Galtonbrett. Kennen Sie ein Galtonbrett? Es ist wichtig. Es hilft jungen Mathematikern, die Phänomene Zufall und Wahrscheinlichkeit zu verstehen. Es hilft auch, die heutige Zeit zu verstehen. Ich will es schnell beschreiben!
Im oberen Drittel des Galtonbretts (auch »Zufallsbrett« genannt), werden Nägel eingeschlagen. Die Nägel sind in einem präzisen Raster angeordnet. Im unteren Drittel finden sich horizontal angeordnete Fächer.
Das Brett wird aufrecht gestellt mit der Nagel-Seite nach oben. Mit einem Trichter werden oben einzelne Murmeln (oder andere Kugeln) in das Nagelfeld fallen gelassen. Die Murmeln springen zwischen den Nägeln hin und her, bis sie unten in eines der Fächer fallen (siehe auch: Wikipedia, Animation).
Kann man vorhersagen, wie die Murmeln fallen werden? Die Antwort auf diese Frage offenbart ein schönes Paradoxon: Wie die einzelne Kugel fallen wird, das weiß der Zuschauer nicht im Voraus (dafür müsste er jedes Atom aller Oberflächen kennen und das Abprallen daran berechnen) – wie sich die Kugeln aber insgesamt anordnen werden, das lässt sich durchaus vorhersagen.
Dass man beim Galtonbrett zwar nicht den Verlauf der einzelnen Kugel, doch aber die Anordnung der Gesamtheit vieler Murmeln vorhersagen kann, das ist ein gutes Sinnbild für die Vorhersage politischer Entwicklungen.
Juni der Unzufriedenheit
Ich spreche täglich mit Menschen aus anderen europäischen Ländern. Ich beobachte über die Jahre nun einen Wechsel im Tonfall, in welchem über die Bundesrepublik Deutschland gesprochen wird. Lange Jahre war es Bewunderung und auch ein wenig Neid. Spätestens Ende 2015 wurde es zur Wut. 2018 wurde aus der Wut ein Schulterzucken. Immer mehr »einfache Europäer auf der Straße« wünschen sich von der eigenen Regierung, sie mögen sich bitte von Deutschland abkoppeln.
Gestern, als Deutschland mit 0:2 gegen Süd-Korea aus der Fußball-WM ausschied, kam noch etwas dazu: Häme. Viel Häme! Engländer, Spanier, Tschechen, Österreicher – nicht wenige Europäer jubelten, dass »die Deutschen« zumindest symbolisch einen auf die Nase bekamen. Meinten sie »die Deutschen« oder »Merkel«? Es ist leider nicht trennbar, nicht von außen und nicht von innen.
Der US-Nachrichtendienst Bloomberg titelte gestern: »Germany’s June of Discontent: Merkel, Mercedes, Soccer in Crisis«, heute änderten sie den Titel desselben Textes: »Germany Has More to Worry About Than Going Out of the World Cup« (bloomberg.com, 27.6.2018) – Übersetzungen: »Deutschlands Juni der Unzufriedenheit: Merkel, Mercedes, Fußball in Krise«, und: »Deutschland hat mehr Probleme als aus der Fußball-WM auszuscheiden«. Ja, es ist symptomatisch.
Vor der WM hat Merkel »Die Mannschaft« besucht. Wie immer versuchte sie, sich und »Die Mannschaft« in den Köpfen der Fußballfans zusammenzubringen (siehe z.B. sportschau.de, 3.6.2018). Es gelang, doch das war nicht gut für sie. Auf dem aktuellen Spiegel-Cover sieht man Merkels Raute, doch Sand läuft zwischen ihren Fingern und in das Glas einer Sanduhr. »Endzeit« steht da. Es passt zusammen. Ich kenne da ein Sprichwort. Es hat mit Sachen zu tun, die man einmal am Hacken kleben hat, und die dann nicht weggehen. So geht es Merkel, weil sie und ihre Schemelhalter ein paar Regeln ignoriert haben.
Die Regeln
Am Ende gewinnt die Realität, immer. Die einzelne Kugel mag auf eine Art fallen, die wir nicht vorhersehen konnten, das Gesamtergebnis wird jedoch stets die Verteilung ergeben, die man für dieses Brett erwartet.
