Dushan-Wegner

08.11.2022

Der wirklich neue große Sprung

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Susanne Schwarz
Zuckerberg versenkt zig Milliarden in eine virtuelle Welt. Erfolge: soweit mager. Leute lachen: »Haha, der weiß nicht, was er tut!« – Wenn man aber eine Theorie darum baut, dass er es recht genau weiß, dann wird es WIRKLICH spannend.
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Vor wenig mehr als einem Jahr titelte die BILD: »Facebooks neue virtuelle Welt – »Metaverse« soll 10000 Jobs nach Europa bringen« (bild.de, 17.10.2022).

Mit »Facebook« ist wohl Meta gemeint, der künstlich geschaffene Mutterkonzern rund um Facebook.

Nun, was wurde aus den 10.000 neuen Jobs?

Diese Woche titelt dieselbe Zeitung: »Bald auch Massenentlassungen bei Meta: – Zuckerberg will Tausende Mitarbeiter feuern« (bild.de, 7.11.2022).

Ich beschrieb das Konzept des Metaverse noch Monate vor dessen Ankündigung im Essay »Weidegründe im Metaverse«. Aufs Facebook-Metaverse selbst bezog ich mich dann im Essay »Plötzlich sind sie alle ›meta‹«.

Mark Zuckerberg, der Gründer und vermutlich auch Alleinherrscher über Facebook, scheint zu glauben, dass die Zukunft des Internet – und womöglich aller menschlicher Interaktion – in einer virtuellen 3-D-Welt stattfindet, einem »Metaverse«.

Und so pumpt Zuckerberg für uns Normalsterbliche kaum vorstellerbare Summen in die Entwicklung seiner Variante des Metaverse (und wenn man genug Geld für Markenrechtsanwälte hat, kann man sein eigenes Metaverse offenbar tatsächlich »Metaverse« nennen – und dies vermutlich auch durchsetzen).

Die Teilnehmer am Metaverse sollen Hunderte Euro teure Virtual-Reality-Brillen kaufen, diese sich auf den Knopf schnallen, dazu spezielle Zeigegeräte in die Hand nehmen, und sich so in einer computergenerierten bunten 3-D-Welt »bewegen«, sollen dort sozial interagieren oder Business-Meetings abhalten.

28,67 Euro

Die Abteilung des Facebook-Mutterkonzerns Meta, die das Facebook-Metaverse entwickelt, heißt »Reality Labs«. Laut businessinsider.com, 26.10.2022 wird Reality Labs im Jahr 2022 wieder erneut über 10 Milliarden US-Dollar ins Metaverse versenken – und 2023 noch mehr.

Die Börse ist wenig begeistert von Zuckerbergs Plänen und bisherigen Erfolgen im Metaverse. Am 8.11.2021 stand die Aktie von »Meta Platforms Inc« bei 338,62 US-Dollar.

Während ich diesen Essay schreibe, steht sie bei 96,72 US-Dollar.

Das ist ein Verlust von 71,44 %.

Sprich: Wenn Sie letztes Jahr 100 Euro in Facebook-Aktien »investierten«, sind davon aktuell 28,67 Euro übrig.

Viele Beobachter fragen sich jedoch: Wo geht das ganze Geld hin?

Auf YouTube finden sich zahlreiche Verrisse mit Titeln wie: »I Played Facebook’s VR Metaverse so you never have to«, zu Deutsch etwa: »Ich habe Facebooks Virtuelle-Realität-Metavers gespielt, damit du es nicht tun musst.« – Was man vom Metaverse bislang mitbekommt, scheint technisch nicht einmal mit 3-D-Spielen aus dem Jahr 2012 mithalten zu können.

Der unbeirrte Zuckerberg selbst wurde durch den Niedergang der Facebook-Aktie aktuell um mehr als 70 Milliarden US-Dollar »ärmer«, und sein Vermögen beläuft sich »nur« noch auf etwas mehr als 55 Milliarden US-Dollar (nach enterpreneur.com, 20.9.2022).

Nicht einmal die Programmierer

All diese aktuellen Nachrichten über Entlassungen und den massiven Einbruch der Aktie von Meta – also Facebook – sollten nicht von einem wichtigen Aspekt ablenken: Anders als etwa Twitter machte Meta in den letzten Jahren recht zuverlässig Profit; 2021 waren es knapp 40 Milliarden US-Dollar »net income« (siehe statista.com, Februar 2022).

