29.08.2018

I’ve Seen the Future, Baby!

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Foto von Duncan Kidd
War Chemnitz nur der Anfang? Leser schreiben mir, dass sie Angst vor Bürgerkrieg und Notstandsgesetzen haben. Leonard Cohen sang: »I've seen the future, baby, it is murder.« – Ich muss heute daran denken.
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Der flüchtige Hörer kennt Leonard Cohen von dessen Hallelujah. Manche kennen das Hallelujah in der Version von Jeff Buckley, und der ein oder andere Kenner erfreut sich am Hallelujah im Vortrag von Puddles Pity Party.

Cohens beruhigende Melodien und Akkorde, der Herzschlagrhythmus und die basslastige, raue Stimme Cohens (»golden gravel«), die weit ausholende Poesie und die sprachgewaltigen Metaphern, die Appelle an die Liebe und die äußere Suche nach innerem Frieden, all diese Elemente zusammen könnten – sollen sie es gar? – über einige düsteren Analysen und Vorhersagen in Leonard Cohens Texten hinwegtäuschen.

In diesen Tagen ertappe ich mich dabei, wie ich beim Lesen der Nachrichten unbewusst brumme: »I’ve seen the future, baby – it is murder!«

Schon wieder ein Mensch

In Chemnitz demonstrieren Menschen dagegen, ermordet zu werden. Es haben sich auch die Herren von Rechtsaußen daruntergemischt. Einheimische berichten, dass einige von jenen extra »zugereist« sind, etwa aus dem Harz. Am Sonntag war ein Mensch abgestochen worden. Zwei »junge Männer« wurden verhaftet.

Regierung und regierungsnahe Medien versuchen, die Aufmerksamkeit auf die Rechtsaußen-Demonstranten zu lenken, weg vom Opfer. Dass schon wieder ein Mensch gestorben ist, dass mehr und mehr Blut an den Händen der Gutmenschen klebt, das hat sonst nur »regionale Bedeutung« – doch wenn es darum geht, zu zeigen, wie schlimm die Sachsen sind, dann sind der Tagesschau sogar die Bilder von »Antifa Zeckenbiss« gut genug (siehe z.B. @FranKee_HH).

Im Text Das Land zerbricht habe ich geschrieben:

Es bricht auseinander. Wenn es keinen anderen Grund gäbe, zu protestieren und laut zu sein gegen die deutsche Regierung und das Berliner Narrativ, dann diesen: Das Land bricht auseinander. Ein Topf kocht nicht plötzlich und ohne Warnung über, außer natürlich man ließ ihn unbeobachtet, doch auch dann gab es ja Warnungen, man sah sie nur nicht. Bevor der Topf überkochte, stiegen Blasen hoch. Das kochende Wasser sprudelte und zischte, und dann war es schon zu spät.

Leonard Cohen singt:

Things are going to slide, slide in all directions
Won’t be nothing
Nothing you can measure anymore
– L. Cohen, The Future

Übersetzung: »Die Dinge werden ins Rutschen geraten, sie werden in alle Richtungen rutschen. Es wird nichts mehr da sein, das du noch messen kannst.«

Wer glaubt denn noch dem Gemessenen, den Statistiken, den Umfragen? Erinnern Sie sich an die Umfragen, nach denen Hillary Clinton mit über 100% »Sicherheit« die nächste US-Präsidentin werden würde? Sie waren vielleicht von viel Wunschdenken begleitet, doch sie waren nicht gefälscht – wenn die Dinge ins Rutschen geraten, ist eben nichts mehr (zuverlässig) messbar. Wir dürfen auf die nächsten Wahlen gespannt sein.

There is a war between the rich and poor
A war between the man and the woman
– L. Cohen, There is a War

Übersetzung: »Es herrscht ein Krieg zwischen Arm und Reich, ein Krieg zwischen dem Mann und der Frau.«

Als wir früher vom Krieg der Reichen gegen die Armen sprachen, hatten wir keinen Schimmer, dass er sich so gestalten würde: Reiche Leute überzeugen Politiker, superarme Leute ins Land zu holen, und die wetteifern mit den eigenen armen Leuten um die Arbeitsplätze – und um die Plätze an der Tafel. Doch, es gibt Begleiterscheinungen: Ein Krieg, den wir überwunden zu haben glaubten, bricht neu aus: gewisse Männer gegen Frauen, gewisse Frauen gegen Männer.

Es gibt sie, die Beschwichtiger und Journalisten, die mit Geld und Orden gepäppelt werden, und sie scheinen zu sagen, die Toten seien nicht so schlimm, das wahre Problem seien die Reaktionen auf die Morde – das Lied geht weiter:

There is a war between the ones who say there is a war
and the ones who say that there isn’t
– L. Cohen, There is a War

Übersetzung: »Es herrscht Krieg zwischen denen, die sagen, es herrsche Krieg, und denen, die sagen, es herrsche keiner.«

Die Reichen führen eine Art von Proxy-Krieg, indem sie die Armen Europas gegen die Armen Afrikas ausspielen. Wir wickeln Feminismus und Emanzipation wieder ab, wie brechen auseinander, was so mühevoll zusammenzufinden suchte, weil die Reichen und Mächtigen es so wollen. Wir sprachen oft vom großen Graben, der unsere Gesellschaft spaltet, und es ist eine erschreckend präzise Metapher: Der Meinungskrieg ist auch ein Krieg zwischen denen, die sagen, es herrsche eine Art von Krieg (der »Kampf der Kulturen«, wenn Sie so wollen), und denen, die sagen, es herrsche keiner.

