Dushan-Wegner

29.12.2020

Werden Sie sich impfen lassen?

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Foto von Ornella Binni
Wenige Fragen sind heute so schwierig zu beantworten wie die, ob man sich und seine Kinder impfen lässt. Werden Sie es tun? Mit was für einem Bauchgefühl?
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»Wirst du dich impfen lassen? Wirst du deine Kinder impfen lassen? Wird es einen Impfzwang geben, und wenn ja, was wirst du dann tun?« – wer sich diese Fragen nicht stellt, leugnet die Realität – oder er entzieht sich der Verantwortung und gibt damit die Freiheit auf, zumindest zu versuchen, in die Welt hinein zu handeln (statt die Welt passiv hinzunehmen, als ob generelle schlechte Laune und Schuldzuweisungen ein »Handeln« darstellten).

Die zweite Frage zuerst: Natürlich wird es einen Impfzwang geben. Wenn es keinen Impfzwang gäbe, würde man ja zugeben, dass der Lockdown übertrieben und die Teilzerstörung der Wirtschaft unnötig war. Ein Mensch, der die Risiken einer Impfung hinnimmt, weil er die  Sanktionen im Fall, dass er sie nicht hinnimmt, noch mehr fürchtet, handelt unter Zwang.

Es wird Zwang geben, und die eigentliche Frage ist, welche Sanktionen der Einzelne hinzunehmen bereit sein wird, falls/solange er sich gegen die Impfung entscheidet – und die Antwort hierauf ergibt sich wiederum direkt aus der Frage, wie stark der Einzelne zum Zweifel neigt!

Mal extra offen gefragt: Wie laut, stark und penetrant ist er, der kleine Zweifler, der in ihrem Schädel sitzt und Ihre innere wie äußere Welt mit seinen zweifelnden Fragen nervt? 

Die Geschichte der Menschheit ließe sich auch schreiben als eine Geschichte des Zweifels an der offiziellen Wahrheit der jeweiligen Machthaber. 

Die christliche Menschengeschichte beginnt bekanntlich mit dem Zweifel an der göttlichen These (oder war es eine Warnung?), dass jener und jeder, der vom Baume der Erkenntnis esse, auch wirklich des Todes sei.

Die Geschichte der Hebräer in der Wüste beginnt mit dem Zweifel an der These, es sei ihr Schicksal, als Knechte der Ägypter zu dienen – und setzt sich direkt fort mit einer vierzig Jahre dauernden Wüstenwanderung, wieder immerzu an der »offiziellen Wahrheit« zweifelnd und mit Gottes Plänen hadernd. Wir sehen natürlich, dass erstens die weitere Geschichte der Juden wie der Christen eine Geschichte des Zweifelns ist – mal bestätigt, mal widerlegt, nicht selten in ihrem Gehalt unklar – und dann sehen wir sogleich zweitens, dass es beileibe nicht nur die des sich biblisch nennenden Westens ist, die auf Zweifel baut, vom Zweifel getrieben ist, und, ja, am Zweifel wächst. (Die philosophische Großleistung des Mathematikers Descartes bestand interessanterweise in der Formulierung des universellen Zweifels – nicht zwingend in dessen Ausräumung.)

Jedoch, es wäre ein naiver Irrtum, aus der schaffenden, formenden, teilenden und neu zusammenfügenden Allgegenwart des Zweifels darauf zu schließen, dass der Zweifel jemals von den jeweiligen Mächtigen begrüßt worden wäre!

Der Zweifel ist die produktivste und darin gefährlichste Eigenart der Vernunft, und wie etwa der Anthropologe Joseph Henrich in seinem Buch »The Secret of Our Success« feststellt, war der Einsatz des schaffenden (und zweifelnden) Verstandes über die weitesten Strecken unserer Geschichte ein sicherer Weg, ums Leben zu kommen (wobei er es zuerst, aber nicht ausschließlich, auf die Tatsache bezieht, dass in der Kultur oft das fürs Überleben notwendige Wissen enthalten war, etwa eine religiöse Pflicht zur Hygiene, die der »vernünftige« Mensch ablehnen konnte). Den Verstand zu gebrauchen und zu zweifeln, ist immer ein destabilisierender Faktor – und also lebensgefährlich, auf die eine oder andere Art.

Sicherlich, es mag auch heute Lippenbekenntnisse und Sonntagsreden gegeben haben, die die Vernunft priesen und den Zweifel rühmten, und mancher war bei aller in ihm angelegten Verstandeskraft naiv genug, es auch zu glauben – es bekam ihm selten gut.

»Es leben hoch, die Zweifler«, rief man, und meinte natürlich, »hoch baumeln am Galgen« und »von den hohen Flammen des Scheiterhaufens verzehrt«. 

»Dann lass doch das Zweifeln«, so rät manch einer sich und seinem Nächsten, und dieser Rat ließe sich reparieren, um nicht ganz so streng nach Feigheit zu riechen; nämlich so: »Lass das Zweifeln, wenn du nicht bereit bist, nach den Ergebnissen deines Zweifelns zu handeln.«

»Soll ich mich also impfen lassen?«, so fragt man heute, und: »Soll ich meine Kinder impfen lassen, sobald auch Kinder geimpft werden? Sollten Frauen sich überhaupt impfen lassen, bei den Gerüchten, die man so hört?«

Meine Antwort ist, für jetzt, ein Ergänzungsvorschlag zu den zehn Geboten, die ich gern um ein elftes ergänzen würde: Du sollst zweifeln! Dann sollst du an deinem Zweifeln zweifeln! Und zuletzt, wenn dein Zweifeln und dein Zweifeln am Zweifeln keine neuen Erkenntnisse mehr gibt, nur noch Wiederholung und neue Worte für bekannte Gedanken, dann sollst du handeln.

Deine Verantwortung ist deine Verantwortung, und niemand kann sie dir abnehmen – Drosten nicht, Wegner nicht – niemand.

Mein Ratschlag zur Impfung also lautet: Stelle sicher, dass deine Handlung auch eben deine Handlung ist. 

Unsere bewährte Redeweise erweiternd: Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst – und dann handle, wie Prüfung und Denken es ergeben haben.

Weiterschreiben, Wegner!

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