Dushan-Wegner

12.06.2020

Eine Rose ist eine Rose, wer aber ist eine Frau?

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Foto von Alexander Schimmeck
J.K. Rowling (Harry-Potter-Autorin) zeigt, dass Genderideologie die Identität und Lebensgeschichten von Frauen ausradiert und unsichtbar macht. Linke Ideologen geraten in Rage. »Männer sind Frauen, wenn sie es behaupten« ist das neue »2 plus 2 gleich 5«.
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»Die ganze Welt ist eine Bühne«, lässt Shakespeare den Jacques in ›Wie es euch gefällt‹ (›As you like it‹) sagen, »und all die Männer und Frauen sind lediglich Schauspieler. Sie haben ihre Auftritte und Abgänge, und ein Mensch in seiner Zeit spielt vielerlei Rollen.«

Mediales Intermezzo zu Beginn: Jeder Tag ist ein guter Tag für etwas Kulturgenuss zwischendurch, warum also nicht zwischendurch das Original jenes Monologs genießen, live aufgenommen auf der Bühne der Royal Shakespeare Company, via YouTube:

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Im Text »Theater und Haut«, fühlte ich mich wieder an das Theater erinnert (früher schon an das Drama, als ich vor Ionescos Nashörnern warnte), das Theater als Bild und Simile, als nützliche Metapher für diese bizarre Zeit. Die Bühne, physisch, greifbar und real – und zugleich ein Ort des Als-ob.

Am Schluss jenes Textes stellte ich fest, dies sei noch der erste Akt, wir schrieben noch selbst an unserer Rolle, und ich schloss mit diesem Wunsch: »Schreibt eure Rolle selbst, und schreibt euch eine Rolle, auf die ihr stolz sein könnt!«

Jedoch – was ist mit jenen Szenen, in denen wir uns tatsächlich zuerst als Zuschauer erleben? Um einen heute oft missbrauchten und in sein Gegenteil verkehrten Begriff in seiner alten Bedeutung zu nutzen: Was soll unsere Haltung in diesem Theater sein? Wie sollen wir auf unserem Theatersessel sitzen? Vorgebeugt, nervös und kritisch – oder zurückgelehnt, amüsiert, halb-ironisch, halb-erschrocken applaudierend?

In der rosaroten Phantasiewelt

Die aktuell finanziell erfolgreichste Autorin der Welt hat Ärger (sie wäre auch der finanziell erfolgreichste Autor, immer 92 Millionen US-$ in 2019, so forbes.com, 20.12.2019), sie hat richtig viel Ärger. Nein, nicht juristischen Ärger, der sich mit Anwälten, Geld und neuen Verträgen auflösen ließe. Auch nicht Ärger mit ihren Kindern – doch, Halt! – »Kinder« könnte die Angelegenheit vielleicht doch treffend beschreiben. J.K. Rowling hat über Jahre hinweg ihre Leserschaft mit politisch korrektem Unsinn bezüglich der Charaktere ihres Buches versorgt, mal wurde Hermine indirekt nachträglich zur Schwarzen erklärt – gegen die Aussage des Buches (siehe reddit.com, 11.2.2019, @jk_rowling, 21.12.2015), mal eine schwule Beziehung zwischen Dumbledore und Grindelwald angedeutet (siehe nbcnews.com, 24.3.2019).

Ich erlaube mir, ad hoc die wahrscheinliche Leserschaft der Harry-Potter-Bücher in drei Gruppen aufzuteilen: Kinder (wie meine), Erwachsene (zur Unterhaltung) – und »Millennials«, die »Generation Mitmachpreis«, deren Verhältnis zur Realität und deren Funktionsweise ein eher distanziertes ist – und welche nicht selten wenig mehr als die Harry-Potter-Bücher gelesen haben.

