Ob Schule, Ausbildung oder Arbeitsplatz, ob Familie oder Verein: Wer Teil einer dieser Gruppen ist, besetzt eine Rolle in dieser Gruppe.
Wir können nicht immer sagen, wie es dazu kam, dass ein Mensch diese oder jene Rolle besetzte. Es ergibt sich halt. Es wird mit dem Charakter zusammenhängen. Der Klassenclown. Der Buchhalter. Der Chef.
Der Hilfsbereite mit dem Helferkomplex. Er steuert auf den Punkt in seinem Leben zu, an dem er selbst Hilfe brauchen wird. Er wird keine finden, zumindest keine Hilfe in dem Ausmaß, in welchem er selbst zuvor Hilfe austeilte. Von außen sieht man das, doch er lässt sich nicht raten. Bei aller Bescheidenheit seiner Rolle ist er erstaunlich überheblich, wenn es darum geht, guten Rat anzunehmen.
Wir merken, dass wir immer wieder in jeweils ähnliche Rollen rutschen. Wir wissen oft nicht, wie die Rollen festgelegt werden. Es scheint, dass unsere Qualitäten unsere Rolle bestimmen – und unsere Rolle wiederum uns formt, also unsere Eigenschaften.
Der Arbeitsgipfelkreis
In Deutschland sagt man: »Wenn du nicht mehr weiter weißt, gründe einen Arbeitskreis.«
Eine Variante des Spruches vom Arbeitskreis der Ratlosen würde bei Politik wohl »Arbeitskreis« mit »Gipfel« ersetzen. (Ich überlasse es Ihnen, einen Reim auf »-ipfel« zu finden. »Zipfel«? »Wipfel«?)
Wenn Politiker ein Problem lösen wollen, und wenn sie meinen, es lösen zu können, dann lösen sie es eben.
Wenn Politiker ein Problem aber nicht lösen können, oder es aufgrund von »Sachzwängen« nicht lösen wollen, dann berufen sie einen Gipfel ein.
Ich erinnere mich noch an die berüchtigten »Islamgipfel« unter Wolfgang »Islam ist Teil Deutschlands« Schäuble (welt.de, 28.9.2016). Es ist unklar, welche Ergebnisse sich die Ungläubigen erhoffen, einen »Gipfel« einzuberufen für eine Weltdeutung, welche die Welt eben in Gläubige und Ungläubige teilt – mit den bekannten philosophischen und praktischen Konsequenzen.
Der Politiker denkt sich: »Ich kann oder will nichts daran tun. Doch man soll fühlen, dass etwas getan wird. Also berufe ich einen Gipfel ein. Derweil und danach geht aber alles weiter wie bisher.«
Am Limit?
Die Innenministerin von Deutschland heißt Frau Faeser, und ihr Rechtsstaatsverständnis ist mindestens so solide wie das Englischverständnis der Frau Baerbock. (Im Essay vom 2.4.2022 schrieb ich: »Es spricht nicht für die Demokratie, dass Personen wie Nancy Faeser an die Macht kommen können.«)
Diese Frau Faeser empfängt nun den Deutschen Städtetag zum »Flüchtlingsgipfel« im Innenministerium. Es geht um die »Verteilung von Asylbewerbern«, denn viele Städte seien »am Limit« (zitiert nach und aus spiegel.de, 16.2.2023).
Einem Fisch ist nicht jederzeit bewusst, dass er von Wasser umgeben ist. Ein in Deutschland lebender Deutscher könnte übersehen, wie viele Propagandavokabeln dieser Satz enthält.
Wort für Wort
»Flüchtlinge« ist ein Propagandawort, wenn es sich zum wesentlichen Teil um die strategische Migration junger Männer aus Nordafrika ins deutsche Sozialsystem handelt.
»Verteilung« ist ein Propagandawort, das man verwendet, ohne vorab zu diskutieren, welche Menschen und wie viele von diesen überhaupt nach Deutschland einreisen dürfen/können/sollen. Die Verwendung von »Verteilung« kann manipulativ implizieren, dass nicht das »Ob« sondern das »Wie« der Aufnahme von Migranten die zu diskutierende Frage ist.
Und auch »am Limit« ist ein Propagandawort, wie Ihnen all die für Politik und Propaganda unsichtbaren (oder als »Rechtsextreme« beschimpften) Bürger berichten können, deren Stadtteil bereits sozial gekippt ist. In Teilen Deutschlands ist das Limit längst überschritten. Wenn du bereits den Wind des freien Falls spürst, stehst du nicht mehr einen Schritt vorm Abgrund.
