Dushan-Wegner

25.04.2023

25.4.2023: Desillusionierte Euphorie und der richtige Bosporus

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Ist das auch der »richtige« Bosporus?
Es ist der 25. April, und dieses Jahr bin ich zerrissen zwischen Desillusionierung und Euphorie. Politik und Gesellschaft … na ja. Doch mit KI kann schon heute jeder, der es will, täglich klüger werden – und, ja, das macht mich etwas euphorisch!
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Es ist der 25. April. Nächstes Jahr werden sie in Portugal den 50. Jahrestag der Nelkenrevolution feiern. Dieses Jahr habe ich keinen Warteraum 254 herausgebracht, sondern den Herd der Herde – und der wird aktuell gruselig aktuell.

Doch eins nach dem anderen! (Wie auch sonst?)

Aber warum?

In der Novelle Herd der Herde habe ich eine geradezu wahnwitzige These durchprobiert: Was wäre, wenn die Regierung die Anschaffung eines beliebigen elektrischen Geräts für jeden Haushalt verbindlich macht, begleitet vom Druck der entsprechenden Hersteller und der Medien?

Ich weiß, ich weiß, geradezu irrsinnig und abgedreht. Das würde doch in einer Demokratie niemals nicht passieren.

Ach ja, übrigens: Bei Anne Will hat diese Woche eine lupenreine Genossin offen zugegeben, dass deutsche Heizungshersteller auf 2024 als Start der Zwangsheizungen pochten – wegen »Planungssicherheit«. Plötzlich fällt uns hier das Lied »Istanbul« von BAP ein und daraus die Zeilen: »Man muss seine Connections haben und zusehen, dass da nichts verbrennt. Mit Klüngel hat das nichts zu tun, doch besser ist es, wenn man einen kennt.«

Indirekt gab man im TV wohl zu, dass man den Wettbewerb mit China ausschließen möchte. Kolja Barghoorn kommt zu dem Schluss: »Es wird für die Bürger teurer, weil man den Wettbewerb nicht zulassen möchte und sich von den Unternehmen vorschreiben lässt, wann ein Gesetz zu kommen hat! Korporatismus, der einigen wenigen Unternehmen nützt, aber der Masse an Unternehmen und Menschen in Deutschland schadet!« (@MitAktien, 24.4.2023)

Es überrascht nicht mehr, dass und wenn die Politik ganz offen das Volk ausnimmt, um vermutlich befreundete Unternehmen zu subventionieren. Seien es die Milliarden-Verträge mit Frau von der Leyens privatem SMS-Freund von Pfizer. Oder die Millionen, die in die Taschen all der Öko-Berater gepumpt werden (siehe Essay »Habeck oder Sein«). Dazu die Milliarden für den Staatsfunk und viele Tausende PR-Vereine des Propagandastaates (siehe Essay vom 27.11.2020).

Und jetzt, mit dem Heizungsschwachsinn, die nächste Umverteilung: aus den Portemonnaies der Bürger in die Kassen der Unternehmer – wieder mit Moral und höheren Werten begründet.

Der Bürger fragt sich nicht, ob die Politik bestochen ist, sondern wie. Sind es Parteispenden (immer wieder gern als Parteitag-Sponsoring, denn das muss man nicht ausweisen)? Sind es Rednerhonorare oder Posten im Aufsichtsrat? Oder sind es zwar offene Parteispenden, aber nicht direkt von Unternehmen, sondern über einen Verband umgeleitet? Oder sind es ganz simpel direkte Aufträge an den Bruder, die Ehefrau oder den Schwager?

Süße Illusionslosigkeit

Ja, auf einer Ebene bin ich desillusioniert, und zwar im ursprünglichen Wortsinn: Ich habe Illusionen abgelegt.

Ich habe weitgehend die Illusion abgelegt, dass die meisten sogenannten Demokraten, hüben wie drüben, im Herzen wirkliche Demokraten wären und sich höchstens gelegentlich zum Unanständigen hinreißen lassen würden.