Die deutschen Wirtschaftszahlen mögen noch gut sein, doch es nutzt dem Bürger wenig, wenn die Straßen, Schulen und Plätze kaputtgehen. Clankriege. Ärzte mit Polizeischutz. Einsturzgefährdete Schulen. Massenschlägereien. Die Murmeln folgen den Regeln des Brettes, nicht den Wünschen der Moralisten.
Nachdem die 68-er in Medien und Bildungswesen »durchmarschiert« waren, beschloss man, zu tun, als ob die Kugeln alle nach links fallen würden. Wenn eine Kugel tatsächlich nach links fiel, dann wurde die Kamera draufgehalten und der Fall als typisch bezeichnet. Wenn die Kugel woanders hinfiel (also so, wie es zu erwarten ist), wurde es als »Einzelfall« abgetan, und es wurde verboten, von vielen Fällen auf eine Regel zu schließen. Mit der Waffe »politische Korrektheit« wurde es zum Tabu erklärt, darüber zu reden, wie die Murmeln wirklich fallen.
2018 ist das Jahr, in dem die linken Kartenhäuser in sich zusammenfallen. Die Realität folgt Regeln wie »Kausalität« – und sie wird es weiterhin tun, ob das Linken passt oder nicht. »Konservative« sind einfach Leute, welche die Regeln der Realität als solche anerkennen. Die Realität ist nicht verhandelbar. Man kann und muss die Realität verändern. Doch: Wer die Welt wirklich zum Besseren ändern möchte, braucht Kenntnis von den Regeln der Welt, und Werte, entlang derer er sie verbessert.
Im Text Es gibt kein Recht auf Dummheit habe ich »Dummheit« als »Zusammenhangsblindheit« definiert. »Dumm ist der, der Dummes tut«, sagt Forest Gump im Film. Ich sehe das ähnlich: Dummheit ist die Eigenschaft einer Handlung. Wir nennen einen Menschen dumm, wenn seine Handlungen regelmäßig dumm sind – sprich: wenn in seiner Handlung die Zusammenhänge der Dinge ignoriert werden. Dumm sein hat nicht unbedingt mit Intelligenz zu tun! Ein Mensch mit einem IQ von 130 kann sich für »extra schlau« halten und so in Fallen tappen. Ein »nicht so schlauer« Menschen kann realistisch wissen, dass er »nicht so schlau« ist, und er wird daher extra vorsichtig sein. Ich zum Beispiel halte mich nicht für besonders schlau, deshalb lasse ich mich ständig von Experten beraten – und das wiederum halte ich für schlaues Handeln. Dummheit bedeutet, zu ignorieren, wie die Dinge der Welt zusammenhängen. Klugheit bedeutet, die Zusammenhänge der Welt zu kennen und bei seinen Handlungen zu bedenken.
2018 ist das Jahr, in dem sich nicht mehr leugnen lässt, wie die Murmeln wirklich fallen.
Heute läuft wieder Bundestag. Die Fußball-WM ist für Deutschland vorbei, also findet der Bundestag wieder etwas mehr Beachtung. (Nicht vergessen: Zu Beginn der WM gönnten sich die Regierungsparteien erst einmal einen Viele-Millionen-Euro-Schluck direkt aus der Staatskasse, ohne Umweg und direkt in die Parteikassen – Stichwort: Parteienfinanzierung.) Merkel sprach auch heute wieder. Unter den Sätzen, die sie sagte, waren etwa: »Deutschland und Frankreich haben vorgeschlagen, beim Thema Innovation mehr zu tun«, und: »Wir müssen gemeinsam handeln, um strategisch innovationsfähig zu sein.« (Meine Mitschrift.) Es ist inhaltsleer. Es füllt Zeit. Die BILD-Zeitung lobte sie zwar für ihren »Klartext zum Mordfall Susanne und Bin Ladens Leibwächter« und sprach von einer »kämpferischen Regierungserklärung« (bild.de, 28.6.2018), doch, da wage ich, der altehrwürdigen BILD zu widersprechen: »Klartext« ist, was Kolumnisten oder die Opposition tun – die Regierung hat zu handeln (und wenn sie »Klartext« spricht über Probleme, die sie selbst verursachte, erinnert es doch an absurde Theater).
Man hat sich selbst und alle »Guten« überzeugt, dass die Murmeln so fallen, wie der Zeitgeist es sich wünscht. Das war dumm und falsch. Es war aber das, was man glauben (oder zumindest: sagen) musste, um nicht als »Nazi« dazustehen. Die Kugeln sind aber stur. Die Kugeln halten sich an die Regeln des Brettes.
