14.01.2025

Höflichkeit schützt das Dämliche davor, dämlich genannt zu werden – ist das gut?

von Dushan Wegner, Lesezeit 8 Minuten, Bild: »Pfefferminzprinz, sing!«
In Deutschland sind 2 Schutzzäune um das Dämliche gezogen: Höflichkeit und Rechtslage. Politiker haben den Majestätenschutz (§ 188 StGB), doch auch z. B. die »Omas gegen Rechts« adäquat UND legal zu kommentieren, fällt schwer. Wird das zum Problem?
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Bescheidenheit ist eine Zier, so sagen wir, doch weiter kommt man ohne ihr.

Warum aber sollen und wollen wir bescheiden sein?

Weil es höflich ist, sprich: weil es einem (gemeinnützigen) Verhaltensschema entspricht, das uns antrainiert wurde.

Der innere Zwang zur Höflichkeit mag angeboren sein – manchem mehr, manchem weniger –, nicht aber deren konkrete Ausgestaltung.

Ich zum Beispiel möchte höflich sein, möchte Gebrauch machen von jenem Schmiermittel, das unnötige Reibung aus den Vorgängen des täglichen Miteinanders entfernt. Doch nicht jede Variation dieser Schmierung schmeckt mir auch!

Ich möchte höflich sein, aber einige »höfliche« Gewohnheiten würde ich doch lieber auf möglichst un-unhöfliche Weise vermeiden.

Zur Begrüßung verzichten

Da wäre etwa der obligatorische Wangenkuss, wenn man Damen begegnet. Der Legende nach entstammt die Gewohnheit, Damen zur Begrüßung auf beide Wangen zu küssen, alten römischen Zeiten. Damals wollte angeblich der Hausherr auf diese Weise erfahren, ob die Hausdame womöglich in der Zwischenzeit vom vinum gekostet hatte.

Mir ist es aber persönlich recht gleichgültig, ob mein weibliches Gegenüber zuvor ein Weinchen genossen hat. Also muss ich das nicht durch nahes Beschnüffeln kontrollieren.

Ach, man könnte mich glatt für einen Orthodoxen halten! Ginge es nach mir – was es viel zu selten tut –, dann könnten die Leute ganz auf den Handschlag zur Begrüßung verzichten. Es gibt kooperative Handlungen zweier Menschen, die es wert sind, dafür die Übertragung von Krankheiten zu riskieren, doch eine simple Begrüßung gehört noch nicht dazu. – Doch auch das ist natürlich, wie eigentlich jede Wahrheit heute, nur ein subjektives Gefühl, und in diesem Fall ist es eben mein Gefühl.

Zur handfesten Gefahr

Den bislang genannten Höflichkeitsmarkern ist gemeinsam, dass sie manchem zwar lästig sein können, doch solange man sich das Immunsystem nicht etwa durch irgendwelche »Impfungen« zerschossen hat, bleiben diese Höflichkeiten weitgehend ungefährlich.

In den letzten Jahren aber und heute mehr denn je, so wage ich als These vorzulegen, wird eine bestimmte Gruppe von Höflichkeiten zur handfesten Gefahr.

Wird die Bundesrepublik Deutschland das erste Land sein, das an zu viel Höflichkeit untergeht? Ich will es provisorisch so formulieren: Wenn (über-)lebenswichtige Funktionen gesetzlich verboten werden, ist eben das, was von diesen Funktionen geschützt und verteidigt wurde, konkret unmittelbar gefährdet.

Zäune um Zäune

Es ist dem Menschen angeboren, das Abnorme und/oder Mangelhafte am Mitmenschen zu benennen, um dann die Träger solcher Eigenschaften, je nach Art des Mangels und Grad der Abnormität, vorübergehend oder dauerhaft aus der Gesellschaft auszuschließen, oder zumindest ihre Rolle und Bedeutung zu verringern.

Die sogenannte Zivilisation mit ihrer Höflichkeit und den Umgangsformen richtet allerdings Tabus um die Mängel herum auf.

»Starre nicht!«, wird das Kind von seiner Mutter ermahnt, wenn beide einem Lahmen oder einem Dicken begegnen – und die Mutter kämpft damit gegen die Evolution.

Bei jener großen und dauernden Auswahl, die wir »Evolution« nennen, hat es sich bewährt, wenn Abnormes, Ungesundes und schlicht Falsches korrigiert oder, wenn nicht korrigierbar, ausgestoßen wird. Die Evolution wählt bessere Genetik aus – Evolution ist nicht »höflich«, achtet wenig auf Menschenwürde und Befindlichkeit.