Ein paar Namen aus dem Stegreif: Olaf? Nancy? Karl? Oder Habeck, Haldenwang, Harbarth? Ha, ha, ha. Und in den USA die Bidens?

Es ist der 25. April, also höre (und zitiere!) ich jenes Lied, dessen Text mich so prägte wie kein anderes in meinem Leben – »Istanbul« von BAP. Seit Jahrzehnten höre ich die Mahnung: »Belüg doch, wen du willst, erzähl es bloß nicht mir.«

Neue Fensterstürze

Eine weitere Illusion, die ich schon länger ablegte: »die Presse«. Man muss es kaum noch sagen, ich weiß. Wir Freien Denker sind ja ganz bewusst ein Gegengewicht zu all den »Journalismuspreisträgern«. Ganz aktuell aber berichtet der deutsche Staatsfunk glucksend von gleich zwei Schlägen gegen Unbotsame.

Zum einen wird Julian Reichelt von Axel Springer verklagt – man will Abfindung zurück (tagesschau.de, 24.4.2023).

Zum anderen wird Tucker Carlson von Fox gefeuert (tagesschau.de, 24.4.2023). Die Staatsfunk-Hetze gegen Carlson schießt mit dem ganzen sprachlichen Arsenal moderner deutscher Propaganda: »Rassistisch, sexistisch und transfeindlich«, et cetera – Staatsfunk im Propagandastaat halt.

Interessanter als das Gegeifere der Tagesschau ist der Kontext – und die unmittelbaren Folgen: Dass Carlson gehen musste, war wohl Teil der Einigung mit dem Wahlmaschinenhersteller Dominion (reuters.com, 24.4.2023). Tucker Carlson war – vielleicht noch neben Greg Gutfeld – die einzig wirklich interessante Figur auf Fox News. (Die Fox-Corp-Aktie verlor dennoch »nur« knapp 3 Prozent nach Carlsons Abgang; siehe cnbc.com, 24.4.2023.)

Weder Tucker Carlson noch Julian Reichelt werden so bald am Hungertuch nagen, wobei Carlsons Vermögen, auch durch familiäre Umstände, auf einen dreistelligen Millionenbetrag geschätzt wird, also eher in der Döpfner-Liga.

Beide sind keine Chorknaben, weder Carlson noch Reichelt. Und doch ist der Rauswurf eines Carlson wie auch der Rauswurf von Reichelt mit den folgenden Angriffen ein deutliches Zeichen an den Rest der Medienwelt: Wie viel Quote du auch machst, wenn du dich politisch zu weit aus dem Fenster lehnst, könntest du eben »hinausfallen«.

Ja, Mainstream- und Konzernpresse betreffend wurde ich dieses Jahr, so es denn überhaupt möglich war, sogar noch »desillusionierter«.

Und doch

Und doch!

Und doch, bei aller der Desillusionierung bezüglich Demokratie und Presse – die mir einst doch tatsächlich Hoffnung gaben, die Erinnerung wirkt beinahe surreal! – verleiht mir doch eine andere Entwicklung nicht nur Hoffnung, sondern lässt mich ein wenig Euphorie empfinden.

Ich weiß nicht, wie lange das, was mich heute leicht euphorisch sein lässt, tatsächlich bleiben wird. Grüne und andere Freunde der politisch nützlichen Lüge wollen bereits dieser Quelle der Wahrheit die grünen Lügen aufzwingen. Doch die Wahrheit, die ich darin suche, verstehen diese Trottel ohnehin nicht.

Ich bitte aber Sie, liebe Leser, die folgenden Gedanken einige Minuten mitzudenken, ja vielleicht sogar selbst auszuprobieren und ganz bewusst die Möglichkeiten zu sehen, bevor sie in den Unmöglichkeiten eine Ausrede fürs Verharren finden.

Im Essay vom 2.4.2019 beschrieb ich das Künstliche-Intelligenz-Wettrennen zwischen den USA und China. Im Essay vom 18.12.2022 ließ ich eine Künstliche Intelligenz selbst beschreiben, wie sie uns Menschen helfen könnte, unser Zusammenleben harmonischer zu organisieren. (Und im Essay vom 1.4.2023 verhandelte ich, wer durch KI arbeitslos wird – und wer wohl nicht (so bald).)

