09.04.2023

Caesar ist noch nicht tot

von Dushan Wegner, Lesezeit 9 Minuten, Was passiert in Berlin?
Wer hätte das gedacht: Es sind »Linke«, nicht »Rechte«, welche Sonderrechte für Frauen canceln. Wer nun als Mann auf eine Quoten-Stelle zielt, der meldet sich dank Selbstbestimmungsgesetz einfach zur Frau um – aber ob er so auch in die Frauensauna kommt?
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Es waren nicht die Kelten, nicht die Gallier, nicht die Belgier, und keiner derer Stämme, es waren nicht die Nervier, nicht die Aeduer oder die Arverner, nicht die Sueben, nicht die Usipeten, nicht die Cantii oder die Atrebaten und auch nicht die Numidier in Afrika, die Caesar zu Fall brachten. Es waren Gaius Cassius und Marcus Iunius Brutus, beide Römer wie Caesar, und mit ihnen Casca, Decimus und Trebonius, allesamt Römer.

Waren die Caesarmörder also zwar Römer, doch tatsächlich nur römische Straßenräuber? Gesindel also, das sich nun leider in jeder Gesellschaft findet? O nein! Es war kein Gesindel, zumindest nicht im unmittelbaren Sinn. Es waren Senatoren! Die Ersten unter Gleichen. (siehe auch Wikipedia: Caesarmörder)

Der neue Caesar

Wir haben heute keinen Caesar mehr. Wir haben den Caesar durch ein Prinzip ersetzt, eine Idee, eine Methode. Man nennt diese Idee, so erklärte man uns in der Schule, die »Demokratie«.

In der praktischen Durchführung hat diese »Demokratie« mit Wahlen und Vertretern zu tun, mit Parteien und Ausschüssen. Als zentrale und wichtigste Einrichtung dieser Idee, ja als Tempel der Demokratie, gilt das Parlament.

Und was soll im Parlament getan werden – in der Theorie?

Man soll debattieren!

Sicher, in der realen Praxis wird nicht debattiert. In der Realität liest man vorbereitete Talking Points vor, so man überhaupt vor Ort ist. Doch die Grundidee der Demokratie ist, dass sich im Austausch von Ideen durch Debatte klügere und, ja, gerechtere Lösungen finden lassen.

In der Demokratie soll sich die Macht immer vor der Debatte verantworten müssen – und durch Debatte hinterfragt und durch Wahlen als »Debatten-Zwischenstand« auch genommen und neu verliehen werden.

Was könnte also einer tun, der dem »Caesar Demokratie« den Dolch in die Seite rammen wollte? Wie würde einer Vorgehen, der die Macht aus der Hand der Debatte rauben und in die Hand, äh, anderer Instanzen legen wollte?

Es wäre so banal wie wirkungslos, das Parlament etwa mit Panzern angreifen zu wollen. Demokratie ist eine Idee, die durch Gesetze und Behörden manifest wird, aber eben doch eine Idee bleibt. Alle Schachbretter und Schachfiguren dieser Welt zu vernichten würde nicht die Idee des Schachspiels selbst vernichten. Im Gegenteil: Angriffe auf die greifbaren Symbole können neues Feuer zur Verteidigung der Ideen hinter den Symbolen entfachen.

Nun, ein Feind der Demokratie könnte versuchen, unliebsame Debattengegner schlicht zu verbieten. Ein Feind der Demokratie könnte versuchen, innerhalb der Institutionen der Demokratie unliebsame Debattengegner zu benachteiligen und zu isolieren. Ein Feind der Demokratie könnte sich den Debatten mit inhaltlichen Gegnern verweigern.

Doch ein Verbot von Debatten verbraucht noch immer Energie. Der Instinkt der Menschen zum Selbsterhalt und die Verlockung des Menschenverstandes jucken noch immer zu viele Störenfriede.

Der wirklich effektive Feind der Demokratie widerlegt seine Gegner nicht – er vergiftet sie. Und wenn dein Feind die Debatte selbst ist, dann gilt es, die Debatte zu vergiften.

Etwas Endgültiges

Im oben verlinken Talking-Points-Buch beschreibe ich in einem Kapitel den »Heiligen Widerspruch«. Religionen praktizieren es seit Jahrhunderten und Jahrtausenden, einen Widerspruch nicht zu widerlegen, sondern ihn im Gegenteil für »heilig« und »wesentlich« zu erklären. Das Christentum etwa hält Jesus für »ganz Mensch« und »ganz Gott«. Zu Ostern (also während ich dies schreibe) »stirbt« dieses Instanz und wird dann doch wieder lebendig – womit sie logischerweise nicht »gestorben« wäre, denn der Tod ist nach allgemeinem Begriffsverständnis etwas Endgültiges.

Der »Heilige Widerspruch« erklärt etwas logisch Unsinniges für »heilig« und damit zur gesetzten Prämisse. Das hat (mindestens) zwei »Vorteile«: Erstens lässt sich aus einem Widerspruch, wie auch aus einem Gefühl, logisch alles ableiten (»ex falso quodlibet«). Und zweitens bündelt ein Widerspruch so wunderbar die Aufmerksamkeit. Im Schatten der aufgeregten Debatte aber lässt sich so manche Schweinerei unternehmen.

