Dushan-Wegner

13.11.2020

Freitag der Dreizehnte, 2020

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Jordan McQueen
Ob Wahlergebnisse in den USA, Coronapolitik oder der Kampf gegen »politischen Islam« – warum haben so viele das Gefühl, dass wir uns in einer einzigen großen Märchenstunde befinden?
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Auch ohne dass Sie jemals von Paraskavedekatriaphobie gehört haben sollten, können Sie noch immer daran leiden! Vielleicht möchten Sie Ihren Arzt fragen, ob der Sie auf Paraskavedekatriaphobie hin untersuchen kann – und er wird dann wahrscheinlich selbst erst nachschlagen, was das denn bitteschön sei, und dann wird er laut lachen – Paraskavedekatriaphobie ist schlicht ein kompliziertes Wort für die Angst vor Freitag dem Dreizehnten.

Ich schreibe diesen Essay am Freitag dem 13. November 2020. Weltweit hört man den natürlich nur im Spaß gemeinten Ruf: »Oh Nein! Das Letzte, was das Jahr 2020 braucht, ist ein Freitag der Dreizehnte!«

»Freitag der Dreizehnte«, das klingt nach Unglückstag! Das klingt nach Pleiten, Pech und Pandemie. Am Freitag dem Dreizehnten, da sollen Unfälle geschehen und Geschäfte misslingen! Am Freitag dem Dreizehnten, da bleibt man besser daheim – gerade im Unglücksjahr 2020!

Geschichten, die uns erzählt wurden

Wenn wir näher hinsehen (öfter eine gute Idee, nicht nur wenn man kurzsichtig ist), stellen wir fest, dass weit mehr Nachrichtenmeldungen mit erzählten Geschichten zu tun haben, als uns auf den ersten Blick auffällt.

Da wären natürlich zuerst die bald täglichen Meldungen über Gewalt, die motiviert sind von (religiösen) Geschichten, die Kulturen sich erzählen. Wir lesen von den hilflosen Reaktionen der Politik. Aktuell ruft etwa der Bankkaufmann Jens Spahn dazu auf, »säkular-liberale Muslime zu stärken« (@jensspahn, 12.11.2020). Das einzig »offenbarte« an seiner Forderung ist das für Politiker typische Unverständnis von Religion – welche neuen Geschichten will er denn dem Heimatgefühl entgegenstellen, das die alten Geschichten bieten?

Manche Geschichten, die uns erzählt wurden (und werden), können geradezu tödliche Konsequenzen haben. Neben den gefährlichen Folgen der Toleranz-Erzählungen (siehe etwa »Seid’s ihr völlig deppert?!« vom 10.1.2018) wären da etwa die Geschichten vom Virus, für das man Krankenhäuser blockiert (woraufhin Menschen an anderen Krankheiten sterben, während Betten leer stehen), aber auch das Märchen vom »reichen Deutschland«.

In einigen EU-Ländern, die viel Geld von Deutschland erhalten, liegt das durchschnittliche Vermögen der Haushalte deutlich über dem der Haushalte Deutschlands. In Deutschland wird den Bürgern die Geschichte erzählt, dass es dem Land gut geht und sie ach so reich seien, während buchstäblich das Land auseinanderfällt und seine Bürger tötet (ksta.de, 13.11.2020: »Betonwand erschlägt Autofahrerin – A3 gesperrt«).

Wenig Logisches!

Was ist denn besonders an einem Freitag, der im gregorianischen Kalender auf den Dreizehnten eines Monats fällt?

Intrinsisch ist am Freitag, dem Dreizehnten nichts besonders. Vielleicht stimmt es ja, und die Sterne lenken unser Schicksal (dann hätte ich ein ernstes Wörtchen mit denen zu reden…), doch dass ein arbiträres Datum die Sterne oder das Wetter beeinflusst, das wäre reichlich anmaßend.

Das Besondere des Freitags, der auf den Dreizehnten fällt, ist extrinsisch, es kommt von außen.

Freitag der 13. ist Freitag der 13., weil uns gewisse Geschichten über Freitag den 13. erzählt wurden.

Ich kenne niemanden, der über Freitag den 13. nicht lächeln würde – und doch kenne ich niemanden, der den Ruf dieses Tages nicht kennen würde! Unsere Vernunft sagt uns, dass an dem Tag nichts »Besonderes« ist, doch die Geschichten wirken aufs Gefühl. Wir alle »leiden« ein wenig an Paraskavedekatriaphobie, auch wenn wir wirklich nicht dran leiden.

Ich weiß, ich weiß, das Stichwort »Narrativ« hängt uns bald zum Hals heraus. Dass das Stichwort uns nervt, macht es aber noch nicht falsch und auch nicht weniger wichtig. Dass die Bedächtigeren unter uns mit dem Stichwort Narrativ wenig Positives anfangen können, ist unsere Schwäche. Narrativ ist nichts anderes als die Geschichten, die uns erzählt werden, die wir uns selbst erzählen.

Hören wir doch einmal hin, wenn linke und andere Opfer medialer Gehirnwäsche ihre sogenannten politischen Meinungen und Absichten äußern. Es sind nur wenige Argumente darunter, wenig Logisches!

