen dumm.

Es wirkt fast so, als wollte man uns mit dauernder Aufregung und Schrecken und Angst dumm halten – hoppla, da habe ich doch glatt etwas Verschwörungstheoretisches gedacht!

Ich will mehr Intelligentes darüber denken – sobald es wieder gelingt, die Gedanken auf intelligente Art zu sammeln.

Das ist ja das Vertrackte an der Intelligenz: Wie die Zange, zu deren Herstellung es eine Zange braucht, und wie die Weisheit, nach der zu streben es Weisheit braucht, so braucht es Intelligenz – und Ruhe! –, um sich mehr von ebendieser Intelligenz zu erarbeiten.

Weiterschreiben, Wegner!

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