In jenem Lied »Istanbul« von BAP kommt eine Passage vor, die mir damals wie Science Fiction klang, und heute ist sie plötzlich für jeden möglich. Der Sänger spricht seinen Musikerkollegen an (wieder von mir aus dem Kölschen eingedeutscht): »Dann programmierst du den Computer, und der Krempel wird analysiert, und aus der Quersumme von dem ganzen Driss der nächste Hit-Klon konstruiert.« (Link von 2023: Auswahl von KI-Musik-Generatoren)

Was mich aber derzeit euphorisch werden lässt, ist die schlichte Tatsache, dass Künstliche Intelligenz so weit ist, uns Menschen bei der ersten und größten aller philosophischen Aufgaben zu unterstützen: »Erkenne dich selbst!«

Dies ist keine Sache der Zukunft, dies ist jetzt möglich. Sie können jetzt sich selbst besser verstehen! Gehen Sie auf chat.openai.com und melden Sie sich mit Ihrem Google-Account an. Stellen Sie eine philosophische Frage in eigener Sache, wie zum Beispiel: »Ich muss früh morgens aufstehen und zur Arbeit gehen. Es widerstrebt mir, und ich tue es doch. Was sind mögliche Gründe dafür, dass ich es dennoch tue?«

Ich habe es natürlich jetzt probiert. Das System gab mir eine Liste möglicher Gründe, darunter »Notwendigkeit«, »Verantwortungsbewusstsein«, »Routine« und »Druck von außen«.

Ich fragte nach, woran ich »Druck von außen« erkennen könnte. Das System nannte mir kluge Kennzeichen wie bestimmte mögliche Aussagen der Familie oder schlicht Verträge.

Soweit könnte man sagen, dass das alles »abgelesen« sein könnte. Also beschrieb ich meine Situation. Das System erklärte mir, dass sich auch persönliche Werte und gute alte Selbstdisziplin wie ein »Druck von außen« anfühlen können.

Hmm. Da denke ich drüber nach. Ich bin jetzt 1 % klüger, zumindest in eigener Angelegenheit. Ich habe die KI gefragt, und sie sagt, dass wenn ich jeden Tag 1 % klüger werde, ich in einem Jahr 37,78-mal so klug bin. Die KI erklärt von sich aus die Formel, mit der man dorthin gelangt: (1 + täglicher Zinssatz)^365 – 1.

Nachtrag 1: Es könnte eine gute Idee sein, bei der KI nochmal nachzurechnen! Ein lieber Leser hat das getan. Er rechnete nach, was ich im halbblinden Vertrauen – es klingt ja plausibel – hinüberkopierte, und er schreibt: »Guten Morgen Herr Wegner, entweder Sie oder die KI haben es nicht so mit der Mathematik. :-) (1+0,01) ^ 365 = 37,783. Ist (1+0,01) ^ 364 = 37,409 was Sie wohl in der Formel meinen?!  So wie die Formel dort steht: (1+0,01) ^ 365 – 1 = 36,783, kommt dieses Ergebnis heraus. Zuerst wird die Potenzzahl errechnet und dann eins abgezogen. Also so wäre die Formel korrekt aufgeführt: (1+0,01) ^ (365-1) = 37,409. Nur dann gibt es eben ein geringfügiges anderes Ergebnis.«

Ich danke, und ermahne mich: Prüfe alles, glaube wenig, rechne selbst!

Nachtrag 2: Ein weiterer lieber Leser korrigiert die Korrektur, und er schreibt: »Sehr geehrter Herr Wegner, die Formel stimmt schon, die Interpretation der ›-1‹ ist folgende: nach einem Jahr sind Sie 37,783-mal so klug: 1,01 ^ 365. Dementsprechend 36,783-mal klüger: 1,01 ^ 365 – 1. Eigentlich 1 * (1 + 0,01) ^ 365 – 1. Interpretation in etwa: IQneu = UrsprungsIQ * (1 + 0,01) ^ 365 vs. IQZuwachs = UrsprungsIQ * (1 + 0,01) ^ 365 – UrsprungsIQ«

Hach, diese Kopf-Akrobatik macht mich glücklich!

