28.01.2023

Batman, Robin und die Ukraine

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Foto von Clément Falize
Auch zum Ukrainekrieg tun die Medien so, als wären all die Dinge, die vor wenigen Jahren noch im TV liefen, nie gesagt worden. Geschichte wird gelöscht und umgeschrieben, als wäre es nie passiert. Doch es ist passiert.
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Die Geschichte wird ausradiert und neu geschrieben, wieder und wieder, in 1984 und in 2023. Jedoch, natürlich werden nicht die Ereignisse ausradiert. Wie sollte das auch gehen, innerhalb der bekannten Weltphysik?

Auch die Absichten, welche zu jenen Ereignissen führten, bleiben nach aller Lebenserfahrung so erstaunlich wie erwartungsgemäß dieselben.

Was wirklich neu geschrieben ist, sind die Geschichten, die uns über die Geschichte erzählt werden – neudeutsch: das Narrativ.

Es war einmal ein witziger amerikanischer Late-Comedian namens Stephen Colbert. Die Person selbst lebt ja noch, und sie ist aktiv im TV, und sie kassiert wohl mehr denn je, doch Colbert wirkt heute mehr so wie eine tragische Propaganda-Marionette. Wenn Sie sich mal so richtig fremdschämen wollen, schauen Sie etwa seinen Impf-Tanz auf YouTube.

Etwas schwerer zu finden als Colberts aktuelle Impf-Propaganda ist ein gewisses Interview aus dem Jahr 2014. Damals war die öffentliche Persona „Stephen Colbert“ tatsächlich noch witzig und nicht nur als Propaganda-Studienobjekt interessant. (Es ist für US-Internetbesucher auf cc.com, 24.2.2014 zu finden, und es taucht unter wechselnden Adressen in den Sozialen Medien auf, etwa aktuell bei @gramatik, 17.3.2022.)

In jenem launigen Interview erklärt Gideon Rose, der damalige Chef des angesehenen Magazins „Foreign Affairs“, das Verhältnis der USA zur Ukraine vor dem Hintergrund der damaligen Geschehnisse in der Ukraine.

Die große Metapher, die Gideon Rose gleich zum Einstieg anbietet, ist die von „Batman und Robin“.

Wir erinnern uns: Batman ist ein superreicher und technologisch super ausgestatteter Superheld, Robin aber ist sein Junior-Helfer. Grundsätzlich blickt Robin ja zu Batman auf, doch gelegentlich streiten sie auch, und Robin ist nie wirklich froh über seine Rolle als Junior.

Gideon Rose beschreibt in jenem Interview die US-Strategie als den Versuch, den kleinen Robin Ukraine dem russischen Batman streitig zu machen.

Ihr Leben für ihr Land

Wir erinnern uns: Im Februar 2014 passierte die sogenannte „Maidan-Revolution“, von welcher ein Herr George Soros einst jubelte: „We are witnessing the birth of a new nation, a new Ukraine—with a limitless future made possible by people willing to sacrifice their lives for their country.“ (opensocietyfoundations.org. 7.4.2014); zu Deutsch etwa: „Wir erleben die Geburt einer neuen Nation, eine neue Ukraine — mit einer unbegrenzten Zukunft, möglich gemacht durch Menschen, die bereit sind, ihr Leben für ihr Land zu opfern.“

In jenem Interview erklärte der Foreign-Affairs-Chef es wie ein Spiel. Man wolle Ukraine für „den Westen“ gewinnen – aber Putin nicht so weit provozieren, dass er militärisch eingreift. Man wolle ihn ablenken: „we don’t want this to escalate and we don’t want Russia to crack down, so we want to basically distract Russia.“; zu Deutsch etwa: „wir wollen nicht, dass es eskalliert, und wir wollen nicht, dass Russland hart durchgreift. Im Grunde wollen wir also Russland ablenken.“

Russland ablenken?

Zu welchem Zweck?

Stephen Colbert versteht und wiederholt es so: Man hält Russland ein glitzerndes Objekt hin und nimmt ihm dann ein ganzes Land weg. (Wörtlich: „Here’s a shiny object, we’ll just take an entire country away from you.“; siehe Video ab 2:40)

Der Experte erklärte zuvor: „Ukraine is basically choosing its future between two completely different courses of action, and we’re trying to blur that choice so the old boyfriend doesn’t get too upset when it makes the right choice towards us. He might punch it in the face.“

Zu Deutsch etwa: „Ukraine entscheidet sich im Grunde zwischen zwei völlig unterschiedlichen Vorgehensweisen, und wir versuchen, diese Entscheidung unscharf scheinen zu lassen, so dass der alte Liebhaber nicht sauer wird, wenn sie die richtige Entscheidung für uns trifft. Er könnte ihr ins Gesicht schlagen.“

Der Herausgeber eines Magazins spricht natürlich nicht für eine Regierung, doch gerade das gibt ihm die Freiheit, ehrlich auszusprechen, was andere hinter Diplomatie verstecken.

