Dushan-Wegner

20.01.2019

Statt Politikerblabla: Abendessen in Schüssel

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Ja Ma
AKK teilt gegen Grüne aus. Merkel verspricht nationale Kraftanstrengung. Viel süßes Blabla – die Taten und Folgen sind immer wieder andere. Ich habe diese Luftworte satt! Ich schaue auf die Taten… und auf die Folgen, und die schmecken weit weniger lecker!
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Man nehme: einen Reiskocher samt Reis, vier Schüsseln (oder eben so viele, wie hungrige Seelen an Ihrem Tisch sitzen werden), genug Essstäbchen – wenn man es einmal beherrscht, dann kann das Essen mit Stäbchen einem natürlicher vorkommen als Messer und Gabel! – und dann genug Hühnchen, frisches Gemüse, Gewürze nach Gusto, und eben die Utensilien, die es in Küchen für gewöhnlich so gibt. Ich empfehle Sesamöl, etwas Sojasauce sowie Sesamkörner zum Draufstreuen. Ja, dies ist ein Rezept, doch wahlweise können Sie auch ganz andere Zutaten verwenden! Statt Reis nehmen Sie doch Ramen-Nudeln oder italienische Pasta, statt Hühnchen nehmen Sie gerne Rind, oder Schwein, wenn Sie das lieber mögen, und solange es die Toleranz noch erlaubt. (Ich bin ehrlicherweise nicht sicher, ob das Rezept auch vegetarisch funktionieren wird, den meisten Menschen verlangt es eben nach tierischem Eiweiß, doch ich bin auch da nicht dogmatisch.) – Die einzige dingliche Zutat, die unser Gericht zwingend benötigt, sind die Schüsseln – selbst einfache schwedeninspirierte Schüsseln sind mehr als ausreichend!

Relevantes Essen

Ich koche gern und früher habe ich mit verschiedenen Gerichten experimentiert, eine meiner Spezialitäten war Fisch mit Senfsauce (die ich mit Sahne und Zucker zubereitete; später wurde mir klar, dass ich so ganz intuitiv die drei basalen Geschmacksfaktoren Salz, Zucker und Fett in einer Soße zusammengebracht hatte), zum Nachtisch gab es dann etwa Crêpes, gebacken auf einer vollständig flachen Pfanne, diese hatten Elli und ich eigens dafür bei Dehillerin im geliebten Paris gekauft.

Von den vielen essbaren Wunderbarkeiten, welche diese Welt uns als Möglichkeit anbietet, habe ich mich heute auf eine Untergruppe spezialisiert: Gerichte, die a) sich für Essen in einer Schüssel anbieten, b) mit Stäbchen essbar oder wahlweise schlürfbar sind, und c) möglichst allen Anwesenden schmecken und gut tun.

Ich könnte beispielsweise genug Reis im Reiskocher aufsetzen, und während der kocht, schneide ich (nicht auf dem Holzbrett!) das Hühnchen-Filet in Scheiben (wahlweise kann ich das Filet auch erst nach dem Braten auf Häppchengröße zerteilen). Ich schneide (mit sauberem Messer!) das Gemüse klein und köchele es in der einen Pfanne an, während ich in der anderen Pfanne das Hühnchen brate. Ich würze das Gemüse so, dass es das »Gemüsige« verstärkt, also mit diversen grünen Kräutern, einige davon getrocknet, einige frisch, was sich eben so ergibt, und dazu eine große oder zwei kleine Zehen frischen Knoblauchs; das Hühnchen würze ich ein wenig scharf, gelegentlich mit Öl aus geröstetem Sesam (jedoch nicht jedes Mal! Solches Sesamöl kann geschmacklich recht dominant wirken, und was heute neu und exotisch schmeckt, das kann schon morgen langweilig sein), und gern ein Hauch von der Sojasoße. Manchmal (auch das lieber seltener!) würze ich den Reis ganz sanft bereits beim Kochen, zum Beispiel mit Kokosbutter.

Wenn ich es richtig angestellt habe, dann sind alle drei Bestandteile zur ungefähr selben Zeit am perfekten Garpunkt angelangt: der Reis weich, aber locker, das Hühnchen durchgegart, jedoch innen weich und außen ein klein wenig golden, das Gemüse warm und aromatisch, aber noch bissfest.

Ich stelle die vier Schüsseln für Elli, die beiden Kinder und mich auf. Mit dem Reislöffel teile ich den Reis auf. Oft habe ich das Gemüse mit Wasser zubereitet, also schütte ich das Gemüse erst in ein Sieb, und dann verteile ich es als zweite Schicht in die Schüsseln. (Reis, Gemüse und Hühnchen sollen jeweils aus sich selbst heraus saftig sein, ich will keine Flüssigkeit extra hinzufügen.) Schließlich verteile ich das Hühnchen auf die vier Schüsseln. Obwohl die Zutaten geschichtet sind, sollten alle drei von oben zu sehen sein, finde ich, also lege ich das Fleisch eher auf eine Seite und das Gemüse auf eine andere – ordne deine Schüssel! Manchmal, wenn es passt, streue ich noch Sesam über das Fleisch, oder auch gehackte Kräuter.