Einerseits ist die Profit-Kurve für Facebook/Meta über die Jahre steigend – andererseits legte Meta im Jahr 2022 zum zweiten Mal in Folge zurückliegende Quartalsprofite vor (nytimes.com, 27.4.2022(€)), zusammen mit der Meldung einer sinkenden Zahl neuer Nutzer.

Die Verluste der Aktie sind ein wenig »dem Markt« insgesamt geschuldet (auch andere Tech-Aktien sanken zuletzt), aber vor allem dem Misstrauen der Anleger in Zuckerbergs Ankündigung, die Zukunft des Unternehmens auf eine Technologie auszurichten, welche bislang schlicht niemand benutzen will. (Laut theverge.com, 7.10.2022 legen interne Memos nahe, dass nicht einmal die Programmierer des Metaverse dieses nutzen mögen!)

Botschaften denken

Branchenkenner wie auch das gewöhnliche Publikum rätseln also beide, warum bitteschön Zuckerberg so viel Geld in etwas investiert, das scheinbar keiner haben will.

Die Thesen über Zuckerbergs Gründe beginnen mit der Feststellung, dass Zuckerberg sich Alleinherrschaft über Meta gesichert hat (was ungefähr stimmt) und sich nur mit Ja-Sagern umgibt (das ist spätestens bei Analystenkonferenzen nicht der Fall).

Man hört gelegentlich auch wildere Thesen, wonach der »Deep State« ihn angewiesen habe, Facebook zu zerstören, wobei diese Thesen nicht begründen, warum Geheimdienst ein so effektives Datensammel-Werkzeug zerstören wollen sollte. Ich halte mich an Karl Popper, wonach eine nicht zu widerlegende These mehr so »Metaphysik« ist.

Manche Erklärungsansätze zur Zuckerbergs Logik sind aber tatsächlich spannend!

Man könnte sich etwa vergegenwärtigen, dass die speziellen »Headsets« (siehe etwa dieses Werbevideo auf YouTube) die Augen- und Gesichtsbewegungen ihrer Träger auslesen. Ein nächster Schritt wäre es, die Gehirnströme abzugreifen. Wie viele Menschen auch diese Technik benutzen, die digitalen Helme werden mit jeder Iteration mehr jener Informationen abgreifen, welche den Menschen eben zum Menschen machen.

Im Business ist nicht der Weg das Ziel. Das Ziel ist das Ziel. Doch längst nicht immer ist das wahre Ziel eben das, was offiziell als Ziel ausgegeben wird.

Seit einiger Zeit lesen wir Meldungen, wonach es in Experimenten gelingt, die Gedanken von Menschen »auszulesen«. Erst letzte Woche wurde gemeldet, dass Querschnittsgelähmte ihr Gehirn mit dem iPhone verbinden können, um Nachrichten zu »tippen«, indem sie die Botschaften schlicht denken (zmescience.com, 3.11.2022).

Sicher, bislang braucht diese Technologie noch Sonden, die durch die Schädeldecke ins Gehirn eingebracht werden (zu Elon Musks entsprechender Gehirn-Implantat-Technologie siehe meinen Essay vom 29.8.2022) – doch, sagen wir mal so: Man kommt sich näher.

600 Millionen Proteinarten

Es ließe sich hier widersprechen, dass Facebook doch bislang kein Interesse an medizinischer Forschung gezeigt habe. Man sei noch immer ein Klicks-und-Werbung-Konzern.

Nun, im Februar 2020 präsentierte die Künstliche-Intelligenz-Abteilung von Facebook ein KI-Modell zur Berechnung von Proteinsequenzen (infoq.com, 22.9.2020).

Unbeachtet von der sogenannten »breiten Öffentlichkeit« läuft ein Wettrennen einiger Tech-Giganten zur Proteinstrukturvorhersage.

Ja, das lange Wort »Proteinstrukturvorhersage« hat einen Wikipedia-Eintrag, und dort steht, dass dies »eines der wichtigen Ziele der Bioinformatik« ist.

Die Konzerne lassen in ihren Rechnerfarmen künstliche Intelligenz berechnen, welche Protein-Moleküle es geben könnte – produzieren also Grundlagendaten für Arzneistoffdesign und Biotechnologie.