Es fühlt sich für mich ohnehin seit einiger Zeit an, als wäre das öffentliche Auftreten der J.K. Rowling bislang von einer Agentur betreut worden, wo ein unterbezahlter Vertreter der erwähnten Millennials jenen »woken« Bullshit in ihrem Namen ausspricht. Ich bin kaum ein Freund des Rowling-Stils – er erinnert mich an jene Scherz-Formulierung »Hätten Sie gern Kaffee in Ihren Zucker?«, nur eben für Schriftsteller: »Möchten Sie etwas Handlung zwischen all den Adjektiven?« – Aber gut, von einigen Lücken in der Handlung abgesehen (eine Reddit-Debatte dazu hat viereinhalb Tausend Kommentare), hat Frau Rowling in ihren sehr erfolgreichen Büchern doch bewiesen, dass sie zu meist kohärentem Denken und Handeln befähigt ist.

Als hätte sie die Hoheit über ihr eigenes öffentliches Auftreten zurückgewonnen, hat Frau Rowling sich nun öffentlich zu einem (in »woken« Kreisen) aktuellen Thema geäußert – und Hogwarts wird nie wieder dasselbe sein.

Am 6. Juni 2020 schrieb J.K. Rowling zur Abwechslung einmal Fakten statt Fiktion:

Wenn Geschlecht nicht real ist, dann existierte keine gleichgeschlechtliche Attraktion. Wenn Geschlecht nicht real ist, dann wird die gelebte Realität von Frauen weltweit ausgelöscht. Ich kenne und liebe Trans-Menschen, doch das Auslöschen des Konzeptes von Geschlecht beseitigt die Fähigkeit vieler Menschen, sinnvoll über ihr Leben zu reden. Es ist nicht Hass, die Wahrheit auszusprechen. (@jk_rowling, 6.6.2020; meine Übertragung)

Der Aufruhr in der kleinen rosaroten Phantasiewelt linker »wokeness« war groß – und natürlich auch in jener moralstarken Branche, die einen Harvey Weinstein wieder und wieder für seine Güte pries (warum auch nicht – sogar die Obamas vertrauten ihm ihre Tochter als Praktikantin an, so newsweek.com, 9.10.2017).

Figuren, die sich selbst für real und wichtig halten, weil sie damit reich und berühmt wurden, die Sätze der von Frau Rowling ausgedachten Figuren vor der Kamera aufzusagen, »distanzierten sich« (der Ausdruck klingt täglich dümmer) von der Übermutter, die einst ihre Karrieren gebar.

Daniel Radcliffe schrieb einen Blogpost, und exakt wie erwartet enthält er wenig Argumentation, mehr emotionale Wortmalerei und harte Dogmatik, an die »heiligen Widersprüche« anderer religiöser Dogmen erinnernd: »Transgender women are women.« (thetrevorproject.org, 8.6.2020)

Auch seine Kollegin Emma Watson sah sich berufen, harte Dogmen zu verkünden:

Trans-Menschen sind wer sie sagen, dass sie sind, und sie verdienen es, ihr Leben zu Leben ohne dauernd in Frage gestellt zu werden, oder gesagt zu bekommen, dass sie nicht sind, wer sie sagen, dass sie sind. (@EmmaWatson, 6.10.2020, meine Übertragung)

Dachte Frau Rowling wirklich, mit Logik und Empathie bei »woken« Dogmatikern durchdringen zu können?

(Begriffsklärung: »Woke«, ausgesprochen etwa »uouk«, ist ein Sammelbegriff für extrem moralistische, extrem intolerante und extrem widersprüchliche linke Ansätze wie anti-weißen Rassismus im Namen von »Toleranz«, Auflösung von Geschlechtsunterschieden bei gleichzeitiger Bevorteilung von Frauen und Benachteiligung von Männern, Frühsexualisierung und ein Leben lang nachwirkende Eingriffe in die kindliche Sexualität im Namen der »woke«-Ideologie – und schließlich die »woke« Neu-Marginalisierung von Frauen und ihren speziellen Schicksalen, gegen die sich hier J.K. Rowling wendet.)

