Dushan-Wegner

12.12.2019

Die Warteschlangen-Hopper

von Dushan Wegner, Lesezeit 7 Minuten, Bild von Andrew Neel
China blickt längst über Tellerrand von E-Autos hinaus – während Merkel-Land voll einsteigt. Deutschland ist wie ein Warteschlangen-Hopper, der sich immer wieder neu hinten anstellt, während andere durch die Kasse gehen. Denkt voraus und entscheidet euch!
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Es sind manchmal die kleinen Gewohnheiten, die uns selbst verraten, was das für Leute sind, die in unserer Haut herumlaufen. Zahlen Sie Rechnungen sofort, an Ihrem privaten wöchentlichen Buchhaltungstermin, am allerletzten Tag – oder erst nach ein bis drei Mahnungen? Trinken Sie Ihren Kaffee schwarz wie die Nacht und heiß wie die Hölle – oder mit so viel Sahne und Zucker, dass Sie den Kaffee samt Tasse am Löffel hochheben könnten?

Und, extra verräterisch: Wenn Sie in einer Schlange stehen, etwa im Supermarkt, und wenn Sie dann sehen, dass die Nachbarschlange schneller vorankommt, wechseln Sie dann mit Ihrem Einkauf die Schlange? Und wenn Sie dann feststellen, dass wiederum eine andere Schlange schneller vorankommt, wechseln Sie wieder? Wenn ja, wie oft?

Es muss ja nicht die Schlange im Supermarkt oder in der Bank sein, Ähnliches gilt ja auch im Auto-Stau: Gehören Sie zu den »Spur-Hoppern«, welche die Spuren wechseln wie Frogger auf Amphetaminen, oder entspannen Sie sich, während Verkehr und Lebenszeit an Ihnen vorbeiziehen?

Die erste und zuerst sachliche Frage ist natürlich, ob es sinnvoll ist, die Schlange zu wechseln. (Seth Godin schlägt vor, in »The Dip«, glaube ich, maximal einmal zu wechseln.) Die zweite und große Abschlussfrage unserer entsprechenden Selbstbetrachtung ist jedoch – Sie ahnen es: Was sagen unsere Schlangenwechselgewohnheiten über uns selbst aus?

Was tut China derweil?

Deutschland und »der Westen« definieren sich – eigentlich und so wurde es uns gelehrt – als freiheitliche Demokratien mit (mehr oder weniger sozialer) Marktwirtschaft. Es ist also bemerkenswert – man könnte aber auch sagen: hochgradig alarmierend – mit welcher Selbstverständlichkeit heute in westlichen Demokratien die Leistungen und Entscheidungen des sozialistischen China gerade bei Innovation und Zukunftskompetenz als Vorbild erwähnt wird (auch von mir, siehe etwa »Künstliche Intelligenz und Mäusespeck«).

Im typischen nachlaufenden Populismus des für diese Ära typischen latent postdemokratischen Regierungsstils wird die Koalition aus Merkel und Wer-gerade-bei-der-SPD-den-Chef-spielt nun E-Autos fördern (siehe etwa faz.net, 31.7.2019: »Regierung baut E-Auto-Förderung aus«).

Und was tut China derweil?

Nun, wir lesen aktuell: »China erwägt teilweise Abkehr vom Elektroauto« (focus.de, 11.12.2019) – China wird, so die Berichte, seine Förderung für E-Autos auslaufen lassen. Entsprechende Quoten für »New Energy Vehicles« sollen auch für andere Energieformen gelten, also etwa Wasserstoff, Methanol und andere künstliche Kraftstoffe.

Volkswagen hat sich derweil ganz auf E-Autos als nächste Antriebstechnologie ausgerichtet – vielleicht sollte der politiknah wirkende Autokonzern sich weniger mit Diesel-Messwert-Spielereien und »Zeichen setzen« gegen die Opposition beschäftigen, und mehr mit dem, was wirklich die nächsten Technologien sein werden.

Was X eigentlich sagte

Das populistische Gehopse von Merkel und Co. ähnelt dem Menschen in der Supermarktkasse, der immer und immer wieder die Warteschlange wechselt, wenn er sieht, dass diese oder jene sich gerade bewegt.

