Dushan-Wegner

26.10.2022

Chinesen im Hafen

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Chris Rosiak
Seit Jahren werden deutsche Firmen nach China verkauft, teils wichtige Hightech. Politik agiert, als solle Europa zu »Chinas Kolonie« werden. Aber jetzt regt man sich wegen einer Beteiligung am Hamburger Hafen total auf. – Moin! Auch schon wach?
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Im Hamburger Hafen kaufen sich Chinesen ein, so mahnt die Bild-Zeitung aktuell extra laut: »China-Schande in Hamburg – Scholz kriegt seinen Hafen-Deal« (bild.de, 26.10.2022). Und der Staatsfunk meldet etwas später das vollzogene Abnicken durchs Kabinett (tagesschau.de, 26.10.2022).

Es geht um eine Beteiligung der chinesischen COSCO Shipping Ports Limited am Hamburger Containerterminal »Tollerort« (siehe Wikipedia).

Tollerort ist eins von drei Containerterminals im Hamburger Hafen. Die Beteiligung von COSCO soll wohl sicherstellen, dass COSCO-Schiffe bis nach Hamburg fahren, und nicht nur bis nach Rotterdam.

COSCO wollte sich zunächst mit 35 Prozent beteiligen, dann ließ sich Scholz herunterhandeln, nur 24,9 Prozent zu erlauben.

FDP und Grüne protestierten mit Worten – und nur mit Worten dagegen, dass Scholz diesen Deal nicht verbietet. Wäre es ihnen wirklich ernst, könnten sie ja die Regierungskoalition darüber platzen lassen – so viel Angst haben sie aber doch nicht vor China.

Die BILD-Zeitung aber greift zu den ganz großen Lettern, steigert sich seit Tagen in immer furiosere Wutworte.

(Frage zwischendurch: Hat die BILD-Zeitung eigentlich auch laut gewarnt, als sich die US-Beteiligungsgesellschaft KKR bei Axel Springer einkaufte? (siehe Wikipedia) – So eine Beteiligung könnte ja denktheoretisch amerikanischen Einfluss auf die deutsche Meinungsbildung ermöglichen, besonders bei Themen, welche für die USA anders relevant sind als für Deutschland, zum Beispiel »Ukraine« und »NordStream« – aber gut, KKR ist privat, und in den USA haben Politiker und Geheimdienste keinen Einfluss auf milliardenschwere Konzerne.)

Ein Containerterminal

Ich habe 2020 notiert, dass Berlin – damals war Merkel Kanzlerin – so handle, als ziele man auf die Existenz Deutschlands als »Chinas Kolonie« hin.

Und tatsächlich könnte zynischer Beobachter den Tollerort-Deal als eine Art »Gastgeschenk« deuten, das der feine Herr Olaf Scholz demnächst bei seiner Reise nach China dem nicht auf seine eigene Art feinen Herrn Xi Jinping mitbringt, als wollte er diesem zur dritten Amtszeit gratulieren – und zur jüngsten Entfernung politischer Konkurrenten (bild.de, 23.10.2022).

Das Drama um die Beteiligung Chinas am Containerhafen Tollerort mag ein attraktives Aufregerthema sein, auch weil es so schön von anderen Themen ablenkt. Der Grad der Aufregung ist aber merkwürdig unproportional.

Es handelt sich noch immer um ein Containerterminal, also einen Ort, an dem Schiffe ankommen, ent- und beladen werden, und dann wieder wegfahren.

Und die anderen?

Seit Jahren schon steigen chinesische Firmen als Gesellschafter (auch) in deutsche Hightech ein, doch außerhalb der entsprechenden Fachkreise bekommt es fast niemand mit.

Kennen Sie zum Beispiel Medion mit den günstigen Computern? Seit 2011 mehrheitlich im Besitz der ebenfalls bekannten chinesischen Computerfirma Lenovo (heise.de, 29.7.2011).

»Lufthansa«, das ist doch ein guter deutscher Name, oder? Tja – LSG Lufthansa Service Holding AG, also die etwa mit dem Flugzeug-Essen, gehört via Gategroup der chinesischen HNA Group (siehe lufthansagroup.com, 2.12.2020 und Wikipedia zu Gategroup) – wie übrigens auch die Flughafen Frankfurt Hahn GmbH (siehe heute.de), wo die EU auch noch den Betrieb subventioniert.