Auf den Scheiterhaufen

Im Buch »Talking Points« beschreibe ich den »Heiligen Widerspruch« als Trick politischer Macht-Rhetorik: Es übt eine unheimliche Faszination auf einen bestimmten Menschentypus aus, die absolute, gesetzte und mit der Strafe der Exkommunikation vor Hinterfragen geschützte Wahrheit einer offensichtlich widersprüchlichen und unsinnigen Aussage nicht nur selbst zu behaupten, sondern auch von anderen die Behauptung der offensichtlichen Unwahrheit abzuverlangen.

Es gab Zeiten, da gelangte auf den Scheiterhaufen, wer sich weigerte, sich dazu zu bekennen, dass Gott einen Sohn hatte und dieser zugleich Gott und Mensch war – und wer das nicht bekannte (oder den Begriff »Gott« hinterfragte), dessen Leben wurde nicht mehr froh, aber ab da oft kurz. Sich zu etwas offensichtlich Widersprüchlichem zu bekennen ist ein Ausdruck von Macht (»ich habe es nicht notwendig, meine Aussagen vor dir und deinem Verstand zu rechtfertigen«) – dasselbe widersprüchliche Bekenntnis von einem Dritten abzuverlangen, das ist doppelt ein Zeichen von Macht.

»Männer sind Frauen, wenn sie sagen, dass sie Frauen sind, und anders herum«, ist die moderne Variante von »Zwei plus Zwei ergibt Fünf«.

J.K. Rowling hat einen simplen Fehler begangen: Rowling scheint zu denken, wenn sie »woken« Dogmatikern ihre Widersprüche und die moralisch fragwürdigen Konsequenzen ihrer Aussagen aufzeigt, würden diese beilenken. Es ist ein menschlicher, verständlicher Fehler, ein Fehler aber nichtsdestotrotz.

Ideologen werden nicht von ihrer Ideologie abgebracht, wenn ihnen ihre Widersprüchlichkeit vor Augen geführt wird – im Gegenteil! Würde es Sozialisten vom Sozialismus abbringen, wenn man ihnen aufzeigt, dass die Folge ihrer Ideologie immer Grausamkeit und Elend ist? Leider nein, keineswegs! Sozialisten empfinden ausdrücklich Lust an der Vorstellung, ihre politischen Gegner dereinst erschießen zu können – oder zumindest in Arbeitslager zu sperren – die umbenannte SED diskutiert es ja noch dieser Tage, bei laufender Kamera (siehe »… wenn wir dat ein Prozent der Reichen erschossen haben«). Die Scheiterhaufen des Mittelalters standen nicht verschämt am Stadtrand, nein – die Schauprozesse und Hinrichtungen waren Volksfeste und kollektive Selbstvergewisserung, auf der »richtigen« Seite zu stehen!

Einem Ideologen die Widersprüche seiner Ideologie aufzuzeigen schürt und befriedigt seinen Machtrausch, denn er kann und wird dir in seiner Reaktion antworten: »Es spielt keine Rolle, ob es Sinn ergibt – Fakt ist, dass ich dich dazu zwingen kann, so zu tun, als ergäbe es Sinn! Und wenn ich morgen das Gegenteil oder wieder etwas ganz anderes behaupte, dann zwinge ich dich eben dazu!«

In ihrer »woken« Form

Die ganze Welt ist eine Bühne, so schreibt Shakespeare, und wir sind Schauspieler, spielen mal die eine Rolle, mal eine andere.

Zu Shakespeares Zeiten war es üblich, dass sich Männer auf der Bühne als Frauen verkleideten. Ich widerstehe an dieser Stelle der Versuchung, einen Bezug herzustellen – es hat keinen, oder wenig, oder wenig, den wir hier fruchtbar diskutieren wollen.