Im Juli 2022 sagte AlphaFold stolze 200 Millionen Proteine voraus (nature.com, 29.7.2022) – AlphaFold ist ein Projekt von DeepMind, und das gehört zu Alphabet, dem Mutterkonzern von Google.

Und jetzt, letzte Woche erst, legte die Künstliche-Intelligenz-Abteilung von Meta eine Vorhersage von 600 Millionen Proteinarten vor.

Ich stelle also zwei Fakten nebeneinander: Mark Zuckerberg versenkt viel Geld (das sich Meta »noch« leisten kann) in ein Projekt, das Geräte direkt auf den Kopf des Menschen setzt – aber sonst wenig direkten wirtschaftlichen Sinn zu ergeben scheint. Und: Meta forscht an Dingen, die mit »Bioinformatik« und ganz neuen Arten von Medikamenten zu tun haben.

Nein, es ergibt zusammen noch nicht vollständig Sinn. Es ergibt aber auch nicht nicht Sinn.

Eine Art von Unsterblichkeit

Erlauben Sie mir, Ihnen einige aus »informiertem Bauchgefühl« gespeiste Thesen zum möglichen Ziel dieser und benachbarter Technik-Entwicklungen vorzulegen.

In den letzten Jahren wurde viel vom »Great Reset« gesprochen. Ich halte die Wortwahl für falsch. Ja, ich schätze es sogar ein, dass Herr Schwab sich nur an einen Trend anhängen will, der auch ohne ihn stattfindet – doch er hat ihn viel zu oberflächlich verstanden. (Ich habe sein Great-Reset-Buch immerhin quergelesen – ich fand es etwas enttäuschend. Die Bücher des Herrn Soros sind eine bessere Lektüre.)

»Great Reset« impliziert Neustart, was eine neue Runde des prinzipiell Gleichen ist.

Ich denke nicht, dass jene, welche die Welt wirklich formen – also die Tech-Profis und indirekt ihre Finanziers – von einem »Neustart des Bestehenden« ausgehen.

Die Handlungen von Musk, Zuckerberg und Co. deuten nicht auf einen Neustart des Gleichen hin, sondern auf einen »nächsten großen Sprung«. Das Bestehende wird nicht »neu gestartet« – sondern in erschreckend weiten und zentralen Teilen irrelevant.

Der »nächste große Sprung« wird mit der Programmierung von Menschen zu tun haben, ob man es nun »Programmierung« oder »Impfung« oder anders nennt. – Was ist/war denn die mRNA-Impfkampagne anderes als ein globaler Testlauf zur Umprogrammierung menschlicher Körperzellen? (Siehe auch meinen Essay »Programmiere dich – oder werde programmiert« vom 23.5.2021.)

Elon Musk träumt vom großen Sprung des Menschen ins Weltall, mit Mars als erster Station, dazu nebenbei am direkten Zugriff in die Gehirne der Menschen via Chip – und am direkten Zugriff auf die globale Meinungsbildung via Twitter.

Mark Zuckerberg arbeitet am großen Sprung des Menschen ins Metaverse.

Alphabet, also Google, scheint daran zu arbeiten, das menschliche Denken mit Computern abzubilden, was der große Sprung des Menschen ins Virtuelle wäre – und damit in eine Art von Unsterblichkeit.

Ich weiß nicht, was die Zukunft alles beinhalten wird – ich bin aber recht sicher, dass es nicht realistisch ist, eine Zukunft ohne psychologische und biologische Programmierung des Menschen zu denken.

Unter der Sonne

Ja, schon früher haben Wissenschaftler davon geträumt, den Menschen zu »programmieren«. Neu wird aber sein, dass es inzwischen praktisch gelingen kann. (Und manche, zu denen ich gehöre, sagen, dass Social Media bereits jetzt die Gehirne besonders seiner jungen Nutzer »programmiert« – und im Fall von »TikTok« programmiert man die Gehirne seiner Nutzer vermutlich, äh, nicht gegen die Interessen der Kommunistischen Partei Chinas.)

Ja, dass der Mensch bis in die Zellen hinein programmiert wird, das wäre tatsächlich ein »Sprung«, kein »Neustart«, sondern etwas Neues.

