Wir sind Beifahrer und das Auto fährt, und es fährt schnell. Wir schauen aus dem Fenster. Die Welt dreht sich wild um uns, uns wird flau im Magen und etwas ängstlich sind wir dann doch. Wir sehen auf den Mann am Steuer (es könnte auch eine Frau sein, in dieser Metapher, wir sind ja moderne Leute), und der Autolenker dreht das Lenkrad mal wild in diese Richtung und dann in jene, mal drückt er das Gas durch, mal mit Gang drin und mal ohne, mal tritt er die Bremse durch, mal jault der Motor auf und mal geht der Motor röchelnd aus, vor allem aber schleudert das Fahrzeug mal in diese Richtung und mal in jene.
Es ist eine Landzunge, eine schmale Halbinsel, auf die uns der wildgewordene Autofahrer manövriert hat, und auf der wir nun umher kurven. Nach drei Seiten hin geht die Halbinsel in steile Klippen über, steil und scharf nach unten, und wenn man über diese Klippen drüber führe, ginge es bergab, ins Meer, das Millionen Jahre vor uns an diese Klippen rollte, ins Meer, dass Millionen Jahre nach uns noch schäumen wird, zischen und an die Klippen heranrollen.
Wenn der Autofahrer wieder mal auf die Klippen zusteuert, weisen wir ihn darauf hin, und wir warnen ihn, und wir bitten ihn umzudrehen, weg von den Klippen, zurück zum Festland, zur Vernunft und zur Sicherheit. Wenn der Autofahrer uns überhaupt wahrnimmt, blafft er uns wüst an: »Du wünschst es dir wohl, dass wir da hinunterfallen!«
»Schau doch, wohin das Auto ausgerichtet ist«, mahnen wir, doch der Autolenker beschimpft uns nur, das mit den Klippen sei alles nur Panikmache.
Wir gewinnen den Eindruck, dass der Autolenker nicht nur sehr erratisch lenkt, sondern auch noch schrecklich kurzsichtig ist. Er will dieses Auto lenken, um jeden Preis, und dass er es nicht so gut kann, ist für ihn kein Grund, es nicht zu tun.
Aus Erfahrung wissen wir bereits, dass dieser Autofahrer bislang kurz vor den Klippen das Auto stets doch noch herumgerissen hat, doch wir wissen auch, dass er nichts, aber auch gar nichts daraus gelernt hat – und dass wir ihn stets davor warnten, ist für ihn kein Grund, auf uns zu hören – im Gegenteil.
Der Autofahrer ist nicht nur schwer kurzsichtig, er ist auch nicht fähig, sich auch nur die Möglichkeit vorzustellen, dass das Schleudern und die wiederholte Klippennähe an ihm liegen könnten.
Alles was wir als Beifahrer (und »eigentlich« auch Eigentümer!) jenes Automobils uns wünschen, wäre doch, dass die Fahrt etwas ruhiger würde, dass die Fahrt von den tödlichen Klippen weg und zurück zum sicheren Festland ginge.
Sollen (und: wollen) wir selbst das Steuer übernehmen? Das ist nicht so einfach. In diesem Auto ist die Fähigkeit, ans Steuer zu kommen, eine ganz andere als jene, das Steuer auch sicher zu bedienen – und die erstere Fähigkeit beherrscht der erratische Schleuderfahrer unbezweifelt vorzüglich. Soll man aussteigen, auch bei voller Fahrt? Vielleicht, aber was wenn unser Herz an diesem Auto hängt, weil es unser Auto ist, weil wir und unsere Vorväter so viel in dieses Auto investierten?
Was tun, lieber Beifahrer?
Hoffnung – und Beschwerden ob des Geruchs
Zwei große Kriege sind es, die unsere »Autolenker« heute führen, soweit wir es am Kriegslärm abschätzen können, und ein dritter Krieg steht bevor, und dieser könnte die zuvorgehenden Kriege zu wenig mehr als Scharmützeln deklassieren.
