Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat es nicht einfach mit den Chefs, nein, es hatte bislang nicht den reibungslosesten Lauf mit seinen Präsidenten.
Der erste war Otto John (Verfassungsschutz-Chef 1950–1954), eigentlich einst ein echter Widerstandskämpfer, tauchte 1954 plötzlich in der DDR auf; hui, das war ein Skandal damals! (siehe z.B. zeit.de, 1.7.2004/ editiert 1.10.2008, mit weiteren spannenden, teils fast schon menschlich tragischen Infos, unter anderem mit Fake-Thomas-Mann-Zitaten…)
Da war Hubert Schrübbers (CDU, Verfassungsschutz-Chef 1955–1972); bei dem stellte man fest, dass er einst SA-Mann gewesen war (laut z.B. Der Spiegel, 5/1972).
Da war Günter Nollau (NSDAP-Mitglied seit 1942, allerdings ohne sein Zutun gelistet, sagte er, laut z.B. Der Spiegel 22/1974, abendblatt.de, 2.7.2013): er war Chef von 1972 bis 1975, doch im Kontext der Guillaume-Enttarnung trat er zurück (spannend dazu seine eigenen Darstellungen in Der Spiegel, 50/1977, ein Auszug aus seinem Buch »Das Amt«).
Da war Heribert Hellenbroich (CDU, Verfassungsschutz-Chef 1983–1985), der später Chef des BND wurde, dort aber zurücktrat, als Tiedge sich in die DDR absetzte (siehe zum Kontext z.B. Die Zeit, 36/1985).
Da war Ludwig-Holger Pfahls (CSU, Verfassungsschutz-Chef 1985–1987), später, im Alter von 68 Jahren, u.a. wegen Bankrott und Betrug zu viereinhalb Jahren Haft verurteilt (laut z.B. spiegel.de, 9.11.2011, interessant als Retrospektive zeit.de, 7.3.2018).
Sicher, einige der Chefs arbeiteten und lebten weitgehend skandalfrei, aber eben nicht alle. Ich kann sie verstehen! Ich weiß, wie schwer es ist, auch nur einen wirklich guten Klempner zu finden, wie viel schwerer muss es sein, einen guten Chef für den Verfassungsschutz zu finden, zumal er ja auch noch der Politik gefallen und seinen Job tun plus heute noch mehr denn je die Medienlandschaft navigieren muss.
Von 2012 bis 2018 war Hans-Georg Maaßen (CDU) der Chef. Er wagte es, in Sachen »Hetzjagd von Chemnitz« der offiziellen Wahlkampf-Wahrheit von Regierung und Staatsfunk eine Version entgegenzuhalten, die auch ich als dann doch näher an den Ereignissen erachte – ich bewundere seinen Mut und sein Rückgrat – und dann wurde Maaßen gegangen – wer die Wahrheit sagt, der braucht eben manchmal einen Plan für die Zeit danach (siehe z.B. www.dushanwegner.com, 17.9.2018; tichyseinblick.de, 16.11.2018).
Mitte November 2018 dann, während die internationale Nachrichtenlage mit dem Tod des Katar-ääh-Bekannten und Washington-Post-Journalisten beschäftigt war (siehe z.B. washingtonpost.com, 22.12.2018; breitbart.com, 26.12.2018), wurde das »Vize « im Titel des Vizepräsidenten Thomas Haldenwang gestrichen.
Der Jurist Thomas Haldenwang war, soweit mir bekannt, bislang vor allem mit Fragen rund um Dienstrecht und Personal beschäftigt. Wenn ich die Biografie bei verfassungsschutz.de richtig lese, hat Haldenwang nach dem Wehrdienst nie außerhalb von Politik oder Behörden gearbeitet, und dort oft in Fragen des Personalwesens.
Exkurs: von Juristen
Ich habe in Gesprächen und in anderer Kommunikation mit Juristen eine interessante Erfahrung gemacht, zumindest wenn es um politische, gesellschaftliche und philosophische Themen geht; Juristen als Gesprächspartner fielen stets in eine von zwei Kategorien: die einen waren gut informiert und belesen jenseits ihres Fachgebiets, sie verstanden die Schnittstellen von Juristerei und Realität (und die Unterschiede!), und gerade von denen, welche die Grenzen ihres Fachs kennen, lernt man dazu – und dann gibt es in meiner Erfahrung die anderen, die zwar gelernt haben, durchaus erfolgreich innerhalb ihres Systems zu manövrieren, deren Reflexion politischer Ereignisse, gesellschaftlicher Realität und menschlicher Seele jedoch auf erschreckende und zugleich langweilige Art unterkomplex ist.