Ich bin sicher, dass die chinesische Regierung sich an unsere Regeln hält, und nicht versucht, von den chinesischen Unternehmen an die Daten deutscher PC-Besitzer oder an interessante Passagierdaten zu kommen. Was für ein Interesse sollte ein Staat wie China auch an solchen Daten haben?

Haben Sie aber schon mal »iiKKA.OS« gehört? Es sind die ersten Elemente eines Betriebssystems, das die Programmierung industrieller Roboter extra leicht machen soll (industrial-production.de, 12.4.2021). Vorgestellt wurde es 2021 von der 1898 gegründeten deutschen Maschinenbau-Firma »KUKA«, einem Hightech-Unternehmen in den entscheidenden Zukunftstechnologien Künstliche Intelligenz und Robotik, mit rund 3 Milliarden Euro jährlichem Umsatz.

Ach ja – seit 2016 ist auch KUKA in chinesischer Hand (spiegel.de, 14.7.2016). Man kann es aber fast schon verstehen. Während die deutsche Staatsdebatte eher so mit Tampons auf Männerklos und festgeklebten Klima-Aktivisten gelähmt ist, sieht sich China moralisch verpflichtet, in Zukunftstechnologie zu investieren. Ich beschrieb es ja schon 2019 im Essay »Künstliche Intelligenz und Mäusespeck«.

Die Webseite die-deutsche-wirtschaft.de etwa listet die 50 größten deutschen Unternehmen in chinesischem Besitz. Gehen Sie einmal die Liste durch, und Sie werden sich wie ich fragen, warum jetzt plötzlich um eine Minderheitsbeteiligung an einem Hamburger Containerterminal so ein Aufruhr herrscht. Es ist übrigens die vierzehnte Hafenbeteiligung von COSCO in Europa (siehe Wikipedia), wobei ganz aktuell gemeldet wird, dass COSCO die Anteile im Duisburger Hafen wieder abgegeben hat (tagesschau.de, 26.10.2022).

Virtuelles

Ich sehe die Beteiligung Chinas im Hamburger Hafen nicht ganz so ultradramatisch wie die BILD-Zeitung, und zwar aus einem simplen Grund: Ich sehe viel dramatischere »Beteiligungen Chinas«.

Eigentum ist noch immer eine virtuelle, ausgedachte Angelegenheit, die via Staatsgewalt – oder vom Staat erlaubter privater Gewalt – durchgesetzt werden muss. (Fragen Sie mal russische Jachtbesitzer, wie schnell man auch in Europa die Verfügungsgewalt über sein »Eigentum« verlieren kann.)

Chinas Eigentum in Europa ist nur deshalb solches, weil es vom europäischen Rechtssystem so gewährt wird. Sollte man es als Staat wirklich wollen, könnte man Chinas Eigentumsrechte in irgendeiner Form »deaktivieren«. (Klar, man wird es so bald nicht »wollen«.)

Wackelhintern und News

Im Westen wird noch immer dramatisch unterschätzt, welche Wirkung allein die digitale Plattform »TikTok« unter Jugendlichen entfaltet – und wie sie das Gehirn von Teilen neuer westlicher Generationen buchstäblich umprogrammiert.

Erwachsene mögen darüber lächeln, wenn chinesische KI-Algorithmen westlichen Kindern und Jugendlichen einen optimierten Strom von Hinterngewackel und platten Witzchen ins Gehirn strömen lassen. Ganz aktuell wird aber gemeldet, dass bereits ein Viertel der US-Jugendlichen sich ihre Nachrichten von TikTok holen (pewresearch.org, 21.10.2021) – Tendenz steigend, anders als bei vielen anderen Nachrichtenquellen. (Wir werden uns noch danach zurücksehnen, als Jugendliche sich ihr Weltbild von Facebook holten; es wird die »gute alte Zeit sein«.)