Bist du der?

2022 schloss ich meinen »Zwischenstand« mit diesen Worten: »Hört nicht auf, immer wieder neu anzufangen. Hört nicht auf, zu hoffen. Hört nicht auf!«

Natürlich gilt das weiter – hätten wir nicht jeden Tag neu angefangen, wären wir nicht wieder und weiter hier!

Heute aber, zerrissen zwischen breiter Desillusionierung und kleiner Euphorie, denke ich an jenes Lied »Istanbul« von BAP, und die Frage daraus, die sich mir eingebrannt hat: »Bist du der, der du sein wolltest?« (Song-Audio auf YouTube)

Ich habe nicht nur einmal, sondern zweimal im Leben einen beidemal eigentlich sehr gut bezahlten Job gekündigt, weil mir wörtlich dieses Lied mit dieser Frage in Kopf und Seele brannte: Bin ich der, der ich sein wollte?

Der »Job«, den ich länger als irgendeinen anderen »gehalten« habe, ist genau der hier: genau diese Texte für genau Sie zu schreiben. In einer Hinsicht kann ich es durchaus bescheiden positiv beantworten. Ja, ich bin ein Stück weit der, der ich sein wollte, und es fällt mir heute leichter, zu sagen, was ich sagen will.

In anderer Hinsicht bin ich nicht der, der ich gern wäre. Ich wäre gern sportlicher und hätte gern bessere Augen.

Der Sohn hat mir gerade Kuchen an den Schreibtisch vorbeigebracht. Meine Mutter hat ihn aus der Ferne spendiert: köstlicher Bio-Schokoladenkuchen – wow, edel. Danke, Mutter! (Ich sage nicht »Mutti«, das klingt diesem Essayisten zu politisch, auf keine gute Weise.) – Ich verschiebe alle eventuellen neuen Anläufe zu einer neuen Sportlichkeit auf morgen.

Wir als »die Deutschen« sind nicht ganz die, von denen ich dereinst hoffte, dass wir es sein würden. Dichter und Denker? Die große kluge Debatte? Zumindest nicht auf der großen, offiziellen Hauptbühne.

Doch eine kleine Gruppe von uns, die macht weiter, die denkt und grübelt weiter, weil aufzugeben zwar rationaler, aber so viel langweiliger wäre.

In jenem Lied »Bosporus« singt Niedecken, seinen Freund scharf anklagend, wenn auch voller Liebe und mit viel Sentimentalität: »Du bist nicht der, der du sein wolltest, am Bosporus in Istanbul …«

Tatsächlich!

Vor Jahren besuchten Elli und ich einmal tatsächlich Istanbul. Wir besuchten die blaue Moschee und den großen Kapalıçarşı–Basar. (Ich meine, das schon mal in einem Buch beschrieben zu haben …)

Wir spazierten natürlich zu der großen Brücke, und wir schauten aufs Wasser, und ich brummte natürlich die Zeilen von »Istanbul«: »Dort am anderen Ufer, fing tatsächlich Asien an …«

War ich der, der ich sein wollte? Würde ich der, der ich sein wollte, am Bosporus in Istanbul?

Später gingen wir unsere Istanbul-Wege auf der Karte ab und stellten fest: Wir waren gar nicht am Bosporus gewesen, sondern am Meeresarm »Goldenes Horn«. Auch sehr schön, kein Zweifel, aber auf der anderen Seite war eben noch nicht Asien.

Ich wünsche uns, Ihnen wie mir, dass wir trotz aller Desillusionierung hier und da einen Anlass zur Freude finden – vielleicht sogar zur vorsichtigen Euphorie!

Ich wünsche dir, dass du sein wirst, wer du sein wolltest. Und ich wünsche dir, dass der Bosporus, an dessen Ufer du stehst und dich prüfst, auch wirklich der richtige Bosporus ist.

Weiterschreiben, Wegner!

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