Der eine Krieg der geführt wird – und wir diskutieren hier nicht nochmal die Notwendigkeit, ist der gegen »das Virus«. In Deutschland wird aktuell angedeutet, dass die sogenannten »Kontaktbeschränkungen« bis zum 10. Mai verlängert werden (bild.de, 30.4.2020). Es wäre müßig, noch Vermutungen darüber anzustellen, wer sich daran halten wird und wer nicht – wo es mit Staatsgewalt durchgesetzt werden wird… und wo eben nicht.
Im Essay vom 13.2.2020 erwähnte ich den Propheten Jonah, und man könnte heute nach mancher Ansicht in Deutschland den »Jonah-Effekt« beobachten: Der Mahner und Prophet, dessen Mahnung befolgt und das Unheil abgewehrt wurde, steht mit leeren Händen da – er hat in jedem logisch möglichen Szenario emotional verloren.
Und ja, einige Nachrichten wirken wie Lichtblicke, es gibt gute Nachrichten. Im Essay »Wir, die Kunden der Rettungsringdealer« erwähnte ich die Nachrichten aus Südkorea, wonach Patienten sich erneut zu infizieren schienen – mittlerweile wird vermutet, dass diese Testergebnisse »false positives« waren, was die Hoffnung auf mögliche »Herdenimmunität« stärkt (koreaherald.com, 29.4.2020). Dem gegenüber hören wir, dass Kinder wahrscheinlich genauso ansteckend sind wie Erwachsene (bild.de, 30.4.2020), und dass man die Auswirkung des Virus auf Kinder in Wahrheit noch gar nicht absehen kann (n-tv.de, 29.4.2020: »Kinderärzte beobachten mysteriöse Krankheit«), wir hören, dass in NRW die Schulen wieder geöffnet werden (siehe auch »Windstöße auf schmaler Brücke« vom 17.4.2020), und dass es den ersten Fall einer infizierten Schülerin in Köln gibt (bild.de, 30.4.2020: »Das Mädchen war vergangenen Donnerstag wieder zur Schule gegangen – drei Tage später bekam sie die Diagnose: Corona!«).
Noch immer verläuft die Pandemie in und für Deutschland vergleichsweise »mild« – die USA zählen aktuell etwa 60.000 Tote, aus New York (regiert vom Trump-Hasser Andrew Cuomo) hört man etwa die Meldung von Leichen-LKWs vor einem Begräbnis-Institut, mit 100 Leichen an Bord, und Nachbarn, die sich über den Geruch beschweren (abcnews.go.com, 30.4.2020).
Linke diverser Intensität
Doch, das Virus ist nicht der einzige »unsichtbare Feind«, gegen den heute »von denen da oben« gekämpft wird!
Die Behörden haben, halb verdeckt durch den Schatten des Kampfes gegen das Virus, auch den Kampf gegen diverse »störende Ideen« verschärft.
(Wichtige Vorab-Notiz: Wenn ich die folgenden Schlachtfelder liste, gebe ich dadurch kein Werturteil über die einzelnen Themen ab, weder in die eine noch in die andere Richtung. Ich weiß, dass heute das Deskriptive vom Präskriptiven nicht immer unterschieden wird.)
Im Essay vom 17.2.2020 berichtete ich vom Antrag der AfD im Bundestag auf ein Verbot der Hisbollah. Er wurde abgelehnt – und sechs Monate später wieder von »guten« Parteien in den Bundestag eingebracht. Ende April 2020 hat das Innenministerium die Hisbollah in Deutschland tatsächlich verboten, und unmittelbar vor dem Verbot einige Moscheen und weitere Räumlichkeiten durchsucht, um Beweismittel sicherzustellen (siehe etwa tagesspiegel.de, 30.4.2020). Auch wenn wir dieser Maßnahme zustimmen, bleibt es ein Fakt, dass hier gegen Ideen gekämpft wird – und es sind nicht die einzigen Ideen, gegen die in den Krieg gezogen wird, und in anderen Fällen sind die »Fronten« weit weniger klar.