Schüsseln statt Krücken

Ich hatte es nicht so geplant, es hat sich mehr von selbst ergeben. Ich koche gern, doch die übliche Abendessen-Architektur ist mir zu stressig, gerade wenn man für eine Familie mit vier Leuten kocht – um wie viel einfacher ist es, jedem eine fertige Schüssel zuzubereiten, nach meiner Vorstellung und Idee komponiert.

Es war nur die Freude an der Schüssel selbst, die mich dazu motivierte, diese neue Tradition bei den Wegners einzuführen. Es war nicht einmal als Tradition gedacht! Ich bereitete an einem Abend eine Schüssel zu, und dann am nächsten Abend eine andere, und dann wieder (auch mal mit Miso-Suppe – das Dashi ist dann aber doch etwas Arbeit – oder schlicht mit Nudeln).

Bald dämmerte mir, dass ich mit den Schüsseln einen entspannten Weg gefunden hatte, den Kindern zu zeigen, was ich mit meinen Lesern anhand von Krücken wie dem Buch Relevante Strukturen oder diesen Essays teile.

Wie oft sitzt man denn heute als Familie noch zum Essen zusammen? Wie oft stellt man einen ganzen Abendtisch auf? Gewiss werden einige von Ihnen sagen »jeden Abend!«; ich beglückwünsche Sie, doch ich fürchte, dass Sie nicht in der Mehrheit sind.

Ein mehrgängiges Abendessen ist ein halber Staatsakt; aber: sich zusammenzusetzen, wenn jeder eine frische, warme, duftende Schüssel bekommt, das ist durchaus realistisch zu bewerkstelligen, immer wieder.

Die Kinder erzählen, was sie in der Schule anstellten (ein Kind erzählt auch das kleinste Detail bis zum letzten Räuspern der Lehrerin, das andere sagt »jo, war gut, hab im Fußball gewonnen/verloren« – Sie dürfen raten, welches Kind was sagt). Wir besprechen manchmal, wie es der Nachbarschaft geht, und wir planen, was am nächsten Tag zu erledigen ist.

Inzwischen ahne ich, dass ich mit den simplen Schüsseln den eigenen Kindern praktisch nahebringe, was ich mit meinen Lesern nur in Worten teile.

Das Zusammensitzen mit Schüssel ist ein Symbol unserer Kreise, und der täglichen Arbeit an ihrer Ordnung – geordnete Kreise und das Wissen um diese Ordnung aber sind Glück. Hier ist die Familie, der wichtigste unserer Kreise außerhalb uns selbst (und für manche Eltern sogar der allerwichtigste – für andere nicht). Durch das gemeinsame Essen, das zu einem bestimmten Zeitpunkt im Tagesablauf stattfindet, hilft auch, den Tag selbst zu ordnen. Durch die Ausgewogenheit und Frische der zubereiteten Zutaten stärken wir unser Körper, und dass es schmeckt, tut der Seele gut. Dass die Schüssel einfach und stressfrei zu essen ist, das stärkt genau diesen Moment.

Meine Kinder sind zu jung, um mit ihnen allzu detailliert etwa über die Formeln der Relevanten Strukturen zu reden (vor allem will ich mich weit von jeder Art der Indoktrination fernhalten, sollen andere es ihnen beibringen), doch wenn wir uns mit je einer Schüssel zusammensetzen, dann ist das auf eine Art mehr »Ordne deine Kreise!« als das komplette Buch samt aller dieser Texte.

Zeigendes und Gezeigtes

Was ist wessen Symbol, was ist das Zeigende und was das Gezeigte? – Man könnte meinen, dass der Akt des gemeinsamen Essens aus je einer Schüssel einem hilft, über das Ordnen der Kreise nachzudenken, also eine Praxis sei, welche einem die Theorie nahebringt, doch ich meine, dass es andersherum ist: der Moment, an dem wir uns zum Essen zusammensetzen, ist das Eigentliche, alles Reden von Kreisen und Ordnung und Relevanten Strukturen ist gewissermaßen nur ein Ersatz, notwendig mangels momentaner Abwesenheit von Schüsseln.

Ich liebe ja Sprache als solche! Mein Buch Talking Points handelt von (fast) nichts anderem als (politischer) Sprache. Alle Worte aber sind nur ein Ersatz, ein Hinweis. Ein noch so kunstvoll geschriebenes Rezept für Brot ersetzt nicht das Brot selbst. Ein Text über die Ordnung ist nicht die Ordnung selbst.

Das Schreiben ist keinesfalls schlecht, das Wortschmieden ist nicht notwendigerweise übel, oh nein! Doch:  Wenn ein Autor seinen Text mit dem Leben verwechselt, dann ist er so nützlich wie einer, der dem Hungernden ein Brotrezept vorliest.

Rezepte und Texte haben ihre Berechtigung, gewiss; ein einzelner Bäcker könnte nicht allein die gesamte Welt mit Brot versorgen, aber er könnte der ganzen Welt via Rezept erklären, wie sie sich selbst ein Brot backen – der Text aber bleibt ein Rezept und nicht das Leben selbst.