In Japan wird man als Übergewichtiger dauernden Spott ertragen müssen – einer der Gründe für den niedrigeren Anteil übergewichtiger Japaner.

»Ich bin froh, dass ich kein Dicker bin, denn dick sein ist ’ne Quälerei«, so sang Westernhagen noch in den 1990ern – und mancher Dicke sang und tanzte in fröhlicher Selbstironie mit. Ja, Westernhagen führte das Lied noch 2005 auf: »Dicke müssen ständig fasten, damit sie nicht noch dicker werden, und ham sie endlich 10 Pfund abgenommen, ja, dann kann man es noch nicht mal seh’n.«

Wäre das heute vorstellbar, als neuer Hit gar? Heute sind wir selbstbewusst dick, und über Dicke zu lachen ist Rassismus oder so – und die Zahl der Herzkrankheiten geht selbstbewusst nach oben.

Gegen G-ttes Willen

Man muss sich den Verstoß gegen G-ttes Willen als einen Graben vorstellen, so erklärte mir einmal ein orthodoxer Jude, und die Gesetze sind wie Zäune um diesen Graben, und weil man ganz sicher gehen will, baut man Zäune um die Zäune und um diese dann wieder Zäune.

Ähnlich verhält es sich mit der Höflichkeit. Es beginnt damit, dass man einen Übergewichtigen nicht »fettes _____« nennt, und irgendwann landet man bei »fat acceptance«, bei der Normalisierung morbider Adipositas und steigenden Krebsraten (auch schon vorm großen mRNA-Reibach).

Unhöflichkeit beim Umgang mit Übergewicht tut weh, weil es die Selbstlügen des Dicken angreift – allzu feige Höflichkeit aber kann tödlich sein!

Lügen im Namen der Höflichkeit ist tödlich, doch spätestens wenn die unhöfliche Wahrheit per Gesetz verboten ist, wird es für die Gesellschaft tödlich.

Einen auf die Nase

»Social media made y’all way too comfortable with disrespecting people and not getting punched in the face for it«, so wird der Boxer Mike Tyson zitiert.

Auf Deutsch bedeutet das etwa: »Soziale Medien sorgten dafür, dass ihr alle euch zu sehr daran gewöhnt habt, respektlos zu sein und dafür nicht einen auf die Nase zu bekommen.«

Ähnliches gilt allerdings auch für gewisse Entwicklungen in der deutschen politischen Debatte!

Der eiserne Griff linker Totalitärer, in welchem sie Medien und Schulen halten, hat dazu geführt, dass zu viele Menschen sich daran gewöhnten, vollständig verblödet auftreten zu können, ohne dass ihnen jemand ins Gesicht sagt, wie verblödet sie wirken.

Bei deutschen Politikern kommt hinzu, dass im deutschen Propapagandastaat offen anti-demokratische Gesetze erlassen wurden, welche speziell die »Volksdiener« davor schützen, für ihr Tun in allzu deutlichen Worten von ihren »Dienstherren« kritisiert zu werden – § 188 StGB. Und gewisse deutsche Politiker machen sehr ausgiebig Gebrauch von dieser Möglichkeit.

Aber auch der »gewöhnliche« Bürger ist durch verschiedene Paragraphen vor allzu grober Unhöflichkeit geschützt, wenn auch deutlich weniger scharf als die Herrschaftsklasse.

So kann es dir Ärger einbringen, einem konkreten Mitmenschen öffentlich eine geistige Umnachtung zu diagnostizieren.

Ist es aber nicht eine bereits mittelfristig gefährliche Schräglage, wenn das Verrückte nicht mehr verrückt gedacht werden darf?

Häkelmützen gegen Rechts

Ich habe nun schon mehrfach Videos der »Omas gegen Rechts« gesehen.

Es sind, wie der selbstgewählte Gruppenname nahelegte, zumeist Seniorinnen, und ihre politische Position wäre nicht falsch beschrieben mit: »was die Tagesschau, Herr Restle und Frau Hayali sagen«.

Video-Beispiele der »Omas gegen Rechts« sind viele zu finden. Die Damen tragen als Uniform häufig seltsame rosafarbene Häkelmützen und tragen dazu zuverlässig Brillen mit farbigem Rahmen aus der Massenproduktion, als Ausdruck ihrer Individualität.

Manchmal werden diese »Omas gegen Rechts« um politische Statements gebeten, diese werden dann auf Video aufgezeichnet und im Internet verbreitet. Ich werde natürlich kein einzelnes und bestimmtes dieser Videos verlinken.