Ja, ich bin dafür, die Hisbollah in Deutschland zu verbieten – meine Frage ist vielmehr: Was sagt es uns, dass man bis zur Coronakrise wartete, um es durchzuziehen? Es ist ja nicht der einzige Schlag gegen »falsche Meinungen« (Zitat Grosse-Brömer, CDU)…
In Deutschland tut sich eine Allianz im Geiste auf, die man vor einiger Zeit noch nicht für denkbar gehalten hätte, die jedoch erschreckend konsequent wirkt: Linke diverser Intensität jubeln über aktuelle Entscheidungen des Verfassungsschutzes. Unter Maaßen-Nachfolger Haldenwang (wie Maaßen ein CDU-Mitglied) hat der Bundes-Verfassungsschutz angekündigt, das »Institut für Staatspolitik« (IfS) um Götz Kubitschek zu beobachten (siehe etwa das inoffizielle Parteiorgan der Grünen: taz.de, 23.4.2020, oder das ehemalige offizielle Parteiorgan der SED: neuesdeutschland.de, 23.4.2020). In der Begründung wird angegeben, wenn ich es richtig verstehe, das IfS versuche »in den politischen Raum einzuwirken und seine ideologischen Ziele auf diese Weise durchzusetzen« (jungefreiheit.de, 28.4.2020) – nein, so etwas sollte man wirklich nicht zulassen.
Laut dem Tweet des SPD-Politikers Helge Lindh (@helgelindh, 23.4.2020) besuchte der Chef des Verfassungsschutzes den Abgeordneten, nachdem vermutlich Linksextreme die Scheiben seines Büros beschädigt hatten – und sagte »weitere Konsequenz im Kampf gegen Rechtsextremismus« zu (wir wundern uns längst nicht mehr über solche »Logik«), ein Versprechen, was Lindh ausdrücklich in der Beobachtung des IfS als »gehalten« ansieht. (Der »Kampf gegen Rechts« ist die Schlussfolgerung, die sich aus allem zu ergeben scheint.) Nennen Sie mich altmodisch, aber ich finde, der Verfassungsschutz sollte nicht wie der nachrichtendienstliche Arm der beiden Regierungsparteien wirken.
Noch einmal: Daraus, dass ich hier die Fälle des »Kampfes gegen Ideen« im Schatten des Kampfes gegen ein Virus liste, folgt keine Bewertung dieser Ideen selbst. Es ließen sich auch diverse weitere Beispiele des Kampfes gegen Ideen listen. Da wäre etwa der Fall des Bremer Pfarrers Olaf Latzel, der seit einiger Zeit das Ziel linker Angriffe ist (bild.de, 4.4.2020) – und gegen den laut butenundbinnen.de, 25.4.2020 nun vom Staatsschutz ermittelt wird, sarkastisch gesagt: weil er die Aussagen der Bibel wörtlicher nimmt als heute politisch opportun ist.
Wenn die Deutsche Regierung und die Behörden den Kampf um gute Bildung und die Zukunftsfähigkeit des Landes auch nur ein Hundertstel so enthusiastisch angingen wie den Krieg gegen »falsche Meinungen«, wären wir technologisch bei der Weltspitze dabei – so sind wir es eher bei der Abgabenlast (welt.de, 11.4.2019).
Wie argumentiert man?
Wir wissen, woraus sich die Motivation im Kampf gegen das China-Virus speist: die Sorge, dass die Zahl der Infektionen einen exponentiellen Verlauf nimmt und Krisenlagen wie in Wuhan, Nord-Italien, Madrid oder New York entstehen.
Woraus aber motiviert sich der Kampf gegen Ideen? Nun, es ist unterschiedlich. Warum die Hisbollah verboten werden muss, sollte nicht näher begründet werden müssen (siehe Wikipedia zu Hisbollah). Da stimmen wir zu.
Was aber motiviert den immer aggressiveren Kampf und den sich nicht jeden Tag demokratisch anfühlenden Krieg gegen Rechts? Man könnte diverse Theorien aufstellen, von denen einige wie »Verschwörungstheorien« klingen – doch was wenn die Wahrheit noch verstörender ist als die wildeste Verschwörungstheorie?
