Dushan-Wegner

24.05.2024

Aufarbeitung vs. Zweifel

von Dushan Wegner, Lesezeit 5 Minuten, Bild: »Zupfe!«
Es gäbe genug gute Gründe, die Corona-Panik gründlich und unabhängig aufzuarbeiten. Gibt es auch Gründe dagegen? Nun, zu den spannendsten Gründen »gegen« radikale Aufarbeitung gehört der, dass damit »Zweifel« an den Institutionen laut werden könnten.
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Es gibt diese Leute, ihr wisst schon: »gewisse« Leute, wenn man die nur lange genug reden lässt, erwischt man sie irgendwann bei einer Lüge – und eine Lüge kommt selten allein!

Eine Lüge, die wir plötzlich als solche erkennen, gleicht oft einem hervorstehenden Fadenende, einem frechen, einzelnen Wollfaden, der aus einem schmutziggrauen Wollknäuel hervorsteht. Wir ziehen dann an dieser einen Lüge und – siehe da! – stellen fest, dass wir es mit einem formidablen Lügenknäuel zu tun haben.

Doch dann gibt es auch ganz andere Leute, vielleicht auf dem anderen Ende des kreisrunden Spektrums, vielleicht auch in ganz anderen Dimensionen, wenn man die nur lange genug reden lässt, dann sagen sie – plötzlich und unerwartet – die Wahrheit!

Nicht weniger unerwartet

Dass Leute plötzlich und unerwartet die Wahrheit sagen, bedeutet übrigens keinesfalls, dass sie im Übrigen nur lügen (schließt es aber natürlich auch nicht aus). Logisch denkbar und womöglich auch tatsächlich der häufigere Fall ist, dass diese Leute ansonsten vor allem Sätze sagen, die nichts bedeuten oder zumindest nichts Relevantes, dass sie sonst eher eine Melange aus Selbstverständlichkeiten und Konsequenzlosem absondern – und eine plötzliche Wahrheit ist dann nicht weniger unerwartet, als wenn sie immer nur gelogen hätten.

Ich überlasse es euch, selbst einzusortieren, ob Frau Prof. Dr. Buyx vom Ethikrat in eine dieser beiden Kategorien einzusortieren ist oder zu einer noch ganz anderen und eigenen Kategorie gehört. Auf jeden Fall sagte sie vor einem halben Jahr etwas, das erstaunlicherweise seitdem immer mehr Beachtung findet, weil es in den Ohren vieler kritischer Bürger wie eine plötzliche und unerwartete Wahrheit klingt.

Während der Corona-Panik wurde Frau Prof. Dr. Buyx dafür bekannt, dass sie in Talkshows immer wieder genau das sagte, wovon nicht nur ich vermute, dass die Regierung es genau so hören wollte. Mit dem Etikett der »Ethikprofessorin« und »Vorsitzenden des Ethikrates« ausgestattet aber wurde getan, als besäße sie besondere und autoritative Einsicht zur Erkenntnis von Gut und Böse. (Ich will auf die Frage, ob sie es tut, hier nicht weiter eingehen. Die Frage ist mir zu lächerlich, und ich verweise lieber auf mein Ethik-Buch »Relevante Strukturen«.)

Entlarvende Töne aus dem Buyxhorn

Vor etwa einem halben Jahr fand ein Gespräch des »PresseClub München« statt, das auf YouTube veröffentlicht ist unter einem von Propaganda-Lingo triefenden Titel: »Zerbricht unsere Gesellschaft an Hass und Hetze? Diskussion mit der Ethikrat-Vorsitzenden Alena Buyx«

Etwa im letzten Drittel des Videos (ca. ab 1:05:30) geht es um die »Aufarbeitung« der Corona-Zeit, und die Ethikexpertin sagt dazu auch dies (meine Transkription): »… meine Sorge wäre, dass diejenigen, die jetzt nach Schuldigen suchen, und zwar ehrlich gesagt egal, ob begründet oder unbegründet, da gibt es ein tiefes Bedürfnis danach, Schuldige zu suchen. Und natürlich auch, zu sagen: ›Ihr Politikerinnen und Politiker‹ – und im Übrigen (auf die Pressevertreter zeigend): Sie wären da ja nicht außen vor, das wissen Sie ganz genau, also das würde ja die Medienschaffenden ganz genauso betreffen, ja, der öffentlich-rechtliche Rundfunk und was weiß ich (…), ja, da soll Zweifel gesät werden, das ist meine Sorge, dass das genutzt würde, dass Zweifel gesät wird an diesen demokratischen Institutionen, an der Politik insgesamt, es war alles falsch, war alles böse, sie haben alle falsch berichtet, sie waren/hatten alle den Maulkorb, sie waren gleichgeschaltet …«.