Man könnte und sollte

Man könnte noch weitere Aspekte wie den offenen Regime Change („Fuck the EU“) und das Vorrücken der Nato nach Osten diskutieren. Man könnte fragen, warum etwa Boris Johnson dagegen war, dass ein Friedensdeal zwischen Ukraine und Russland zustande kam (bbc.com, 22.9.2022). Man könnte diskutieren, was es bedeutet, dass die USA schon jetzt jeden Tag der große Profiteur des Ukraine-Krieges sind, auf mehreren Ebenen, wie etwa Energielieferung oder Waffenabsatz. Man könnte diskutieren, was genau Angela Merkel damit meinte, dass man mit den Minsker Abkommen der Ukraine etwas Zeit geben wollte, um „stärker“ zu werden – war militärische Stärke gemeint, für einen Krieg gegen Russland? (Vergleiche dazu etwa die nervöse Gegendarstellung bei n-tv.de, 3.1.2023.)

Ja, man könnte und sollte diese Punkte diskutieren, ich will aber für heute diesen einen Punkt protokollieren: Jahre bevor Russland in die Ukraine einmarschierte, wurde in westlichen Medien offen ausgesprochen, dass man die Ukraine umwirbt wie ein Casanova eine Dame, dass man sie für die westliche Sache gewinnen wollte – und dass man sich sehr wohl dessen bewusst war, dass der bisherige „Liebhaber“ Russland aggressiv zugreifen könnte, wenn er merkt, dass er abgelenkt und mit unscharfen Botschaften hinters Licht geführt wurde.

Die Geschichte wird ausradiert und umgeschrieben. Wer heute erwähnt, was man 2014 offen aussprach, gilt bald als „Verschwörungstheoretiker“ oder gar „Putin-Freund“.

Wer heute darauf hinweist, dass man früher voraussah, wie Putin vorhersehbar und also rational motiviert sein könnte, sein Militär die Ukraine einmarschieren zu lassen, der könnte sogar hören, dass er Putins Einmarsch in die Ukraine verteidigen will.

Wenn ich darauf hinweise, dass ein Skorpion zustechen wird, etwa weil es seiner Natur entspricht, habe ich dadurch nicht den Skorpion oder sein Gift „gerechtfertigt“.

Man war sich ja des Risikos bewusst! Gideon Rose sagte damals: „we don’t want Russia to intervene and kick over the table like a game of risk and take Ukraine back.“; zu Deutsch etwa: „wir wollen nicht, dass Russland eingreift und den Tisch umwirft wie bei dem (Gesellschafts-) Spiel Risiko, und Ukraine zurücknimmt.“

Orchestriertes Geigen

Ich fürchte fast, dass es nicht wirklich eine angebliche Rechtfertigung Putins ist, welche die neuen Geschichtsschreiber fürchten – es ist womöglich eher das Aufzeigen eines Anteils von Verantwortung, den sie selbst tragen.

Wenn ich darauf hinweise, dass der Skorpion zustechen wird, übertrage ich demjenigen, der dennoch sich oder einen Freund in Gefahr bringt, mindestens eine moralische Mit-Verantwortung an den Folgen der Taten des Skorpions.

Wenn Russland der Batman ist und die Ukraine der Helfer Robin, wer ist der Joker, der seine Psychospielchen mit der ganzen Stadt Gotham spielt? (Und warum ein US-Kommentator die Russen mit den Protagonisten Batman vergleicht, müsste dieser wohl selbst erklären.)

Kaum hat Deutschland zugestimmt, sich mit dem Liefern von Kampfpanzern am Krieg zu beteiligen, fordert Zelensky nun Kampfflugzeuge (laut @ZDFHeute, 27.1.2023). Die USA sollen es gar nicht mal prinzipiell ablehnen. Wenn Russland behauptet, es sei kein Wunder, dass die USA nicht dagegen seien, da sie selbst es Zelensky eingeflüstert hätten, wie überzeugend wird die Verneinung dieser Behauptung sein?

Die Motivationen Russlands liegen denkbar offen – bis eben noch wurden sie offen in unseren Medien ausgesprochen. Was aber sind „unsere“ Motivationen? Und wer genau ist das „Wir“, dessen Existenz impliziert wird, wenn man von „unseren“ Motivationen spricht?

Deutschland wetteifert ja schon mal mit Frankreich um die Rolle als „Erste Geige in Europa-Orchester“, dabei ist die eigentliche Frage ja: Wer ist der Dirigent?

Weiterschreiben, Dushan!

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