Diese zweite Art von Juristen ist es wahrscheinlich gewohnt, juristische Debatten zu »gewinnen«, indem sie
1. die Autorität etablierter Denkansätze nutzt, und,
2. den Gegner mit Schriftstücken und anderer Arbeit lähmt.
Wenn ich einen Juristen kennenlerne (oder neu von ihm höre), frage ich mich stets, in welche von beiden Kategorien ich ihn wohl einordnen würde; und nicht immer habe ich gleich eine Antwort; oft warte ich erst einmal ab. Ende des Exkurses.
»Das können wir Ihnen nicht erklären«
spiegel.de, 17.1.2019, tagesschau.de, 17.1.2019 und andere in der Vergangenheit besonders AfD-kritische Medien (etwa die oft als extra links empfundenen Häuser NDR und WDR) berichten aktuell aus einem Gutachten des Verfassungsschutzes zur AfD, das laut tagesspiegel.de, 17.1.2019 offiziell als »„Verschlusssache“ und „Nur für den Dienstgebrauch“« gekennzeichnet ist.
Man fragt sich auf den ersten Blick: Wie sind diese Medien plötzlich und alle auf einmal an dieses Gutachten gekommen, wenn es doch »Verschlusssache« und »nur für den Dienstgebrauch« ist? Wer hat es ihnen gegeben und nach welchen Kriterien genau dieses?
Ich weiß es nicht, wie diese Redaktionen an das Gutachten kamen. Ich habe via Twitter höflich angefragt (@dushanwegner, 18.1.2019), und sollte ich es in Erfahrung bringen, werde ich diesen Text hier aktualisieren. (Man vergleiche einen Twitter-Austausch von 2016 zwischen dem BKA und Prof. Dr. Arnd Diringer zu einem ähnlich gelagerten Fall: @arnd_diringer, 14.6.2016, und diesen bemerkenswerten Austausch zwischen @afd_hamburg und @bka aus demselben Jahr – Zitat daraus: »Das können wir Ihnen nicht erklären (…)«)
Nun gut
Die Seitenzahl des Gutachtens beträgt laut Spiegel ganze 436 Seiten und sogar 442 Seiten laut Tagesspiegel. Unterschiedliche Formatierung? Inhaltsverzeichnis mitgezählt? Verschiedene Dokumente? Man weiß es nicht, wir haben bislang nur Indizien.
Die Medien, denen das Gutachten vorliegt, zitieren und berichten aus diesem, und die Zitate, die sie auswählen, passen perfekt in den dauernden Wahlkampf der Kreise mit »Haltung« gegen die ungeliebte Opposition.
»Verfassungsschutz-Gutachten zur AfD – Diffamierend, antisemitisch, rassistisch« wird bei spiegel.de, 17.1.2019 getitelt. Beim Tagesspiegel, 17.1.2019 werden Ausdrücke wie »verfassungsfeindliche Bestrebung« und »ethnisch-biologisch bzw. ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis« zitiert, und bei diesen Ausdrücken handelt es sich um Deutung, Wertungen und Interpretation. Zu sagen, dass jemand ein »ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis« an den Tag legt, ist meines Erachtens semantisch eher nicht eine Tatsachenbehauptung, sondern eine Bewertung, und um diese einordnen zu können, bräuchte es einen Kontext.
Was dem unkritischen Medienkonsumenten vorliegt, ist: eine Behörde mit einem zu Recht einschüchternden Namen spricht ein »Urteil« (das Relotius-Blatt Spiegel formuliert im Teaser: »Klares Urteil der Verfassungsschützer«), und »Urteil« klingt für den flüchtigen Leser wie ein Gerichts-Urteil, nicht wie eine erste Einschätzung, und damit wie ein Fakt.
Der kritische Medienkonsument dagegen, der Sie und ich ja sein möchten, bekommt Bauchweh: Da wurde ein Gutachten von vielen hundert Seiten erstellt, das sich bislang keiner externen Debatte stellen musste. Dieses Gutachten zur AfD landet bei Redaktionen mit »Haltung«, darunter dem für seine linksfreundlichen Lügen gerade erst in den Schlagzeilen befindlichen Spiegel. Diese Redaktionen zitieren dann plakativ einige Fragmente, die den politischen Gegner als maximal schlecht darstellen. Gab es auf über 400 Seiten wirklich nichts Entlastendes?
Religionskritik
Eines der ohne Zusammenhang zitierten Zitate aus dem mysteriösen Gutachten fällt gerade in seiner Beiläufigkeit und dahinfließenden Selbstverständlichkeit auf.