Um einen Caesar zu töten, brauchte es noch einen Dolch. Um aber sinnvolle öffentliche Debatte zu töten, braucht es »nur« einen besonders absurden Widerspruch, den zu debattieren allen in Realität und realer Notwendigkeit verankerten Debatten den Sauerstoff entzieht.

0,014 %

Im Alltag der meisten von uns stellen sich eher selten Zweifel darüber ein, wer ein Weiblein ist und wer ein Männlein. Nach wissenschaftlichen Schätzungen von Psychologen leiden zwischen 0,005 % und 0,014 % der Bevölkerung an »Geschlechtsdysphorie«, sind also der stabilen Überzeugung, »im falschen Körper« zu stecken.

Mit der Begleitung von Institutionen wie »Open Society« (siehe opensocietyfoundations.org) haben westliche Politiker zeitweilig die Ultra-Nische Geschlechtsdysphorie als zentrales politisches Thema entdeckt.

Weiterer Absturz der Geburtenzahlen (destatis.de) nach Covid-Panik und mRNA-Injektionen. Künstliche Intelligenz (siehe Essay vom 1.4.2023), die ganze Berufszweige abschaffen oder den Bedarf an Human-Personal massiv dezimieren wird. Eine »Mental Health Crisis« unter Jugendlichen weltweit (begleitet von bald täglichen Meldungen über brutale Gewalt unter Jugendlichen), die inzwischen nicht nur obskure deutschsprachige Blogger thematisieren (siehe zuletzt etwa meinen Essay vom 22.3.2023), sondern auch die Zentralpostillen des Kapitalismus – ft.com, 26.3.2023 schreibt: »A growing body of evidence links a rise in depression in children to social media use.«, zu Deutsch etwa: »Immer mehr Beweise implizieren einen Zusammenhang zwischen Depressionen bei Kindern und der Nutzung sozialer Medien.«

Wegen ihres Aussehens

Vor ein paar Wochen noch las man in deutschen Medien noch viel mehr über diese kleine Gruppe von Menschen als heute. Die FDP, das gelbe Fähnchen im Wind der Weltgeschichte, wird Deutschland via FDP-Justizminister nun also ein »Selbstbestimmungsgesetz« bescheren (tagesschau.de, 26.3.2023).

Das Gesetz besagt, dass Deutsche einmal im Jahr beim Standesamt ihr Geschlecht wechseln können. Die legale Geschlechtsänderung wird drei Monate nach Antrag aktiv. Will man sich etwa für eine Arbeitsstelle oder eine staatliche Förderung bewerben, die explizit nur für Frauen ausgeschrieben ist, kann man sich beim Standesamt als Frau eintragen lassen, und nach drei Monaten Wartezeit gilt man dann legal als Frau. (Für praktische Tipps siehe auch »Lucy, ich und unser Eskimo-Baby«.) Auf seiner Website bmfsfj.de weist das Justizministerium darauf hin, dass man durch einen Eintrag als »weiblich« nicht »automatisch« einen Quotenplatz erhalte – man müsse immer noch mit regulär weiblichen Frauen konkurrieren.

Die intellektuelle Redlichkeit des Justizministeriums empfinde ich als, sagen wir mal, diskutabel. Dort wird argumentiert, man müsse nicht erwarten, dass allzu viele Männer sich nur der Quoten-Vorteile halber zur Frau ummelden. Haben diese Leute mal gezählt, wie viele Männer auf Frauenparkplätzen aus dem Auto aussteigen? Mal eben Tausende Euro mehr erhalten oder überhaupt erst angestellt werden, wenn man dafür bei der Behörde einen Eintrag ändern lässt, der durch ebendieses Gesetz ja bedeutungslos wurde? Klingt wie ein interessanter Deal.

De facto wickelt Deutschland mal eben die Gesetz gewordenen Errungenschaften des Feminismus ab – nicht etwa unter CSU und AfD, sondern unter SPD, Grünen und FDP.

Doch wie ernst man diese Neu-Definition des Begriffs »Frau« wirklich nimmt, zeigt die Versicherung des Justizministers, dass es auch weiterhin beispielsweise den Betreibern von Frauen-Saunen offen stehe, ob sie »biologischen Männern«, die sich als Frau »identifizieren«, den Eintritt erlauben (queer.de, 4.3.2023).

Die Funktionärin Ferda Ataman, die sich durch deutschenfeindlichen Rassismus (bild.de, 16.8.2022) als Diskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung qualifizierte, findet das aber gar nicht okay: Es sei »unzulässig«, eine »Person ausschließlich wegen ihres Aussehens abzuweisen« (queer.de, 29.3.2023). Glaubt auch nur ein Vernunftbegabter in Deutschland, dass solche Aussagen etwas anderes sind als provozierendes, genau gar nicht ernst gemeintes Geräusch? Hanebüchener Bullshit als Selbstzweck. Spätestens wenn eine »Trans-Frau« versucht, sich Zugang zu einer vor allem von muslimischen Frauen frequentierten Einrichtung zu verschaffen, wird die männliche Bekanntschaft der dortigen Frauen die Debatte schnell zu einem so »biologistischen« wie endgültigen Schluss führen.