Das logische und das sich aus der Logik der Sache ergebende praktische Problem ist, dass man sich beim Schlangenwechsel in der Regel jedes Mal aufs Neue hinten anstellen muss. Deutschland ist wie ein Surfer, der sich in die Welle wirft, wenn diese längst schäumt und bald auf dem Strand aufschlägt. Es wirkt wie eine Parodie, wenn 2019, also eineinhalb Jahrzehnte nach dem Start von Facebook, in Deutschland gefordert wird, mit GEZ-Zwangsgebühren eine Art »VEB Social Media« zu bauen (wie zu erwarten von Grünen, siehe t-online.de, 8.11.2019, und der umbenannten SED, siehe stuttgarter-zeitung.de, 27.11.2019).

Eine alte Beraterweisheit besagt, den Eishockey-Halbgott Wayne Gretzky zum Zeugnis rufend, man solle nicht dorthin fahren, wo der Puck ist, sondern dorthin, wohin er sein wird. In dieser Metapher bleibend übt sich Deutschland darin, dorthin zu fahren, wo der Puck vor drei Spielzügen war. In Filmen ist es eine zuverlässige Humor-Quelle, die Reaktion auf ein Ereignis verzögert stattfinden zu lassen, sei es um eine Minute oder ein Jahrzehnt (X sagt etwas, das eine heftige Reaktion auslösen sollte, Y reagiert erst nonchalant oder gar nicht, um dann zu spät »einzufrieren«, begreifend, was X eigentlich sagte. Joey Tribbiani von Friends war meisterhaft darin, wie auch in der Kunst der komödiantischen Reaktion allgemein (siehe YouTube!), doch was in der TV-Soap zum Schreien lustig ist, das ist gleich viel weniger lustig, wenn die eigene Regierung es treibt.

Um es besser zu tun

Wenn wir nun also festgestellt haben, dass Deutschland mit dem Warteschlangen-Hopper zu vergleichen sei, der sich immer wieder neu ganz hinten anstellt, oder von mir aus mit einem etwas langsameren Urlauber, der die Badehose einzupacken beginnt während der Flieger längst in der Luft unterwegs in sonnige Gefilde ist, wenn wir nun also diese Metapher erfolgreich angewendet haben, dann stellt sich noch immer die Frage: Was lernen wir daraus? Was tun, um es besser zu tun?

Ich weiß nicht, was und wie man deutschen Meinungs- und Politikmachern raten könnte oder sollte – der Zeitgeist ist »links« und »links« bedeutet heute, zu sagen, »was man hören will«, und die teils verheerenden Folgen des eigenen Handelns zu ignorieren (oder die Schuld an diesen sogar denen zuzuschreiben, die davor warnten). Heutige sogenannte »Linke« ignorieren die Konsequenzen ihrer Handlungen und ihr Denken ist auf das Bauchgefühl im Moment der Forderung beschränkt – also werden sie das tun, was sich jetzt »gut anfühlt«. Das bedeutet eben auch, auf Technologien aufzuspringen, die bis gestern noch als »innovativ« galten, oder Internet-Lösungen zu kopieren, die vor eineinhalb Jahrzehnten in Kalifornien erfunden wurden, et cetera.

Merkel und ihren Getreuen in Politik und Staatsfunk ist wenig zu raten – es ist kein Geheimnis, dass erstere immer mehr in ihrer eigenen Wahrnehmungsblase lebt, während letztere sagen, was man sagen muss, um auch morgen noch seine Brosamen vom Steuern- und Zwangsgebührenkuchen abzubekommen.

Kann man einem Land beibringen, nach vorne zu denken statt aus Gewohnheit nur auf das Gefühl des Augenblicks zu reagieren? Man könnte es, ja, theoretisch – doch wenn man linksgrüne Lehrerschaft, linksgrüne Professoren, einen in Reih und Glied redenden Staatsfunk, ungezählte NGOs mit tiefen Taschen und dazu direkte Propaganda-Programme von Ministerien gegen sich hat, dann ist es nur wenig realistisch. (Dafür aber ist es außerordentlich, was freie Medien heute für die neue Aufklärung leisten!)

