20.06.2018

Trump forciert die Krise und bringt Licht ins Halbdunkel

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Bild von Denisse Leon
Kinder werden von ihren Eltern getrennt, weil Trump ein Monster ist – so hören wir es aus den USA. Ich habe mir die Mühe gemacht, die Details aufzudröseln. Trump geht schlau und langfristig vor, doch man muss es im Mediengeschrei erkennen. #Recherche
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Halbdunkel. Was ist das für ein Wort? »Halbdunkel«. Die halbe Dunkelheit. Stellen wir uns Tag und Nacht als Pendel vor. Wenn ein Pendel schwingt und langsamer wird, bevor es umdreht, diese kurze Phase an den Rändern der Pendelbahn: das ist die Dämmerung. In der Dämmerung ist es halbdunkel. Die Dämmerung ist die Krise des Tages. Wenn Wolken die Sonne verdecken, dann ist die Dämmerung eine Grauzone – buchstäblich.

In diesen Tagen scheint mancher Große einen Satz von T. S. Eliot zu beherzigen: »Have the strength to force the moment to its crisis.« (Ich zitierte den Satz in meinem Text »Die Krise wird tiefer werden, doch immerhin sind die Fronten klar«.)

Aus Amerika hören wir, dass Trump angeblich Kinder brutal von ihren Eltern trennt. US-Demokraten und linke Journalisten schüren Empörung. Selbst Bürger, weltweit, die sonst mit Trump sympathisieren, sind erschüttert von der Vorstellung, dass Kinder ihren Eltern weggerissen werden. Es ist ein verständliches Gefühl dabei. Es sind Fakenews dabei, welche gezielt eine Stimmung verursachen sollen.

Ich will versuchen, zu verstehen, was passiert, wieso es passiert, und was es bedeutet.

Trump testet Grenzen

Die USA haben seit Jahrzehnten keine Kontrolle über ihre Grenzen, sagt er. Deshalb will er einen Zaun zu Mexiko bauen – und Mexikaner sind wütend. Allein im Vorjahr sind etwa 1.2 Millionen illegale Einwanderer über die Grenze gekommen. Also hat der US-Präsident den »Secure Fence Act« unterschrieben und Mittel für die Ausweitung der Grenzkontrollen freigegeben. – Ach ja: Ich rede von George W. Bush und dem Jahr 2006. Sie können es zum Beispiel bei der BBC nachlesen.

Die Sicherung der US-Grenzen gegen illegale Einwanderer aus Mexiko ist ein Dauerthema amerikanischer Politik. Der Grund ist einfach: Einerseits ist jede unkontrollierte Einwanderung ein Problem, ganz zu schweigen von den Kriminellen und Drogenkurieren, welche im Strom der Hoffnungsvollen untertauchen, darunter den Mördern der brutalen MS-13-Gang. Andererseits leben in den USA viele Menschen mit lateinamerikanischen Wurzeln, und eine Zahl dieser Menschen sind Wähler (Stichwort: »Latino-Vote«).

US-Demokraten verstanden sich viele Jahrzehnte lang als Sprecher der »Latino-Vote«. Umso erschrockener waren sie, als Clinton 2016 mit 66% sogar einen Prozentpunkt weniger Stimmen von Wählern lateinamerikanischer Herkunft einfuhr als Obama mit 67% – obgleich sie mit Trump einen Gegner hatte, der als »Anti-Latino« gezeichnet werden konnte. (siehe pewresearch.org, 29.11.2016) Trump-wählende Latino-Wähler gaben in Interviews immer wieder an, Trump habe offensichtlich »nicht von allen Latinos gesprochen«. (siehe npr.org, 22.12.2016)

Trotz der Niederlage von 2016 geben die US-Demokraten die »Latino-Vote« nicht auf. Man versucht, bis zu 1 Million Latinos in die Wählerverzeichnisse eintragen zu lassen. (Siehe politico.com, 12.6.2018)

Unter Trump ist die Arbeitslosenquote unter Latinos auf ein Rekordtief gesunken. (siehe z.B. npr.org, 8.1.2018) Schwarze und Hispanics beantworten Fragen nach der Zukunft positiver, als man erwarten würde, was andeutet, dass Trump in 2020 nur schwer zu schlagen sein wird. (siehe z.B. forbes.com, 29.5.2018)

Die US-Demokraten stehen vor der für sie unangenehmen Aufgabe, ihren Stammwählern zu erklären, warum es ihnen unter Trump durchschnittlich besser geht, mit weiterhin positivem Trend, Trump aber dennoch »el diablo« ist. Sie können Trump nicht bei wirtschaftlichen Daten und Arbeitslosigkeit angreifen. Sie können aber seine »Zero Tolerance Policy« an der Grenze kritisieren – mit der Bandbreite an Emotionen, die befreundete Medienprofis triggern können.