Der von mir gewählte Name »Großer Sprung« ist aber nicht ganz neu. – Der »Große Sprung nach vorn« ist nämlich auch der Name einer Kampagne in China unter Mao Zedong (siehe Wikipedia).

Mao versuchte 1958 bis 1961, die wirtschaftlichen Unterschiede im Land einzuebnen, so zentralistisch wie brutal. Der »Erfolg« war die »Große Chinesische Hungersnot« (siehe Wikipedia), mit je nach Schätzung zwischen 15 Millionen und 55 Millionen Toten. Sogar die Kommunisten selbst gaben zu, dass die Schuld an der Hungersnot teils im »Großen Sprung« begründet war, aber übrigens auch in der »Anti-Rechts-Bewegung«. (Wikipedia: »Dabei wurden zwischen einer und zwei Millionen Menschen willkürlich als ›rechts‹ eingestuft und in zwei Schüben in Erziehungshaft gesteckt oder hingerichtet«.)

Aber gut, nur weil zwei Dinge ähnlich heißen, heißt das nicht, dass sie gleich scheitern müssen.

Auch China hat ja dazugelernt.

Und, ja, in China haben sie nicht nur den Wettlauf mit den USA in Sachen »Künstlicher Intelligenz« zur Top-Priorität des Staates erklärt (siehe Essay vom 2.4.2019) – in China wird natürlich auch an Proteinvorhersagen gerechnet (en.people.cn, 31.12.2021).

Leichter für die Flugbahn

Ich rufe uns heute zu: Fürchtet nicht den »Reset«. Besser: Fürchtet euch überhaupt nicht. Behaltet dafür lieber den »nächsten großen Sprung« im Auge.

Beim Fliegen wie auch bei extra großen Sprüngen ist die Landung bekanntlich der schwierigere Teil. Die Landung wird nicht einfacher, wenn man es nicht selbst war, der da sprang (sondern eher »gesprungen wurde«).

Auch wenn wir nicht wissen, wer das ganz große Rennen gewinnen wird, so sehen wir doch die Richtung, in der sie laufen.

Ich habe die These gehört, dass Zuckerbergs Metaverse bereits von Microsofts Minecraft und anderen Spiel-Universen obsolet gemacht wurde. Dem könnte man entgegenstellen, dass das gar nicht Metas langfristiger Plan ist – Minecraft fragt ja keine medizinisch relevanten Daten ab – es wäre aber nun wirklich interessant, wenn Microsoft eine Verbindung zwischen seinen erfolgreichen (!) Spielwelten und seiner medizinischen und von KI gestützten gentechnischen Forschung herstellt (siehe microsoft.com). (Sie glaubten doch nicht, dass die von Bill Gates gegründete Firma keine Forschung zur Verbindung von Künstlicher Intelligenz und menschlicher Biologie treiben würde, oder?)

Ach, es bleibt aber Spekulation und Gedankenleserei aus der Ferne – ganz ohne Sonde im Hirn von Zuckerberg und seinen Kollegen.

Man holt Anlauf zum nächsten großen Sprung, doch einige der wirklich großen Fische scheinen sich selbst nicht ganz sicher zu sein, wie genau die Landezone aussieht.

Um aber »leichter« für die Flugbahn zu sein, lassen einige Unternehmen wie Facebook und Twitter einige Tausend Angestellte los, welche nach Meinung der Bosse wie Zuckerberg und Musk nicht für die Zukunft relevant sind.

Apropos »lassen« und »relevant«: Vor Jahren schrieb ich »Relevante Strukturen« und dieses Jahr »Das Buch übers Loslassen von Dushan Wegner«. – Ja, wir werden in den nächsten Jahren einige Sicherheiten loslassen »dürfen«. Wenn und weil wir »gesprungen werden«, und da kann es nützlich sein, zu wissen, welche Strukturen einem relevant sind.

Sobald sich etwas klarer abzeichnet, wo genau wir landen werden, könnte ich ein Buch über die »Landezone« schreiben. Bis dahin bleibe ich diesbezüglich bei diesen Essays.

Ein neuer großer Sprung steht an.

Ich wünsche uns allen einen guten Flug – und möglichst vielen von uns eine halbwegs sichere Landung.

Weiterschreiben, Wegner!

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