Beinahe revolutionär

Merkels Taktik ist es, seit über einem Jahrzehnt nun, zu sagen und zu tun, was gestern aktuell war, und der Staatsfunk hilft, dass es bislang stets für den Machterhalt reichte – da ist nicht viel Veränderung zu erwarten. Die Frage ist, ob und wie wir selbst uns von dieser verheerenden Gewohnheit abkoppeln können. Wenn man die Guten und Gerechten gewähren lässt, wird Deutschland zum Freilichtmuseum der Technikmodengeschichte werden. Man würde ja den Scherz machen, dass wenn Sozialisten ein Modegeschäft aufmachen würden, sie plakatieren könnten: »Was letztes Jahr im Westen modern war« – doch so war es ja tatsächlich, und das im sehr guten Fall.

Falls es einen dritten Ansatz gibt, der Zukunft zu begegnen, möge man ihn mir nennen, doch ich kenne nur folgende beide: Der eine Ansatz ist der  von Merkel und Sozialismus, aktuelle und etwas ältere Trend des Westens halbherzig und mit einiger Verspätung zu kopieren (auch in der DDR hatten sie Computer…) – der andere Ansatz besteht darin, selbst zu denken, selbst die Linien realistisch nach vorne zu zeichnen, selbst den Fakten und Tatsachen ins Gesicht zu sehen – was womöglich in China in einigen Bereichen sogar realistischer gelingt als im linksideologischen Westen, wer weiß?

Wenn Deutschland weiter Merkel und Staatsfunk folgt, wird es auch weiter immer wieder die Warteschlangen wechseln, sich immer wieder hinten anstellen. »Überholen ohne einzuholen« hieß es einst in der DDR, von Ulbricht und anderen – bei Fahrten durch die Serpentinen des Weltgeschehens ist »überholen ohne einzuholen« eine Taktik, die exakt das Ergebnis erwarten lässt, das wir erlebt haben – und wohl wieder erleben werden.

»Wer zu spät kommt, den bestraft das Leben«, so hörten wir von einem anderen berühmten Kommunisten. Wir lassen uns nun inspirieren, und wir sagen heute: »Wer sich ständig neu hinten anstellt, der schaut zu, wie die anderen durch die Kasse gehen.«

Prüft die Kassen und Schlangen – sprich: die Technologien – und tut das ohne Ideologie! Lasst euch nicht von Lobbyisten dummschwätzen! – Wählt nicht die Technologie, für die es heute Applaus gibt, sondern die Technologie, die in 10 und 20 Jahren funktionieren kann und wahrscheinlich wird.

Und, wenn es euch nicht gelingt, eure Regierung und die Meinungsmacher von solchem Vorgehen zu überzeugen, wählt für euch selbst ganz genau, in welche Warteschlangen ihr euch anstellt. Nein, es ist nicht ratsam, immerzu die Spur zu wechseln. Doch wenn man sieht, dass eine Spur blockiert ist und sich so bald nichts bewegen wird, dann sollte man zumindest darüber nachzudenken beginnen, die Spur zu wechseln.

Es sind die kleinen Gewohnheiten, die uns verraten, wer wir sind – und es sind kleine Gewohnheiten, die zu großen Gewohnheiten werden, und die dann unser Leben und unser Schicksal bestimmen. Macht es euch weder zur Gewohnheit, stur in einer Warteschlange zu verweilen, noch wechselt immer Warteschlangen, nur um immer wieder von Null zu beginnen.

Es sind die kleinen und großen Gewohnheiten, die unser Leben und damit uns selbst formen, und es scheint mir eine nützliche Angewohnheit zu sein, vorher darüber nachzudenken was man tut. Eine kleine Angewohnheit? Gewiss. Doch, Obacht: Nachzudenken, bevor man handelt, das gilt heute ja beinahe als ein revolutionärer Akt.

Weiterschreiben, Wegner!

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