Es sind viele Geschichten, die Gefühle transportieren. Es sind Geschichten von Menschen, die unterdrückt wurden. Es sind Geschichten von Fliehenden (und nicht etwa von knallhart kalkulierenden Kunden krimineller Schlepper). Es sind Geschichten, die an unser Herz appellieren – und mit den Gefühlen dann werden politische Entscheidungen gerechtfertigt. (Siehe auch »Merkel und ihr merk-würdiger Trick« vom 24.5.2016). Der Leitspruch derer, die unsere Medien sowie Schulen prägen und damit unser Land (ver-)formen, ist ja ganz offen: »Das Private ist politisch«, was ja nichts anderes bedeutet als: »Die Geschichten, die ich mir von mir selbst erzähle, haben das Fundament zu sein, auf welches der Staat seine Ordnung baut.«

Geschichten, nicht Argumente

Es sind Geschichten, in denen wir unsere Geschichte schreiben. Es sind Geschichten, die unsere Geschichte geformt und geprägt haben. Es sieht alles danach aus, dass unser Schicksal auch weiter von Geschichten gelenkt sein wird.

Während ich die rohe Fassung dieses Textes korrigiere, twittert Alexander Kissler: »Hat Deutschland eine starke Erzählung von sich selbst? Darauf kommt es in der und erst recht nach der Corona-Krise an.« (@drkissler, 13.11.2020)

In den USA erlebten wir eine durchaus durchwachsene Wahl – sie ist noch nicht offiziell vorbei, entgegen mancher »Geschichten« in Konzern- und Staatsmedien wurde offiziell noch kein Sieger erklärt. Im Vorfeld der Wahl erzählten Medien und politische Gegner des US-Präsidenten die wildesten Geschichten über diesen, und »Geschichten« ist noch ein freundlicher Ausdruck, es waren Räuberpistolen, Horrormärchen und blanke Lügen wie der »Russia Hoax«. Jetzt erklären sie zur »offiziell wahren Geschichte«, dass der Kerl, der sich einen Monat im Keller versteckte und kaum einen Vorgarten füllte, viele Millionen Stimmen mehr einfuhr als der »Messias« Barack Obama.

Es sind Geschichten, an denen wir uns in die Zukunft entlang hangeln. Geschichten, nicht Argumente, stehen als Leitplanken an den Rändern unseres Weges.

Politiker und Staatsfunk haben über die letzten Jahrzehnte in Deutschland eine gewisse Übung darin entwickelt, den Deutschen solche Geschichten zu erzählen, die sie vielleicht nicht glauben, aber doch zum Leitfaden ihres Handelns akzeptieren.

Die Geschichten aber, die für die Deutschen nach 1968 gereicht haben mögen, die von nicht selten geradezu infantiler Schlichtheit und Inkohärenz sind, sie werden nicht genügen, um den in buchstäblich Jahrtausenden geschliffenen und auf ihre Wirkung hin geprüften Geschichten gewisser Mächte mit globalem Anspruch realistisch Paroli zu bieten.

Wie Züge oder wie Automobile

Wir, die wir über die linke Unvernunft unsere ach so intellektuelle Nase rümpfen könnten, wir sind bei Gelegenheit so hilf- und ratlos gegenüber der Macht der Geschichten.

Die Trägen und Dummen haben Geschichten, während die Klugen sich in trockenen Argumenten erschöpfen.

Erdoğan ist für das zitierte Geständnis bekannt, die Demokratie sei nur ein Zug auf dem er fährt, bis er am Ziel sei. Er behandelt die Demokratie wie eine Geschichte, die man erzählt, um Kinder abzulenken oder in den Schlaf zu wiegen. Wenn das Kind schläft, ist die Geschichte auserzählt, und der Erzähler schlägt das Geschichtenbuch wieder zu, um sich dem Rest des Abends zu widmen.

Geschichten sind wie Züge oder wie Automobile, welche jene, die sie den Menschen erzählen, samt eben dieser Menschen schneller ans Ziel bringen – oder überhaupt erst in Bewegung bringen. Ohne die Geschichten, die ihnen den Weg weisen, würde manche Masse wie ein Haufen verlorener Kinder im Kreis und durcheinander laufen.

Wir, die wir uns vernünftig nennen, wir werden lernen müssen, auch vernünftige Geschichten zu erzählen. Kurze Geschichten. Durchdachte Geschichten. Bessere Geschichten als das verwirrte, und im letzten Effekt doch so traurige banale Zeug der Linken und ihrer Herren.

Ich schreibe diesen Text am Freitag dem 13., am Abend beginnt das Wochenende. Vielleicht können wir uns tatsächlich wieder in der Kunst des Geschichtengenusses üben, ein Buch zur Hand nehmen, einen wirklich guten Film schauen, oder sogar einem Kind eine Geschichte vorlesen. So wie früher, auf Papier, mit umblättern, zum Schluss über die Haare streicheln und einen Kuss auf die Stirn geben.

Wir sollten sehr genau darauf achten, welche Geschichten wir uns aufbinden lassen. Selbst wenn der Spiegel zerbricht, eine schwarze Katze unseren Weg kreuzt oder es eben Freitag der 13. ist – wir wollen uns nicht von dummen Geschichten ins Bockshorn jagen lassen!

Wie unsere Geschichte ab hier verlaufen wird, es wird ganz fundamental davon beeinflusst werden, welche Geschichten wir uns erzählen.

Die Welt wird nicht klug sein, wenn unsere Geschichten dumm sind. Wenn es Wahrheit ist, die unsere Zukunft prägen soll, dann müssen die Geschichten, die wir einander erzählen, auch auf Wahrheit gebaut sein.

Ihr wollt eine bessere Welt?

Erzählt bessere Geschichten!

Weiterschreiben, Wegner!

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