Lassen Sie das bitte kurz sacken: Ein wachsender Teil der Jugendlichen weltweit holt sich seine Nachrichten von einer Plattform im chinesischen Besitz, die ohne moralische Skrupel darauf spezialisiert ist, die Gehirne junger westlicher Konsumenten so umzuprogrammieren, dass sie von ebendieser Plattform psychologisch abhängig werden – und via App unvorstellbare Datenmengen über ihr privates Leben auf die Server des Unternehmens hochladen.

Donald J. Trump wollte TikTok in den USA verbieten lassen (siehe Wikipedia). Die daraufhin sofort einsetzenden Angriffe westlicher Medien folgten den üblichen Mustern (»Rassismus!«). Wer weiß, womöglich befinden sich unter den 130.000 Angestellten (wsj.com, 6.10.2022) der Mutterfirma ByteDance ein paar PR-Profis, die Journalisten zur »richtigen« Meinung zu motivieren verstehen!

TikTok verfügt schon jetzt über einen riesigen Datenschatz über die psychologische Verschaltung westlicher Jugendlicher, und es wird in jeder Sekunde mehr – und ich sehe es doch nur als einen Anfang, einen Testlauf quasi.

Fünf Punkte und Schlussfolgerung

Ich halte das alles, Firmenbeteiligungen und »Neue Seidenstraße« und TikTok, sämtlich nur für ein Vorgeplänkel, einen Auftakt, für erste zarte Gehversuche.

Bitte betrachten Sie folgende Prämissen, derer jede wenig kontrovers ist:

  1. Was in Zahlen abzubilden ist, kann meist durch künstliche Intelligenz besser erledigt werden als durch menschliche Intelligenz (selbst dann, wenn nicht alle Möglichkeiten berechenbar sind, siehe »AlphaGo« (Wikipedia-Link)).
  2. Künstliche Intelligenz lernt durch »Trial-and-Error« – sie probiert aus, was funktioniert und was nicht funktioniert.
  3. Gesellschaftsleben und für globale Macht wichtige Faktoren wie Wirtschaftsleben sind durch Zahlen darstellbar.
  4. China hat in der Geschichte immer wieder gezeigt, dass man bereit ist, für politische Experimente (aus westlicher Sicht) unvorstellbare Opfer zu bringen, das Leid und sogar den Tod vieler eigener Bürger in Kauf nehmend.
  5. China experimentiert längst damit, das Verhalten der eigenen Bevölkerung von Algorithmen »optimieren« zu lassen – Stichwort »Sozialkredit-System« (siehe Wikipedia).

Wenn Sie nun die vier obigen Punkte zusammen betrachten, könnten Sie, wie ich, zu diesem Szenario gelangen: China arbeitet darauf hin, die eigene Gesellschaft und gleichzeitig die eigene globale Macht von Künstlicher Intelligenz optimieren zu lassen. Während in Europa schon mal veritable Privatpersonen altgriechischer Schule (und doch ohne Schulabschluss – oder auch nur unmittelbar erkennbare logische Denkmuster) in die Politik gelangen, und dann die Debatten mit crazy Bullshit entgleisen lassen, arbeitet China darauf hin, die für globale Macht notwendigen Faktoren von Künstlicher Intelligenz optimieren zu lassen – und anders als wir wäre es in der Lage, die bei solchen Experimenten kaum zu vermeidenden  Opfer zu bringen.

Wenn und sobald

Seit über 15 Jahren sind Schachcomputer auf Turnieren für Menschen nicht besiegbar (news.cornell.edu, 25.1.2021). Computer erkennen Gesichter (cnet.com, 11.8.2020) und lesen Lippen (harvard.edu). Computer malen Bilder (aiartists.org) – und natürlich helfen Computer beim Programmieren von Computern (Github Copilot).

Wenn und sobald es China gelingt, die Kontrolle der eigenen Bürger und das Denken neuer Generationen unserer Gesellschaft mit Hilfe chinesischer künstlicher Intelligenz auf das eine Ziel »Chinas Macht« auszurichten, während wir uns mit unsinnigen Fake-Moral-Debatten und blankem Suizidalismus selbst blockieren, dann sind einige Hafenbeteiligungen unser geringstes Problem.

Wir müssen klüger werden – und wenn wir als Gesellschaft nicht klüger werden können/wollen/sollen, dann umso dringender als Einzelne.

Weiterschreiben, Wegner!

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