Zero Tolerance Policy

Die amerikanische Rechtspraxis bei der Durchsetzung des Einwanderungsrechts war in der Vergangenheit nicht durchgehend konsequent – um es höflich auszudrücken.

Aus der George-W.-Bush-Ära stammt noch der Ausdruck »catch and release«. Es ist kein rechtlicher Begriff, sondern bezeichnet die allgemeine Praxis, illegal Eingewanderte, die aufgegriffen wurden, wieder in ihre Communities zu lassen, bis ihr Verfahren bearbeitet wird. In Trumps Wahlkampf wird »catch and release« als Sammelbezeichnung für das Ignorieren bestehender Gesetze zur Einwanderung bezeichnet.

»Sanctuary cities« sind amerikanische Städte, die sich weigern, Bundesgesetze zur Einwanderung bei sich durchzusetzen. Die Trump-Regierung hat begonnen, gegen die Sanctuary cities vorzugehen, so wurde der Bundesstaat Kalifornien wegen seiner »sanctuary laws« verklagt. (siehe z.B. nytimes.com, 6.3.2018)

2017 ordnete Trump die Beendigung des »Deferred Action for Childhood Arrivals« (»DACA«) an. Der 2012 unter Obama erlassene DACA schützte eine eng eingegrenzte Gruppe minderjähriger Immigranten eine Zeit lang vor Abschiebung und eröffnete ihnen einen Weg zur Arbeitserlaubnis. Nach diversen Gerichtsverfahren können derzeit bestehende Immigranten mit DACA-Status eine Verlängerung beantragen, es werden jedoch keine neuen Anträge angenommen.

All die Ausnahmen, Aussetzungen und Sonderwege ließen viele Amerikaner – besonders die leichtempörte linksintellektuelle Szene – vergessen, dass illegale Einwanderung in die USA weiterhin illegal ist.

Am 6. April 2018 kündigte der US-Attorney-General (in etwa: Generalbundesanwalt) Jeff Sessions eine »zero tolerance policy« bezüglich Einwanderung an. (siehe justice.gov, 6.4.2018). Ab sofort würde der »8 U.S.C. § 1325(a)« durchgesetzt. Der Paragraph ist überschrieben »Improper entry by alien«. (siehe z.B. law.cornell.edu)

Im Rahmen dieser Zero-Tolerance-Policy wurden im Zeitraum zwischen Mitte April und Ende Mai 2018 etwa 2.000 Kinder von ihrer erwachsenen Begleitung (meist wohl ihren Eltern) getrennt. Die Eltern bzw. erwachsenen Begleitpersonen werden festgenommen, die Kinder dagegen werden in spezielle Einrichtungen gebracht.

Es gibt verschiedene solche Einrichtungen und verschiedene Gruppen verbreiten unterschiedliche Bilder und Berichte. Die Bilder reichen von Lagern mit Gittern (z.B. Reuters) bis hin zu undatierten Bildern, wo Kinder auf Matten unter Alu-Decken schlafen (z.B. qz.com, 19.6.2018). Medien verbreiten ein Audio-Tape mit weinenden Kindern aus einem der Lager. (siehe ProPublica, 18.6.2018) Kinder erhalten Schulunterricht (siehe z.B. cnn.com, 14.6.2018) und man versucht, sie in Pflegefamilien unterzubringen (siehe z.B. texastribune.org, 18.6.2018).