Natürlich hat es Implikationen für das Leben eines Menschen, wenn er meint, im »falschen« Körper geboren zu sein. Die aktuelle Debatte in ihrer »woken« Form ist, ähnlich wie die Debatten zur »Toleranz« et cetera, in sich widersprüchlich, und wird wahrscheinlich nur zur Verschärfung von Problemen führen – im besten Fall zu ihrer Konservierung. Diese Debatte bewirkt zuerst und zuletzt die Unterwerfung von Abweichlern, wie viel Leid man auch nebenbei bewirkt.

Nein, wir wollen nicht in diese Debatte einsteigen. Nach »woker« Begrifflichkeit kann eine im Iran oder in Pakistan aufgewachsene Frau sagen, dass sie einiges durchgemacht hat, weil sie Frau ist, und ein 130-Kilo-Bodybuilder aus einer westlichen Großstadt, der sich seit einer Woche »als Frau identifiziert«, kann ihr mit »ich auch« antworten – und, mit Verlaub, meine Begriffe tragen da nicht, um es sehr höflich auszudrücken.

Es ist ein Theater, das uns da vorgespielt wird. Es geht um Macht, es ist absurd – doch eines bleibt offen: Als welche Gattung von Theater deuten wir es?

Ist es Komödie? Ist es Tragödie? Ist es episches Theater für Lehrer, Lehrerkinder, und alle, die sich als das eine oder das andere »fühlen«?

Die ganze Welt ist eine Bühne, und wir sind alle nur Schauspieler, und doch verschnaufen wir bei der einen oder anderen Szene, und wir schauen zu, und dann stellt sich die Frage: Sitzen wir immerzu nervös da, nach vorn gebeugt, die Hände ringend? Oder lehnen wir uns auch mal zurück und wagen es, über all die Absurdität ein wenig zu lächeln?

Machen wir uns nichts vor: Monty Python’s Life of Brian würde heute nicht mehr gedreht werden können, zumindest nicht so – nein, nicht die Witze über das Christentum wären wohl das Problem – als Erstes würde wohl eher die berühmte Szene mit »Loretta« den Zensoren und Ideologiewächtern zum Opfer fallen (bei YouTube nach ihr suchen). Gottes Sohn (oder der, den die Leute im Film dafür halten) mit nacktem Penis? (Kein Problem, wenn es der christliche Jesus ist, bei dem einer anderen Religion, wäre es wohl ein Riesenproblem, auch wenn er da »nur« ein Prophet ist.) Aber Witze über einen Mann der »Loretta« sein möchte? Unmöglich! (Wichtig: Ich bin kein Anti-Lorettist! Ich habe nichts gegen Loretta! Einer unserer besten Freunde, äh, eine unserer besten Freundinnen heißt Loretta!)

Die ganze Welt ist eine Bühne, und am Ende stapeln sich die Leichen auf der Bühne, ob sie sich selbst oder einander nun erstechen oder vergiften, doch sollte bis dahin nicht erlaubt sein, den alten wie neuen Puritanern zu trotzen und mit den Augenwinkeln zu zucken?

Zwei Fehler

Ich halte die neue »woke« Dogmatik für gefährlich und zugleich für grandiose Zeitverschwendung – während wir uns streiten, ob eine Rose eine Rose ist oder vielleicht doch ein Kaktus, wird in anderen Teilen der Welt geforscht und programmiert, geplant und getan.

Ich halte das innere Leid der Menschen, die sich »im falschen Körper« geboren fühlen, für real und ich bin mir recht sicher, dass ihr Leid durch die Fake-Unterstützung fake-linker PR-Profis ihr Leid vergrößern wird – und zu viel weiterem Leid »nebenbei« führen wird, etwa zur Rückabwicklung der weiblichen Emanzipation.

In diesen Szenen unseres Theaterstückes sehe ich zweierlei, das es zu vermeiden gilt: Der eine Fehler besteht darin, das Leben nicht ernst genug zu nehmen – der andere darin, das Leben allzu ernst zu nehmen.

Weiterschreiben, Wegner!

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