Dushan-Wegner

29.11.2018

Wenn Politiker sich aufmachen, Religionen zu reformieren

von Dushan Wegner, Lesezeit 6 Minuten, Bild: der Autor, nach Foto von Adrien Ledoux
In Deutschland fürchten Islam-Kritiker um ihr Leben, währenddessen träumen etwa Seehofer und Özdemir davon, den Islam zu reformieren, wie einst Luther das Christentum – was für ein Realitätsverlust!
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Zieht die Masken über, werft Konfetti in die Luft, ruft Alaaf! und ruft Helau! – Freunde, freut euch, es ist der Karneval der Kulturen! Kommt lasst uns feiern, nicht lamentieren! Im Kanzleramt wacht über uns die Lady Carneval!

Zu Karneval hat der Mensch zwei Gesichter, und man fragt sich, welches das wahre Gesicht ist und welches das gespielte? Bist du wirklich der brave Bürger, der sich morgens zur Arbeit schleppt, seine Lebenszeit und seine Gesundheit opfert, um mit seinen Steuern den linken Wahn zu finanzieren?

Oder bist du eigentlich die Maske, bist du eigentlich die Nonne, der Cowboy, die Prinzessin, der charmante Bützchenkönig?

In Deutschland ist Karneval der Kulturen – Kulturen ziehen sich Masken an, und tun ganz feierlich und dann scheint doch, in der Maskerade, eine andere Realität durchzuscheinen wie die Pickel unter der weißen Schminke des Clowns.

Islam-Kritiker fürchten um ihr Leben

Alles hat seine Zeit, Sunrise, Sunset. Das Alte geht, das Neue kommt – außer im linksgrünen Deutschland, da ist es andersherum: das Neue geht und das Alte kommt. In China reden sie über Gen-Editing bei Embryos (bbc.com, 28.11.2018), die US-Armee wird mit Augmented-Reality-Headsets von Microsoft ausgestattet (bloomberg.com, 28.11.2018) – und in Deutschland schließt derweil die Cebit wegen Besucherschwund (Steingart auf focus.de, 29.11.2018: »Das Ende der Cebit ist Teil eines großen Staatsversagens«).

Doch, nicht alle Leitveranstaltungen werden abgesagt: Demnächst unterwirft sich Deutschland dem UN-Migrationspakt. Die Islam-Konferenz in Berlin ist derzeit im Rampenlicht. Wäre es despektierlich, auch da vom Karneval der Kulturen zu reden? Auf jeden Fall ist es bemerkenswert, was unter der Schminke hervorkommt. Bild.de titelt: »Deutsche Islam-Konferenz – Islam-Kritiker fürchten um ihr Leben – Anwältin Seyran Ates bei Islam-Konferenz: »Wir sind nur hier, weil uns 15 LKA-Beamte beschützen.« (bild.de, 28.11.2018 – der Text hat Über- und Untertitel, das macht den zitierten Titel so lang.)

Welches ist der »wahre« Islam? Der Wir-sind-hier-die-Opfer-Islam von Mazyek und Chebli – oder der Islam, vor dem es 15 Personenschützer und Weihnachtsmärkte als Sicherheitszone braucht? Beides? Keines? Vielleicht, eventuell, sollten wir das klären.

Seehofer will einen Islam für Deutschland

»Meinst du das ironisch?«, fragt mein Sohn Leo mich gelegentlich. Manchmal hat er recht damit, manchmal ist es frech, denn, nein, die Anordnung »Jetzt aber ab ins Bett!« ist keineswegs ironisch gemeint.

Sie dürfen jedoch eine gewisse Ironie einrechnen, wenn ich sage: Ich bewundere Leute wie Seehofer und Özdemir für die Chuzpe, es mit den Gelehrten der islamischen Welt aufnehmen zu wollen, und als eher fachlich Außenstehende einen neuen Islam erfinden möchten.

»Seehofer will einen Islam für Deutschland« heißt es in welt.de, 28.11.2018. Özdemir gründet eine »Initiative säkularer Islam«, siehe zeit.de, 21.11.2018. Die deutsche Vice-Ausgabe zitiert Kommentare dazu: » „Die werden mit so einer Scheißmasche definitiv nicht die muslimische Bevölkerung in Deutschland erreichen können“, schreibt ein User. Ein anderer glaubt: „Islamfeinde wollen einen ‚Neuen Islam‘ gründen – was für eine Lachnummer!“« (vice.com/de, 22.11.2018).

Özdemir mag der Partei entstammen, die in Tuben gepresste Soyapampe »Wurst« nennt, und »säkularer Islam«, das klingt tatsächlich wie »vegetarisches Fleisch« – und ist ähnlich irritierend für diejenigen, die dem Original nahestehen.

Reformation ist keine Talkshow

Am 6. Juli 1415 wurde der tschechische Reformator Jan Hus auf einem Scheiterhaufen nahe der Konstanzer Stadtmauer verbrannt – und mit ihm seine Schriften. (Übrigens: der Islamkritiker Hamed Abdel-Samad wurde aktuell wegen eines islamkritischen Textes auf Facebook gesperrt, siehe steinhoefel.de – das ist die »neue deutsche Meinungsfreiheit«.)