Einige der Bilder, die teilweise von Prominenten und Schauspielern verbreitet werden – begleitet von wüsten Flüchen gegen Trump – stammen aus Obamas Amtszeit. (siehe z.B. qz.com, 18.6.2018 – aber auch die Bilder, wie es in Obamas Camps aussah: dailycaller.com, 19.6.2018,) Andere stammen aus inszenierten Kampagnen zu ganz anderen Themen oder aus inszenierten Demo-Happenings – (Anmerkung: Die inhaltsgleiche Verbreitung von Anti-Trump-Fakenews über die Twitter-Accounts von Schauspielern und Aktivisten mit Millionen von Followern wäre selbst schon ein Thema für sich. Siehe z.B. dailymail.co.uk, 28.5.2018)

US-Demokraten und die ihnen gesonnenen Medien nutzen diese Praxis für ihren Dauer-Wahlkampf. Das reicht von den erwähnten Beschimpfungen durch Promis bis zum Klassiker, dem öffentlichen Heulkrampf, vorgeführt von der Trump-Hasserin Rachel Maddow. Die New York Times merkt an, dass die Zero Tolerance Policy bislang (»yet«, nytimes, 20.6.2018) zu keiner Verringerung der Zahlen neu ankommender Familien – womit natürlich das Wort »bislang« (englisch: »yet«) impliziert, dass eine Verringerung erwartet wird.

Es ist für niemanden einfach zu ertragen, dass Kinder im Vorschulalter von ihren Eltern getrennt werden. (siehe z.B. foxnews.com, 20.6.2018) Doch, wie so oft, hat alles einen Kontext und eine Logik. Zu selten wird gefragt: Wie kommt es eigentlich dazu, dass die Kinder von ihren erwachsenen Begleitpersonen getrennt werden?

Die Logik

Trump sagt, die Trennung von Kindern und ihren Eltern sei eine Folge von Gesetzen, die unter Bush eingesetzt und unter Clinton und Obama fortgeführt wurden. Das ist, wie so oft bei Trump, im Kern richtig, bräuchte aber eine Reihe von Fußnoten.

In der Vergangenheit haben US-Regierungen oft Wege gefunden, die Trennung von Eltern und Kindern zu vermeiden, etwa indem sie die Familien sofort wieder auswiesen oder sie via »catch and release« de facto einreisen ließen.

Die aktuelle Trennung von Eltern und Kindern ist direkte Folge der Entscheidung, illegale Einreise als illegale Einreise zu behandeln (»Zero Tolerance Policy«) – und die Erwachsenen festzunehmen. Nachdem Eltern festgenommen wurden, müssen Kinder eben in Betreuung kommen.

Diverse Gruppen ziehen in Richtung USA los. Einige davon ehrliche Familien mit Hoffnung in den Augen und besten Absichten. Es steht auch zu vermuten, dass einige der Kinder gar nicht zu ihren angeblichen Eltern gehören. Und, schließlich: Auch böse Menschen können Kinder haben. Die natürlichen Schutzinstinkte gegenüber Kindern sollten nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch böse Menschen sich fortpflanzen können.

Trump hat den US-Demokraten vorgeschlagen, mit ihm ein Gesetz zu verabschieden, welches diese Praxis beendet. Verschiedene Gesetzes-Ideen kursieren. (siehe z.B. nytimes.com, 20.6.2018) Das neue Gesetz würde wahrscheinlich eingebunden sein in Maßnahmen zum Mauerbau und eine Beendigung der »Visa-Lottery«, und das wollen US-Demokraten nicht, denn es wäre ein weiterer Gewinn für Trump. (Ja, US-Demokraten instrumentalisieren diese Kinder, die ihnen angeblich am Herzen liegen, da gibt es kein Vertun.) Fraktionsführer Chuck Shumer verweigert sich einem entsprechenden Trump-Gesetz und fordert, dass Trump die Rücknahme der Zero-Tolerance-Policy direkt anordnet. (siehe @SenShumer,thehill.com)

Die Mathematik der US-Demokraten ist einfach: Ein neues Gesetz wäre ein Gewinn für Trump. Eine Rücknahme der Zero-Tolerance-Policy wäre ein Verlust für Trump. US-Demokraten weinen und wüten über die Trennung illegal eingereister Eltern von ihren Kindern – sie lassen die Kinder aber lieber in Käfigen schmoren, als Trump einen Gewinn in dieser Sache zu gönnen.

Ende der Grauzonen

Die dümmste denkbare Interpretation von Trumps Verhalten – also die unter Journalisten mit »Haltung« übliche – ist die, dass Trump dumm und bösartig ist, dass die Kinder ihm alle egal sind und er an rassistische Neigungen seiner Wähler appelliert.

