Dushan-Wegner

10.05.2023

Geil, ehrfurchtgebietend, rechtsextrem?

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Was geschieht da in den Bergen?
Grundrechte fordern, Konzerne kritisieren, weder links noch rechts sein – all das gilt heute schon mal als »rechtsextrem«. Und echte Rechtsextreme, die von den »Guten« gerade beschützt werden, als Rechtsextreme zu benennen – das ist extra rechtsextrem!
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Es gab eine Zeit, lange vor Ihrer oder meiner, da bedeutete das Wort »geil« schlicht »fruchtbar« (was es ja auch heute bedeutet, wenn auch in anderem Sinne). Kirchenlieder und Gärtnerfibel konnten die »geilen Triebe« preisen, ohne dass jemand dabei an Schweinkram dachte. Später erhielt »geil« dann den neuen Zungenschlag: Nun schien auch eine Person, der man »Geilheit« bescheinigte, zur Paarung einzuladen.

Das Adjektiv »geil« gilt bis heute als etwas vulgär, wenn auch schon wieder als veraltet im Sinne von »was alte Leute für Jugendsprache halten«.

Das größte Problem des Wortes »geil« ist aber: Irgendwann war (fast) alles »geil« – und damit nichts. Mit »geil« verhält es sich ähnlich wie mit »awesome« im Amerikanischen.

»Awe« ist wörtlich die Ehrfurcht.

Die genaueste Übersetzung für »awesome« war demnach »ehrfurchtgebietend«. Doch »awesome« wurde und wird derart inflationär eingesetzt, dass es wenig bedeutet.

»Right wing extremist«

Am anderen Ende der vermuteten Werteskala finden wir in Deutschland das Wort »rechtsextrem« (und mit ihm auch »faschistisch«).

Im Essay »Die AfD stoppen, dann den Hunger«, notierte ich gestern, wie ein sonst recht fähiger Kommentator bei Bild im Kontext der störenden Oppositionspartei das Attribut »rechtsextrem« einsetzte. Ich weiß nicht, ob es dafür Sprachvorgaben gibt (ich gehe davon aus), doch die Selbstverständlichkeit ist auffällig.

Eine schnelle Suche im sozialen Medium Ihrer Wahl wird Ihnen ganz viele Fundstellen liefern, in denen mit dem Kampfbegriff »rechtsextrem« herumgeworfen wird.

Fast als würden die Verantwortlichen dieselbe Konferenz in Davos besuchen, macht es sich auch in den USA breit, »rechtsextrem« als Code für »unbequemer Nachfrager« zu verwenden.

Wie nennen Journalisten in Konzernredaktionen einen, der neben Charisma die innere und auch finanzielle Freiheit mitbringt, ihren Chefs zu widersprechen?

Richtig: einen »Right-wing extremist« (cnn.com, 9.5.2023).

Bekanntlich wurde jüngst Tucker Carlson bei Fox News gegangen (ich schrieb am 25.4.2023 darüber). Er wird wohl eine Video-Show bei Twitter starten – und die Konzernmedien schäumen.

In Deutschland wird auf n-tv.de, 10.5.2023 gegen Carlson gehetzt, in unfreiwilliger Selbstironie mit dem Titel: »Tucker Carlson hetzt künftig über Twitter« – natürlich unter dem Themen-Stichwort »Rechtsextremismus«.

Definitionsprobleme

Was aber bedeutet dieses Wort »rechtsextrem« im tatsächlichen Sprachgebrauch von 2023?

Laut Duden ist es die Kurzform von »rechtsextremistisch«, was wiederum synonym zu »rechtsradikal, deutschnational, nationalsozialistisch, neofaschistisch« ist.

Laut der Bundeszentrale für politische Bildung versteht man darunter »Einstellungen oder Handlungen, die sich gegen die Gleichheit (bzw. Gleichwertigkeit) aller Menschen richten«. Und weil »diese ein wichtiges Prinzip des Grundgesetzes darstellt, ist Rechtsextremismus verfassungsfeindlich« (bpb.de).

Das Problem an diesen Definitionen ist, dass sie kaum noch greifen, so wie »Linke« heute jene sind, die blind Politikern und Konzernen folgen, während »Rechte« den Autoritäten misstrauen und für alle Bürger die gleichen Rechte fordern.

Das Adjektiv »rechtsextrem« ersetzt zunehmend das Adjektiv »umstritten«. 2018 beschrieb ich die »Dysphemismus-Mühle«: Die Propaganda verwendet bestimmte Beschimpfungen für Andersdenkende, wie »Rechte«, »Verschwörungstheoretiker« oder »Schwurbler«. Die negative Kraft dieser »Dysphemismen« aber lässt nach, spätestens wenn sich recht herausstellt, dass die genannten Gruppen zuverlässig richtig lagen – und die offizielle Wahrheit eine Lüge war. Also braucht es neue Dysphemismen. Wie einst die Warnung vor vulgärer Sprache auf Rap-Alben wurde auch »umstritten« zum Qualitätssiegel – also klebt man jetzt »rechtsextrem« drauf.