Ja, es ist ein Bandwurmsatz. Und womöglich hat die Ethikprofessorin selbst gemerkt, was sie da in vielleicht etwas zu freier Rede gesagt hat, denn es folgen Formulierungen, die man als Relativierung bewerten könnte.

Die Wahrheiten der Fachfrau

Doch betrachten wir einmal die Wahrheiten näher, welche die Gut-und-Profi-Fachfrau ausgesprochen hat:

Erstens: Es ist ihr egal, ob die Suche nach Schuldigen (wohl: für das Unrecht der Corona-Zeit?) »begründet oder unbegründet« ist.

Zweitens: Sie bemerkt ein tiefes Bedürfnis danach, die für die Ereignisse verantwortlichen Politiker zu benennen – und sie sieht dieses Bedürfnis mit »Sorge«.

Drittens: Sie droht de facto den anwesenden Journalisten, dass eine Aufarbeitung der Corona-Zeit auch das Verhalten der Medien beleuchten würde, und da könnte der Vorwurf der Gleichschaltung aufkommen. Sprich: Sie will die Journalisten psychologisch zwingen, (weiterhin?) die politische Linie der Regierung zu verteidigen, um nicht selbst öffentlich hinterfragt zu werden.

Viertens: Die Ethikexpertin scheint zu meinen, dass Zweifel am Handeln politischer Institutionen und Medien prinzipiell abzulehnen sind. Sie scheint zu meinen, dass Zweifel am Handeln der Behörden gleichzusetzen sind mit der totalen Ablehnung demokratischer Institutionen und damit der Demokratie selbst.

Zweifellos gut gemacht

Zu Beginn ihres Monologs sagt Frau Prof. Dr. Buyx, wenn ich das richtig verstehe, was ihre Absicht ist: Die Aufbereitung des Corona-Zeit soll, »wenn man es politisch macht, wirklich gut gestaltet sein«. Es sei »kompletter Quatsch«, die Corona-Zeit nicht aufzuarbeiten, doch die Aufbereitung soll »gut gemacht« sein.

Und wie sollte diese »Aufbereitung« sein, wenn sie laut der Ethikprofessorin »gut gemacht« ist? Derart, dass nicht grundsätzliche Zweifel an den beteiligten Institutionen aufkommen – und dabei ist ihr offenbar vollständig egal, ob solche Zweifel »begründet oder unbegründet« wären. Ich gehe davon aus, dass Frau Professorin gern selbst die »Aufarbeitung« anleiten würde – wohlgemerkt die Aufarbeitung einer Zeit, in der sie selbst aktiv und einflussreich war.

Ich mag diese Passage der Ethikrat-Vorsitzenden. Wenn ich das alles auch nur halbwegs korrekt deute, dann hat sie nicht nur für sich selbst gesprochen, sondern für die gesamte ethische Verfasstheit des deutschen Propagandastaates.

Demokratie ohne Skepsis?

»Wahr« ist in Deutschland, was die Behörden, der Staatsfunk und die bezahlten Wahrheitsexperten zur Wahrheit erklären. Gut bzw. böse ist, was politiknahe Ethikexperten für gut oder böse erklären. Zweifel aber ist grundsätzlich abzulehnen, denn nach Lesart des deutschen Propagandastaates sind Zweifel und Demokratie wohl unvereinbar.

Nun, mit Verlaub, ich sehe das sehr anders!

Ich stehe selbstbewusst dazu: Ja, ich habe Zweifel. Und ich halte scharfen Zweifel und ständiges Hinterfragen für eine Grundvoraussetzung sowohl der Demokratie als auch des menschlichen Dazulernens. (Und als Philosophie-Professorin sollte sie es eigentlich wissen.)

Unhinterfragt = undemokratisch

Ich zupfe und ziehe an den Fadenenden, die der Regierung und ihren Freunden bezüglich ihres Handelns aus dem Corona-Knäuel hängen, und je mehr einzelne Fäden ich herauslöse und betrachte, umso größer werden meine Zweifel am Rest des dunkelgrauen Knäuels.

Demokratie und Dazulernen setzen voraus, dass man etablierte Wahrheiten immer und immer wieder hinterfragt und anzweifelt. Und für das Personal wie auch für die Wahrheit gilt, dass sie eben ausgetauscht werden müssen, wenn sie dem Zweifel nicht standhalten – egal, ob es Corona-Masken-Wahrheiten sind, die eigentlich noch nie wahr waren, oder eine an ihrer Aufgabe schrumpfende Ethikrat-Vorsitzende.

Es gilt weiterhin, heute mehr denn je und ob dies Frau Professorin gefällt oder nicht: Prüfe alles, glaube wenig, denke selbst!

Weiterschreiben, Wegner!

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