Ich wage eine andere Interpretation.

Beginnen wir mit einer simplen These: Trump will das Problem illegaler Immigration lösen. Das aktuelle System ist nicht nachhaltig. Die aktuelle Rechtspraxis bewegt sich in rechtlichen Graubereichen verschiedener Schattierung.

Trump will die Immigration in die USA aus dem Halbdunkel ins Helle holen. US-Demokraten so wie diverse schattige »Aktivisten« wollen die bisherige außer-rechtsstaatliche Praxis weiterführen.

Trump möchte illegale Grenzübertritte stoppen und legale Wege nach Amerika stärken. Seine Gegner haben verschiedene andere Motivationen, zuerst aber natürlich die, von niedrigen Arbeitslosenzahlen und Erfolgen wie in Korea abzulenken.

Was sind denn die Alternativen zu Trumps Vorgehen? Weiter die Immigration via Mexiko im Halbdunkel, im Schattigen und Illegalen belassen? Menschen, die Illegales tun, nicht verhaften? Illegale Immigration abschaffen, und, wie Merkel, die Grenzen zu öffnen? – Es sind alles Lösungen, welche gewisse Kreise bevorzugen würden.

Um es mit T. S. Eliot zu sagen: Trump zwingt die Krise herbei, und er tut es aus gutem Grund. Indem Trump das Wasser zum Kochen bringt, erzwingt er eine nachhaltige Lösung.

Die »Washington Post«, Blatt des Amazon-Gründers und Trump-Gegners Jeff Bezos, hat sich 2017 den Slogan »Democracy dies in Darkness« gegeben. (siehe z.B. meedia.de, 22.2.2017) Es ist offensichtlich ein Anti-Trump-Slogan. (Was eigentlich schon alles über »WaPo« sagt – als ob es nicht schon vorher klar gewesen wäre. Trump-Hasser merken selten, wie ihre Anti-Trump-Tiraden in Wahrheit eine Selbstanklage sind.) Im Prinzip stimmt es aber: Rechtsstaat verträgt sich nicht mit Halbdunkel.

Indem Trump eine »Zero Tolerance Policy« und damit eine politische Kontroverse erzwingt, bringt er die Einwanderungspolitik aus dem Halbdunkel ins Licht. Trump wendet Gesetze konsequent an – und zwingt seine Gegner dazu, sich öffentlich zu bekennen, wie sie es mit Amerika, Demokratie und Rechtsstaat halten.

»Sunlight is said to be the best of disinfectants«, sagt eine amerikanische Redensart, die auf den US-Richter Louis Brandeis zurückgeht. Sonnenlicht ist das beste Desinfektionsmittel. – Trump sorgt dafür, dass die bisherige schattige Praxis ans Licht kommt.

Der Klang, den wir aus Amerika hören, ist zum guten Teil das panische Geschrei der Menschen, die sich in legalen Grauzonen eingerichtet haben. Es ist gut, dass die Dinge ans Licht kommen.

Was Amerika angeht, war ich nie hoffnungsvoller als heute. Es wird gut werden. Amerika wird stark sein, und es wird vielen, die fleißig, ehrlich und guten Willens sind, auch weiterhin anbieten, eine neue Heimat zu sein.

Nachtrag am späten Abend: In den Nachrichten wird gemeldet, dass Trump die Familientrennung per Dekret »beendet« hat – und zwar indem er die Kinder mit ins Gefängnis (oder: »Lager«) steckt! (siehe z.B. time.com, 20.6.2018) Er bleibt (im Moment) bei der erwähnten Zero Tolerance Policy, nimmt aber den US-Demokraten ein Wahlkampf-Thema vom Tisch. Familien können bis zu 20 Tagen festgehalten werden, nur jetzt eben zusammen – und auch unbegrenzt, wenn sie eine Ordnungswidrigkeit begehen! Wenn es dem Kindeswohl dient, wird dennoch getrennt. Es wird nur so weit zusammengehalten, wie das Gesetz erlaubt. Trump gibt Zeichen der Nachgiebigkeit, bleibt aber hart im eigentlichen Ziel: Er eskaliert, bis das Problem gelöst werden muss. – Es ist wohlbekannt, dass Trump die Lehre des Sun Tzu praktiziert.

Weiterschreiben, Dushan!

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