Die Regeln des Brettes
Es gibt einige Regeln, nach denen sich die Welt am Ende immer zurechtrüttelt.
Erste Regel: Dinge passieren aus einem Grund, und der stärkste Grund setzt sich am Ende immer durch.
Nichts passiert, weil wir uns wünschen, dass es passiert. Es klingt banal, doch die Politik-PR und -Presse wollten uns drei Jahre lang einreden, dass das Grundprinzip »Kausalität« aufgehoben sei.
Wer Menschen aus Krisenregionen unkontrolliert hereinlässt, wird neue lokale Krisenregionen schaffen; das ist einfach Kausalität, und am Ende setzt sie sich immer durch, egal wie viele Journalismuspreise ich vergebe an Leute, welche die Bevölkerung überzeugen, dass Kausalität magischerweise nicht mehr gilt.
Zweite Regel: Was keinen Sinn ergibt, ergibt nicht dadurch Sinn, dass man es für moralisch wünschenswert erklärt.
Hierzu verweise ich auf die erste störende Wahrheit in meinem Text Drei störende Wahrheiten. (In Kürze: Deutschland kann nicht die 700 Millionen extrem Armen und 70 Millionen Flüchtlinge der Welt aufnehmen, selbst wenn es Schnittstellen dieser Gruppen gibt.) – Oder, um eine in diesen Tagen häufiger zitierte Mathe-Aufgabe aufzugreifen: Zwei und zwei ergibt nicht wirklich fünf, egal wie empörend Moralisten die Antwort »vier« finden.
Dritte Regel: Ethik baut auf einer Ordnung der relevanten Strukturen auf.
Die Propagandisten können wüten und lärmen. Sie können sich empören und ihr Moralin in tausend GEZ-Shows versprühen – es ist nicht nachhaltig. Am Ende wird sich das ethische Empfinden der Menschen immer anhand ihrer relevanten Strukturen anordnen. Menschen werden zuerst sich und ihre Familie stärken wollen, dann ihren Freundeskreis, ihre Viertel und auch ihren Arbeitgeber, eine Religion (falls sie in eine eingebunden sind) und ihr Land. Eine Moral, die sich über das Prinzip der relevanten Strukturen erhebt, ist instabil – am Ende des Tages wünschen sich die Menschen eben doch, ihre »Kreise zu ordnen«.
Glück und Mitdenker
Eine neue Studie hat belegt, was meine Leser schon längst wissen: Konservative sind glücklicher, und: sie fühlen öfter, dass ihr Leben einen Sinn hat. (Link zur Original-Studie, Artikel bei der SZ) – Ich empfehle dazu zum Beispiel den Text Das Glück in Zeiten der Unordnung – oder einfach eine Suche nach »Glück« auf www.dushanwegner.com.
Sie und ich haben immer geahnt, dass die Kugeln so fallen werden, wie sie derzeit fallen. Noch ist die Sache nicht ausgestanden! Merkel tut (Stand 28.6.2018) noch immer so, als würden die Regel des Brettes nicht für sie gelten, und einige ihrer Getreuesten haben noch immer Angst, ihr zu sagen, dass es keinen Sinn ergibt.
Doch, wir sehen Änderung. Die Tonlage selbst in Leitmedien wird eine andere.
In diesem Kontext, ein Hinweis: Einige von Ihnen haben mich darauf hingewiesen, dass hier und da die Kommentare in Leitmedien augenscheinlich von Essays auf www.dushanwegner.com »inspiriert« wurden. – Meine Antwort: Es muss nicht unbedingt so sein. Die Herrschaften denken ja auch, und irgendwann kommen auch sie auf die Schlüsse, die Sie und ich schon vor Tagen, Monaten oder Jahren gezogen haben. Immerhin.
Ich bin froh darüber. Ich bin sicher, dass alle Leser und Unterstützer gemeinsam mit mir froh sind, wenn unsere Ideen sich verbreiten und ein noch breiteres Publikum finden.
Die Besucherzahlen von www.dushanwegner.com sind schon jetzt Monat für Monat sechsstellig und ich muss über das nächste Hosting-Upgrade nachdenken. Sie und ich haben korrekt vorhergesagt, wie »die Kugeln fallen werden«.
Ich habe vor, es auch weiterhin zu tun.