Der Präsident des Landes-Verfassungsschutzes Niedersachsen, erklärte jüngst:
Der heutige #Tatort zeigt, dass #Extremismus & #Rassismus leider in der Mitte der Gesellschaft angekommen sind. Das Problem #Rechtsextremismus wird noch immer als „männl.“ Problem wahrgenommen. Doch auch Frauen können extrem sein! (@BWitthaut, 26.4.2020)
Da der Twitter-Account @BWitthaut regelmäßig vom verifizierten Account @LfV_Ni retweeted wird, gehe ich davon aus, dass er echt ist, auch wenn es nach Satire klingen könnte.
Wie argumentiert man gegen Behördenvertreter, die ihre politischen Meinungen aus schlecht geschriebenen Krimifilmen ableiten? Man kann es nicht. Einige derer, denen das Lenken des »Autos Deutschland« anvertraut ist, scheinen einen recht wilden Schleuderkurs zu fahren, so von der Argumentationslogik her, mit Vollgas und gefährlichen Werkzeugen.
Praktisch ohne Widerstand
Im Schatten des Krieges gegen das Virus wird ein zweiter Krieg geführt, ein Krieg gegen Ideen. Manche dieser Schlachten sind nachvollziehbar und längst überfällig, andere wirken eher »unkonventionell«, ähnlich vielleicht wie es »unkonventionell« wäre, aus einem schlecht geschriebenen Propaganda-Filmchen die Notwendigkeit des Kampfes gegen Abweichler abzuleiten.
Deutschland fährt einen wilden Schleuderkurs. Die da oben führen aktuell (mindestens) zwei Kriege, einen gegen das Virus und einen gegen falsche Meinungen.
Ein dritter Kriegsschauplatz wird sich ergeben: Der Kampf gegen den wirtschaftlichen Absturz. Für über 10 Millionen Arbeitnehmer in Deutschland wurde aktuell bereits Kurzarbeit beantragt – die Folgen, so fürchten Fachleute, werden insgesamt übler werden als die Finanzkrise von 2008 (bild.de, 30.4.2020).
Ich weiß nicht, wie Merkel und die Behörden weiter verfahren werden. Je länger die Bevölkerung vom Kampf gegen das Virus abgelenkt ist, umso länger kann der Kampf gegen falsche Meinungen praktisch ohne Widerstand geführt werden (und schon zuvor gab es erschreckend wenig wirksame Gegenwehr).
Das Auto Deutschland schleudert gefährlich, mal weist es in Richtung Klippen, mal im letzten Moment von diesen weg.
Uns wird etwas flau, und das zeigt immerhin, dass unser Gleichgewichtssinn noch funktioniert – immerhin das.
Sicher ist sicher (hoffentlich)
Was also tun? Was können wir uns selbst, den Beifahrern im wild schleudernden Auto, heute raten?
Geht nicht vom besten Szenario aus. Zweckoptimismus sollte einem realistischen Zweck dienen, sonst ist es kein Optimismus, sonst ist es etwas ganz anderes.
Im gleichen vorsichtigen Geiste: Geht nicht vom schlimmsten Szenario aus, doch so weit es in eurer Macht und Möglichkeit steht, bereitet euch darauf vor, dass es doch eintreten könnte – sicher ist sicher (hoffentlich).
Wenn die Leute am Lenkrad unser Auto mal in eine gute Richtung lenken, dann lasst uns sie loben, so wie wir sie kritisieren, wenn sie wieder mal in Richtung des tödlichen Abgrunds driften. Deren Interesse ist zuerst ihre Macht, vielleicht kann es uns ja gelingen, auch über den Tag hinaus deren Machtinteresse mit unserem Interesse am Überleben, körperlich wie wirtschaftlich, (wieder) in Einklang zu bringen.
Und dann, wenn das Abwendbare abgewendet und der Rest einkalkuliert ist: Atmet tief ein, atmet durch, ordnet eure Kreise.
Ich schreibe diesen Text am letzten Tag des Monats April im Jahr 2020. Ein Drittel des Jahres 2020 ist durchgestanden. Was soll schon noch groß passieren?