Die wohl offenste und zugleich präziseste Beschreibung der tatsächlichen Bedeutung von »rechtsextrem« lieferte letztens ein mir bis dahin unbekannter Staatsfunk-Journalist: »Wer ›weder links noch rechts‹ ist, ist meist rechtsextrem.« (@schattleitner, 2.5.2023/archiviert).

Immerhin können wir erfrischende Ehrlichkeit attestieren: Als »rechtsextrem« gilt heute, wer sich weder links noch rechts positionieren will, sprich: wer selbst denkt.

Der Rechtsextremismus in der Ukraine (reuters.com, 19.3.2018, amnesty.de, 28.8.2019) etwa: Wer darauf hinweist, gilt heute selbst schnell als Rechtsextremer – und extra kompliziert wird es, wenn er auch nach der alten Bedeutung des Wortes ein solcher ist und in die Ukraine reist, um sich dort den Rechtsextremen anzuschließen, allerdings im guten Kampf gegen Russland (taz.de, 24.1.2023; bundestag.de, 025/22 (PDF)).

Es kann reichlich verwirrend werden, wenn man »rechtsextrem« mal in der alten Bedeutung des Wortes verwendet, und dann wieder in der neuen, und dann kämpfen plötzlich Rechtsextreme gegen »Rechtsextreme«, und keiner wird aus keinem schlau.

Ist das womöglich genau so gewollt?

Der ist unbequem

Für einen Deutschen, der selbst denkt und zu eigenen Schlüssen kommt, der also nicht politisch zuverlässig »auf Linie« ist, haben wir die neue Volksweisheit: »Ist der Bürger unbequem, gilt er bald als rechtsextrem.«

Der eben zitierte Journalist bietet auch ein geradezu charmantes Beispiel dafür, was für Leute es sind, die Andersdenkende als »rechtsextrem« bewerten. Ebendieser Herr recherchierte für den Hass-Profi Böhmermann, der ja selbst quasi Nazi-Methoden gegen Andersdenkende einsetzt (siehe Essay vom 3.5.2018) – und diese »Recherche« sollte erkunden, wie effektiv Denunziationvon »Hass« in Deutschland ist (siehe @Schattleitner, 27.5.2022/archiviert).

Awesome!

Durch den Bedeutungswandel des Wortes »geil« ist uns tatsächlich etwas verloren gegangen! Wer je ein Erntedankfest erlebte, der weiß vielleicht, dass es so etwas wie Freude an der Fruchtbarkeit der Natur – früher: Geilheit – gibt, die von der menschlichen Fruchtbarkeit – sprich: Sex – losgelöst ist.

Und die Generationen, für die alles »awesome« ist – also nichts –, kennen tatsächlich nicht die Ehrfurcht vor großen Kunstwerken oder dem Sublimen einer überwältigenden Bergkette.

Wenn aber in Deutschland der Begriff »rechtsextrem« umgedeutet wird in »Abweichler«, entsteht dann nicht eine ähnliche Bedeutungslücke?

Auf eigene Weise herrscht in Deutschland eine verordnete Blindheit für tatsächlichen Rechtsextremismus – wenn er von Leuten gelebt wird, welche »die Guten« protegieren, mit Methoden, die an tatsächlichen Faschismus und Totalitarismus erinnern.

In Deutschland hat man bekanntlich einen besonders perfiden Trick ersonnen, um das Benennen von Ähnlichkeiten zu dunkleren Zeiten zu verbieten: Wer die Denkwege der »Guten« mit den Denkwegen von »damals« vergleicht, »verharmlost« damit das Damals.

»Wenn sie dich nicht ›rechts‹ nennen, was machst du falsch?«, so fragte ich 2018.

Bald ist es ein moralischer Makel, nicht »rechtsextrem« genannt zu werden.

Beginnt wie Tröten

Frage dich also, deutscher Bürger, bist du geil? Bist du rechtsextrem? Oder bist du einfach nur generell »awesome«, »ehrfurchtgebietend«?

Ach, es ist ein Jammer, wie mager die Bedeutung dieser einst schweren Wörter inzwischen in der Landschaft herumsteht. Die Wörter wirken lächerlicher, als sie furchtbar oder gar empörend sind.

Die Bedeutung der Worte wechselt. Ich will mich weiter an das bewährte Motto halten: Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!

Ich habe auch Beschimpfungen gehört, dass es einen Rechtsextremen ausmacht, selbst zu denken – oder gar quer.

Ach, die sollen mich nennen, wie sie wollen. Die Höflichkeit verbietet mir zu schreiben, wofür ich einige dieser Leute halte. Es beginnt wie »Tröten« und geht dann weiter wie »Zottel« – aber für gefährliche!

Weiterschreiben, Wegner!

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