Menschen kommunizieren über Worte, und geschriebene Sprache ist die Grundlage unserer technischen, wissenschaftlichen, wirtschaftlichen und intellektuellen Entwicklung. Vor allem dank geschriebener Sprache kann sich jede Generation neu auf die berühmten Schultern von Giganten stellen.

Man könnte ätzen

Was würde passieren, wenn man Politikern, und sei es nur für einen Monat, die Sprache und damit das komplette öffentliche Reden verbieten würde? Wie würde etwa Merkel beurteilt, wenn Medien nicht die Talking Points der Regierung berichteten, sondern realistisch ihre Handlungen und deren praktische Folgen?

Einige der Meldungen, die ich heute lese, sind mir darin zuwider, dass sie gar nicht erst zu versuchen scheinen, Wort, Wille und realistische Tat zusammenzubringen.

Die CSU – man könnte ätzen: Der bayerische Bettvorleger der Berliner CDU-Apparats – absolvierte gerade einen schmerzhaft saftlosen Parteitag (siehe z.B. welt.de, 19.1.2019), und auf diesem Parteitag sprach »AKK«, die neue CDU-Parteivorsitzende, die Merkel durchs Tun-als-ob-sie-etwas-zu-sagen-hätte den Rücken frei hält.

Die Frau mit dem nicht komfortabel auszusprechenden Namen, so liest man, »teilt gegen Grüne und Umwelthilfe aus« (focus.de, 19.1.2019). Die Umwelthilfe hat sie schon etwas länger als wahrscheinlich auf Popularität getestetes Angriffsziel entdeckt (siehe z.B. welt.de, 13.1.2019).

Merkel, ob Angela oder Annegret, sagt, was sie meint, dass die Leute hören wollen, doch es sind Worte ohne Wurzeln. –Niemand erwartet noch, dass guten Worten auch gute Taten folgen werden.

Wenn die Grünen der CDU an die Macht helfen, wird man sich schnell alle Kritik vom Leib reißen, um glücklich mit der grünen Tralala-Partei ins Bettlein zu springen. Wenn sich die Regierung von der Umwelthilfe irgendwelche Hilfe im heiligen Kampf gegen die Opposition versprechen würde, könnte sich, so steht zu befürchten, die Umwelthilfe plötzlich gar nicht vor Orden und Fördergeldern retten.

Ich mag diese Wegwerfworte von Merkel, AKK und Co. nicht, und ich mag sie täglich weniger hören. Wissen Sie noch, die »nationale Kraftaktanstrengung« (bild.de, 18.1.2019), die Merkel versprach? Wenn man etwa Merkels Regierungssprecher oder den diversen Tagesschau-Vorlesern zuhört, spürt man da etwa nicht diese dauernde Trennung von Wort und Welt, von Rhetorik und Realität, und tut es nicht in der Seele weh?

All diese Luftworte, dieser für nichts und wieder nichts bewegte Wortwind, der doch keine Mühle antreibt und niemanden kühlt, ich bin sie leid, ich bin ihrer müde. Die Nichtsworte der Kapitäne, die von Land und Schätzen schwärmen, während sie uns auf die scharfen Klippen zusteuern, sie sind mir über.

Feigen von den Disteln

Ich schreibe diesen Text an einem Sonntag, also können wir auch mal zur Bibel greifen:

»Seht euch vor vor den falschen Propheten, die in Schafskleidern zu euch kommen, inwendig aber sind sie reißende Wölfe. An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Kann man denn Trauben lesen von den Dornen oder Feigen von den Disteln? So bringt jeder gute Baum gute Früchte; aber ein fauler Baum bringt schlechte Früchte.« (Mt. 7,16)

Ich mag die Worte jener Schwätzer nicht mehr hören – ich will sehen und schmecken, was für eine Schüssel sie uns zubereiten.

Wenn ich die AKKs, Merkels, Seehofers, Spahns und wie sonst sie alle heißen sehe, möchte ich denen zurufen: Ach, haltet einfach die Klappe, denn ich sehe, was ihr wirklich leistet – ihr seid faule Bäume, Disteln seid ihr! Was ist denn in der Schüssel, die ihr uns mit wohlfeilen Worten serviert? Einzelfälle und Angst sind drin, Sorge um die Zukunft – und dann noch Angst davor, für seine Sorge bestraft zu werden.

Bleibt mir fort mit euren Worten, zeigt mir, was ihr tatsächlich serviert.

Elli ist, während ich dies schreibe, mit den Kindern in der Bibliothek, die auch sonntags geöffnet hat; sie holen Nachschub und bald kommen sie wieder, und sie werden womöglich Hunger haben.

Ich würde Sie, meine Leser, ja alle gern zur Schüssel mit Reis, Gemüse und gebratenem Hühnchen einladen, aber bis wir das hinbekommen, darf ich Ihnen, als vorläufigen Ersatz, diese Texte anbieten – jetzt aber gehe ich erst einmal den Reis waschen!

Weiterschreiben, Wegner!

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