Einige der Video-Ausschnitte aus Gesprächen mit »Omas gegen Rechts« erinnerten mich an Begegnungen mit Menschen, deren Geisteszustand man für gewöhnlich in Wörtern beschreibt, die öffentlich zu benutzen als mindestens unhöflich gilt.

Bratwurst in Grabhöhle

Westernhagen dürfte, könnte und würde heute nicht mehr »Dicke« herausbringen. Der wunderschöne Song »Crazy« darf auch nur deshalb ein Hit sein, weil mit verrückt hier verrückt vor Liebe gemeint ist: »I think you’re crazy, just like me.«

Menschen, deren Eigenschaften das Überleben des Stammes gefährdeten, wurden in biblischen Zeiten noch aus der Gemeinschaft verbannt, zumindest solange diese Eigenschaften nicht korrigiert waren.

Die Gesetzessammlungen der jüdischen Bibel beschreiben im Detail, wie Leprakranke zu isolieren seien (etwa 3. Mose 13:45-46). Ähnliches galt offenbar auch für die Kranken am Geiste: Matthäus 8:28-34 etwa berichtet von zwei Besessenen, die außerhalb der Stadt lebten, in der Gegend der Grabhöhlen.

Heute werden die Besessenen und Dämonengeplagten nicht mehr zu den Grabhöhlen verbannt, heute drückt man ihnen ein Plakat in die Hand und eine Bratwurst in den Mund, man lässt sie zum Lob der Regierung demonstrieren und die Slogans der Propaganda aus dem Staatsfunk aufsagen.

Kussgeräusche in die Luft

Die Höflichkeit – und die notwendige Abgrenzung zu gewissen Religiösen – motiviert mich, eben doch stets brav mein Pfötchen zum Handschlag hinzuhalten (und manchmal will ich ja sogar die Hand des Gegenübers schütteln, etwa wenn eine Übereinkunft getroffen wurde und beide Seiten folglich guter Dinge sind).

Aus Höflichkeit halte ich zur Damenbegrüßung selbst erst die eine Wange und dann die andere hin, und ich schmatze Kussgeräusche in die Luft, und manchmal bin ich amüsiert (und etwas angeekelt), wenn dieser »Test« unbeabsichtigt im Sinne des alten römischen Vorbilds ausschlägt.

Die Höflichkeit und die Gesetzeslage aber zwingen mich, meine Meinung und Deutung nur zu umreißen, wenn »Omas gegen Rechts« ihre Denkvorgänge vorlegen.

Die »Omas gegen Rechts« sind ja wahrlich nicht ihre eigene Ursache, sie sind wenig mehr als ein kurioses Symptom – das Symptom einer Zeit, in der zu viele Menschen sich daran gewöhnt haben, Wortsalat, Gedankenmüll und die aktuellen Propaganda-Slogans selbstbewusst für ihre Meinung zu halten.

Dicker Po, mit Verlaub

Ich erwische mich zuletzt wieder öfter bei einer melancholischen Sentimentalität. Ich denke seufzend an die Zeit zurück, als die Grünen noch Witze über Kohls Fettleibigkeit machten, statt wie heute in der Manier von Faschisten den Bürgern die Polizei ins Haus zu schicken, wenn jemand Witze über eine(n) Grüne(n) machte.

Ich denke wehmütig an die Zeit zurück, als Westernhagen noch sang: »Dicke haben Blähungen, Dicke ham ’nen dicken Po, und von den ganzen Abführmitteln rennen Dicke oft aufs Klo.«

Früher sagten Grüne schon mal im Bundestag: »Mit Verlaub, Sie sind ein Arschloch«. Heute gäbe es dafür, wenn vom Bürger an einen Grünen gerichtet, schnell die Wohnungsdurchsuchung zur Strafe, früh am Morgen und natürlich ohne Anklage, Verfahren oder gar Verteidigung.

Durch Wiederholung wahr

Ich sehne mich zurück nach den Zeiten, als Monty Python noch Witze über den Wahnsinn machen durften – heute ist der Wahnsinn geltende Gesetzeslage –, als »Freiheit« von Westernhagen nur Warnung und nicht Echtzeit-Geschichtsschreibung war: »Freiheit, Freiheit, ist die Einzige, die fehlt«, denn: »Freiheit, Freiheit, wurde wieder abbestellt«.

»Denn dünn bedeutet frei zu sein«, so sang Westernhagen, und ich fühle für mich weder das eine noch das andere. Doch will ich mit Marius bei einem anderen Lied mitsingen, fest darauf hoffend, dass auch diese Lüge durch Wiederholung wahr wird: »Es geht mir gut, es geht mir gut, es geht mir gut, es geht mir gut.«

Weiterschreiben, Wegner!

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