11.10.2024

These: Wo »Verfassungs-« davorsteht, ist »Altparteien« drin

von Dushan Wegner, Lesezeit 4 Minuten, Bild: »Viel Wald, wenig Bäume«
Wo »Verfassungs-« davorsteht, ist häufig »Altparteien« drin. Jetzt wollen die ein Gesetz erlassen, um ein Veto gegen Verfassungsrichterwahl durch »Extremisten« zu verhindern. Wie bestimmen die aber, wer »Extremist« ist? Wer den Altparteien widerspricht.
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Letztens legte ich euch diese provokative These vor (wie immer in der Hoffnung, plausibel widerlegt zu werden): *Wer deutsche Politik beobachtet, stellt bald fest, dass, wo »Verfassungs-« draufsteht, oft Parteifunktionäre mit besten Verbindungen drinstecken – und immer wieder ausgerechnet die CDU. (Essay: »AfD verbieten, wieder mal«, 30.9.2024) Ich will keiner dieser Untergangspropheten sein, die schimpfen und schmollen, wenn ihre düsteren Prophezeiungen eben ihren Zweck erfüllen, nämlich die Menschen zu warnen, woraufhin diese auf ihrem Weg gen Abgrund doch noch rechtzeitig umkehren. Im Gegenteil! Meine Prophetie (welch hochtrabendes Wort für Thesen) soll das Gegenteil von selbsterfüllend sein: selbst-verhindernde* Prophetie.

Ihr kennt bestimmt diese neue Regelhaftigkeit, dass die Verschwörungstheorie von gestern die Nachrichtenmeldung von heute ist. Nun, mir als Essayisten geht es ähnlich mit dem Zynismus: Der Zynismus von gestern ist der Realismus von heute.**

Diese Woche wurde im Bundestag öffentlich ein Gesetz verhandelt, mit welchem die im Rechtsstaat gewährten Möglichkeiten der Opposition ganz offiziell beschränkt werden sollten, wenn diese den Einheitswillen der Altparteien blockieren könnte (siehe auch bundestag.de).

Darum geht es (siehe auch n-tv.de, 10.10.2024): Die 16 Richter des Bundesverfassungsgerichts werden je zur Hälfte von Bundestag und Bundesrat gewählt, immer mit einer Zweidrittelmehrheit.

Das wäre ein Problem, so sagen die etablierten Parteien, wenn eine »radikale« Partei wie angeblich die AfD auf mehr als ein Drittel käme und künftige Richterwahlen zum Verfassungsgericht erschweren würde. Das will man verhindern, und man beriet diese Woche im Bundestag in einer beschämend lächerlichen Sitzung ein Gesetz, das gezielt das Parteienkartell gegen seine demokratische Konkurrenz verteidigen soll. Pardon, ich meine: gegen »Extremisten«.

Doch die Logik ist nicht wirklich stimmig – das Argument hat eine tödliche Lücke. (Tödlich fürs Argument wie auch, wieder einmal, fürs politische Gefüge.)

Lasst mich erklären, doch zunächst ein Detail: Es hat sich bewährt, davon auszugehen, dass wo »Verfassung« draufsteht, sehr viel »Parteienkartell« drinsteckt. (Testet es selbst!)

Das Bundesverfassungsgericht ist aktuell bekanntlich mit einem Herrn Harbarth als Chef besetzt. Der ist früher im Bundestag mit Hetze gegen Andersdenkende aufgefallen (siehe Essay vom 9.11.2018). Er war verbandelt mit einer Anwaltskanzlei, welche Cum-Ex mit ausgetüftelt haben soll (t-online.de, 15.5.2020). Ihr wisst schon: Diese Sache, bei der sich Herr Scholz partout nicht daran erinnern kann, ob und welche Rolle er dabei spielte.

Folgerichtig wurde Harbarth von seinen Altpartei-Kollegen zum Chef des Verfassungsgerichts ernannt.