Dass ich hier die Nischen-Publikation »queer.de« zitiere, hat einen konkreten Grund: Außerhalb von Nischen und Social Media ebbt die Debatte wieder ab – zumindest in Deutschland. Wenn die »Linke« unbedingt die gesetzlichen Errungenschaften des Feminismus wieder zurückabwickeln will, wer soll sie daran hindern? Hatte nicht Napoleon sinngemäß gesagt, man solle seinen Feind nicht daran hindern, sich selbst zu besiegen?

Und man wickelt nicht nur Frauenrechte und Quoten wieder ab, man widerlegt nebenbei auch praktisch die These Sigmund Freuds, wonach Frauen grundsätzlich unter »Penisneid« leiden. Frei nach Monty Python: Die Zahl der »Stans«, die »Loretta« genannt werden wollen, ist weit höher als andersherum.

Zum Glück nicht …

Nein, nicht überall auf der Welt pendelt sich die Debatte wieder in Richtung Normalität ein.

Wieder einmal spielt Kanada seine Rolle als Weltzentrale westlicher Clownerie. Anfang April 2023 legte man in Ontario einen Gesetzesentwurf vor, wonach es unter eine Strafe von bis zu 25.000 Kanadischen Dollar gestellt werden soll, im Umkreis von 100 Metern um eine Travestieshow herum einen Witz über Männer zu machen, die sich als Frauen verkleiden (»drag performers«). Man will »Safety Zones« für die »2SLGBTQI+ Community« schaffen.

Man betrachte die Aufnahmen von der Verkündigung dieses Gesetzes mit hochgewachsenen und grell kostümierten Travestie-Darstellern: abcnews4.com, 5.4.2023. Selbst die für ihren Mangel an politischer Korrektheit bekannte Cartoon-Serie »South Park« hätte sich keine schrägere Optik ausdenken können. (Dass allerdings auch ein dickliches Kind für diese buchstäbliche Travestie instrumentalisiert wurde, ist unschön und sagt etwas über den moralischen Zustand kanadischer Politik.)

In Deutschland aber verläuft sich die Debatte wieder, und das immerhin ist ein Anlass zur Hoffnung.

Tägliche Dolche

Die größte Bedrohung der Demokratie sind heute nicht die Panzer und Raketen, sondern die Verwirrung der demokratischen Debatte. Wenn wir uns mit Unsinn beschäftigen (lassen), müssen unsere Gegner gar nicht erst einmarschieren, um uns zu schwächen.

Dass die deutsche Debatte rund um die Geschlechterverwirrung wieder abebbt, ist ein gutes Zeichen. Nein, sie ist nicht vorbei. Gerade die von Skandalen und innerer Leere geplagte Linke wird sie immer wieder auffrischen – sie haben ja, von »Klima« und »gegen Rechts« abgesehen, wenig anderes. Aber immer häufiger bekommt sie zur Antwort: »Okay, macht was ihr wollt – aber lasst damit die Erwachsenen in Ruhe.«

Unser Caesar heißt »demokratische Debatte«. Und unser Caesar blutet, daran ist kein Zweifel. Brutus und alle seine Mitverschwörer mit Parteibuch und Presseausweis stoßen täglich neue Dolche in Caesars Leib.

Doch wenn wir fallen, dann werden wir selbst es sein, die uns zu Fall gebracht haben.

Aber: Caesar ist noch nicht tot!

Noch lebt er – noch lebt Caesar, wenn er auch blutet.

Sollte auch »unser Caesar« sterben, wird man wieder jammern und die Hände ringen, und man wird sagen: Ach, hätte nur einer auf die Wahrsager gehört, statt sie zu verlachen! Hatten die Wahrsager nicht lange genug vor den Iden des März gewarnt?

»Mut zur Wahrheit« wurde mal in der deutschen Politik gefordert, und es waren die »großen« und »schmerzhaften« Wahrheiten gemeint, wie dass ein Land von 80 Millionen Menschen mit 46 Millionen Lohnsteuerzahlern nicht die 1,4 Milliarden Einwohner Afrikas »retten« kann.

Heutige »Wahrheiten« sind in vielen kleineren Dimensionen angesiedelt. Heute braucht es Mut auszusprechen, dass Frauen Frauen sind und Männer eben Männer.

»Mut zur Sinnhaftigkeit«, müssten wir heute sagen, oder Mut zum Menschenverstand.

Ich schreibe, um Ihnen und mir zu helfen, am Wahnsinn unserer Zeit nicht selbst wahnsinnig zu werden. Und nebenbei helfen wir, die Demokratie für den Augenblick von der Klippe wegzuziehen.

Weiterschreiben, Wegner!

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