»Ein ›Weiter so‹ darf es nicht geben!« – wie oft haben wir diese Null-Aussage gehört! Wenige Sätze der deutschen Sprache scheinen so wenig zu bedeuten wie dieser!
Natürlich fühlen wir, dass dieser Satz wenig Gewicht hat, doch da wir keine Linken sind, wollen wir Fakten nicht (nur) fühlen, sondern immer auch verstehen und erklären können – oder zumindest eine plausible These vorlegen, warum es so ist, wie es scheint, dass es so ist.
Der Bullshit-Satz mit dem »Weiter so«, das es angeblich »nicht geben« darf, verrät sich und damit auch den Sprecher auf mindestens vier Ebenen.
Erstens, Erfahrung: Wir haben den Satz zu oft gehört, und wir machten regelmäßig die Erfahrung, dass danach exakt nichts zum Besseren geändert wurde.
Zweitens, Person und Situation: Dieser Satz wird gesagt, wenn ein Funktionär gedrängt wird, Verantwortung für ein kollektives Versagen oder einen Missstand zu übernehmen. Es steht zu vermuten, dass die wahre und einzig echte Motivation dieser Aussage nicht der Wille zur Veränderung, sondern die Bewahrung der eigenen Rolle und Vorteile ist.
Jedoch auch die Sprache selbst verrät Satz und Sprecher!
Drittens also: Das Gehirn »fühlt« Negation (meist) nicht. Der Ausdruck »keine Milch« weckt unser inneres Bild von Milch genauso wie der Ausdruck »Milch«. (Und wenn Sie das nicht glauben, dann fragen Sie Herrn Nixon, wie gut es für ihn funktionierte, öffentlich zu erklären: »I am not a crook!« – »Ich bin kein Gauner!«)
Wenn also ein Politiker öffentlich erklärt, es dürfe »kein Weiter so« geben, dann hat er damit vor allem eines getan: Aufs Neue das »Weiter so« im Gehirn der Hörer verankert.
Viertens und schließlich: Das Verräterischste an jenem Satz ist der zentrale Ausdruck selbst, diese Nominalisierung »Weiter so«!
Das sture Beharren auf bisherigen Denkweisen und Abläufen ist uns offenbar derart natürlich, dass wir dafür ein Nomen geschaffen haben: »das Weiter so«.
Wenn ein Funktionär wirklich etwas verändern wollte, hätte er das in der Regel längst getan. Wer höhergestellter Funktionär ist, ob in der Wirtschaft oder in der Politik, dem stehen ganze Armeen an Beratern zur Verfügung.
Es mag einzelne Diktatoren in ihren jeweiligen Endphasen geben, die sich mit nichts als Ja-Sagern umgeben. Doch die allermeisten Top-Funktionäre sind überraschend gut informiert über die wahren Abläufe in ihrem Verantwortungsgebiet. Und wenn sie ein Problem nicht rechtzeitig angehen, dann meist weil sie beschlossen haben, es nicht anzugehen – und die Gründe hierfür zu erkunden, das war früher die Aufgabe von »Journalisten« und ist heute das Sachgebiet sogenannter »Verschwörungstheoretiker«.
Das Perfideste am »Weiter so« ist womöglich, dass ein guter Teil des politischen Publikums sich tief in der Seele sogar dieses »Weiter so« wünscht.
In »Batman: The Dark Knight« sagt der Joker: »Nobody panics when things go according to plan. Even if the plan is horrifying!« – Zu Deutsch etwa: »Niemand gerät in Panik, solange die Dinge nach Plan laufen. Selbst wenn der Plan schrecklich ist.«
Der Politiker, der vom »Weiter so« redet, versichert damit dem Hörer genau dieses „Weiter so«. Wollte der Politiker eine Veränderung erzielen, hätte er sie längst eingeleitet, oder er würde konkrete Schritte benennen und sich an deren Umsetzung messen lassen. Doch er will es nicht und ein guter Teil seines Publikums will es ebenfalls nicht.
Das „Weiter so« ist der Plan, und die Menschen geraten nicht in Panik, solange die Dinge nach Plan laufen.
Ich erhalte täglich E-Mails von Lesern, die mir besorgt und ängstlich selbst erlebte Fakten oder aktuelle Nachrichten nennen, woran man erkennt, dass es mit Deutschland abwärts geht. Kündigungen, Auswanderung von Produktionsstätten und Fachleuten, internationaler Bedeutungsverlust, Gewalt im Alltag, grassierende Depression, Armut und immer wieder der Verlust der Heimat.
Mir klingt zugleich im Ohr, was Politiker sagen, wenn man sie mit diesen Krisen konfrontiert: »Ein ›Weiter so‹ darf es nicht geben!«
Die einzige Art und Weise, ein »Weiter so« zu verhindern, bestünde darin, etwas zu verändern. Und Veränderung bedeutet Zerstörung des „Weiter so«, und das weckt ein Gefühl der Unsicherheit – womöglich sogar der Panik.
Ich will an dieser Stelle all den Lesern, die mir von diesen oder jenen Zeichen des Niedergangs schreiben, dies antworten: Das »Weiter so« zu beenden würde bedeuten, die Dinge im großen Maßstab zu verändern.
Du aber willst Veränderung im Großen? Zeige mir doch an dir selbst, ob und wie konsequent du dich selbst verändern kannst.
Du fragst, worin du dich verändern sollst? Ich weiß, dass du weißt, worin du dich verändern willst.
Die New Yorkerin Arleen Lorance formulierte einst: »be the change you want to see happen«, zu Deutsch etwa: »Sei die Veränderung, von der du willst, dass sie geschieht.« (siehe Google Books)
Du willst, dass dein Volk und dein Land wieder zu Verstand kommen, dass wir endlich mutige und kluge Entscheidungen treffen? Super! Geh uns und dir selbst als gutes Beispiel voran: Triff mal wieder eine mutige und kluge Entscheidung – und zieh’ sie auch durch!