Die BILD wagt diese Zeilen über Harbarth: **SIE machte Wahlkampf für IHN in Harbarths Wahlkreis Rhein-Neckar. ER boxte IHRE Flüchtlingspolitik durch die Unionsfraktion. Schrieb an einem Merkel-Fanbuch mit. Seit seiner Ernennung zum Verfassungsrichter (2018) und zum Gerichtspräsidenten (2020) gilt Harbarth unter Juristen als »Merkels Parteisoldat« in Karlsruhe. (bild.de, 1.12.2021) Ach, reden wir nicht über jene Dinner im Kanzleramt! Das würde langatmig werden. Ich will ebenfalls nichts zum CDU-Mann Haldenwang beim Verfassungsschutz sagen. Wo immer »Verfassungs-« davorsteht, hat man das Gefühl, einen jener formelhaften US-Filme zu schauen, bei denen man die Handlung eigentlich schon kennt, bevor der Film begonnen hat. Nur die Namen und Charaktere wechseln (nicht deren Charakter), und am Ende gewinnt stets … das Altparteienkartell.

Die bisherige Regelung, wonach Verfassungsrichter vom Bundestag und Bundesrat jeweils mit Zweidrittelmehrheit gewählt werden, soll derart modifiziert werden, dass eine starke Oppositionspartei im Bundestag umgangen werden kann, wenn man sich nur auf Länderebene zusammengekungelt hat.

Ich zitiere bundestag.de:

Der Entwurf sieht vor, in Paragraf 7a des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes in einem neuen Absatz 5 zu normieren, dass das jeweils andere Wahlorgan die Wahl übernehmen kann, wenn das eigentlich zuständige Wahlorgan innerhalb von drei Monaten nach Vorlage eines Wahlvorschlags durch das Plenum des Bundesverfassungsgerichts keine neue Richterin beziehungsweise keinen neuen Richter gewählt hat. Das bedeutet in der Praxis, wenn ich es richtig verstehe: Die AfD könnte im Bundestag sogar die stärkste Partei sein, und sie könnte, wie etwa bereits in Thüringen geschehen, die Wahl gewinnen, doch solange die Altparteien in den Bundesländern zur »Neuen Einheitspartei Deutschlands« koalieren, müsste die AfD entweder in den Bundesländern absolut gewinnen oder im Bundestag sogar eine Zweidrittelmehrheit haben, um bei Verfassungsrichtern ein Wort mitzureden.

Die Altparteien verhehlen gar nicht mehr, dass sie inhaltlich austauschbar sind (und erstaunlicherweise immer präzise auf Linie internationaler Investoren). Und nun wollen sie sicherstellen, dass sie – und nur sie! – das Bundesverfassungsgericht besetzen können, welches sie (ansonsten) in ihrem ach so demokratischen Handeln korrigieren könnte.

Es steht zu vermuten, dass ein Stephan Harbarth tatsächlich nicht zum Chef des Bundesverfassungsgerichts gewählt werden würde, wenn jemand diese Wahl blockieren könnte, dem das Ansehen und die moralische Autorität des Bundesverfassungsgerichts mehr am Herzen liegen als den aktuellen Etablierten.

Aber angeblich soll dieses neue Gesetz sicherstellen, dass »Extremisten« nicht die Wahl von Verfassungsrichtern blockieren können. Überlegt selbst, fragt gern die Verteidiger und Parteisoldaten dieser Regierung oder generell jeden eurer Kollegen und »Freunde«, die partout die Regierung des besten Deutschlands aller Zeiten verteidigen, ob sie eine andere begriffliche Erklärung parat haben.

Mir aber scheint recht klar: Hier wird »Extremisten« allein dadurch definiert, dass eine Partei in der Minderheit ist.**

Ich würde wirklich gern widerlegt werden in meiner diesbezüglichen Befürchtung. Es ärgert mich, dass viel klügere Köpfe als ich das ähnlich zu sehen scheinen.

Für mich als Connaisseur menschlicher Auf-, Ab- und Untergänge fühlen sich diese Zeiten an, wie es sich vermutlich für einen Nuklearphysiker anfühlt, wenn eine Atombombe über ihm explodiert: Ein Teil seiner Seele findet die ganze Angelegenheit faszinierend.

Weiterschreiben, Wegner!

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