Deutsche haben als großen Reformator ihren Martin Luther, der sich eine Zeit lang auf der Wartburg verstecken musste, doch er konnte schließlich seine letzten Jahre mit Vorträgen und Mahnungen bestreiten (und seine Ausführungen etwa über den/die »Großtürken von Istanbul« würden heute wahrscheinlich zensiert). Wer, wie ich, aus Tschechien stammt, hat in Jan Hus (der vor Luther war), nicht nur einen Helden, sondern auch eine stete Mahnung gesehen, was dir passieren kann, wenn du dich weigerst, geltende Dogmen zu schlucken.

Will man wirklich einem Rückgratlosen und in Angelegenheiten des Islam erfrischend Unbedarften wie Seehofer zutrauen, »den Islam« zu transformieren? Ich bitte Sie! – Özdemir, dessen Argumentation immer wieder der notwendigen Redlichkeit entbehrt, dessen Rede geschrien daherkommt, oft spalterisch und nie einend, so einer will die Reformation einer Weltreligion betreiben? Etwas mehr Ernsthaftigkeit, bitte!

Drucke im Volk

Es könnte heute keine Reformation mehr geben. Die technischen und propagandistischen Mittel derjenigen, die in aktuelle Dogmen wie »Multikulti« investiert haben, sind weit größer als damals.

(Randnotiz: Luthers Schriften verbreiteten sich als Drucke »im Volk« – hätten Staat und Kirche damals schon den GEZ-Apparat zur Verfügung gehabt, hätten sie damals Barden und Sänger organisiert, sie hätten die Manipulierten zu Massen-Demonstrationen wie »Ungeteilt gegen die Ketzer« und »Ketzerei ist keine Meinung« aufgerufen und Kampagnen gegen »Bibelpopulisten« lanciert.)

Die Behauptung von Politikern, sie wollten von Deutschland aus den Islam reformieren, sie ist so undurchdacht, dass man nicht weiß, ob man den Kopf schütteln oder laut lachen soll. Hybris ist wenig spannend, eher nur traurig, wenn der Übermütige allzu realitätsfremd wirkt.

Karneval der Kulturen

Es ist der Karneval der Kulturen, und im Karneval weiß man nicht, ob die Maske das wahre Gesicht ist, oder ob es die Falten und Poren darunter sind.

Welchen Islam sollte die Politik also ernst nehmen? Denjenigen, gegen den es Bodyguards und Straßensperren braucht? Den undurchdachten »säkularen«, den sich selbsterklärte Reformer als Schlagwort ausdenken? Den »moderaten« Islam von den Millionen anderen Muslimen, für die es nicht selten eine Beleidigung darstellt, ihnen zu sagen, ihr Islam sei »moderat«, irgendwie lauwarm, gewissermaßen nicht 100%, es gäbe also noch einen intensiveren Islam.

Eine meiner Denkregeln lautet: Wenn etwas und sein Gegenteil beide einen Sinn zu ergeben scheinen, dann haben wir wahrscheinlich das Problem nicht verstanden. Daran angelehnt wage ich die These: Es steht dem demokratischen Staat oder einzelnen Politikern nicht zu, eine Religion reformieren zu wollen – was ja immer in die Erfindung neuer Untergruppen mündet. Nach der Anglikanischen Kirche den Deutschen Islam? Spannend.

Es ist einfach: Der Gesetzgeber hat klare Regeln fürs Zusammenleben zu setzen, die jenseits von Dogmatiken und Glaubenssätzen stattfinden. Der aufgeklärte Staat sollte eine Äquidistanz zu allen Parteien halten. Es ist nicht der Job von Politikern, von Amts wegen als Religionsgründer aufzutreten – sie machen sich lächerlich, vollständig lächerlich, und bis sie fertig sind, ramponieren sie das letzte Ansehen der Demokratie.

Es ist der Karneval der Kulturen, und während die Jecken tanzen und die Masken an- und abgezogen werden, stünde es einer klugen Politik gut zu Gesicht, dezent im Hintergrund zu bleiben, und mit starker Hand dazwischen zu gehen, wenn ein Jecker es übertreibt.

Aber, ach, ich sagte: »kluge Politik«. Während ich diesen Text schreibe, sehe ich, wie die CDU im Bundestag bei der Debatte zur Unterwerfung unter den Migrationspakt die letzte Scham ablegt und die FDP, die einst schon im Ton einen Unterschied machen wollte, nun offen populistisch herumpöbelt (sinngemäß etwa: ey, Weidel, bist du nicht auch Migrantin aus der Schweiz?! Haha!). Ach, Land der Dichter und Denker, was ist aus dir geworden!

Ich weiß nicht genau, wie es Ihnen geht, doch es gibt Weniges, nach dem ich mich so sehnen würde, wie nach kluger Politik statt Mitläufertum ohne erkennbare Skrupel.

»Am Aschermittwoch ist alles vorbei«, singt man in Köln – hoffen wir nur, dass dieser Karneval nicht auch mit Asche und Kreuzen endet, lasst uns lieber mit Jupp Schmitz den alten Karnevalsschlager anstimmen: »Es ist noch Suppe da! Wer hat noch nicht, wer will noch mal? Ich stifte eine Runde für den ganzen Saal!«

 

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