Nolens Volens

Chemnitz ist auch heute nicht die einzige Bruchstelle der Gutmenschrepublik. In NRW brauchte es 350 Polizisten für eine Razzia gegen Schleuser und Urkundenfälscher (siehe z.B. rp-online.de, 29.8.2018). Die Polizisten tun ihr Bestes, die Unordnung in den Griff zu bekommen. Sie führen die Täter dem Justizweg zu (und sind privat wahrscheinlich nicht weniger frustriert als der Rest der Bürger, wenn Richter in »Kuschelurteilen« die Täter wieder laufen lassen). Heute in den Nachrichten: Ein 18-jähriger Afghane hat im März eine 17-Jährige erstochen, und nun wurde sein Gerichtstermin für den 4. September festgelegt (tag24.de, 28.8.2018). Sechs Verhandlungstage. Können die Behörden aufhalten, was so mächtige Kräfte nolens volens zu befeuern scheinen? Ich bin dankbar, dass sie es versuchen!

Zu trauern aufhören

Die Bürger sind in Sorge, und anders als linksgrüne Snobs bin ich der Meinung, dass Besorgtsein kein Zeichen von Bosheit ist, sondern von Realismus.

Meinungsmacher gießen Öl ins Feuer, als wollten sie geradezu, dass es schlimm wird, dass etwas wie Bürgerkrieg ausbricht. Ein Leser schreibt mir, dass er neue Notstandsgesetze fürchtet.

Kritik an der Regierung wird ja bereits in millionenteuren Kampagnen als »Hetze« und »keine Meinung« diffamiert. Vollständig legale Kritik wird mit tatsächlich illegalen Äußerungen zusammengefasst und eine Atmosphäre der Angst vor der eigenen Meinung geschaffen. Wird es der nächste Schritt sein, öffentliche Trauer um Verwandte und Nachbarn als generell »rechtsextrem« zu kategorisieren und zu verfolgen?

Immer wieder hört man: Hätte es nicht den Aufmarsch der Rechtsaußen gegeben, wäre der Tod von Daniel H. (der laut Leuten, die ihn kannten, übrigens »eher links« war, siehe z.B. faz.net, 28.8.2018) nur einer von vielen Toten von »nur regionaler Bedeutung« gewesen (oder wie es in der kalten Bürokratensprache des Staatsfunks heißt: ein »Tötungsfall«, siehe blog.tagesschau.de, 18.8.2018).

Nichts aber auch gar nichts rechtfertigt es, den Arm zum Hitlergruß zu heben (siehe bild.de, 27.8.2018). Gerade deshalb: Wenn Medien so tun, als ob die vielen tausend Chemnitzer, die aus Trauer und Angst demonstrieren, alle mit den rechten Spinnern gleichzusetzen wären, was erhoffen sie sich? Dass plötzlich all die Trauernden zu trauern aufhören, aus Angst »Nazi« genannt zu werden? Seid ihr sicher? Könnte es sein, dass die sich eher auf die Seite der wirklich Bösen schlagen – denn das, was von Berlin aus passiert erscheint ihnen als das noch größere Übel?!

Es mag Menschen geben, die aus politisch korrekter Verblendung sich für Merkel messern lassen – in Sachsen sind sie seltener als anderswo. Welche Reaktion erhoffen sich die linken Öl-ins-Feuer-Gießer also? Wollen wir hoffen, dass es nicht noch mehr Gewalt ist, die sie wollen, wollen wir es wirklich hoffen.

Bevor es wahr wird

Wer ist mehr zu bedauern? Der Prophet, der stirbt, bevor wahr wird, was er androhte – oder der Prophet, der lange genug lebt, selbst zu erleben, dass es wirklich nicht nur den Himmel, sondern auch die Hölle auf Erden gibt?

In Deutschland sterben Menschen, unnötig, auch an importierter Gewalt. Unordnung breitet sich aus wie Krebs. »There’ll be the breaking of the ancient western code«, singt Cohen in The Future. Es sind die letzten Tage des Westens – zumindest des Westens, wie wir ihn mit Blut erkämpft, mit Schweiß aufgebaut und mit kindischem Vertrauen geliebt hatten.

Einen Riss, einen Riss

Don’t dwell on what
has passed away
or what is yet to be.
(…)
Ring the bells that still can ring
Forget your perfect offering
There is a crack, a crack in everything
That’s how the light gets in.
– 
L. Cohen, Anthem

Übersetzung: »Beharre nicht auf dem, was vergangen ist, oder auf dem, was kommen wird. (…) Lass die Glocken klingen, die noch klingen können. Es ist ein Riss, ein Riss in allem. Das ist, wie das Licht hineinlangt.«

Der Riss in der Gesellschaft, der sich mit jedem Opfer und jeder Gewalttat weiter auftut, er ist Schmerz und Wunde und die Klippe an der wir zerschellen können. Nur eines ist gut daran: Das potemkinsche Weltbild der staatlichen Wahrheitsmaschine zerbricht, fällt um, geht in heißen Flammen auf; indem es aber zerbricht, fällt es leichter, zu sagen, woran es zerbricht: an der Realität.

Das akkurate Reden von der Realität ist Wahrheit.

Mit jedem Riss, den das Land bekommt, bekommt auch das linke Lügenweltbild neue Risse.

Es geht ein Riss durch Deutschland, das ist wahr, doch je weiter sich der Riss öffnet, umso deutlicher scheint die Wahrheit durch. Das, immerhin das, ist gut.

Weiterschreiben, Dushan!

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