Bei tagesschau.de heißt es:
Die Alternative für Deutschland (AfD) hat sich nach Einschätzung des Verfassungsschutzes „von einer wirtschaftsliberalen, EU-kritischen Partei, zu einer national orientierten, islam- und zuwanderungskritischen Partei entwickelt“ (tagesschau.de, 17.1.2019)
Moooooment! – Dieses Zitat steht im Anfang des Tagesschau-Textes. Was soll es belegen? Dass es einen ins »Visier des Verfassungsschutzes« (so formulieren das AfD-Kritiker gern) bringen kann, islamkritisch zu sein?
Später schreibt Tagesschau:
Wenn zudem Moscheen als Symbole einer „Landnahme“ bezeichnet würden, werde dem Islam als Ganzes die Kompatibilität mit einem Rechtsstaat abgesprochen (tagesschau.de, 17.1.2019).
Ich kenne den Kontext des Zitates nicht. Ich sehe, was jener Funk, der schon mal »Staatsfunk« genannt wird, berichtet, und es bereitet dem freiheitlichen Demokraten in mir Sorge.
Ist der Verfassungsschutz jetzt für islamische Theologie zuständig? Weiß der Verfassungsschutz mehr über den Islam als Imame und die Muslime selbst?
Fast die Hälfte der befragten Muslime in einer Umfrage gaben offen an, dass für sie die Gebote einer Religion über den Geboten des Staates stehen (welt.de, 15.5.2016, aber auch achgut.com, 26.9.2016) – und ob die anderen, wenn es drauf ankäme, nicht dazu stoßen würden, wer weiß es? Man könnte sich ja selbst die Liste der Staaten weltweit betrachten, sortiert nach Anteil von Muslimen (siehe Wikipedia), und dann schauen, wie es dort jeweils mit der Demokratie beschaffen ist.
Ich fände es problematisch, wenn sogar der Verfassungsschutz jetzt festlegt, was »der Islam« ist – oder ihn gar als nächsten Schritt reformieren zu wollen (siehe auch Wenn Politiker sich aufmachen, Religionen zu reformieren).
Ähnlich wie beim Kopftuch würden wir uns in einen Konflikt zwischen der angenommenen und der faktischen Realität bewegen, nur jetzt mit dem Ernsthaftigkeitssiegel des Verfassungsschutzes.
Ich bin christentumkritisch, buddhismuskritisch, religionskritisch insgesamt, doch so wie etwa Tagesschau das ominöse AfD-Gutachten darstellt, könnte man glauben, Islamkritik allein könne einen »ins Visier« bringen, das hat dann doch etwas von, ja, Islamisierung.
Kein Gefallen
Die Berliner Szene hat sich mit dem AfD-Gutachten-Semileak keinen Gefallen getan. Redaktionen, die seit Jahren für »Willkommenspolitik« und gegen alle ihre Kritiker anschreiben, bekommen ein geheimnisvolles Gutachten – und die Zitate daraus lesen sich nicht viel anders, als das, was SPD, Spiegel, Grüne, TAZ & Co. ohnehin sagen, nur jetzt eben mit dem Siegel »Verfassungsschutz«.
Politiker wie Ralf Stegner (SPD-Vize) scheinen mögliche Verschwörungstheorien zu bestätigen, wonach Maaßen gezielt ausgetauscht wurde:
Die Rechtspopulisten von der AFD kommen endlich in den Fokus des Verfassungsschutzes. Dazu musste der unselige Herr Maaßen gehen, damit das passieren kann, was längst überfällig war. (@ralf_stegner, 16.1.2019)
Eva Högl (Vize der SPD-Fraktion im Bundestag) scheint bereits zu wissen, dass der »Prüffall« nur »ein erster Schritt« sei:
Die stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Eva Högl sagte: „Das ist ein erster Schritt, um verfassungsfeindlichen Tendenzen in der AfD ein Stoppschild zu setzen.“ (zeit.de, 15.1.2019)
Roland Tichy kommentiert trocken: »Weitere werden also folgen.«
Der »Prüfungsfall« wurde übrigens noch von Maaßen eingeleitet (siehe welt.de, 17.1.2019).
Drei Ausgänge
Es wird von mancher Seite verlangt, dass die AfD sich von ihrem problematischeren Personal trennt; aktuell ging etwa André Poggenburg voran (siehe z.B. welt.de, 10.1.2019). Er hat eine neue, klar rechte Partei gegründet, zu bislang eher geringem Erfolg, siehe z.B. zeit.de, 17.1.2019; der Bedarf nach einer stramm rechten Partei bleibt nach wie vor im Promillebereich – und das ist gut so! – der Bedarf nach einer »Vor-Merkel-CDU« bleibt groß.