Wie oder Ob
Die Propagandasprache mit ihren manipulativen Wörtern soll die Gemüter beruhigen, und die Bürger davon abhalten, die eigentliche Frage zu stellen.
Die Behörden wollen das »Wie« diskutieren lassen. Die Verteilung, die Zuteilung der Zuschüsse und Hilfsgelder.
Das »Ob« zu diskutieren gilt auch weiter als tabu – und zwar anders als in den meisten anderen Staaten dieser Erde.
Das »Ob« zu diskutieren würde bedeuten, ehrlich zu fragen, ob Deutschland weiter eine Rolle als exterritoriales Sozialsystem für Teile der Welt spielen soll.
Das »Ob« wirklich ehrlich zu diskutieren würde auch bedeuten, wenn man schon »Ja« sagt, eine Grenze zu setzen, ein echtes Limit. Nein, Asylrecht muss nicht bedeuten, die Sozialarbeit für Nordafrika zu übernehmen, und zwar nach deutschem Standard.
Ist es auch
Wie genau kam es eigentlich, dass Deutschland in diese schräge Rolle des Welthelfers gerutscht ist?
Vermutlich hat es mit dem Zweiten Weltkrieg zu tun, mit der Schuld und so. Doch das würde bedeuten, dass das Kind, das heute in der Schule als »Kartoffel« beschimpft wird und sich auf dem Schulhof allein fühlt, weil es als einziges Deutsch spricht, damit richtigerweise für das Dritte Reich bestraft wird.
Klingt irre?
Ist es auch.
Und doch ist es die logische Folge einer implizit wabernden These, Deutschland müsse beliebigen Ländern als exterritoriales Sozialsystem dienen, weil das Dritte Reich passierte.
Ja, wir sollten die Frage des »Ob« klären, nicht nur des »Wie«.
Von Fachkräften
Weil deutsche Fachkräfte zu Tausenden ins Ausland abwandern, überlegen die Parteien mit ihren Politikwissenschaftlern und Fake-Doktoren, die deutschen Fachkräfte durch welche aus dem Ausland zu ersetzen.
Was aber ist das Argument, wie lautet die Einladung an diese?
Vermutlich etwa: »Komm nach Deutschland. Weil du legal kommst, machen wir den Papierkrieg super schwer. Und wenn du hier arbeitest, zahlst du die höchsten Steuern der Welt, denn wir waren mal Nazis und müssen das jetzt mit Moral kompensieren. Du wirst zusehen, wie dein Stadtteil kippt und die Schule deiner Kinder unsicher wird. Doch du darfst das nicht doof finden, sonst bist auch du ein Nazi. Wann dürfen wir deine untertänige Bewerbung erwarten?«
Na, ich weiß nicht.
Was noch offen ist
Im Innenministerium haben sie also einen Gipfel einberufen. Es ist reichlich verlogen. Manipulativ, und vermutlich bewusst wird die falsche Frage gestellt.
Die Deutschen werden von ihrer Politik und Presse implizit belogen, indem in der Praxis getan wird, als sei nur das »Wie« und nicht mehr das »Ob« der Welteinladung zu diskutieren.
Eine Lüge, oft genug erzählt, wird angeblich zur »Wahrheit« werden – doch die Fakten halten sich nicht an diese. Am Ende gewinnt stets die Realität, und sie gewinnt umso brutaler, je länger wir sie leugnen.
Erstaunlich viele unserer privaten und sogar gesundheitlichen Probleme hängen mit den Rollen zusammen, die wir in unseren verschiedenen Kontexten einnehmen.
Deutschland hat nur sekundär ein Problem mit der Versorgung von Asylbewerbern. Deutschlands Problem ist seine Rolle innerhalb der Nationen der Welt, und Deutschlands Probleme mit der Einwanderung sind die direkte Folge seines Rollenverständnisses.
Deutschland gefällt sich in einer Rolle als nationgewordenes Helfersyndrom. Das Helfersyndrom aber mündet regelmäßig in Burn-Out und Verbitterung. Hier und da, so fürchte ich, geht das Land bereits in diesen Endzustand des Helfersyndroms über.
Eine Prophezeiung
Deutschlands großes Problem ist, dass Deutschland kein Deutschland hat, welches ihm den großen Wohltäter spielen wird, wenn Deutschland seinen erwarteten Burn-Out erleidet. Das gilt für Industriepolitik, für den Forschungsgeist, für den sozialen Zusammenhalt wie auch für Migrationspolitik.
Erst wenn die letzte Fabrik geschlossen, der letzte Ingenieur ausgewandert, der letzte Gläubiger erschöpft und der letzte Stadtteil aufgegeben ist, werdet ihr merken, dass man von Moral allein nicht leben kann.