29.10.2024

Es kümmert die Leute nicht

von Dushan Wegner, Lesezeit 3 Minuten, Bild: »Der Clown darf doch kein Held sein«
Harsche Wahrheit: Viele Menschen kümmert es nicht. WAS kümmert sie nicht? NICHTS kümmert sie. Ihre Handlungen sind Reaktionen, Versuche der Anpassung, von keiner originellen Motivation getrieben. Und auch diese Menschen wählen, bestimmen unser Schicksal.
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Du wirst betrogen. Und Demokratie kann (eigentlich?) nicht funktionieren. Und beides aus sehr ähnlichem Grund – lasst mich erklären!

Die Chancen, betrogen zu werden, steigen, wenn und weil du ein guter, empathischer und gut gebildeter Mensch bist. Wenn du selbst ein guter, aber im Gutsein noch unerfahrener Mensch bist, gehst du womöglich davon aus, dass dein Gegenüber ebenfalls im Herzen gut und von guter Absicht getrieben ist. Das macht manchen guten Menschen blind für die mögliche Bosheit eines Betrügers.

Ein empathischer Mensch meint, er hätte Einsichten in das Seelenleben des Gegenübers, ob via »Spiegelneuronen« oder »Intuition«. Er könnte vermutlich nicht angeben, wie viel dieser einfühlsamen Einsicht in das Gegenüber tatsächlich Projektion ist.

Und Gebildete sind derart aus ganz speziellem Grund sehr einfach zu betrügen: weil Bildung realiter bedeutet, Autoritäten nachzubeten (siehe dazu auch den Essay »Misstraut den Gebildeten«). Wenn einer sich als Autorität mit Charisma zu verkaufen versteht, kann er die Gebildeten blendend betrügen. (So funktioniert etwa die 20-Uhr Propaganda des Staatsfunks: Man verkündet halbe und ganze Lügen, aber mit Autorität.)

Die psychologische Logik hinterm Betrogenwerden ist eigentlich eine Prämisse. Diese Prämisse hinter dem Betrogenwerden war eigentlich überlebenswichtig für den Stamm. Uns ist die Neigung angeboren, erst mal davon auszugehen, dass das Gegenüber gut ist. Außerhalb des Stammes aber, etwa im Stadtleben, kann dieselbe nützliche Neigung uns eben gefährlich leichtgläubig handeln lassen.

Nein, das Gegenüber ist eben nicht zwingend »so wie du«. Deshalb wirst du von Zeit zu Zeit betrogen werden – und deshalb funktioniert Demokratie bisweilen nicht.

Es ist eine harsche Wahrheit: Die meisten Menschen um dich her kümmert es nicht – und »es« bedeutet hier fast alles. Es kümmert die Menschen nicht, ob ihr Leben einen Sinn hat. Ob sie die Welt und die Menschheit bereichern (über die berüchtigten »schönen Momente« hinaus). Ob sie im Sinne der alten Philosophen »sich selbst erkennen« – oder gemäß neuerer Philosophien »täglich besser werden«.

Und die meisten Menschen kümmert es nicht (wirklich), wie es mit ihrem Land weitergeht.

Die Handlungen der Menschen sind Reaktionen. Manchmal auch Vorab-Reaktionen in Erwartung anderer Reaktionen – am häufigsten jener, dass ihnen die Zugehörigkeit zur Stammesgemeinschaft bestätigt wird.

Nur wenige Menschen handeln aus eigener, innerer Motivation. Man vertritt eine Meinung, weil diese Meinung zu vertreten keinen Ärger einbringt. Man wählt eine Partei, weil diese Partei zu wählen sozial gefahrlos ist. Man lebt sein Leben als Kombination von nach- und vorauslaufenden Reaktionen.

Was aber mit ihnen, mit ihren Familien und ihrem Leben passiert, all das könnte sie kaum weniger kümmern – wenn man nicht die Worte der Leute betrachtet, sondern ihre Handlungen.

All das mag dir fremd sein. Du handelst aus eigenem Antrieb. Du bist dir deiner relevanten Strukturen bewusst, und so weit es dich betrifft, schützt und stärkst du diese.

Also könntest du mit den Schultern zucken ob all dieser Anderen, die bloß reagieren.

Doch in einer Demokratie (ähnlich wie in einer Familie …) haben diese Anderen ganz erheblichen Einfluss auf dein Leben – und auf deine Zukunft.

Du wirst betrogen, wenn und weil du davon ausgehst, dass der andere genauso »tickt« wie du. Du betrügst dich selbst, wenn du davon ausgehst, dass die anderen sich genauso wie du um das Land kümmern. Dass sie sich kümmern, die ganze Angelegenheit nur noch nicht so genau durchschauen wie du und man sie mit guten Argumenten überzeugen wird.

»Nobody knows me, but I’m always there«, so singen UB 40, »statistic reminder of a world that doesn’t care«, zu Deutsch: »Niemand kennt mich, aber ich bin immer da. Eine Statistik, eine Erinnerung an eine Welt, der es egal ist.«

Ja, ja, ja, ich weiß: Das klingt nach Teeanger-Angst und allgemeinem Weltschmerz. Doch etwas ist dran: Du bist Teil einer Gesellschaft, in der vermutlich die Mehrheit der Menschen um dich herum sich nicht kümmert. Das ist ein Problem, damit solltest du planen, darum musst du dich kümmern, denn du wirst diese Leute nicht mit Argumenten überzeugen.

Kümmere dich darum, deine Rolle einzurichten in einer Gesellschaft, in welcher die Mehrheit sich nicht kümmert.

Weiterschreiben, Wegner!

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