Der Fokus des Verfassungsschutzes auf die AfD könnte logisch (mindestens) drei Ausgänge haben:
- Die AfD wird am Stress zerbrechen.
- Die AfD wird weiterwurschteln, einige Akteure werden beobachtet – wenn die umbenannte SED, die Partei von Mauer, Stasi und Foltergefängnissen, im Bundestag sitzt, warum nicht auch eine Partei mit vielen frustrierten Alt-CDU-lern, und einigen, die schon mal im Sound bedrohlich schwarz-weiß klingen?
- Die AfD wird sich tatsächlich ihrer problematischen Akteure entledigen, eines Poggenburgs nach dem anderen, und ganz zur konservativen, weitgehend unblöden Partei werden.
Der Demokrat in mir wünscht sich definitiv, dass die größte Oppositionspartei nicht an der rechten Leitplanke entlangschrammt, auch nicht zeitweise. Die AfD vertritt einige wichtige Positionen, die bei FDP oder CDU fehlen, etwa die Ablehnung der Unterwerfung unter den unseligen Migrationspakt – andererseits sehe ich eher nicht den breiteren demokratischen Markt für das »Recht, stolz zu sein auf Leistungen deutscher Soldaten in zwei Weltkriegen« (Gauland, September 2017).
Noch neu
Thomas Haldenwang ist noch neu in seinem Amt. Die Prüfung der AfD wurde noch von seinem Vorgänger angestoßen, Haldenwang führt sie fort.
Wissen wir, was für ein Jurist dieser bislang den meisten von uns unbekannte Haldenwang sein wird? Als was für ein BfV-Chef wird Haldenwang sich erweisen?
In seiner Pressekonferenz vom 15.1.2019 (via Phoenix bei YouTube), die man in den reißerischen Texten bei Tagesschau oder Spiegel nicht so deutlich findet, betonte Haldenwang etwa die »Diversität« innerhalb der Partei, die Tatsache, dass sich Anhaltspunkte nicht aus dem Programm ergeben, sondern eher aus den Äußerungen einzelner Funktionäre.
Die Aussagen Haldenwangs, inklusive der Kritik an der »Jungen Alternative« klingen mir als vorsichtigem Laien weit fundierter als das, was die Medien aus dem geheimnisvollen Gutachten machen. Haldenwang betonte etwa in der Pressekonferenz auch die Gewaltstraftaten gegen die AfD durch die »Antifa«.
Bezüglich der Zukunft
Meine Spezialgebiete sind politische Sprache (Buch dazu: Talking Points) und (meine Variante von) Ethik (bzw. Metaethik; Buch dazu: Relevante Strukturen), und von da ausgehend wage ich zwei Prognosen und eine Nicht-Prognose!
Bezüglich der AfD wage ich keine Gesamt-Prognose – von außen ist es mir kaum möglich, in die Köpfe und Machtspielchen der verschiedenen Akteure hineinzublicken – ob einige mehr der »härteren« Köpfe aussteigen, kann von persönlichen Faktoren abhängen, die von außen nur bedingt einzuschätzen sind.
Bezüglich Haldenwangs (und damit des Verfassungsschutzes) bin ich – entgegen manch anderer Wahrnehmung heute – vorsichtig optimistisch. Haldenwangs Informationspolitik ist, wie man sagt, noch etwas suboptimal (finden übrigens auch die Innenminister der Länder), doch etwa seine Pressekonferenz schien nicht annähernd so parteiisch wie das, was die Einheizer in den Medien daraus machten. Es könnte ja sein, dass er sich als Jurist der ersten Gruppe herausstellt, also einer, der nicht nur die Tricks seines Fachs, sondern auch seine gesellschaftliche Rolle versteht und würdigt.
Bezüglich der Medien, vor allem derer, welche das Gutachten (warum auch immer) vorliegen haben, bleibe ich stabil pessimistisch. Wie ich auch zum Relotius-Skandal schrieb, denke ich nicht, dass Spiegel und Freunde lernfähig sind – wer Kritik und Kritiker für moralisch böse hält, der kann rein logisch nicht dazulernen.
Die Leitmedien sind als solche verloren – die bravsten von ihnen sind an schlechten Tagen von Propaganda kaum noch zu unterscheiden – gut, dass wir Freie Denker haben! Was aus der AfD wird, hat sie selbst in der Hand. Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat eine lebendige Geschichte, vor allem in der Chefetage, doch insgesamt bin ich vorsichtig optimistisch.